home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Julius Bissier und Ostasien in Freiburg

Der Echoraum der Imagination – Spannung zwischen Raum und Leere 

Tuschemalerei, Farbholzschnitte, Teekeramik, Holzdrucke, Lackarbeiten, Elfenbeinarbeiten, Arbeitsutensilien und Schriften des Zen-Buddhismus und des Daoismus: Die Kunst und Kultur Ostasiens haben den in Freiburg geborenen und in Ascona gestorbenen Künstlers Julius Bissier (1893–1965) nachhaltig inspiriert. Eine Ausstellung des Museums für Neue Kunst im Freiburger Augustinermuseum „Julius Bissier und Ostasien. Im Raum meiner Imagination“ zeigt die asiatischen Einflüsse auf sein Werk mit um die 100 Exponaten und stellt ihm kostbare Originale aus Ostasien an die Seite.
Von Petra Kammann

Die Freiburger Ausstellung greift auch architektonisch Aspekte japanischer Ästhetik auf

Schon allein die Präsentation im Untergeschoss des Augustinermuseums, welche die enge Verbindung zwischen asiatischen Kunst- und Kultgegenständen und Julius Bissiers Werk aufzeigt, kann man als äußerst gelungen bezeichnen. Sie macht den künstlerischen Umsetzungsprozess des Freiburger Künstlers Julius Bissier anschaulich. Der nahm die Zeichen ostasiatischer kalligraphischer Tuschezeichen in sich auf, verwandelte sie dem Raum seiner Imagination an und ließ daraus neue so abstrakte wie poetische Bilder entstehen: Bilder der klassischen Moderne. Der Gegenüberstellung zweier Welten mit fernöstlischen Gebrauchsgegenständen, die aus asiatischer Sicht den gleichen Stellenwert haben wie Objekte bildender Kunst, hat sich ein engagiertes Museumsteam angenommen und den Kreativprozess eines zurückgezogenen Künstlers, dem in seiner Heimatstadt Freiburg nicht die ihm gebührende Ehre zuteil wurde, eindrucksvoll in Szene gesetzt.

Pedro Riz à Porta, Bissiers Enkel, verwaltet sein Werk im Archivio Bissier in Ascona, Foto: Petra Kammann

Der Enkel des Künstlers und Verwalter des Bissier-Archivs in Ascona, Pedro Rio à Porta, der als Kind von Zürich aus häufig seinen Großvater in Ascona besucht hat, war acht, als dieser starb. Nun ist er zur Ausstellungseröffnung nach Freiburg angereist. Er hat der Freiburger Ausstellung etliche Objektive zur Verfügung gestellt, die noch nie Ascona verlassen haben, so auch die kostbaren japanischen Teeschalen. Er erzählt, dass er sie beim Großvater immer habe stehen sehen. Als Hans Bjarne Thomson, Leiter der Abteilung Kunstgeschichte Ostasiens an der Universität Zürich, zu ihm gekommen sei, um Stücke für die Ausstellung aus dem Archivio Bessier auszuwählen, sei er zunächst fürchterlich erschrocken, als Thomson einfach die raku-Schale in die Hand genommen habe. Und dann habe Thomson ihm die Schale in die Hand gelegt. Da habe er plötzlich die Wärme des Materials in seiner Hand gespürt und gemerkt, wie sich das Objekt förmlich „beseelte“. Und da wurde ihm bewusst, dass der lebendige Austausch zwischen der Kultur Asiens und dem Werk seines Großvaters eigentlich immer schon da war. Die Freiburger Ausstellung habe den Vorder- und Hintergrund dieses Echoraums Asien nun analysiert, seine materiellen wie auch die geistigen Einflüsse.

Pedro Riz à Porta erläutert sein Erlebnis mit den kostbaren, zerbrechlichen Teeschalen

Dabei ist Julius Heinrich Bissier zeit seines Lebens nie nach Ostasien gekommen, konnte weder Japanisch noch Chinesisch. Und seine Vita war alles andere als leicht oder gar von Weltläufigkeit geprägt. Nach kurzen Studien zwischen 1913 und 1914 an der Kunstakademie Karlsruhe und am kunsthistorischen Institut der Freiburger Universität wird Julius Heinrich Bissier zum Militärdienst eingezogen. 1918, nach Endes des Ersten Weltkriegs und seiner Rückkehr nach Freiburg, bildet Bissier sich auf dem Gebiet der Malerei ausschließlich autodidaktisch weiter. Alles schien sich zunächst auch gut anzulassen. Bei seiner ersten Ausstellung im Freiburger Gemäldehaus Julius Sommer im Jahr 1919 sah der Ethnologe, Asienkenner und Kunstwissenschaftler Ernst Grosse (1890 – 1947) in Bissiers Gemälde „Tulpe“ und „Hl. Hieronymus“ bereits etwas Ostasiatisches. Daraus entwickelt sich dann für Bissier eine enge Freundschaft mit dem Sinologen, die für die Entwicklung des Künstlers von nachhaltiger Bedeutung werden wird.

