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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Requiem für Auschwitz“ für alle Opfer der Vernichtungslager im Hessischen Staatstheater Wiesbaden

Erinnerung an die Deportation der Wiesbadener Sinti nach Auschwitz

Am 8. März 1943 wurden Wiesbadener Sinti nach Auschwitz deportiert. Seit Ende Mai veranstaltet  der Hessische Landesverband der deutschen Sinti und Roma die Wiesbadener Kulturwochen gegen Antiziganismus. Höhepunkt wird das „Requiem für Auschwitz“ im Hessischen Staatstheater sein, zu dem Ministerpräsident Volker Bouffier und der Präsident des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose kommen und reden werden. Auch der Komponist Roger Morena-Rathgeb wird anwesend sein.

von Renate Feyerbacher

Flyer aus der Ausstellung im Stadtmuseum, Foto: Renate Feyerbacher

Komponiert hat das Werk Roger Moreno-Rathgeb, ein international bekannter Akkordeonist, als Komponist Autodidakt, der erst spät die Notenschrift lernte. Der in den Niederlanden lebende Sinto-Musiker begann in den 90er Jahren, das Requiem zu komponieren. 1998 besuchte er dann Auschwitz. Die Eindrücke haben in ihm eine Schaffens-Blockade ausgelöst und fast elf Jahre blieb das Werk unvollendet liegen. Uraufgeführt wurde es schließlich am 3. Mai 2012 in Amsterdam. Es folgten die Städte Tilburg, Prag, Budapest, Frankfurt( Alte Oper  am 28.11.2012), Krakau, Berlin (Philharmonie am 29.1.2013) und zuletzt Dresden (Frauenkirche am 27.1.2016).

„Eine Mahnung an die Welt, Menschenleben und Menschenwürde zu achten, Glaubensüberzeugungen zu respektieren und Gerechtigkeit walten zu lassen“, so Moreno-Rathgebs Intention angesichts von etwa 500 000 Roma und Sinti, von 6 Millionen Juden, von Politisch-Andersdenkenden und Kranken, die von den Nazis ermordet wurden.

Konzert des Orchesters Sinti und Roma Philharmoniker in der Alten OperFrankfurt 2012,  Foto: Björn Hadem

„Requiem aeternam dona eis, Domine“, „Herr gib ihnen die ewige Ruhe“.  Mit diesen Worten beginnt die Totenmesse in lateinischem Text. Angst, Schmerz, Einsamkeit, Hoffnung und Verzweiflung: Roger Moreno-Rathgeb spürt den Emotionen der verzweifelten Menschen in den Vernichtungslagern nach. Diese müssen sich in ihrer schlimmen Lage leidvoll geprüft gefühlt haben, erst betrogen, dann gedemütigt und gefoltert, schließlich brutal ermordet worden zu sein.“ Diese Emotionen und wesentliche Fragen zu Auschwitz hat der Komponist in eine adäquate Menge von Motiven umgewandelt. Sie drücken sich in verschiedenen Instrumenten und Gesängen aus. Entsprechend ihrer Stellung in der Komposition rufen sie unterschiedliche Bedeutungen oder neue Kontraste hervor.

Von Anfang an mit dem Komponisten und seinem Werk eng verbunden ist Riccardo M Sahiti, der Gründer und Dirigent des Orchesters  Sinti und Roma Philharmoniker (RSP), dessen Sitz in Frankfurt am Main ist. Er berichtet auch von der Kammeroper „Die verlorenen Kinder“, an der Roger Moreno Rathgeb derzeit schreibe. „Sie handelt von den verlorenen Roma-Kindern, die das Jugendamt in der Schweiz damals vor dem Zweiten Weltkrieg ungefähr bis Ende der 70er Jahre einfach aus ihren Familien gerissen hat, um sie bei Bauern unterzubringen und sie dort arbeiten zu lassen.“

Riccardo M Sahiti mit Bundespräsident Joachim Gauck, Romani Rose und seine Frau in Berlin 2016, Foto: Björn Hadem

Vor siebzehn Jahren wurde der Philharmonische Verein der Sinti und Roma in Frankfurt gegründet mit dem Ziel, den Aufbau des RSP juristisch zu begleiten und das Orchester als Dachorganisation bei seiner Arbeit zu unterstützen. Riccardo M Sahiti ist in Personalunion sowohl Vorsitzender des Vereins als auch künstlerischer Leiter des RSP. Schon ein Jahr später, im November 2002, fand das Gründungskonzert – zunächst gab es nur ein Streichorchester – unter seinem Dirigat statt. Es folgten seitdem viele Konzerte in Frankfurt und anderswo mit namhaften Sinti-Künstlern. Immer wieder waren Musiker aus der ungarischen Familie Lakatos, so auch Tony Lakatos, seit 1993 in der hr-Bigband und inzwischen weltberühmter Saxophonist, dabei.

