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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Katrin Trost: „That’s me“

Von Erhard Metz

Seit langem schon bestätigt uns nicht nur der Blick auf die samstägliche „Kunstmarkt“-Seite der FAZ in der Unlust, uns mit den Auswüchsen eines kanonisierten „Kunstmarktes“ zu befassen – obschon Hundertschaften von Künstlerinnen und Künstlern allein in Frankfurt am Main froh wären, zumindest zeitweise einmal auf der finanziellen Sonnenseite eines seine jeweiligen Lieblinge hypenden Kunstbetriebs zu stehen, niemand könnte es ihnen verdenken. Nein, statt dessen suchen wir Trost (nomen est omen?) bei oft genug geglücktem, wenn auch durchaus noch experimentierendem, umso lebendigerem – und leider oft genug prekär-brotlosem – Kunstgeschehen ganz woanders: in den hiesigen Atelierhäusern zum Beispiel. Etwa im nun einer gesicherten weiteren Dekade entgegensehenden Künstlerhaus Atelierfrankfurt. In 130 Studios arbeiten dort Kunstschaffende, Absolventen von Städelschule und HfG oder anderen Universitäten und Akademien, auch Abbrecher oder Autodidakten (warum in aller Welt denn nicht?), sie suchen und ringen in ihren oft stillen Atelierkämmerchens nach ihnen adäquaten Ausdrucksformen. Wir schauen uns dort öfter mal um, man kennt und begegnet sich und wird hier und da in den schier endlosen Fluren, auch jenseits von „open doors“ und Publikumstagen, gerne mal zu einem Blick in eine geheimnisvolle künstlerische Welt eingeladen.

„That´s me“ (1), Kugelschreiberzeichnung, 2016, 10 x 10 cm ungerahmt / 12,3 x 12,3 cm gerahmt

So oder ähnlich begegneten wir auch Katrin Trost, diplomierte Absolventin in den Fächern Visuelle Kommunikation im Bereich Freie Gestaltung und Malerei bei Professor Adam Jankowski und Bildhauerei bei Professor Wolfgang Luy an der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach.

Wir schauten damals herein, eine Wandzeichnung der Künstlerin fiel uns auf und interessierte uns (wir berichteten kurz im Zuge der Open Studios 2017 im Atelierfrankfurt), wir wandten uns zum Gehen, aber halt, irgend etwas irritierte uns: diese kleinen, miniaturhaften „krizzeligen“ Zeichnungen, was war das, was soll das? Wir verließen das Atelier aus Zeitmangel, jedoch in der – später realisierten – Absicht, ein andernmal wiederzukehren.

Eines nahmen wir von unserem ersten Besuch mit: es handelt sich bei den fast schon Miniaturen zu nennenden Papierarbeiten um Zeichnungen, und zwar, so die Künstlerin, mit Kugelschreiber! Eigentlich unerhört! Erst ein einziges Mal lernten wir Kugelschreiberzeichnungen kennen, im Sommer 2009 im 1822-Forum, die HfG-Absolventin (bei den Professoren Manfred Stumpf und Heiner Blum) Gesine Götting hatte sie ausgestellt. Professor Jean-Christophe Ammann, damals ihr Laudator, nannte sie in der Eröffnung freiweg „verrückt“ – er meinte wohl beides, Werk und Künstlerin. „Ein reines Schreibinstrument, in jeder Weise ungeeignet für ein künstlerisches Zeichnen.“ Mit dieser Einschätzung Ammanns stimmten auch wir damals überein.

↑↓ „That´s me“ (Wut) (3), Kugelschreiberzeichnung, 2017, 10 x 10 cm ungerahmt / 22,7 x 22,7 cm gerahmt

Doch zurück zu Katrin Trost: Dazu nun der Titel der Werkreihe: „That’s me“ – Das bin ich. Weit und breit kein Konterfei zu sehen, nur diese suspekten, eigentlich „unmöglichen“ Zeichnungen. Sind diese nun so etwas wie Katrin Trosts Selbstporträts?

Selbstporträts gehören spätestens seit der Renaissance zum künstlerischen Schaffen. Zunächst vielleicht eher ein selbstbewusstes Zeugnis des erfolgreichen, vom reinen Handwerkertum emanzipierten und von den geistigen Dimensionen seines Werkes überzeugten Künstler-Genies, gerieten sie in der Folge zu oft kritischen und hinterfragenden Auseinandersetzungen mit sich selbst und der eigenen künstlerischen Existenz bis hin zum Memento mori, wir denken nur an Arnold Böcklins „Selbstbildnis mit fiedelndem Tod“ oder an Lovis Corinths „Selbstporträt mit Skelett“ und bei allem an die damalige große Ausstellung namens „ICH“ im Frühjahr 2016 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt.

Und nun leben wir allüberall in der Selfie-(Un?)Kultur einschließlich der Herumfummelei mit dem Selfie-Stick. Jedermann als vermeintlich unwiderlegbarer (Photoshop läßt grüßen!) Zeitzeuge, digital festgehalten vor jedwedem Bauwerk oder Ereignis. Bereits seit längerem setzen sich Künstlerinnen und Künstler auch mit diesem Phänomen auseinander. Liegt hier vielleicht ein Schlüssel zu Katrin Trosts „That’s me“-Arbeiten? Der Schlüssel zu einer künstlerisch-kritischen, sich dem Abbildlichen verweigernden Anti-Strategie?

