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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2018 und die vier Finalisten im MMK3

Ikonisierungen und investigative Recherchen bildhafter Darstellungen

Als einer der renommiertesten Fotografie-Preise, der jährlich an einen zeitgenössischen Künstler vergeben wird, zeigt der Deutsche Börse Photography Foundation Prize wegweisende Tendenzen der Fotografie mit Werken von Künstlerinnen und Künstlern auf, welche die aktuelle internationale Fotografieszene prägen. Und das Frankfurter MMK (Museum für Moderne Kunst) präsentiert nun schon zum dritten Mal im MMK3, dem Gebäude des alten Hauptzollamtes, die Ausstellung der vier Finalisten.

Von Petra Kammann

Luke Willis Thompsons ‚autoportrait‘ 2017, Installationsansicht MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Commissioned by Chisenhale Gallery and produced in partnership with Create, Courtesy of the Artist, Foto: Axel Schneider

Was die unterschiedlichen Foto-Projekte der Finalisten Mathieu Asselin, Rafal Milach, Batia Suter und Luke Willis Thompson miteinander verbindet, ist ihre intensive Auseinandersetzung mit der Repräsentation von Wissenssystemen durch Bilder, das Sichtbarmachen des Potenzials, Fakten zu manipulieren und dabei neue Bedeutungen zu generieren. Künstlerisch erforschen sie die Mechanismen von Sichtbarkeit und Verschleierung und regen dazu an, die Bedeutung und Rolle der bildhaften Darstellung in der Gegenwartskultur zu hinterfragen.

Um die 100 Experten hatten sich die 115 eingereichten Projekte für den Deutsche Börse Photography Foundation Prize angeschaut, um eine Auswahl der „Besten“ zu treffen, und sie einigten sich auf fotografische Positionen, welche die gegenwärtige Entwicklungen des Mediums widerspiegeln und gleichzeitig ihre Grenzen wie etwa die Produktion und Manipulation von Wissen in politisch zweifelhaften Systemen hinterfragen.

In der Photographers‘ Gallery in London, mit der eine Kooperation mit dem MMK besteht, war dann am 17. Mai 2018 die mit 30.000 £ dotierte Auszeichnung an den 1988 in Neuseeland geborenen Künstler Luke Willis Thompson für seine Filminstallation „autoportrait“ verliehen worden, der in seiner Ausbildung u.a. auch die Frankfurter Städelschule in Frankfurt am Main durchlaufen hat.

Die Vorgeschichte dieser Filminstallation ist so ungewöhnlich wie hochaktuell. Die Afroamerikanerin Diamond Reynolds musste verzweifelt mitansehen, wie ihr Partner Philando Castile am 6. Juli 2016 während einer Verkehrskontrolle im US-Bundesstaat Minnesota von einem Polizeibeamten erschossen wurde – einer von vielen Gewaltakten gegen Schwarze in jenem Sommer. Sie hatte die Situation unmittelbar nach den tödlichen Schüssen gefilmt und über Facebook Live veröffentlicht, worauf ihr Video mehr als sechs Millionen Mal angeklickt wurde.

Anlass für den Foto-Künstler Luke Willis Thompson, mit einem zweiten ‚autoportrait‘ der aus der Bahn geworfenen Diamond Reynolds dagegenzuhalten. Er wollte so mit dem rasend schnell verbreiteten und öffentlichen Bild von Reynolds brechen, welches durch die Momentaufnahme einer Frau im Angesicht von Gewalt und einem nicht versiegenden Nachrichtenfluss geprägt wurde. „Es ist pervers, bei solchen Videos von einem Genre zu sprechen“, sagt Luke Willis Thompson. Denn die Videos der Gräueltaten ähneln einander: verwackelt, unscharf, mit dem Handy aufgenommen. Da hingegen die verständlichen, wahren und angemessenen Worte für eine ähnlich erlebte existenzielle Situation fehlen, konnten sie seiner Meinung nach wohl „nur“ durch einen „Stummfilm“ heraufbeschworen werden, damit ein neues „Kino im Kopf des Betrachters“ ausgelöst würde. 

