Diskussion um die Zukunft der Theaterdoppelanlage – Theater und Oper: Notwendiger Blick nach vorn
Rekonstruktion: Dieser Begriff löst vielerorts in Deutschland sofort Kritik und Häme aus. Die Initiatoren und Befürworter der neuen Frankfurter Altstadt haben es sofort erfahren, wie auch in den 80erJahren die Stadtverantwortlichen um den damaligen Oberbürgermeister Walter Wallmann, als es um die an den historischen Vorgängern orientierte Ostzeile des Römerbergs ging. So ist es nicht verwunderlich, dass die „Frankfurter Rundschau“ dem ersten „Schauspielhaus-Gespräch im Frankfurter Hof“ einer Initiative, welche sich der Rekonstruktion des früheren Schauspielhauses verschrieben hat, eine leicht hämische und von Herablassung imprägnierte Resonanz widmete – so, als sei das Vorhaben von vornherein nicht ernstzunehmen und im Ganzen unter reaktionären Retro-Verdacht zu stellen.
Von Uwe Kammann
Sanierungsbedürftig und neu zu bedenken: die Frankfurter Theaterdoppelanlage
Die Initiative selbst – die nach eigenem Bekunden zuallererst auf eine intensive und offene Debatte zur Zukunft von Oper und Theater in der so genannten Doppelanlage setzt – spricht statt von einer Rekonstruktion lieber vom „Wiederaufbau“ des Anfang des 20. Jahrhunderts eröffneten Schauspielhauses, das damals der auf Theater spezialisierte Architekt Heinrich Seeling entworfen hatte, im typischen Lieblingsstil der damaligen Zeit für repräsentative Bauten: der Neorenaissance. Auch in Berlin hinterließ Seeling einen Bau, der noch heute Wallfahrtsort der Theaterbegeisterten ist: das Theater am Schiffbauerdamm, Heimat des auf ewig mit Brecht verbundenen Berliner Ensembles.
Wiederaufbau: Für die Initiative ist dies das Zauberwort. Denn sie nimmt an, dass vom alten Schauspielhaus, das erst 1963 Jahre zur Theaterdoppelanlage inklusive Oper umgestaltet wurde – mit der markanten langen Glasfront – noch ein wesentlicher Teil hinter den Umbauten vorhanden ist. Constantin von Plettenberg, der stellvertretende Vorsitzende dieser Initiative – die sich auch am früheren (und erfolgreichen) Bürger-Engagement für den Wiederaufbau der Alten Oper orientiert –, präsentierte beim gut besuchten Schauspielhaus-Gespräch eine Reihe von Fotos, welche belegen sollten, dass durchaus wesentliche Teile der beiden Seitenfassaden noch vorhanden sind.
Aber es wurde auch deutlich, dass in der Nachkriegsphase mit ihrem absoluten Willen zu einer aufklärerisch verstandenen Moderne eine Menge verloren gegangen ist – der Architekt Otto Apel vom Büro abb war, wie viele seiner Kollegen, in keiner Weise zimperlich, im guten Glauben, mit der Abkehr von wilhelminischen Formen auch den Geist/Ungeist der Epoche abstreifen zu können.
Simulation einer Ergänzung des rekonstruierten Theaters an der Neuen Mainzer Straße von der Initiative Schauspielhaus Frankfurt
Mit der Wiedererrichtung des alten Schauspielhauses, so wiederum die Hoffnung der Initiative, lasse sich ein Gebäude wiedergewinnen, das als kultureller Leuchtturm wie die Alte Oper in besonderer Weise zur Identifikation mit der Stadt beitragen könne. An den Kosten, so rechnete von Plettenberg anhand eines auch auf Architektenschätzungen beruhenden Rahmens vor, müsse das nicht scheitern. Er nannte eine Gesamtsumme von rund 420 Millionen Euro. Hinzu kämen die Kosten für einen Neubau der Oper, die dann vom Willy-Brandt-Platz an einen anderen Ort (wie den Kulturcampus in Bockenheim) wandern würde. Hierfür werden gut 370 Millionen angesetzt. Macht in der Summe 790 Millionen Euro, also gut 100 Millionen weniger als für die Maximalvariante bei den verschiedenen Modellen für Sanierung/Neubau der Theaterdoppelanlage.
