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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Diskussion um Schauspiel und Oper Frankfurt

Theater, ja. Doch welche Form braucht Frankfurt in der Zukunft?

Ein wolkiger Ausblick aus dem Frankfurter Theater

Von Uwe Kammann

Der Zeitpunkt hätte nicht günstiger sein können: Einen Tag vor der ersten Öffnung der neuen Altstadt – mancherorts bereits sehr positiv aufgenommen – präsentierte die neugegründete „Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus Frankfurt“ ihr großes Projekt mit dem klaren Ziel: dem Wiederaufbau des alten Schauspielhauses aus dem Jahr 1902. Ganz nach dem Vorbild der Aktionsgemeinschaft Opernhaus – die schließlich einen glanzvollen Erfolg feierte – will der neue Verein dafür werben, statt einer Sanierung der Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz die darin eingehüllte alte Schauspielhaus-Ruine wieder freizulegen, nach den alten Plänen zu restaurieren und mit einem freien Platz für Außengastronomie zu ergänzen und zu beleben. Ganz wie früher, als das Schauspielhaus nach den Plänen des Architekten Heinrich Seeling in einer Mischung aus Neorenaissance und einigen Jugendstil-Anklängen einen festlichen Platz beherrschte.

Viele Mauern des alten Schauspielhauses stecken noch unter der heutigen Hülle

Die Idee ist nicht ganz neu: Bereits 2016, nach dem öffentlichen Schock einer knapp an eine Milliarde Kosten reichenden Machbarkeitsstudie für die Sanierung des jetzigen Riesenbaus für Schaupiel und Oper, hatte der PR-Mann Jürgen Aha – der auch früh die Altstadt-Iniative unterstützt hatte – den Gedanken lanciert, das alte Schauspielhaus zu rekonstrieren und die Oper an einem anderen Platz aufzubauen.

Dieser Grundgedanke ist nun in vielen Punkten konkretisiert worden; und es haben sich im kürzlich gegründeten Verein bislang gut 40 Personen gefunden, die nun mit aller Energie für diese Idee werben wollen. Man wolle, so der Vorsitzende des Vereins, Tobias Rüger, die Debatte um den Wiederaufbau des Schauspielhauses „in aller Breite in die Bürgerschaft hineintragen“ und dabei „möglichst eine Polarisierung vermeiden“.

Der Musiker Tobias Rüger wurde Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft  Schauspielhaus Frankfurt e.V.

Auch Constantin Graf von Plettenberg, stellvertretender Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft, betonte bei einer ersten Pressekonferenz (Schauspielhaus 8.5.2018. II pdf), es sei äußerst wichtig, jetzt einen offenen „Meinungsbildungsprozess“ in Gang zu setzen. Ein wichtiges Ziel sei, zur „Lesbarkeit der Stadtgeschichte“ beizutragen, über einen historischen Bau Identität mit der Stadt und ein darin sich ausdrückendes Lebensgefühl zu stiften. Lange Zeit habe auch im Städtebau der Gedanke dominiert, dass Geschichte und kulturelle Identität „nichts mehr wert“ sein sollten. Jetzt bilde sich mehr und mehr ein anderer Trend heraus.

Constantin Graf von Plettenberg, Stellvertretender Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft  Schauspielhaus Frankfurt e.V.

Vorsitzender Tobias Rüger – ein in Frankfurt wohnender international renommierter Saxophonist und Komponist – hofft, einen „Querschnitt der Bürgerschaft“ für das Projekt zu gewinnen und das noch in beträchtlichen Teilen vorhandene alte Schauspielhaus aus der „Umklammerung“ in der jetzigen Theaterdoppelanlage zu befreien und einen neuen städtebaulichen Zusammenhang zu stellen, beispielsweise mit einer „Geschichtsbrücke“ zum der Rückseite gegenüberliegenden Rothschildpalais und damit zum Jüdischen Museum.