So nahm Thompson im November 2016 in der von Ungewissheit bestimmten Phase zwischen der Anklage des Polizeibeamten und dem anschließenden Prozess Kontakt zu Reynolds und deren Anwalt auf und schlug ihnen gemeinsam eine künstlerische Zusammenarbeit vor. Im Juni 2017 wurde den Geschworenen in einem Gerichtsverfahren dieses Material neben weiteren Aufnahmen der Polizei und Überwachungsdienste als Beweismaterial vorgeführt. Der Beamte, der Castile tötete, wurde trotzdem in allen Anklagepunkten freigesprochen.

Ein so renommierter Preis kann gleichwohl Signalwirkung haben: Was bleibt, ist am Ende dennoch die angemessene ästhetische Antwort auf Reynolds schnelle Videoaufnahme. Entstanden ist durch seine ‚langsame‘ Überarbeitung mithilfe eines scheinbar nicht mehr zeitgemäßen 35 mm-Schwarz-Weiß-Films ein ganz außergewöhnlich berührendes wie kompromissloses Porträt von Reynolds. Die Filmkamera zeigt lediglich in Großformat die detaillierten Bewegungen im und auf dem Gesicht der Verzweifelten. Abgeschottet in der Black Box des Vorführraums und in aller Stille kann der Betrachter das Leid der Frau erahnen und fühlt sich herausgefordert, sich selbst ein Urteil über das rassistische kollektive Verhalten zu bilden. Im Film wird Reynolds die verloren gegangene Würde wiedergegeben. „Thompsons Arbeit gibt einen wichtigen Impuls zu der Debatte über Urheberschaft und Verbreitung von Bildern“, heißt es zu Recht  in der Jurybegründung.

Gleich im Eingang des MMK3 Mathieu Asselin (rechts): die Kuratoren Peter Gorschlüter MMK und Anna Dannemann, Deutsche Börse (links)  Foto: Petra Kammann

Sehr viel spektakulärer wirken dagegen die fotografisch-politischen Reportagen von Mathieu Asselin (* 1973, Frankreich), der seine Karriere mit der Mitarbeit an Filmproduktionen in Caracas, Venezuela, begann, seine Ausbildung in Frankreich machte und seinen dokumentarischen Fotografie-Stil in den USA weiter entwickelte. Seine Arbeiten wurden bisher in Magazinen wie Foam, Liberation, Paris MatchHuck Magazine, The New Yorker Photo Booth und GEO Freitag veröffentlicht.

Mathieu Asselin, Van Buren, Indiana, 2013 „Monsanto: A Photographic Investigation“, ©Matthieu Asselin

In Frankfurt sind neben den im MMK3 ausgestellten Arbeiten von Asselin während der Foto-Triennale RAY 2018 derzeit einige seiner Werke auch im Fotografie Forum Frankfurt zu sehen. Für den Deutsche Börse Photography Foundation Prize nominiert wurde er für seine anhaltenden fotografischen Recherchen „Monsanto: A Photographic Investigation“, die sich mit der Geschichte des globalen Biotechnologiekonzerns Monsanto beschäftigen, dessen Produkte verheerende Auswirkungen auf Menschen und Umwelt haben. Schon während des Vietnamkrieges wurde er als einer der Hauptproduzenten des hochgiftigen Entlaubungsmittels Agent Orange bekannt, die Verstümmelungen nach sich zogen; zuletzt wurde man aufmerksam auf die Tätigkeiten des Konzerns im Bereich gentechnisch veränderten Saatguts. Mit Aufdeckung der teilweise unter Verschluss gehaltenen Kapiteln der Unternehmensgeschichte sensibilisiert Asselin für die Komplexität und die Interessen, die den Aktivitäten des Konzerns zu Grunde liegen wie etwa die Produktion von Agrochemikalien und deren ökologische Folgen, die sie auf Städte und ganze Landschaften haben können. Gleichzeitig deckt Asselin Monsantos Bemühungen auf, das negative öffentliche Image mithilfe von Marketing-Kampagnen zu beeinflussen. Bei uns wurde der Konzern zuletzt vor allem wegen der Übernahme durch Bayer bekannt.