„That´s me“ (Unsicherheit) (4), Kugelschreiberzeichnung, 2017, 10 x 10 cm ungerahmt / 12,3 x 12,3 cm gerahmt

Nun sehen wir zugleich, als ob nicht bereits das selbstbewusste – oder selbstkritische? – „That’s me“ genug der Herausforderung an den Betrachter wäre: Viele der „That’s me“-Werktitel versieht die Künstlerin mit einer zusätzlichen Subtitel-Angabe: zum Beispiel mit „Wut“ oder „Gemütszustand“. Das klingt konzeptuell, zumindest programmatisch. Wir tun, was gegenüber jedweder Kunst zunächst einmal geboten ist: Wir lassen uns auf sie ein. Etwa auf „Wut“: Es ist eine – wie auch die anderen – unendlich fein und filigran ausgeführte Zeichnung im Format von lediglich 10 x 10 cm, fotografisch und im Rahmen dieser Website keinesfalls adäquat wiedergebbar. Diese Zeichnungen gleichen fast anatomischen Studien, Schnitten durch organische Präparate unter dem Elektronenmikroskop, von einem Zellkern ausgehenden hauchdünnen auseinanderstrebenden, sich alsbald wieder in sich verheddernden und verknotenden Dendriten und Tentakeln. Ein Eindringen in eine dem natürlichen Blick uneinsehbare Welt.

Eine erste Assoziation bei „Wut“: vielleicht Don Quijotes vergeblicher – und grotesker Weise unbeirrbarer – Kampf gegen die Windmühlenflügel. Auch ein innerer Kampf einer Künstlerin gegen sich selbst, dessen mögliche Vergeblichkeit zu erkennen einen Ausbruch in Wut bewirken kann?

Oder der Untertitel „Unsicherheit“: Implosion oder Explosion, Verwirrung und Verknäuelung unzähliger weder ein Hinein noch ein Heraus weisender Ariadnefäden, wieder ein von einer Art Zellkern ausgehender, kaum beherrschbarer Ausbruch, Linien und Tentakeln verfilzen sich zu einem schier Unentwirrbaren.

Unsicherheit, Wut – Metaphern für die Ungewissheit der eigenen künstlerischen Existenz, ein Gefühl des Ignoriertseins gegenüber einem kaum durchschaubaren, über eine Kanonisierung oder ein „Das-kann-weg“ selbstherrlich wie selbstreferenziell urteilenden Kunstbetrieb? „That’s me“: Selfies, alter ego, Psychogramm? Viele unserer Gedanken lassen sich nicht mit einem festsetzenden Punkt, sondern nur mit einem Fragezeichen beschließen.

Gehen wir zu der 10 x 10 cm-Miniatur „That´s me (& A. Grenzgänger-Borderliner)“: Wieder diese feinst ausgeführte Betrachtung von organischen Substanzen wie unter dem – hier künstlerisch-sezierenden – Elektronenmikroskop. Wer ist der Borderliner? Ein Künstler als Grenzgänger? Ist heute die befreite wie befreiende Kunst in ihrer Erschließung des herkömmlich Unzugänglichen nicht per se grenzgängerisch?

„That´s me“ (& A. Grenzgänger-Borderliner) (6), Kugelschreiberzeichnung, 2017, 10 x 10 cm ungerahmt/22,7 x 22,7 cm gerahmt

„That´s (you´n) me“ (7), Kugelschreiberzeichnung, 2017, 10 x 10 cm ungerahmt/12,3 x 12,3 cm gerahmt

„That´s (you´n) me“ – „Das bist (du und) ich“: In dieser wunderbar poetischen, zweifellos erotischen und für sich selbst sprechenden Zeichnung kommt eine Partnerschaft mit ins Spiel – vielleicht der Künstlerin „Allerliebster“, von dem sie einmal in anderem Zusammenhang sprach?

↑ „That´s me“ (Gemütszustand I) (9), Kugelschreiberzeichnung, 2017, 15 x 15 cm ungerahmt/17,4 x 17,4 cm gerahmt
↓ „That´s me“ (Gemütszustand II) (10), Kugelschreiberzeichnung, 2017, 15 x 15 cm ungerahmt/17,4 x 17,4 cm gerahmt

Zwei weitere sehr bemerkenswerte Arbeiten, dieses Mal im Format 15 x 15 cm, die unser besonderes Augenmerk fanden und finden: „Gemütszustand“ I und II. Die eine als sensibler Ausdruck einer einfühlsamen Equilibristik, eines ruhigen Gleichklanges, einer Versöhnung von Wesenheiten; die andere als Visualisierung sich entfaltender Ursäfte und Ströme innerhalb des dynamisch wachsenden und sich ständig erneuernden wie emanzipierenden Naturgeschehens, ja des Universellen. „Wut“ und „Unsicherheit“ scheinen überwunden, wie in Beethovens Sechster Sinfonie folgt dem Allegro von „Gewitter und Sturm“ das Allegretto der „Hirtengesänge – Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“ – wenn ein solcher Vergleich erlaubt sein möge.

„That´s me“ (III), Wandobjekt, Acrylglas, Heißkleber, 2017, 70 x 50 x 40 cm

Bereits einen gesonderten Beitrag verdienten die Objekte und Skulpturen aus der gleichen Werkreihe „That´s me“ der Künstlerin, von deren wir hier lediglich eine Arbeit herausgreifen: Aus Heißkleber fertigt Katrin Trost in Gehäuse aus Acrylglas eingeschlossene feine rätselhafte und doch schon wieder auf eine gewisse Weise vertraut erscheinende Gespinste und Gebilde, Übersetzungen ihrer Zeichnungen ins Körperlich-Dreidimensionale. Wir erahnen, je länger wir uns in diese hauchfeinsten Strukturen hineinversenken, vereint Kosmos und Mikrokosmos. Und erkennen spätestens jetzt eben genau dieses allumfassende „That´s me“.

Abgebildete Werke © Katrin Trost; Fotos: Katrin Trost und Erhard Metz

→ AtelierFrankfurt: Open Studios 2017 – Rundgang und Nachlese (I)

 

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