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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die venezolanische Künstlerin Sol Calero im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen

Pica Pica. Ein mystischer Wunschbaum

von Angelika Campbell

Beim Pica-Pica-Baum bedankt man sich, wenn ein Wunsch in Erfüllung gegangen ist – so der traditionsreiche Glaube im ländlichen Venezuela. Die Samen dieses tropischen Gewächses rufen höllischen Juckreiz hervor, auf spanisch eben Pica Pica. „Pica Pica“ ist auch der Titel einer neuen Ausstellung im Düsseldorfer Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen. Sol Calero, in Venezuela geboren, mit 17 nach Spanien gekommen und heute in Berlin lebend, hat mit ihrer Installation den nüchternen Museumsraum im Gebäude am Grabbeplatz in eine farbsprühende Reminiszenz an ihre lateinamerikanische Heimat verwandelt. Entstanden ist ein lebendiger Ort des Austauschs mit einer anderen, exotischen Kultur, die gleichzeitig den Blick auf eigene Befindlichkeiten ermöglicht und zu sozialer Interaktion aufruft, zu sehen bis zum 28. Oktober.

Sol Calero, Pica Pica, 2018, Installationsansicht “Sol Calero – Pica Pica”, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf (1. September bis 28. Oktober 2018), Foto: Katja Illner

Einladung zum globalen Dialog

„Die Kunstszene ist generell mehr auf den westlichen Beitrag fokussiert“, sagt die Künstlerin, die bereits in vielen Ausstellungen von München über Lissabon, London, Basel, Caracas, Berlin und Neapel präsent war. „Mir ist es wichtig, bei der Suche nach meinen eigenen Wurzeln Europas Blick auf Lateinamerika und die Karibik zu schärfen und zu einem globalen Dialog einzuladen.“

Die Basis für dieses Anliegen, das Sol Calero in Düsseldorf so eindrucksvoll offenbart, ist eine Legende, die sich unter einem Lagunaria-Patersonia-Baum, eben diesem Pica Pica in Venezuela ereignet haben soll. Danach legte sich ein kranker Hirte namens José Zambrano zum Sterben in den Schatten unter eben einen solchen Baum. Ein anderer Hirte, der gerade sein Vieh verloren hatte, sah ihn und legte Zweige zum Schutz um seinen Körper. Er versprach dem Sterbenden eine angemessene Beerdigung, sofern er seine Herde finden sollte. Nachdem ihm dies gelungen war, kehrte er zurück, um sein Versprechen zu halten.

Dankeschön mit Migralitos

Bis heute besteht in Venezuela der Glaube, dass der Pica-Pica-Baum mit Zambranos ruhender Seele ein Ort ist, an dem Wunder geschehen. Pica Pica wird seither als heiligenähnliche Figur und der Baum als Wallfahrtsort verehrt, zu dem als Dankeschön sogenannte Milagritos (spanisch für ‚kleines Wunder‘) gebracht werden: handgefertigte, objektförmige Nachbildungen der in Erfüllung gegangenen Wünsche. Das kann eine Hand sein, ein Auto, ein Haus, ein Herz und vieles mehr – Ähnliches kennt man ja auch als Amulett. Migralitos finden sich nun, überdimensional vergrößert, an den blauen Wänden des Düsseldorfer Ausstellungsraums und eingewoben in eine raumgreifende Hängeinstallation – mystisch aufgeladen und faszinierend in ihrem tropischen Farben- und Formenreichtum, dem barocke Anklänge nicht abzusprechen sind.

Wie Sol Calero erklärt, lieferten persönliche Erinnerungen an eine José Zambrano und „El Ánima de Pica Pica“ gewidmete Kapelle den Ausgangspunkt für ihre in Düsseldorf gezeigte neue Werkreihe. Die über und über mit handgemachten Milagritos versehene Kapelle sah sie stets auf dem Weg zum Bauernhof ihrer Großmutter. Es war üblich dort anzuhalten und Pica Pica seine Ehre zu erweisen, um eine sichere Reise zu gewähren und Unheil zu vermeiden. Solche symbolkräftigen Formen hat sie in bunter Vielfalt in ihre Düsseldorfer Installationen integriert. Schauen, Suchen und Klassifizieren lohnt sich!

Migralitos für alle

An Wunder glauben und Wünsche in Erfüllung gehen lassen – das soll auch den Besucherinnen und Besucher der Ausstellung des Kunstvereins erlaubt sein. Sol Calero lädt sie ein, selber Migralitos herzustellen und an den vorhandenen Symbolen der Installationen zu befestigen – Bastelscheren liegen auf zwei Tischen bereit. Und wenn der Platz für nicht ausreicht, weil die Düsseldorfer so fleißig interaktiv sind? „Wegen mir dürfen die Migralitos auch auf den wunderschönen blauen Wände landen!“, meint die Künstlerin lächelnd. Angesprochen auf die desolate Lage in Venezuela, wird sie dann sehr ernst. In Zeiten einer solch heftigen sozioökonomischen Krise, wie sie das Land derzeit erleidet, dürfte das transformative Potential ihrer Rauminstallation für die gesellschaftliche Verhandlung der aktuellen politischen Realität von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein.

Die Ausstellung im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf in der Kunsthalle am Grabbeplatz 4 geht bis zum 28. Oktober 2018.

 

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