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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Nie standen die Frauen an ihrem gehörigen Platze…‘ – Charlotte von Stein. Schriftstellerin, Freundin und Mentorin“ im Frankfurter Goethe-Haus

Nicht nur Goethes Muse – die schönsten Liebeszeugnisse der Weltliteratur auf „Zettelgen“

Charlotte von Stein zählt zu den zentralen Personen im Weimar des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Viele kennen zwar ihren Namen, aber nur wenige wissen Genaueres über das Werk und Wirken dieser faszinierenden Frau. Wahrgenommen wird sie zumeist nur in Verbindung zu Goethes Leben und Poesie. Dabei ist es diese vielseitige Persönlichkeit wert, mit einer eigenen Ausstellung zu würdigen, so Dr. Joachim Seng, Leiter der Goethe-Haus-Bibliothek. Das Frankfurter Goethe-Haus widmet ihr nun unter dem Titel „Nie standen die Frauen an ihrem gehörigen Platze…‘ – Charlotte von Stein. Schriftstellerin, Freundin und Mentorin“ eine kleine, aber feine Präsentation.

Von Hans-Bernd Heier

Johann Ehrenfried Schumann (nach Georg Melchior Kraus): „Goethe mit Silhouette“, Gemälde von 1778

Das persönliche Kennenlernen der beiden hatte eine erstaunliche Vorgeschichte: Goethe bekam einen Scherenschnitt mit der Silhouette einer ihm bis dahin unbekannten Dame zu Gesicht. (Scherenschnitte mit Silhouetten spielten in der damaligen Zeit – vor der Erfindung der Fotografie – eine besondere Rolle). Von ihrem Profil war er sehr angetan, wie seine Anmerkungen zeigten. Der Maler Johann Ehrenfried Schumann hat diese Szene eindrucksvoll in dem obigen Gemälde festgehalten.

Charlotte von Stein mit der Büste ihres Sohnes Friedrich (Fritz), Silhouette um 1783

Als der 26-jährige Goethe die damals 33-jährige Charlotte von Stein im November 1775 persönlich kennenlernte, war sie – Mutter von sieben Kindern –  allerdings von dem Treffen enttäuscht, weil ihr sein stürmisches Benehmen missfiel. Anfänglich reagierte sie reserviert auf sein heftiges Werben und schrieb: „Ich fühl’s, Goethe und ich werden niemals Freunde“. Doch das sollte sich bald ändern. Es entwickelte sich eine äußerst starke emotionale wie intellektuelle Verbindung. Ob diese Beziehung nur platonischer oder auch sexueller Art war, hat zu zahlreichen Spekulationen geführt. Fest steht nur, dass diese Liebesbeziehung sowohl für Goethe als auch für Charlotte von Stein von enormer lebensgeschichtlicher Bedeutung war.

Georg Melchior Kraus: „Je suis C“, Charlotte von Stein, Gemälde von 1787

Zwölf Jahre lang übte sie einen außerordentlichen Einfluss auf das Leben und die poetischen Arbeiten des Dichtergenies aus. Für Goethe wurde die für ihn unerreichbare, weil verheiratete Frau, engste Vertraute, der er all seine Zweifel und Ängste anvertraute, von Erfolgen und Misserfolgen im Schreiben und seiner politischen Arbeit berichtete. Er schrieb nicht nur Briefe, die zu den schönsten Liebeszeugnissen der Weltliteratur gehören, sondern auch „persönliche Notizen, kurze Nachrichten, „Zettelgen“ wie Goethe sie nennt, die von Glück und Verzweiflung sprechen“, so die Biografin und preisgekrönte Schriftstellerin Sigrid Damm, die am 31. August im Arkadensaal des Goethe-Hauses aus ihrem Werk „Sommerreigen der Liebe“ liest.

Doch nicht diese innige Beziehung zu dem Dichterfürst steht im Fokus der Ausstellung „Nie standen die Frauen an ihrem gehörigen Platze…“ – Charlotte von Stein. Schriftstellerin, Freundin und Mentorin“, die vom 29. August bis 28. Oktober 2018 im Frankfurter Goethe-Haus zu sehen ist. Wenn auch ihre Freundschaft die geistige und künstlerische Entwicklung Charlotte von Steins nachhaltig prägte und sie ohne diese Beziehung heute wohl nur noch wenigen bekannt wäre, ist ihre Persönlichkeit nicht auf ein Dasein als „Goethes Freundin und Muse“ zu reduzieren. Dies belegt die höchst eindrucksvolle und unterhaltsame Präsentation, die vom Goethe- und Schillerarchiv der Klassik Stiftung Weimar übernommen wurde und jetzt, erweitert durch Exponate aus dem umfangreichen Charlotte von Stein-Bestand des Goethe-Hauses, gezeigt wird.

Die Schau zeigt die 1742 in Eisenach geborene und 1827 in Weimar gestorbene „Charlotte von Stein als literarisch und künstlerisch schöpferischen Menschen und lässt sie als Frau des Wortes mit Dichtungen und Briefen zu Wort kommen“, so Joachim Seng. Gezeichnet wird das Bild einer eigenständigen Frau, die mitfühlend und klug zur Mentorin einer jüngeren Frauengeneration im klassischen Weimar avancierte.

