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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Ausgelassen“ – Zeichnungen von Asal Khosravi im 1822-Forum

Von Erhard Metz

„Ausgelassen“ – ausgelassen, fröhlich sein im Frankfurter 1822-Forum? Wohl kaum, dazu sind die Konterfeis der Personen, die wir auf den großformatigen Zeichenkartons in der bekannten Fördergalerie sehen, viel zu ernst. Was aber könnte dann der ungewöhnliche Titel bedeuten, den die Malerin und Zeichnerin Asal Khosravi der Werkschau gegeben hat?

Die meterhohen und -breiten, auf verformungsempfindlichem Zeichenkarton ausgeführten feinen Grafit- und Kohlestiftzeichnungen als Ausstellungsansichten fotografisch ohne verfälschende Schattierungen wiedergeben zu wollen, ist ein kaum gelingendes Unterfangen:
„Be“, 2018, Grafit- und Kohlestift auf Papier, 230 x 150,5 cm, Totale und Detail

Auslassungen – aha und na klar, mag mancher Betrachter der Zeichnungen aus dem Titel schließen, Köpfe und Hände sowie zuweilen ein Attribut wie ein Igel oder Hund sind gleichsam fotorealistisch dargestellt, die Körper aber jeweils nur in kaum zu erahnenden Umrissen, die Künstlerin wird sich schon etwas dabei gedacht haben. Ja, das hat sie, aber so einfach liegen die Dinge hier wiederum nicht, wie der Betrachter vermeinen könnte, denn Khosravi konfrontiert ihn in ihrer Arbeit mit einem gänzlich anderen Angebot des Erkennens, das sein Wahrnehmungsvermögen wie auch seine Fantasie herausfordert.

„Ye I“, 2017, Grafit- und Kohlestift auf Papier, 210 x 130 cm, Totale und Detail

Als minimalistisch könnte man, nicht ganz korrekt, die Arbeiten bezeichnen. Auch dies hieße den Fokus jedoch falsch zu setzen. Kann man aus dem Widerspruch etwas lesen zwischen dem zumeist eher das Kleine, Intime, Konzentrierte beanspruchenden Medium Zeichnung und den hier anzutreffenden schier riesigen Formaten? Und überhaupt – weißer Zeichenkarton fast raumfüllend auf weißen White Cube-Wänden, hat das seine besondere Bewandtnis? Haben wir es mit Porträts zu tun im eigentlichen Sinne oder mit etwas gänzlich anderem?

Ja, es sind Porträts und wiederum auch nicht. Zum Vorbild dienen Asal Khosravi Personen aus dem Verwandten- und Freundeskreis. Doch verfremdet die Künstlerin allein schon mit ihrer Arbeitsweise ein zu „nahes“ Porträtieren ihrer Protagonisten: Nur im Rahmen von der Vorbereitung dienenden Fotografien stehen, sitzen oder knien sie ihr Modell, die Zeichnungen führt sie zu einem späteren Zeitpunkt anhand der Lichtbilder aus. Den auf diese Weise „Porträtierten“ gibt sie den Anfangsbuchstaben ihrer Namen im persischen Alphabet als Titel wie B, Ye, Nun oder Ze.

„Nun II“, 2017, Grafit- und Kohlestift auf Papier, 150,5 x 210 cm, Totale und Detail

Was aber steht nun im Zentrum der durchaus konzeptuell zu nennenden Arbeiten der Künstlerin? Es ist etwas, was auf dem Bild nicht zu sehen ist. Man könnte an Antoine de Saint-Exupérys weltumspannend bekannten Satz „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“ denken. Das Wesentliche: Halten es Asal Khosravis Protagonisten in ihren Händen? In leicht nach vorn gebeugter Haltung betrachtet es „Be“ in ihrer linken Hand, schützend, falls das geheimnisvolle Etwas herunterfallen sollte, hält sie die rechte darunter zum Auffangen bereit. „Ye“ umfaßt das Kostbare mit beiden Händen. Die niederkniende „Nun“ bewahrt das Geheimnisvolle, indem sie ihre Hände aneinander legt und zu einer bergenden Schale formt. Und „Ze“ – ist es der Mann oder die Frau? – samt Partnerin oder Partner halten das Unsichtbare mit allen vier Händen – ohne dass diese sich berühren – umschlossen.

Asal Khosravi mag ihren zunächst fotografisch erfaßten Modellen vielleicht aufgegeben haben, sich etwas Besonderes, gar Wertvolles vorzustellen, das es zu schützen und zu bewahren gilt. Wir können uns eine andere Betrachtung vorstellen: Vielleicht will sie uns vielmehr den Gedanken von Saint-Exupéry vermitteln, indem sie uns das Immateriell-Ideelle, das sich dem vordergründigen Blick Entziehende, das schlechthin Wesen- und Werthaltige bildsprachlich als ein „Nicht-im-Bild“, als das nicht Abbildbare nahebringen will.

Auch auf diese Weise kann der Betrachter sich den „Porträts“ nähern, birgt doch ein jeder Mensch ein für Unveräußerbar erklärtes Geheimnisvolles in sich, das ihn als Individuum charakterisiert, sich aber dem blickend-forschenden Zugriff auch seines „Nächsten“ verweigert. Will sagen – machen wir uns bei aller Redlichkeit ein mehr oder weniger zutreffendes Bild von unserem „Nächsten“, ohne ihn jedoch im tiefsten Wesentlichen seiner Persönlichkeit je erreichen zu können?

„Ze“, 2017, Grafit- und Kohlestift auf Papier, 210 x 150,5 cm, Totale und Detail

Asal Khosravi, 1975 in Ludwigsburg geboren, wuchs in Teheran auf. Die primär durch ihre fantasievolle Malerei bekannte Künstlerin studierte Kunstpädagogik und Kunstgeschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie Medienwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Ihre Ausbildung schloß sie mit dem Magister Artium in Kunstpädagogik ab. Asal Khosravi, Mitglied des Oberhessischen Künstlerbundes (OKB) und des Berufsverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

„Ausgelassen“ – Zeichnungen von Asal Khosravi im 1822-Forum der Frankfurter Sparkasse, bis 9. September 2018

Abgebildete Werke © Asal Khosravi; Fotos der Ausstellungsansichten: Erhard Metz

 

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