Im darauf folgenden Jahrzehnt ist Bissier stilistisch aber zunächst einmal von den Einflüssen der Neuen Sachlichkeit und des Surrealismus geprägt. Und er malt fast naturalistisch. Da er aber mit dem Sammler Ernst Grosse und dessen japanstämmiger Frau Yasu in ständigem Austausch steht, kommt er auf diese Weise auch mit der Kunst aus Ostasien in Kontakt und greift diese Impulse in seinem eigenen Schaffen auf. Motive wie die realistisch gemalte „Fähre in Basel“ von 1928  weisen motivisch und in der Farbigkeit gewisse Ähnlichkeiten zu „Die Abendkühle bei der Ryogkoku-Brücke genießen“ von Hiroshige oder zu Hokusais „Klares Herbstwetter bei Choko“ von 1832 auf. Doch empfindet Bissier seine bisherigen Ölgemälde zunehmend als leblos. Diese Erkenntnis stürzt ihn zunächst einmal in eine Schaffenskriese. Und er beginnt, statt mit Ölfarbe, nun mit Tusche zu malen und mit kleinen Papierbildern zu experimentieren.

Erst als er Ende der 1920er Jahre dem Stuttgarter Künstler Willi Baumeister, einem dezidierten Vertreter der Moderne, begegnet, der ihm in dessen Atelier in der Frankfurter Städelschule den Impuls gibt, sich mit abstrakter Malerei zu beschäftigen, öffnen sich für ihn neue Imaginationswege: Auf Anraten Baumeisters beschäftigt sich Bissier nämlich fortan mit zwei schlichten grafischen Elementen, mit der geraden und mit der krummen Linie. Kurz darauf lernt er Constantin Brâncuși, den rumänisch-französischen Bildhauer, kennen und diskutiert mit ihm über gegenstandslose Kunst. Er begreift daraufhin Abstraktion als Synthese von Abstraktion und Geistigkeit. So tastet er sich gegen Ende der zwanziger Jahre nach und nach zu einem allmählichen Übergang in eine ungegenständliche Malerei vor.

Die asiatischen Kostbarkeiten sind teilweise in Stellwände eingebaut

1929 erhält der Künstler eine Anstellung als Zeichenlehrer an der Freiburger Universität. Und 1930 entstehen schon die ersten ungegenständlichen Tuschen in einem Atelier in der Freiburger Universität. Doch schon 1934  wird bei einem Brand des dortigen Dachstuhls nahezu das gesamte Frühwerk Bissiers vernichtet. Hinzukommt, dass der Künstler auf Druck der Nationalsozialisten von seinem Lehramt zurücktreten muss. Zum Verlust seiner Arbeiten erlebt er noch im gleichen Jahr einen weiteren herben Schicksalsschlag. Er verliert seinen tödlich erkrankten sechsjährigen Sohn Uli.

So beginnt er ab 1934 wieder von vorn, um sich vom Ballast der Geschichte und der frühen Arbeiten zu befreien und „seine Kunst zu radikalisieren“, sagt die Kuratorin Isabel Herda. Er versucht stattdessen, die mit schwarzer Tusche gesetzten Linien und freien Pinselschwünge zu Zeichen zu verbinden. Anders als in der asiatischen Kalligraphie haben seine Zeichen auf Papier aber keine inhaltliche Bedeutung. Die Bedeutung liegt für Bissier in der ästhetischen Form, in der Transformation von Gesehenem, nicht im Inhalt. Das entspricht natürlich weder dem damaligen Zeitgeist noch dem allgemeinen Kunstverständnis in Deutschland. Häufig arbeitet er daher nachts im Verborgenen.

Seine Werke sind in dieser Zeit auch absolut unverkäuflich. So zieht die Familie mit der Tochter Dorothee 1939 nach Hagnau an den Bodensee um, wo Bissiers Frau Lisbeth mit ihrer Handweberei das Überleben der Familie sichert. Lisbeth Hofschneider, die einst eine Schülerin Bissiers war, hatte bereits 1930 mit der Handweberei begonnen. Damit konnte sie während der gesamten Nazi-Herrschaft die Familie ernähren, während Bissier im Verborgenen weiter mit Tusche und Papier experimentiert und seine „Tarnbilder“ malt. Die Hagnauer Zeit, die von 1939 bis 1961 andauert, ist alles andere als rosig. Die Familie lebt bescheiden mit Tieren auf dem Hof, dort entstehen aber auch Entwürfe für Teppiche und Handwebereien. Und der Künstler beschäftigt sich auch mit Keramiken, als er 1942 Richard Bampi (1896-1965), den Töpfer und Gründer der Fayence-Manufaktur Kandern, kennenlernt. Mit ihm verbindet ihn auch das Interesse an japanischer Teekeramik.

