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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Große Marcus Behmer Ausstellung im Klingspor Museum Offenbach

Marcus Behmer (MB) – Ein (wieder) zu entdeckender großer deutscher Buchkünstler, Illustrator und Schriftgestalter

Retrospektive des Buchgestalters vom 12. Juli bis 2. September 2018 im Klinspor Museum in Offenbach

Von Peter C. Hall

Klingspor Museum (Büsing Palais) Offenbach, 2012 Foto: Museum

Der Name Marcus Behmer sagt Ihnen nichts? Das muss Ihnen nicht weiter peinlich sein, denn es geht Ihnen dann gerade so wie den meisten durchaus kunstsinnigen und gebildeten Mitmenschen in Deutschland. Dennoch wäre es gar nicht so schwer, diesen bedeutenden deutschen Buchgestalter, Schriftkünstler und Illustrator der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu kennen, denn seit immerhin über hundert Jahren sind zwei wichtige Illustrationswerke von ihm immer noch im Buchhandel lieferbar: seine 1903 für den Insel Verlag gezeichneten Illustrationen für Oscar Wildes Drama „Salomé“ und seine 1913 bei Otto von Holten erschienene eigenhändig gesetzte Ausgabe von Philipp Otto Runges Märchen „Von dem Fischer un syner Fru“ mit sieben Originalradierungen, das der Insel Verlag 1919 in seine Insel-Bücherei übernommen hat. Und die schöne Tausendundeinenacht-Ausgabe des Insel Verlags zeugt auch immer noch von Behmers Buchkunst.

Die Abbildungen im Artikel wurden auf Wunsch des Inhabers der Bildrechte an Marcus Behmers Werk zurückgezogen. Umso eher empfehlen wir den Besuch der Ausstellung im Klingspor Museum Offenbach. 

 

Salome-Illustration von Marcus Behmer in Robert Schmutzlers Standardwerk über den Art Nouveau

Marcus Behmer, 1879 als Sohn des Kunstprofessors Hermann Behmer in Weimar geboren, wurde mit seinen Salome-Illustrationen schlagartig berühmt, obwohl er zuvor ein nahezu unbekannter Autodidakt gewesen war. In seiner Familie galt er als hochmusikalisch und zeichnerisch unbegabt. Musiker wurde er freilich nicht, weil er ein Schul- und Lernverweigerer war, niemals die Notenschrift lernte (wohl aber lebenslang am Klavier improvisierte und Lieder komponierte, die Freunde für ihn in Noten aufzeichneten). Also schickte sein Vater – der vor allem als derjenige in Erinnerung geblieben ist, dessen Erregung über erotische Aquarelle Auguste Rodins, die Harry Graf Kessler als Weimarer Museumsdirektor ausgestellt hatte, dessen Museumskarriere jäh beendete – schickte seinen Sohn in eine Zimmermaler-Lehre nach München. Da kam der gestaltungssüchtige Lehrling mit den Münchner Werkstätten und den Zeitschriften „Simplicissimus“ und „INSEL“ in Kontakt und erprobte seine zeichnerischen Fähigkeiten vornehmlich in komischen Tieren, war aber ein absoluter Autodidakt, als er zum Verwechseln ähnlich wie Beardsley an die Öffentlichkeit trat.

Seine Salome-Illustrationen sind prachtvollster deutscher Jugendstil auf der stilistischen Höhe des großen englischen Vorbilds Aubrey Beardsley. Als Robert Schmutzler 1962 sein Standardwerk „Art Nouveau – Jugendstil“ vorlegte, bildete er Behmers schwungvolle Kerzenflamme aus dieser Illustrationsfolge als ein Werke Beardsleys ab und lieferte dazu eine durchaus treffende Stilbeschreibung – nur dass er sich eben bei der Deutung des Monogramms B gründlich vertan hatte.