Dirigent Sahiti, Jahrgang 1961, wuchs als romastämmiger Yugoslawe auf. Er studierte zunächst Dirigieren und Musikpädagogik in Belgrad und schloss mit Diplom ab. Es folgten ein Studium in Moskau und an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt, wo er seit 1992 lebt und tätig ist. Er ist der Motor des Vereins und des Orchesters und dafür mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande hochgeehrt (2016) und in Frankfurt unter die „herausragenden Persönlichkeiten mit Migrationshintergrund“ eingereiht (2017).

Interpretiert wird das Requiem für Auschwitz g-moll op 4 für Soli, Chor, Orgel und Orchester von den Roma und Sinti Philharmonikern, die sich als Projektorchester verstehen. Die 64 Musiker kommen von überall her: aus verschiedenen Gegenden Deutschlands, darunter zwei Musiker aus dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester, die anderen kommen aus Ungarn, Rumänien, Österreich. Holland, Spanien und dem ehemaligen Yugoslawien. Hinzukommen fünf Solisten, der Organist und Mitglieder der Frankfurter Singakademie (Einstudierung Jan Hoffmann). Eine große Herausforderung für den Dirigenten.

Zwischen den Teilen des Requiems verlesen Wiesbadener Gymnasiasten aus der Oranienschule die Namen jener Wiesbadener Sinti und Roma, die von den Deportationen nach Auschwitz nie zurückgekehrt sind.

An dieser Stelle gilt Gerlinde Schoer-Petry ein Lob für ihr Engagement. Die Wiesbadenerin, die schon früh aktiv wurde, war es auch, die bereits vor fünf Jahren an die Deportation der Sinti am 8. März 1943 erinnerte. Die ehemalige Lehrerin, die sich ehrenamtlich im Aktiven Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden engagierte, heute Integrationsarbeit in der Flüchtlingsaufnahme leistet, begeisterte Tänzerin, die bei Bewegte Zeiten 60 Plus war, nun hofft, beim geplanten Tanzprojekt „Mensch“ wieder dabei zu sein, hat den Requiem-Gedenkabend initiiert und die ersten Sponsorengelder gesammelt. Diese reichten jedoch nicht aus, denn so ein kulturelles Ereignis, das Musiker aus der ganzen Welt zusammenholt und ein Symbol für Völkerverständigung ist, kostet nunmal viel Geld. Die Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten der roma- und sintistämmigen Musiker waren in diesem Jahr noch nicht zusammengekommen. Die Aufführung drohte zu scheitern. Dieser Vorgang stimmt nachdenklich. Gibt es immer noch Vorurteile gegenüber Sinti und Roma?

Riccardo M Sahiti wandte sich daraufhin an seine Freunde Monique und Emil Mangelsdorff, den Frankfurter Jazz-Musiker. Monique Mangelsdorff, die krankheitsbedingt in Wiesbaden leider nicht dabei sein kann, setzte alles in Bewegung, telefonierte unermüdlich und schrieb Bittbriefe, u.a. auch an den Protokollchef der hessischen Landesregierung, der seine Kontakte spielen ließ. Ein Aufruf, den sie in der Frankfurter Rundschau starteten, tat sein übriges. Das restliche Geld kam zusammen. Ein großes Lob also auch für das Engagement des Frankfurter Ehepaares, das mit etlichen Roma und Sinti befreundet ist.

Unter die Spender reiht sich nun der Kulturfonds Rhein-Main und die Stiftung Flughafen Frankfurt/Main für die Region ein, die jeweils 20 000 Euro stifteten. Weitere Geldgeber sind das Auswärtige Amt, das Land Hessen, die Stadt Wiesbaden, Interessensverbände deutscher Sinti und Roma, die Holger-Koppe-Stiftung, die Nassauische Sparkasse, die Kirchen, Monique und Emil Mangelsdorff sowie zahlreiche weitere Privatspender, die nach dem FR-Aufruf insgesamt 4000 Euro überwiesen.

