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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Lesenswertes „Lob des Fußballs“ zur Weltmeisterschaft 2018

Flug und Fall, leicht und schwer

Ein besonderes Buch zur Fußball WM

von Uwe Kammann

Magistral. Magisch. Phänomenal. Da war er wieder am Samstagabend – einer jener Momente, wie ihn nur der Fussball schenken kann. Zwei, drei Sekunden nur, in denen sich alles verdichtete, was sonst nur ins halbe Leben passt. Ein Schuss – „kroosartig“ die Schlagzeilen-Lesart an vielen Stellen –, der die Grenze zwischen Hölle und Himmel aufhob, der den Raum zwischen Absturz und Aufstieg markierte, zwischen schmachvollem Scheitern und glanzvollem Aufstieg, zwischen Tränen bitterer Enttäuschung Tränen des höchsten Glücks. Ein Stadion bebte, und das mediale Drumherum nicht weniger.

Zeichnung: @Philip Waechter

Es wird zu den ewigen Legenden der Fußballgeschichte gehören, nicht nur der deutschen, dieses Siegtor in letzter Sekunde im WM-Spiel zwischen Schweden und Deutschland. Ein Tor, das entschied über den Vorrunden-Tod oder die Aussicht aufs Weiterkommen im großen Turnier. Drama pur, Shakespeare wurde nicht nur einmal zitiert als Kronzeuge solcher existentieller Tiefen – die aber doch nur zu einem Spiel gehören, das mit einem Pfiff zuendegeht. Um dann an anderer Stelle, zu anderer Zeit, wieder zu beginnen. Eine Regel, mit der das Leben nicht mithalten kann.

Pünktlich zur großen aktuellen Spielreihe auf der vierwöchigen Weltbühne in Russland hat Jürgen Kaube, Herausgeber und oberster Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, im C.H.Beck-Verlag ein Buch vorgelegt, das in einer schlichten Titelformel Inhalt und Richtung vorgibt: „Lob des Fußballs“. Schon damit ist klar, dass der Journalist – der selbst einmal eine Fußball-Karriere bei Grün-Weiß Darmstadt anstrebte – nichts mit jenen menschlichen Wesen zu tun hat, die höchst verächtlich auf jene heraubschauen, die angeblich mit zusammen 44 Beinen einem Ball hinterherlaufen und dabei umringt sind von biersaufenden Hooligans.

Nein, Jürgen Kaube ist von Grund auf überzeugt, dass es sich bei diesem Spiel um etwas Einzigartiiges handelt, nicht zuletzt, weil hier den Füßen und Beinen die „Hauptleistung zugemutet“ wird, „diesen unpräzisen Instrumenten eines Wesens, das einst durch den aufrechten Gang seine Hände freisetzte für all das, was sie im Fußball nicht oder nur in Ausnahmefällen dürfen“.

Walter Jens, unvergessen als großer Altphilologe, Literaturkenner und Rhetorik-Guru, hat als Fußballliebhaber hier eine Kombination beschworen: die Paarung von Effizienz mit freiwilliger Selbstbegrenzung und Selbsterschwerung – für ihn eine plausible Parallele zu den Grundregeln der Poesie. Womit für den Sport-Philosophen Günter Gebauer ein Buchtitel nahelag, der zur Schwarmerinnerung des „Sommermärchens“, zur  Weltmeisterschaft 2006 erschien: „Poesie des Fußballs“.

So wie Gebauer misst auch Jürgen Kaube das Feld dieses so einzigartigen Spiels {das, wie er feststellte, „mit so gut wie nichts“ von nahezu jedem betrieben werden kann, ohne große Voraussetzungen, an nahezu jedem Platz) in vielerlei Hinsicht aus. Historisch, psychologisch, philosophisch, soziologisch – denn es gibt natürlich viele Spiegelungen gesellschaftlichen Lebens in den Handlungsmustern der Spieler und des Spiels. Dass hierzu ein großer Bogen gehört, von den Mythen der Antike bis zu religiöser Inbrunst jeder Art, ist bei Kaube immer eingeschlossen. Das alles verarbeitet er immer mit einer bestechenden Kenntnis der Fußballgeschichte und ihrer Akteure, immer mit einem klaren Blick für die Entwicklung, für die Perspektiven, für die Besonderheiten des Spiels.

