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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Gertrud-Eysoldt-Ring für Sophie Rois

Reell spielen wie im Leben  – „Ich bin sehr geschmeichelt.“

Umringt von örtlichen Honoratioren, umschwärmt von Besuchern steht Sophie Rois  lächelnd, emphatisch diskutierend am Eingang des Bensheimer Parktheaters, wo sie am 17. März 2018 den Gertrud-Eysoldt-Ring, einen der höchsten deutschen Theaterauszeichnungen erhielt.

von Renate Feyerbacher

Als ich sie bitte, zwecks Berichterstattung ein Foto machen zu dürfen, ist sie sofort bereit. Freundlich, geduldig und unkompliziert, so erlebe ich sie. Sie hat etwas in den Bann-Ziehendes, klar mich fixierend ihr Blick, selbstbewusst, eigenwillig im positiven Sinn.

Sophie Rois, Foto: Renate Feyerbacher

Sophie Rois erhielt in diesem Jahr den Preis für ihre Rolle als Hexe in der mehrstündigen Faust-Inszenierung von Frank Castorf (*1951), seiner vorletzten Regie aus dem Jahr 2016. Vor gut einem Monat feierte dieser „Faust“ beim jährlichen Theatertreffen im „Haus der Berliner Festspiele“ erneut eine umjubelte Aufführung. Castorfs Vertrag, der ab 1992 Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, war, lief 2016 aus und wurde nicht verlängert. Zuvor wurde er noch mit dem Berliner Kulturpreis getröstet. Sein Nachfolger wurde der belgische Kurator und Museumsmanager und frühere Direktor der Tate-Gallery in London Chris Dercon. Nach den nicht enden wollenden Protesten und der Ablehnung durch Mitglieder des Ensembles wie durch Zuschauer trat Dercon in diesem Frühjahr zurück. Sophie Rois hatte schon Monate zuvor ihren Vertrag gekündigt. Ein Jahr hat sie sich dafür Zeit gelassen.

„Es war überfällig“, mit diesen Worten hat sie im Gespräch mit hr2-kultur ihre Kündigung bei der Berliner Volksbühne, der sie 25 Jahre angehört hatte, begründet. Sie war eine Ikone der Castorf-Ära – unkündbar. Ein wichtiger Auslöser war für sie zum Beispiel, dass die neue Leitung der Volksbühne nicht gewillt war, ein Ensemble aufzubauen. Ein Tag nach ihrer Kündigung kam der Anruf von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste in Bensheim, dass sie die 32. Preisträgerin des Gertud Eysoldt-Rings ist. Die Jury war begeistert von ihrer Professionalität, ihrer Unbestechlichkeit und ihrem Spielwitz und sprach ihr den mit 10.000 Euro dotierten Preis zu.

Wunderlicher Alter! / Soll ich mit dir geh‘n? / Willst zu meinen Liedern / Deine Leier dreh‘n?“ Sophie Rois intoniert das düsterste Lied aus der „Winterreise“ von Franz Schubert, den „Leiermann“, flankiert vom Akkordeon spielenden Sir Henry. Vor einem weit geöffneten Höllenschlund, verleiht sie dem Lied „ihren typischen, ureigenen Sound. Eine Mischung aus Rauhbeinigkeit, Verletzlichkeit und metaphysischer Heiterkeit – trotz der besungenen Todesnähe“, so die Jury der Akademie der Darstellenden Künste. Zu ihr gehörten die Vorsitzende Barbara Frey (Schweizer Theaterregisseurin, Intendantin, Schauspielerin), Juliane Köhler (Bühnen- und Filmschauspielerin „Nirgendwo in Afrika“) und Ulrich Khuon, Intendant Deutsches Theater Berlin, Präsident des Deutschen Bühnenvereins). Sie lobten Rois Intensität des Spiels, die wunderbare Präsenz und Hingabe, obwohl der Auftritt relativ kurz war.