In ihrer Vor-Planung rechnet die Initiative allerdings mit Zuschüssen von Land und Bund in Höhe von gut 190 Millionen Euro, dazu auch mit Gewinnen aus städtebaulichen Ergänzungen (wie eine kommerziell genutzte neue Randbebauung an der Neuen Mainzer Straße) und ein Aufkommen aus Spenden von gut 45 Millionen Euro. Damit, so die optimistische Gesamtrechnung, würde sich der von der Stadt aufzubringende Gesamtaufwand für die Rekonstruktion des alten Schauspielhauses samt der früheren gastronomisch genutzten Kolonnaden sowie für den Neubau einer modernen Oper auf gut 500 Millionen Euro belaufen, sich mithin eine beträchtliche Minderung ergeben.
So weit, so unsicher. Denn es gibt bislang keinerlei erkennbare, geschweige denn belastbare Zusage von Land und Bund für beträchtliche Zuschüsse. Auch die angenommene Spendensumme ist beträchtlich, wenn man bedenkt, dass für die Frauenkirche in Dresden gut 100 Millionen Euro gespendet wurden, für das Berliner Schloss bislang 85 Milionen Euro – beides sind Projekte von großer, auch internationaler Ausstrahlung, welche auch architektonisch und kunsthistorisch das alte Frankfurter Schauspielhaus weit übertreffen.
Doch um das Vorhaben mit Zuversicht und Mut zu unterfüttern, war als Hauptgast für das erste dieser als Fortsetzungsreihe geplanten Schauspielhausgesprächs eben jener Mann geladen, der das Großprojekt eines Wiederaufbaus des Berliner Schlosses (in dem nun unter dem Siegel Humboldt-Forum ein hochmodernes Museum und Kulturzentrum eingerichtet wird) gleichsam im Alleingang angeschoben hat: Wilhelm von Boddien.
Wilhelm von Boddien stellt das Konzept des Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses im Frankfurter Hof vor
Schnell wurde nach seinem Eingangsreferat und später dann bei seinen Beiträgen auf dem Podium deutlich, mit welcher Begeisterung er ausgestattet ist, mit welchem rednerischem Elan, mit welchem Charme, mit welchem Charisma, aber auch mit welcher Begabung zum strategisch klugen, zum intuitiven und vor allem auch zum listigen Agieren. In der Kombination führte dies dazu, dass der erfolgreiche Landmaschinenhändler aus Hamburg seinen Jugendtraum wahrmachen konnte: die schon auf einer Klassenfahrt schmerzlich empfundene Leere in der Mitte des schon damals von ihm geliebten Berlin wieder mit dem Bau zu füllen, der Bezugspunkt und Maß für alle umliegenden Straßen und Gebäude war.
Dass dies gelang, obwohl nach der Wende die allerwenigsten Berliner von der Bedeutung des Hohenzollern-Schlosses – das Walter Ulbricht aus ideologischen Gründen zugunsten eines Aufmarschplatzes hatte sprengen lassen und das später durch den Palast der Republik ersetzt wurde – überzeugt waren, grenzt an ein kleines Wunder. Es gelang tatsächlich auch erst dann, als die Stiftung Preussischer Kulturbesitz mit der Idee aufwartete, dieses Riesenhaus als Schaufenster und Dialogforum aller Kulturen dieser Welt zu konzipieren – eine Zukunftsvision, die nicht so leicht als reaktionär oder gar als Restauration einer monarchistischen Alt-Gesinnung zu denunzieren war.
Constantin Graf von Plettenberg, Vorstand Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus Ffm. e.V., präsentierte einen „Business-Plan“
Rückwärtsgewandt, das hatte zuvor auch Constantin Graf von Plettenberg betont, sei ohnehin ein ins Leere laufender Vorwurf: Seien diejenigen, die ein Beethoven-Konzert oder ein Dürer-Gemälde schätzten, denn rückwärtsgewandt? Insofern seien Rekonstruktion respektive Wiederaufbau des 1902-Schauspielhauses als Wiedergewinnung einer architektonischen und städtebaulichen Qualität zu verstehen, welche die jetzige Situation weit übertreffe.