Zeichnung: @Philip Waechter

Klar, es kann eigentlich jeder dieses Spiel verfolgen. Das Ziel, mit den eigentlich unpräzisen Gliedmaßen ins Tor zu treffen und dabei in der Zahl den Gegner zu übertreffen, liegt klar vor Augen. Aber alles, was sich dabei „abspielen“ kann – in nicht wenigen Situationen mindestens ebenso vom Zufall wie vom individuellen und vom mannschaftlichen Können bestimmt –, erschließt sich natürlich weit besser, wenn man Abläufe und Feinheiten erkennt. Was wiederum nur denjenigen möglich ist, die eingeweiht sind, deren Blick geöffnet und gelenkt wird.

Wie vielschichtig das Geschehen ist, wie unvorhersehbar, das belegt Kaube an vielen Beispielen, mit genauer Beschreibung und überzeugender Analyse. Ohne dass dieses Hinführen zu einem trockenen Text geriete, in dem die lebendige und stets wechselnde Faszination des Spiels vergraben würde. Ohnehin, schon Philip Waechters wunderbar hintergründige Zeichnungen zeigen in eine klar erkennbare Richtung: Leichtigkeit und Ernst bilden ein Paar.

Mit all diesen Facetten und Perspektiven ist „Lob des Fußballs“ ein würdiger neuer Vertreter in einer Linie von Fußball-Literatur, die sich seit Ende der 60er Jahre herausgebildet hat. Sicher, schon 1920 veröffentlichte Joachim Ringelnatz sein Gedicht „Fußball“ in der Sammlung „Turngedichte“, gab’s ein Jahr vorher einen Dada-Titel: „Jedermann sein eigner Fußball“, verfasste Friedrich Torberg Mitte der 30er Jahren einen ersten Fußball-Roman „Die Mannschaft“ (!).

Doch richtig Fahrt nahm die Sache im literarischen Leben erst 1970 mit Peter Handkes fast totzitierten Titel „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ auf, eine Fahrt, die dann schon ein Jahr später einen Höhepunkt bei Ror Wolf fand, mit seinem Grund-Buch „Punkt ist Punkt. Fußball-Spiele“. An dieser Mischung aus Gedichten, Dialogen, Text- und Bildcollagen schrieb er immer weiter, so dass auch ein neuer Titel her musste, der sprichwörtlich geworden ist: „Das nächste Spiel ist immer das schwerste“. Legendär und sprichwörtlich – und Beleg fürs Ankommen des Themas in intellektuellen Kreisen – wurde dann das der berühmten gelben „Reihe Hanser“ erschienene Buch „Netzer kam aus der Tiefe des Raumes“ von Ludwig Harig und Dieter Kühn – noch heute ein Klassiker der Reflexion dessen, was alles geschehen kann und gecshieht, wenn die Spieler mit dem Ball und der Ball mit den Spielern spielt.

Jürgen Kaube beendet seinen so kenntnisreichen wie gewinbringend zu lesenden Ausflug in die Fuballwelt mit zwei schönen Sätzen: „Was der Ball symbolisiert, Flug und Fall, ist auch eine Eigenschaft der Emotionen, die das Spiel mit ihm auslöst. Dem Bedürfnis, sich zugleich leicht und schwer zu fühlen, kommt es wie kein anderes entgegen.“

Zeichnung: @Philip Waechter

Wie werden wir uns beim Endspiel in Moskaus traditionsreichen Luschniki-Stadion fühlen? Keiner kann es voraussagen. Der Ball, unvergängliche Weisheit des Weltmeister-Trainers beim Wunder von Bern, ist … ja, was ist er? Genau das: Er ist rund.

 

 

 

Das Buch von Jürgen Kaube mit den launigen Zeichnungen von Philip Waechter ist im Verlag C.H. Beck erschienen. Die gebundene Ausgabe ist zum Preis von 14,95 € erhältlich.

 

 

 

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