Ausdrücklich wurde auch ihr langjähriges Bekenntnis zum Ensembletheater an der Berliner Volksbühne gewürdigt, das es unter der neuen Leitung nicht mehr gab. Vor sechs Jahren wurde sie im SPIEGEL-Interview (30.4.2012) gefragt, ob sie nie woanders habe hingehen wollen, zum Beispiel nach Wien oder München, und was diese Art Theater an der Berliner Volksbühne so besonders mache. Nie habe sie woanders hingewollt, antwortet sie. Die einen würden es Trägheit nennen, die andern Treue.

„Als Castorf vor 20 Jahren an der Volksbühne anfing, war das wie ein Befreiungsschlag. Es war die Art der Schauspieler, sich auf der Bühne zu bewegen, aus einer Schnelligkeit im Kopf heraus zu agieren, sich ans Publikum zu wenden – und nicht so zu tun, als wäre das Publikum nicht da. Plötzlich wirkten die Schauspieler sexy. Ich dachte: Ach so, so kann Theater sein, jetzt macht diese Live-Veranstaltung Sinn. Die perfekte Illusion kann der Film besser herstellen, da braucht sich das Theater gar nicht erst zu bemühen. Aber das Theater ist live! Es ist eine psychohygienische Live-Veranstaltung, im besten Fall ein Dr.-Feelgood-Konzert.“

Sophie Rois, im österreichischen Ottenheim geboren – „Ich bin ein Landei“–, lebt seit 30 Jahren in Berlin. Sie absolvierte die Schauspielausbildung am renommierten Max-Reinhardt-Seminar in Wien und stand mit 26 Jahren erstmals auf einer Berliner Bühne. Sie hat mit allen großen Regisseuren gearbeitet: mit Luc Bondy, Christoph Schlingensief, Christoph Marthaler, Herbert Fritsch, René Pollesch und natürlich war auch er in Bensheim. Mit Detlef Buck und TomTykwer, Helke Misselwitz und Ina Weisse hat sie Filme gedreht. Viele Auszeichnungen wurden ihr zuteil. 2014 wurde sie zum „Chevalier des Arts et des Lettres„, einer Auszeichnung des französischen Staats, ernannt. Seit 2017 ist sie Mitglied der Akademie der Künste in Berlin.

Die Laudatio in Bensheim hielt Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele: „Auf der Bühne legt sie richtig los und ich glaube, sie trägt ihr Kinn, wenn sie Theater spielt, oft ein wenig erhoben, erhobener als die meisten Menschen im Alltag, und das macht ihre Art zu sprechen so verwegen, spröde und bezaubernd. Ihre Art zu sprechen ist ein rauchiges Verkünden und exaltiert auf eine fein tarierte Weise, aber keineswegs immer exaltiert.“

Und Sophie Rois war in ihrer Dankesrede bewegt und fühlte sich sehr geschmeichelt. Ihre Ausführungen kreisten emotional um die Berliner Volksbühne. Sie lobte die Übereinstimmung von Inhalt und Form, die gedankliche Schärfe und die guten Texte, die Frauen hatten. Tradition und Anarchie begeisterten sie. Auch als Zuschauerin fehlt ihr diese Theaterstätte.

Wie geht es weiter mit Sophie Rois? Arbeitslos war und ist sie keineswegs. Würde sie wieder in ein Ensemble gehen? Ja, sie hat einen neuen Vertrag im Deutschen Theater in Berlin, das sich jedoch ziemlich von der Berliner Volksbühne unterscheidet. Ulrich Khuon hat sie an Land gezogen, ins Ensemble, zu dem unter anderem Ulrich Matthes gehört. Natürlich war auch er in Bensheim zugegen.