Batia Suter in der Ausstellung des MMK3, Foto: Petra Kammann

Auf einer völlig anderen Art der Recherche basiert die Arbeit von Batia Suter (* 1967, Schweiz), die für ihre Publikation „Parallel Encyclopedia #2“ (Roma, 2016) nominiert wurde. Darin kombiniert sie gefundenes Bildmaterial: Bilder aus der Natur, Objekte und wissenschaftliche Analysen verschiedener Epochen und Kulturen, die unser Kulturwissen geprägt haben. Sie löst sie aus ihren herkömmlichen Kontexten heraus (als Fundstücke aus rund 1.000 Veröffentlichungen, von Sachbüchern über Lehrbücher und historische Bände bis hin zu Anzeigen und Magazinen), reproduziert sie und stellt sie – auch räumlich –  in andere Zusammenhänge. Da scheinen plötzlich bislang verdeckte Bedeutungen auf und lassen neue visuellen Dialoge entstehen wie: was hat ein Staubsauger mit organischen Gewächsen zu tun? Diese reproduzierten Fundstücke  präsentiert Suter dann großformatig und lässt dabei völlig neue Kompositionen entstehen.

Die bildbasierte Abfolge subjektiver Assoziationen, aus denen sich diese neue visuelle Konstellationen ergeben, kann man an einer raumgreifenden Wandinstallation nach dem Prinzip der Petersberger Hängung im Frankfurter MMK3 noch bis zum 9. September 2018 erleben. Man nimmt die Komposition der Bilder als Bild wie ein Gemälde über das organische Sprießen in all seinen Verästelungen wahr, auch wenn sich darin Artefakte wie militärische Helme in den Motiven verbergen.

Die  Zusammenstellung vorhandener Bilder, welche eine subjektiv-thematische Enzyklopädie ergeben, macht deutlich, wie stark unser Verständnis der fassbaren und alltäglichen Welt und ihrer Geschichte sowie verschiedener Kulturen und Orte durch Kontexte beeinflusst werden. So erinnnern die hochformatig gehängten Bilder mit ihren auf den ersten Blick floral wirkenden Elementen an der gegenüberliegenden Wand eher an alte japanische Schriftrollen oder Schriftzeichen.

Diese neue Form der subjektiven visuellen Enzyklopädie knüpft zweifellos an die 2007 erschienene erste Parallel Encyclopedia von Batia Suter an. Sie greift hier erneut die Ikonisierung von Bildern auf. Ihr künstlerischer, scheinbar intuitiver Ansatz scheint einerseits durch die Lehre des Schweizer Psychiaters C.G. Jung (1875 -1961) und dessen Vorstellung von archetypischer Bildkonstruktionen) beeinflusst zu sein und andererseits durch die Philosophie des französischen Strukturalisten Roland Barthes (1915-1980), der auf die Störfaktoren, die Irritationen in Bildern hinweist, die uns beunruhigen und uns daher dazu bringen, uns an Bilder zu erinnern und uns intensiver mit ihnen auseinanderzusetzen. In den Wandkopositionen erlebt man beides, wie Bildbotschaften durch die Platzierung von Bildern ikonisiert werden und zugleich wie surreal sie wirken können.

Raumgestaltung nach dem Prinzip der Petersburger Hängung: Batia Suters „Parallel Encyclopedia #2“ (Roma, 2016). Ausstellungssansicht MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main,©Batik, Guter, Foto: Axel Schneider

Die künstlerische Arbeit des 1978 geborenen polnischen Fotokünstlers Rafal Milach, der für seine Ausstellung „Refusal“(2011–2017) in der Atlas Sztuki Gallery im polnischen Lodz nominiert worden war, befasst sich in seinen fotografischen Projekten mit auf den ersten Blick harmlos erscheinenden Räumen und mit Methoden staatlicher Einflussnahme und ideologischer Manipulation von Meinung und Wahrnehmung im postsowjetischen Zeitalter. Dabei geht er in Staaten wie Weißrussland, Georgien, Ukraine und Aserbaidschan den immateriellen Mechanismen von Propaganda sowie deren visueller Manifestation in Architektur, Stadtplanung und Objekten auf den Grund.