Johann Wolfgang von Goethe mit Fritz von Stein, Silhouette um 1783

Sie war allerdings keine Feministin, wie der Ausstellungstitel nahelegen könnte. Als Angehörige des Hofadels gehörten Repräsentationspflichten ebenso zu ihren Aufgaben wie als Frau des herzoglichen Oberstallmeisters Josias von Stein die Planung des Haushalts für die Familie in Weimar und Kochberg. Doch in keiner Phase ihres Lebens beschränkte sich ihr Betätigungsfeld nur auf diese traditionell weiblichen Rollen. Literarisch gebildet und geistig eigenständig trat sie selbst als Autorin hervor, verfasste Dramen, Erzählungen und Gedichte, zeichnete und musizierte, betrieb botanische Studien, interessierte sich für Gesteinskunde, Astronomie, Philosophie und das Zeitgeschehen.

Gezeigt wird vor allem ihr literarisch vielfältiges Werk, von dem zu ihren Lebzeiten allerdings keines veröffentlicht wurde – mit einer Ausnahme: Einzig die Komödie „Die zwey Emilien“ wurde publiziert, allerdings anonym bzw. mit der Autorschaft Schillers versehen. Ihre anderen Stücke wurden erst posthum gedruckt, zunächst die beiden Schauspiele „Rino“ und „Dido“, bei dem es um die Rolle der Geschlechter ging, sowie später die Komödie „Neues Freiheitssystem oder Die Verschwörung gegen die Liebe“. In der Tragödie „Dido“ griff von Stein verschlüsselt das Thema ihrer schmerzlichen Trennung von Goethe auf. Als dieser 1786 zu einer fast zweijährigen Reise nach Italien aufbrach, erlitt ihre Beziehung einen tiefen Bruch, der sich auch nach Goethes Rückkehr nicht mehr kitten ließ. Daran hat auch das für sie geschriebene Italienische Reise-Tagebuch nichts zu ändern vermocht. Ein selten gezeigtes Exponat aus Weimar ist als ein Highlight in der Ausstellung zu sehen. Wie sehr sie Goethes Verhalten verletzte, zeigt sich u. a. daran, dass sie ihre Briefe an ihn zurückforderte und verbrannte.

Spielkärtchen (Herzdame) aus dem Besitz Charlotte von Steins, Vorderseite

Bereits als 15-jährige wurde Charlotte Hofdame der Herzoginmutter Anna Amalia und blieb es bis zu ihrer Heirat im Jahre 1764. Sie war enge Vertraute der jungen Herzogin Louise, befreundet mit Herzog Carl August, Christoph Martin Wieland, Caroline und Johann Gottfried Herder, Charlotte und Friedrich Schiller sowie mit dem Dichter Carl Ludwig von Knebel, der von ihr sagte: „Sie ist ohne alle Prätension und Ziererei, gerad, natürlich, frei […], nimmt an allem Vernünftigen Antheil und an allem Menschlichen, ist wohl unterrichtet und hat feinen Takt, selbst Geschicklichkeit für die Kunst“.

Anders als etwa „Käthchen“ oder „Lotte“, die nur mit dem Vornamen in die Goethe-Literatur eingingen,  bezeichnete er sie respektvoll als „Frau von Stein“, die dem aufstrebenden Dichterfürsten im ersten Weimarer Jahrzehnt jene Sicherheit gab, die dem Frankfurter Bürgersohn im Milieu des Hofes fehlte.

Charlotte von Stein – eine Seite aus ihrem „Gedancken-Büchlein“ mit einer Szene aus dem Stück „Die zwey Emilien“ [Transkription der Seite: Wen das Leiden der tägliche Zustand der Seele geworden ist so verliert sie sogar das Bedürfniß ausdrücken zu wollen was sie empfindet unser erhöhter Seelenzustand ist wie einer der einen zu grosen etat zu seiner Einnahme gemacht hat, überal komt sie wie dieser zu kurz]

Die Schau mit der gediegenen Ausstellungsarchitektur zeigt auch die humorvolle Seite Charlotte von Steins sowie ihr Faible für intelligente Kartenspiele.

Da das Goethe-Haus laut Prof. Anne Bohnenkamp-Renken für derartige Ausstellungen keinen Etat hat, ist sie sehr dankbar für die Förderung durch die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, die Rudolf-August Oetker-Stiftung, die Cronstett- und Hynspergische evangelische Stiftung zu Frankfurt am Main, den Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e.V. und die Fazit-Stiftung. Die Commerzbank-Stiftung fördert die museumspädagogischen Vermittlungsangebote zur Ausstellung.

„Nie standen die Frauen an ihrem gehörigen Platze…“ – Charlotte von Stein. Schriftstellerin, Freundin und Mentorin“ bis zum 28. Oktober im Frankfurter Goethe-Haus; weitere Informationen unter: www.goethehaus-frankfurt.de

Abbildungen: © Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum

 

 

 

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