„Die Oper muss voll werden, sonst blamiert sich Deutschland,“ beschwor Emil Mangelsdorff bei der Pressekonferenz in Wiesbaden die Lage. Er selbst wird am 19. Juni ein Grußwort sprechen.

Der Frankfurt Musiker Emil Mangelsdorff und Riccardo M Sahiti am 6. Juni bei der Pressekonferenz in Wiesbaden, Foto: Renate Feyerbacher

Bei der Pressekonferenz anwesend war auch der Marburger Historiker Udo Engbring-Romang, Autor  mehrerer Bücher zum Thema „Verfolgung der Sinti und Roma“ und „Antiziganismus“, u.a. „Verfolgung der Sinti und Roma in Hessen zwischen 1870 und 1950“, Frankfurt 2001 sowie Mit-Herausgeber der Bände 1, 3 und 5 der Beiträge zur Antiziganismusforschung. Er hat im Wiesbadener Stadtmuseum die mobile Ausstellung „Der Weg der Sinti und Roma. Wie Vorurteile und ,Zigeuner‘-Bilder einen Völkermord möglich machen können.“ kuratiert. In dieser Ausstellung wird auch über das Hessische Zigeunergesetz von 1929 informiert. „Im Jahre 1929, knapp drei Jahre nach einer reichsweiten Vereinbarung über eine gemeinsame „Zigeunerpolitik”, legte der damalige hessische Innenminister und spätere Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime Wilhelm Leuschner (SPD) das „Gesetz zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ dem Landtag des Volksstaates Hessen zur Verabschiedung vor. Das Gesetz wurde am 21. März 1929 in Erster und Zweiter Lesung verabschiedet und trat am 3. April 1929 in Kraft.  Der einzige Widerspruch im Landtag kam von dem Abgeordneten der Kommunistischen Partei Deutschlands [..]“ Leuschner wurde 1944 von den Nazis ermordet. „Zigeuner“ zu stigmatisieren, war damals sogar schon vor den Nazis gesellschaftspolitisch üblich, auch seitens der Sozialdemokraten.

Und heute? Udo Engbring-Romang: „Die Vorurteile gegen Sinti und Roma haben sich verstärkt. Und das wird mit einem hohen Maß an Gleichgültigkeit aufgenommen.“ Gleichgültigkeit bedeutet aber auch Missachtung.

Um mehr Unterstützung erbittet Riccardo M Sahiti für die Roma und Sinti Philharmoniker. Es sei sein täglich Brot, Sponsoren und Förderer an Land zu ziehen, sagt er. Zusammen mit einem Freund und Dirigentenkollegen mache er die Verwaltungsarbeiten mal von zuhause von seinem Laptop aus, mal von der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt, mal von einem Zimmer, das der Verein zur Verfügung stellt. Bei der Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig habe er 2017 einen Antrag auf institutionelle Förderung gestellt, aber eine offizielle Stellungnahme bislang noch nicht erhalten. „Aber wir haben ein deutliches Unterstützungssignal vom Oberbürgermeister Peter Feldmann und Kulturdezernentin Ina Hartwig bezüglich der Feierlichkeiten 600 Jahre Roma in Frankfurt erhalten.“ Geplant ist ein Open-Air-Festkonzert am 29. September 2018 auf dem Römerberg zur Erinnerung an die erste urkundliche Erwähnung der Roma in den Stadtgrenzen von Frankfurt.

Die Bedeutung der Roma und Sinti für die europäische Musikgeschichte, sie zu stärken, ihr zur Geltung zu verhelfen, sie zu beachten und zu unterstützen, ist Sahitis Anliegen.

↑↓ Tafeln in der Ausstellung auf den Wiesbadener Kulturwochen gegen Antiziganismus, Foto: Renate Feyerbacher 

Das Requiem für Auschwitz am Dienstag, den 19. Juni um 20 Uhr im Hessischen Staatstheater Wiesbaden, wird an die vielen Menschen, die in den Vernichtungslager der Nazis ermordet wurden, erinnern. Vor dem Konzert besteht um 18 Uhr die Gelegenheit, sich von Historiker Udo Engbring-Romang durch die Ausstellung im Stadtmuseum führen zu lassen. Sie macht bewusst, welche Defizite – die Menschenrechte von Sinti und Roma werden nach wie vor missachtet – herrschen und welche Vorurteile gegenüber Sinti und Roma in Deutschland immer noch bestehen.

 

 

 

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