Ulrich Khuon, Foto: Renate Feyerbacher

Einen der nächsten Auftritte hat Sophie Rois in Salzburg. Frank Castorf inszeniert bei den Salzburger Festspielen den zum Bühnenstück adaptierten Roman „Hunger“ von Knut Hamsun. Schauspieler des Volksbühne-Ensembles, darunter Sophie Rois, die einmal im „Jedermann“ die Buhlschaft war, werden agieren.

Der Norweger Knut Hamsun (1859-1952), Literatur-Nobelpreisträger, bis 1943 Kollaborateur der deutschen Nazi-Besatzer in Norwegen, der sogar seinem Freund und Verehrer Propagandaminister Joseph Goebbels seine Nobelpreis-Medaille schenkte, war trotzdem ein großer Schriftsteller. Sein Roman „Hunger“ (1890) berichtet von einem jungen Mann, der den Erfolg sucht. Hamsun verarbeitet darin seine eigenen Erfahrungen, die er in Amerika als junger Auswanderer machte. Er siedelt die Geschichte in Kristiana, dem heutigen Oslo, an. Der junge Mann bleibt erfolglos und hungert, er wird wahnhaft, sonderbar. „Hunger“ machte Hamsun schlagartig berühmt. Damit endete sein Hunger. „Die unleugbaren Sympathien für den Nationalsozialismus bestätigen vielleicht auch die These des Hamsun-Verehrers Theodor W. Adorno, dass der Kapitalismus mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zum Faschismus führe.“ (Zitat: Carl Hegemann, ehemaliger Dramaturg an der Berliner Volksbühne, so die Ankündigung Programm Salzburger Festspiele)

Wie immer in Bensheim wurde auch der Kurt-Hübner-Regiepreis verliehen. Die junge Nora Abdel-Maksoud erhielt ihn für ihre Arbeit „THE MAKING-OF“ am Berliner Maxim Gorki Theater. Über ihre Schauspielagentur ist zu erfahren, dass die in München Geborene Englisch, Französisch, Berlin-brandenburgerisch, Österreichisch und ein sehr gutes Schwäbisch spricht. „Sie spielt hervorragend E-Gitarre, kann fechten, steptanzen, jonglieren, und sie überlebt aufrecht in der Halfpipe. Vor allem aber ist sie im Theater zuhause. Eine furiose ur-komische Schauspielerin…“

Nora Abdel-Maksoud, Foto: Renate Feyerbacher

Ihr Stück handelt von Dreharbeiten zu einem Film und die Figuren berichten darüber, wie ein Film entstanden ist. Ein verlogener ‚Werkstattbericht‘. „Die Aufführung platzt schier vor Künstlichkeit, sie verhandelt Abgründe an der äußersten Oberfläche, man könnte bei THE MAKING-OF an eine Commedia dell’Arte fürs Serienzeitalter denken: zum Platzen affektiert, eitel, verlogen, selbstverliebt, selbstmitleidig, verlegen, betreten, kindlich, die vermutlich aber die Realität trifft. Und auf eine Art so übermütig wie Mut machend, was im deutschen Theater eher selten ist. Vielleicht hat Nora Abdel-Maksoud diese Komödie geschrieben und inszeniert, um es in diesem Habitat auszuhalten. Man kann ihr nur weiterhin alles Gute wünschen“, so Juror Peter Kümmel. Schon 2017 war sie von Theater heute zur Nachwuchsregissuerin des Jahres gekürt worden.

Die Preisverleihung in Bensheim wurde diesmal von Walter Renneisen, den ich noch in klassischen Rollen erlebt habe. Der 78-jährige gebürtige Mainzer macht heute mit seinem hessischen Mundart-Theater „Deutschland, Deine Hessen“ Furore. Der Preisträger des Rheingau-Musikpreises moderierte die Veranstaltung – persönlich, informiert-eigenwillig, locker, wie es seine Art ist. Frenetisch applaudierten die geladenen Gäste nicht zuletzt dem Arcis Saxophon Quartett. Eine rundum gelungene Preisverleihung.

 

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