Wie sich diese Zeichen entwickeln, wie Bissier versucht, die Zusammenhänge des Lebens zu erfassen und darzustellen, zeigt die Schau eindringlich in der Reihe der „Männlichen und weiblichen Einheitszeichen“. Zwei Elemente, die sich berühren, manchmal in dicken schwarzen Tuschestrichen durchdringen. Eine Auseinandersetzung mit dem Daoismus und Yijing, dem Buch der Wandlungen, verläuft parallel.

Auf dem Areal der Alten Universität im Innenhof des neu eröffneten Freiburger Literaturhauses hat ein Werk, das 14 Meter lange Keramik-Bild von Bissier und Richard Bampi, überlebt und fristet dort ein etwas trostloses Dasein. Eine Sanierung wäre mehr als wünschenswert, Foto: Petra Kammann

Nach langem Ringen gelingt es Julius Heinrich Bissier ab 1947, die Farbe wieder in sein künstlerisches Schaffen zu integrieren. Es entstehen farbige Monotypien und ab 1948 auch Holzschnitte. Zur Aquarelltechnik findet der Künstler dann um die Mitte der fünfziger Jahre. In der gleichen Zeit entstehen Bissiers „Miniaturen“ in Ei-Öltempera, poetische Gebilde, welche das Gleichgewicht des Dahingetuschten auf dem Blatt suchen und die Spannung zwischen Raum und Leere perfekt ausloten.

Das Jahr 1958 führte eine Wende herbei. Der renommierte Mäzen Werner Schmalenbach, der so leidenschaftlich für die Rehabilitierung der bis dahin diffamierten Moderne kämpfte, besucht den ganz und gar erfolglosen abstrakt malenden Künstler in seinem Atelier in dem idyllischen Städtchen Hagnau, zu dem es damals noch nicht mal eine Zugverbindung gab. Da war Bissier schon um die fünfundsechzig Jahre alt, hat in seinem Leben kaum ein Bild verkauft und ist inzwischen davon überzeugt, dass Erfolglosigkeit sein Schicksal sei, als eben Schmalenbach seine Bilder im Atelier sieht und begeistert ausruft: „Ihr Leben wird sich ändern. Sie werden Erfolg haben – weltweit. Sie werden ausstellen – überall.“

So kam es dann auch. Im selben Jahr kuratiert der legendäre Ausstellungsmacher Schmalenbach eine große Retrospektive des verkannten Genies in der Kestnergesellschaft in Hannover, die dem Künstler eine große Beachtung im eigenen Land beschert. Und schon bald wird man international auf ihn aufmerksam: 1958 und 1960 nimmt er an der Biennale von Venedig, 1959 und 1964 an der Documenta II und III. teil, Mitte der sechziger Jahre tourt das Werk bereits durch die bedeutenden  Museen der westlichen Welt: Venedig, London und São Paulo. Er ist er plötzlich in der künstlerischen Gegenwart angekommen und in der Malerei der Nachkriegszeit mit ihrer unkonventionellen Gestik präsent.

Die Parallelen werden deutlich. Durch die Art Informel kommt er zu unverhoffter Aktualität, zumal die westlichen zeitgenössischen Künstler nach dem Zweiten Weltkrieg nun auch die fernöstliche Geisteswelt für sich entdecken, weil sie in der Tuschmalerei Chinas und Japans die Zeichen einer unerhörten Freiheit und Offenheit sahen  – vor diesem Hintergrund werden nun auch Bissiers Arbeiten, insbesondere seine Tuschen, ganz neu bewertet und besonders geschätzt. Und er erfährt schon früh, was Globalisierung bedeutet, als er sieht, dass auch die asiatischen Künstler die Traditionen mit ihrer Kalligraphie brechen und sich von der Lesbarkeit der Schrift lösen, Da stellt der stetige Selbstzweifler erschrocken fest: „erschütternde Identität mit meinen Tuschen“.