Rasch wurde er zu einem gefragten Buchgestalter und Illustrator, vor allem, aber nicht nur für den jungen Insel Verlag. Für ihn durfte er 1910 seine erste Gesamtgestaltung eines Buches übernehmen: Goethes „West-östlicher Divan“; das war eine ganz außerordentlich Ehrerbietung und Gunstbezeugung des großen Goethe-Verehrers, -Sammlers und Insel-Verlegers Anton Kippenberg. Als Behmer ihm 1913 seine sieben Radierungen zum „Fischer un syne Fru“ samt dem selbst gesetzten Text zum Verlag anbot, eine wahre Köstlichkeit eines illustrierten Buches, war er über den Jugendstil längst hinaus – und Kippenberg lehnte ab. So erschien die Erstausgabe mit den sieben höchst originellen und witzig-hintersinnigen Originalradierungen in dem nicht sehr publicity-fähigen, aber umso exquisiteren Verlag Otto von Holten in einer kleinen Auflage; das war der Betrieb, der auch die Gedichtbände Stefan Georges in der erlesenen Typographie Melchior Lechters gedruckt hatte und mit dem Behmer lange verbunden blieb. Kippenberg übernahm das Büchlein erst 1919 im Klischeedruck in seine Insel=Bücherei (als Nr. 315; inzwischen in veränderter Gestalt als Nr. 1075 immer noch lieferbar). Als Fritz Homeyer, einer der gründlichsten Kenner der Buchwelt, 1929 einen Jubiläumsartikel zu Marcus Behmers 50. Geburtstag schrieb, nannte er es – und er meinte die Erstausgabe mit den Originalradierungen – „eines der schönsten Bücher der Welt“. Das darf man auf die heute vorliegende Ausgabe mit den von Behmer zum 70. Geburtstag seines Freundes Karl Klingspor 1936 eigenhändig aquarellierten Radierungen getrost übertragen.

Behmer entwickelte verschiedene Schrifttypen für Alphabete

Marcus Behmer war 1905 von Berlin nach Florenz gegangen. Eine Italienreise gehörte zum klassischen Bildungsweg deutscher bildender Künstler. Aber hinzu kam bei ihm wohl auch noch ein Ausweichen vor möglichen Nachstellungen der Justiz, denn in Italien war die Homosexualität unter Erwachsenen, anders als in Deutschland, straffrei. Dort entwickelte er eine so enge Beziehung zu einem italienischen Freund, dass er aus seinem Vornamen und dessen Nachnamen den neuen Namen MARCOTINO bildete, mit dem er von 1908 an für die nächsten zehn Jahre die meisten seiner Arbeiten signierte, obwohl er sich doch erst fünf Jahre zuvor einen Namen als Künstler gemacht hatte. Behmer, der sich schon als Schüler seiner Veranlagung bewusst wurde, war der erste namhafte deutsche bildende Künstler, der sich bereits 1902 durch Beitritt zum Wissenschaftlich-humanitären Komitees Magnus Hirschfelds öffentlich zur Homosexualität bekannte. Anders als etwa Harry Graf Kessler hat er daraus nie ein Geheimnis gemacht. In der Zeit der NS-Herrschaft mit ihrer Verschärfung des § 175 wurde er im Dezember 1936 verhaftet und musste bis in den Juli 1938 19 Monate einer zweijährigen Haftstrafe absitzen: eine schreckliche Leidenszeit für ihn, auch wenn er noch verhältnismäßiges Glück mit den Beamten des Strafvollzugs in Stockach, Konstanz und Freiburg im Breisgau hatte. Er hat in diesen Monaten 242 engstens beschriebene DIN A4-Seiten in kleiner, schwer lesbarer Handschrift gefüllt: zum großen Teil als einen herzanrührenden, geradezu kindlich frommen Dialog mit dem lieben Gott, mit dem er sich freilich einig wusste, dass er Strafe verdient habe, aber gewiss nicht für seine Homosexualität:

„Aber ich fühlte mich eben immer zu sicher in meinem Glück, habe ja auch tausendmal gesagt: ich fühle mich zufrieden und glücklich wie wohl wenige Menschen auf der Welt. Dieser Hochmut und diese Sicherheit, die waren meine größte Sünde – und für die läßt mich Gott jetzt büßen! … Um auszuhalten, was der liebe Gott mir bestimmt, über mich verhängt hat, muß ich mir diesen einen Gedanken mit alleräußerster Kraft klar machen und einprägen, so daß er mir in jeder Sekunde, auch der allergräßlichsten  und verzweifeltsten gegenwärtig ist als allerletzter Halt: daß mir nichts geschehen kann, was Gott mir nicht schickt. Die Menschen und das irdische Gericht sind nicht höher als Gott; alles was sie mir antun und wie sie mich erniedrigen und peinigen: alles hat Gott bestimmt; wenn es auch noch so schwer und unerträglich und unbegreiflich scheint: Dieser eine Gedanke: was auch immer kommt, es kommt von Gott und soll zu meinem Besten dienen, – der muß mich retten. Vater im Himmel, laß Deine Gnade walten und gehe nicht zu streng mit mir ins Gericht! Ich hoffe und vertraue auf Dich. Denn wie groß ist die Versuchung, mich als einen Auserwählten zu fühlen, weil ich für Dinge nach der irdischen Gerechtigkeit Strafe leiden muß, nach deren Entsprechungen bei den anderen Menschen und auf dem normalen Gebiet kein Mensch fragt, kein Hahn kräht, ja, die in anderen Ländern dieses Erdteils und dieser Zeit durch kein Gesetz verboten, also nicht allgemein-menschlich als Verbrechen betrachtet sind. Die Sünden aber, für die du, mein Gott mich strafst – für die gibt es in der ganzen Welt keinen Paragraphen; oder ist geistiger Hochmut je von einem Gericht bestraft worden?!“

 

Handschriftliche Aufzeichnung Marcus Behmers

Behmer hatte das Glück, die Haft zu überstehen und von seinen treuen Freunden – wie zum Beispiel Dr. Karl Klingspor in Offenbach – nicht fallengelassen zu werden. Aber das mit der Verurteilung verbundene Berufsverbot bis Kriegsende und die dürftigen Bedingungen des Nachkriegs-Buchwesens haben seiner bedeutenden buchkünstlerischen Karriere bis zum Beginn der 1930er Jahre ein jähes Ende gesetzt und sein Vergessenwerden bewirkt. Dabei sind die Anfänge des Insel Verlags und seiner berühmt schönen Bücher engstens mit Behmers Namen verknüpft und hat er auch für viele andere Verlage stilsichere und stets werkgerechte Gestaltungen und Illustrationen geschaffen. Davon gibt die Ausstellung in Offenbach reiches Anschauungsmaterial; und erst recht von seinen meisterhaften Radierungen, die er zum überwiegenden Teil als Exlibris oder als Neujahrsgrüße an seine Freunde und Geschäftspartner geschaffen hat. Das sind Köstlichkeiten, die im Kunst- und Antiquariatshandel stets hochgehalten und die vielfältig gesammelt worden sind. Sie zeugen von exaktester Naturbeobachtung bei frei schweifender Phantastik, von Hintersinn und Humor, wie sie nur Marcus Behmer auszeichnen.

 

Neujahrsgruß von Marcus Behmer für das Jahr 1934, das schon Unheil ankündigt

Harry Graf Kessler hatte ihn Ende der 1920er Jahre mit der Illustration des Satyrikon von Petronius für seine Cranach-Presse beauftragt. Das Buch, es wäre das prächtigste und schönste seiner Illustrationswerke geworden, konnte nicht mehr erscheinen, weil Kessler erkrankte, verarmte und die Cranach-Presse einstellen musste. Zwei Andruck-Doppelseiten mit Holzstichen Behmers gehören zu den Schätzen des Klingspor Museums und den Höhepunkten der Ausstellung. Eine größere, umfassendere, sein Gesamtwerk darstellende und  viele Überraschungen bietende hat es noch niemals gegeben.

 

 

 

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