Die Frage allerdings, das wurde in allen Beiträgen auch auf dem Podium deutlich: Wie lässt sich dieser Gedanke in der Stadtgesellschaft verankern, wo es weitgehend an Kenntnissen über den Bau sowie an Anschauung fehlt? Boddien hatte diese Anschauung – mit schlagartig positivem Ergebnis –, indem er einen Teil der Schlossfassade als originalgroße Attrappe aufbauen ließ, mit der von einer Französin verblüffend ähnlich gestalteten Illusionsmalerei der Fassadendetails. Auch hier wiederum, das erzählte er beiläufig, seien Zufall, eine blitzartige Intuition im Spiel gewesen. Und noch eines habe das Projekt immer wieder beflügelt: gehörige Portionen des notwendigen Glücks.
Vorhandenes historisches Fassadenelement im Operntrakt der Theaterdoppelanlage
Ob in Frankfurt eine solche Fortüne ausreichend vorhanden ist, bezogen auch auf das Gesamtprojekt Oper/Theater, ganz unabhängig davon, für welche Konstellation sich die Stadt am Ende entscheidet? Der ganze Prozess, dies ist jetzt absehbar, wird bis zum (glücklichen?) Ende mindestens zehn Jahre in Anspruch nehmen. Nach den Vorstellungen der Initiative müsste ein Stufenplan verwirklicht werden: erst der Neubau einer Oper und anschließender Umzug des jetzigen Opernbetriebs, dann innerhalb der Theaterdoppelanlage der Abriss der jetzigen modernen Operntraktes und Wiederaufbau des historischen Schauspielhauses, schließlich die Neugestaltung des Areals, auf dem das jetzige Sprechtheater seinen Platz hat. Dies hätte den Vorzug, dass keine umfängliche Interimslösung gefunden werden müsste.
Zu fragen ist natürlich, ob dieser Plan jene funktionalen Qualitäten mit sich brächte, die für einen zukunftsträchtigen Theater- und Opernbetrieb notwendig sind. Wer die jetzigen hochkomplexen Räumlichkeiten in der Theaterdoppelanlage kennt (die weltweit sowohl in der funktionalen Ausgestaltung als auch in der schieren Größe von knapp 100.000 Quadratmetern einmalig ist), der ahnt, wie schwierig es ist, diesen Riesenbetrieb ohne Qualitätsverluste weiterzuführen. Zu den Grundfakten, welche auch die Machbarkeitsstudie ausgelöst haben, gehört, dass gerade die Klimatisierung des Hauses völlig veraltet und nur schwer aufzurüsten ist; und weiter, dass die Arbeitsbedingungen wegen des fortlaufenden An- und Umbaus für viele der über 1000 Mitarbeiter ziemlich schlecht sind.
Eine umfassende Sanierung der beiden bestehenden Spielstätten im Bestand würde gut 10 Jahre dauern – auch keine Vorstellung, die freudig stimmt, ebensowenig wie das Modell, jeweils einen Teil des Spielbetriebs auszulagern. Denn jede Interimslösung, das sagen viele Erfahrungen, lässt die Bindekraft des Publikums erodieren.
Was bislang eher untergegangen ist: Natürlich lassen sich beide Häuser noch ohne Einschränkung bespielen, es gibt keine akute Gefährdung. Das unterstreichen immer wieder jene Fachleute, die das Haus genau kennen, weil sie für den Betrieb verantwortlich sind. Von daher auch halten sie es für fatal, dass bei der Vorstellung der Machbarkeitsstudie an vielen Stellen – sowohl in der Politik als auch in der Medienöffentlichkeit – das Wort „marode“ die Runde machte und sich festsetzte. Nein, marode sei das Haus keineswegs, beteuern diese internen Fachleute. Wohl aber in vielen Punkten sanierungsbedürftig, sowohl im Sinne des Wohles der Zuschauer als auch im Sinne vwerbesserter Arbeitsbedingungen für die umfangreiche Mannschaft, nicht zuletzt auch im Sinne eines einwandfreien Alltagsbetriebs. Für die jetzige Initiative einer Rekonstruktion übrigens dürfte eine Zahl ernüchternd sein: gerade einmal drei Prozent des alten Gebäudes seien noch vorhanden, allen Bildern zum Trotz, die noch zwei vorhandene Seitenwände zeigten.
Die Politik allerdings, die doch zumindest ihre Grundvorstellungen artikulieren müsste, sie hält sich weiter bedeckt. Eine Arbeitsgruppe, welche die Machbarkeitsstudie gründlich unter die Lupe nehmen soll, um entweder wesentliche Einsparungsmöglichkeiten auszumachen oder aber Weichenstellungen hinsichtlich der Optionen argumentativ zu unterfüttern, sie hält sich immer noch spürbar zurück. So, als wolle sich niemand die Finger verbrennen, weil so oder so eine riesengroße Investition ansteht, die in der Gesamtsumme kaum unter eine halbe Milliarde Euro fallen wird.