Die beiden Kuratorinnen Isabel Herda, Leiterin der Graphischen Sammlung und stellvertretende Direktorin Museum für Neue Kunst und Ostasienspezialistin Anna Hagdorn, Foto: Petra Kammann 

Dennoch: der plötzliche Erfolg ermöglicht es ihm, nach Ascona umzusiedeln, wo 1961 Bissier ein Haus mit dem klingenden Namen die „Casa Rondine“, das „Haus der Schwalben“, kauft. Von hier aus kann er den Austausch mit anderen Künstlern wie dem britischen Künstler Ben Nicholson (1894 – 1982) oder mit dem amerikanischen Mark Tobey (1890 – 1976) pflegen, dabei weiterhin zurückgezogen leben und weiterhin unermüdlich arbeiten. Jahrzehntelang hatte der einzelgängerische Künstler Julius Bissier im Verborgenen geschrieben (auch Haikus), gedacht und geschaffen und war nach den Jahren der inneren Emigration erst in den 50er Jahren zu spätem Ruhm gelangt. Dabei war er mit seinen Gedanken, Zeichnungen, der Malerei und den Töpferarbeiten seiner Zeit schon seit langem weit voraus gewesen. Wohl aus Dank für die späte Anerkennung vermachte Bissier dem Museum, dessen Direktor Schmalenbach von 1962 bis 1990 war, seinen Nachlass: der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Sie hat daher auch etliche Leihgaben für die Freiburger Schau zur Verfügung gestellt. Daneben sind hochkarätige Originale, die Grosse zusammengetragen hat, in der glänzend inszenierten Ausstellung zu sehen, welche aus dem Fundus der kostbaren Ethnologischen Freiburger Sammlung stammen, die heute auch vielen Freiburgern unbekannt sein dürfte.

Fotografische Installation „World Moments“-  „Überblendung“ einer Lebensreise. Die Freiburger Fotografin und Japanologin Eva Rugel macht anhand von pendelnden Postkarten eine 13-monatige Weltreise auf den Spuren von Bissier sichtbar

Am Ende der Ausstellung schließlich eine feingliedrige Karteninstallation als Spurensuche: Da beleuchtet die Freiburger Fotografin und Japanologin Eva Rugel in 100 Fotografien Orte und Momente im Leben Bissiers, die sein Werk prägten wie die Kriegs-und Nachkriegsjahre, seine Verluste und seine Freundschaften zu Oskar Schlemmer, Richard Bambi, Hans Arp, Werner Schmalenbach und vielen anderen. Die Vorder- und Rückseiten der mit Zitaten gespickten Karten vermitteln den Facettenreichtum und die Fragilität seiner künstlerischen Existenz, seine Schaffenskrise wie auch seine späten Erfolge.

Info:

Die Ausstellung „Im Raum meiner Imagination. Julius Bessier und Ostasien“ läuft noch bis zum 23. September 2018 im Augustinermuseum, Augustinerplatz, 79098 Freiburg

Der zweisprachige Katalog (deutsch-englisch) mit informativen Beiträgen verschiedener Spezialisten und dem Vorwort des Museumsdirektors Tilman von Stockhausen erscheint im Imhoff Verlag.

Weiterführender Tipp des Museumsdirektors Tilman von Stockhausen:

Wie schon eingangs erwähnt, verband Julius Bissier auch eine enge Freundschaft mit dem Ethnologen Ernst Grosse, der ihm er die japanische Kunst nahebrachte.

Demnächst werden japanische Holzschnitte aus der Sammlung Ernst Grosse im Haus der Graphischen Sammlung zu sehen sein: Lyrische Landschaften, Geishas und Schauspieler – eine heitere, vergängliche Welt auf kostbaren, japanischen Holzschnitten, die vor rund hundert Jahren in die Ethnologische Sammlung des Museums Natur und Mensch gelangten. Dass diese seltenen Stücke von höchster Qualität den Weg in die Freiburger Sammlung fanden, ist Ernst Grosse zu verdanken, der an der Freiburger Universität lehrte und auch am ehemaligen Museum für Natur- und Völkerkunde wirkte, und später auch noch Direktor der Städtischen Kunstsammlungen wurde.

Mit Grosses guten Verbindungen zu dem japanischen Kunsthändler Tadamsa Hayashi war es ihm gelungen, für Freiburg eine außergewöhnliche Sammlung aufzubauen. Diese Schätze können nun auch gehoben werden. Unter den rund 60 Arbeiten, die in dieser Schau gezeigt werden, sind nicht nur Holzschnitte von Hokusai und Hiroshige, sondern auch rare Stücke der „Serie der schönen Frauen“ aus dem 18. Jahrhundert zu sehen. Die Ausstellung der Ethnologischen Sammlung des Museum Natur und Mensch wird parallel zur Bissier-Schau vom 30. Juni – 30. September 2018 in der Ausstellungshalle des Augustinermuseums zu sehen sein. Kuratiert wird sie von dem Ostasien-Spezialisten Hans Bjarne Thomsen aus Zürich, der die zum größten Teil noch nie gezeigten Drucke neu bewertet und interpretiert.

Alle Fotos, wenn nicht anders bezeichnet: © Petra Kammann

Comments are closed.