Seine Serie „Refusal“ besteht unter anderem aus Fotografien von handgefertigten Objekten, die Milach in Schachschulen und in staatlichen Einrichtungen in einem aserbaidschanischen Kulturzentrum fand, um junge Aserbaidschaner in räumlicher Vorstellungskraft und abstrakter Denkfähigkeit zu schulen. Sie sollen optische Illusionen erschaffen, deren augenscheinliche Harmlosigkeit sich im Kontext grundlegend verändert. Die Bilder versinnbildlichen, wie sehr man den menschlichen Verstand beeinflussen und kontrollieren kann.

Batumi, Georgia (c) Rafał Milach 2013

Nur eines der irritierenden Bildbeispiele Rafal Milachs: Der Blick in eines der Interieurs des Alphabetic Towers täuscht. 2013 hatte die Rustavi 2 Broadcasting Company, die den späteren georgischen Präsidentschaftskandidaten Micheil Saakashvili unterstützt hatte, ein Fernsehstudio. Im selben Jahr verlor die Partei Saakashvilis die parlamentarischen Wahlen und der frühere Präsident wurde offiziell  angeklagt, sich Regierungsgelder angeeignet zu haben. Das Redaktionsteam Rustavi 2 wurde daraufhin über Nacht entlassen und ihr Raum in eine Riesenfalle für Vögel verwandelt: Dutzende von Felsenspatzen flogen durch eine schmale Wandöffnung ins Innere. Darin gefangen, kamen sie  da durch eine Mischung aus Hitze und Hunger um.

Darüber hinaus werden sowjetische Fernsehsendungen, soziale Experimente und staatliche Labors vorgeführt, welche gesellschaftliches Verhalten untersuchen und beispielhaft die Prozesse der Manipulation und Bedeutungsverschiebung zugunsten einer bestimmten Darstellung des Staates aufzeigen. So offenbaren  – und man könnte hinzufügen denunzieren – etwa die Fotografien von Landschaften und Stadtentwicklungen die gescheiterten politischen Ambitionen neuer Regierungen, indem sie uns die Stärke als auch ihre Fragilität politischer und sozialer Systemen vor Augen führen. Die Fotografien lösen ungeahnte Reflexionen über den augenblicklich kritischen Zustand der Welt aus, indem sie sie scheinbar harmlos in Szene setzen. Das macht die Fotografie trotz der heutigen Verfügbarkeit für Viele so unschlagbar.

Geschichte des Preises:

Bis zum Beginn der Zusammenarbeit zwischen der Photographers‘ Gallery und der Gruppe Deutsche Börse als Titelsponsor war der Preis im Jahr 2005 noch unter dem Namen Citigroup Photography Prize bekannt. 1997 wurde der Photography Prize von der Photographers‘ Gallery ins Leben gerufen und hat im Laufe der Jahre vielen Fotografen den Weg zu einer großen Karriere geebnet.  Seit 2016 wird er unter dem Namen Deutsche Börse Photography Foundation Prize vergeben. Die gemeinnützige Stiftung widmet sich der Sammlung, Ausstellung und Förderung zeitgenössischer Fotografie. Gewinnerin des Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2017 war Dana Lixenberg für ihre Publikation „Imperial Courts 1993-2015“ (Roma Publishing). Weitere ehemalige Gewinner sind: Trevor Paglen, Paul Graham, Juergen Teller, Rineke Dijkstra, Richard Billingham, John Stezaker und Adam Broomberg & Oliver Chanarin.

Die Jury:

Die unabhängige Jury für den Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2018 setzt sich zusammen aus: Duncan Forbes, Kunsthistoriker, Kurator und Autor; Gordon MacDonald, Kurator und Herausgeber; Penelope Umbrico, Künstlerin; und Anne-Marie Beckmann, Direktorin der Deutsche Börse Photography Foundation. Brett Rogers, Direktorin der Photographers‘ Gallery (nicht stimmberechtigt) stand der Jury vor.

Die Stiftung:

Als gemeinnützige Stiftung agiert die Deutsche Börse Photography Foundation in den Bereichen Sammeln, Ausstellen und Fördern. Mit der Art Collection Deutsche Börse verfügt sie über eine international beachtete Sammlung zeitgenössischer Fotografie, die inzwischen über 1.700 Werke von rund 120 internationalen Künstlern umfasst.

 

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