Aber vielleicht liegt sogar in dieser Haltung des gründlichen Nachdenkens ein eigener Wert. Denn eines, so betonte es auch von Boddien, sei immer ratsam: sich Zeit zu nehmen, um gründlich und sorgfältig die Dinge durchzurechnen und ebenso mit dem Ziel der Nachhaltigkeit auch zu planen. Dies habe sich beim Schloss ausgezahlt, das bislang voll im Kosten- und Zeitplan liege.
Diskussionsrunde der Initiative Schaupsielhaus Frankfurt im Frankfurter Hof, v.l.n.r.: York Stuhlhemmer (Architekt und Rekonstruktionsexperte), Wilhelm von Boddien ( GF „Förderverein Berliner Schloss), Albrecht Schuhmacher (Moderator, Der Platow Brief), Tobias Rüger, Musiker und Vorsitzender der Initiative Schauspielhaus Frankfurt)
Und für die Visionen sowohl der Initiative als auch der verantwortlichen Politiker könnte dieses Bestehen auf einem ausreichenden Zeitraum des Nachdenkens auch bedeuten – so ließe sich ein vorläufiges Fazit ziehen –, die bisherigen Optionen oder Wunschvorstellungen noch einmal ganz neu zu überdenken. Was spräche beispielsweise dagegen, im Sinne einer erinnernden Rekonstruktion die Oper am jetzigen Platz zu belassen (schon wegen der vorhandenen Technik mit der grpßen Drehbühne, die ein Sprechtheater so nicht braucht), aber das Haus selbst in seiner Hülle als Collage zu konzipieren, bei der sowohl alte Fassendenelemente von 1902 als auch die Glaselemente von 1963 in einer sinnvollen Weise verbunden werden könnte?
Denn gerade so ließen sich die Zeitschichten in einer leicht fasslichen Anschauung zur Geltung bringen. Damit ließe sich die Idee verbinden, dass Theater in direkter Nähe zum Depot in Bockenheim neu zu bauen und damit dem geplanten Kulturkampus einen wirklichen Schwerpunkt zu schenken. Der Platz des jetzigen Schauspielhauses wäre dann, so wie es der Rekonstruktionsinitiative vorschwebt, als neugefasster Raum für eine urbane Mischung zu nutzen, und eine neue Randbebauung zur Neuen Mainzer Straße könnte auch dort wirksam zu einer Belebung beitragen, von der archiktonischen und städtebaulichen Wirkung ganz zu schweigen.
Sinnvoll wäre es deshalb, jetzt einige potente Architekturbüros zu einem Ideenwettbewerb einzuladen, um einmal unabhängig von den technischen Sanierungsfragen ganzheitliche Konzepte zu entwickeln, was möglich wäre. Und erste Visionen davon, in welchen Formen und Volumen diese Konzepte zu verwirklichen wären. Hier fehlt es bislang an allem. Christoph Ingenhoven, Architekt aus Düsseldorf, hatte diese Grundidee bei einem der bisherigen, vom Kulturdezernat veranstalteten Podien skizziert. Und ein ebenso international erfahrener, dabei in Frankfurt beheimateter Architekt wie Christoph Mäckler stände, um nur zwei Namen zu nennen, natürlich bereit, um die Debatte vom Kern her zu bestimmen: nämlich als architektonische und städtebauliche Herausforderung. Leicht ließen sich noch fünf, sechs weitere Büros nennen, welche hier Wesentliches in der jetzigen Phase beitragen können.
Hierfür Geld zu investieren wäre äußerst sinnvoll, bevor auf unzureichender Grundlage Entscheidungen gefällt werden, die sich lange Zeit auswirken werden – positiv oder negativ. Diese Vorüberlegungen, dieses Einsammeln von professionellen Ideen sollte sich Frankfurt leisten. Nein, besser noch: Frankfurt muss sich diese Investition leisten. Nicht zuletzt, weil sich die Stadt als Labor versteht – mit weitem Blick nach vorn.
weitere Artikel siehe unter:
→ GROSSE OPER – VIEL THEATER? Diskussion um die Städtischen Bühnen Frankfurt
Fotos: Petra Kammann