Zur bisherigen Grundidee gehört auch, der Oper mit einer „spektakulären Architektur“ an einem anderen Ort zu einer auch äußerlich sofort erkennbaren Attraktion zu verhelfen – und insofern auch auf diesem Weg der baulichen Trennung Tradition und Moderne zu verklammern und verschiedene Frankurter Bau-Epochen mit herausragenden Bauten (wie dem ehemaligen IG-Farben-Haus oder der jetzt zur EZB gehörenden einstigen Großmarkthalle) sichtbar zu machen.

Eine wenig bekannte Pikanterie hatte Rüger auch noch parat: Der Architekt der gern wegen ihrer transparenten Schaufront als Aufbruch in die demokratische Moderne bezeichneten Theaterdoppelanlage, Otto Apel, war als enger Mitarbeiter von Albert Speer wesentlich am Bau von Hitlers Reichskanzlei beteiligt, stand bis zum Kriegsende an hoher Stelle in Diensten der NS-Bauherren. Danach folgte dann die 180-Grad-Kehrtwende hin zum Stil der Internationalen Moderne mit vielen prägenden Bauten in Frankfurt (Bundesbank, Hotel Intercontinental, Nordweststadt) – eine „biographische Leerstelle“, wie im Schirn-Magazin anlässlich einer Ausstellung im Architektur-Museum zu Apel-Bauten kritisch angemerkt wurde.

Der Architekt des 1902 eingeweihten Schauspielhauses, Heinrich Seeling, war wiederum zu seiner Zeit ein gefragter Spezialist und gleichsam ein Routinier für Bühnenbauten. Auf seinem Zeichentisch entstanden beispielsweise die Entwürfe für das Deutsche Opernhaus in Berlin, die Theater in Freiburg, Halle, Gera, Nürnberg, Rostock, nicht zuletzt das Theater am Schiffbauerdamm in Berlin – das weithin gerühmte und geliebte Haus für das Berliner Ensemble. Seine Bauten waren natürlich geprägt duch den Geschmack der Kaiserzeit mit entsprechenden Zutaten und Zitaten: in Frankfurt beispielsweise mit einer Kopie der Konturen der Reichstagskuppel.

Vorläufige Skizze – so könnte die Gesamtanlage am Willy-Brandt-Platz aussehen

Der von verschiedenen Seiten geäußerten Kritik, ein Nach- und Neubau der Natursteinfassaden sei zu teuer, hielten die Vertreter der Aktionsgemeinschaft andere Berechnungen entgegen, beraten unter anderem vom Architekten Stuhlemmer, der die Fassadenplanung beim Berliner Schloss übernommen hatte. Ohnehin, sie rechnen nach überschlägigen Modellen mit erheblichen Minderkosten gegenüber den rund 900 Millionen Euro der Machbarkeitsstudie bei einer Sanierung der Theaterdoppelanlage. Nach einer überschlägigen Kalkulation sehen sie für die Rekonstruktion des alten Schauspielhauses einen Rahmen von 420 Millionen  Euro, für den Neubau eines modernen Opernhauses eine Summe von rund 370 Millionen Euro. Als mögliche Standorte für eine solche verlagerte Oper haben sie den Kulturcampus in Bockenheim oder das Grundstück der jetzigen (womöglich disponiblen) Hauptverwaltung der Sparkasse 1822 an der Neuen Mainzer Straße in Blick.

Ob sich die Hülle des alten Schauspielhauses mit einem modernen Theaterbetrieb vertragen würde? Architekt Matthias Feuer, Beisitzer im Vorstand der Aktionsgemeinschaft, hat da keine Zweifel. Moderne Bühnentechnik lasse sich ohne weiteres auch in einem solchen Haus unterbringen – dafür gebe es viele Beispiele.

Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig bei der Diskussion im Schauspiel

Tatsächlich ist es derzeit mehr als schwierig, sogar scheint es fast unmöglich zu sein, ein allgemeingültiges Zukunftsmodell für ein Theater zu entwerfen und dafür einen geeigneten architektonischen Raum zu finden, wenn man die Ergebnisse einer Podiumsdiskussion heranzieht, die Ende April im Rahmen der Erörterungsreihe des Kulturdezernats im Chagall-Saal des Schauspielhauses stattfand. Wie könne welches Theater unter welchen Bedingungen bei einer sich verändernden Bevölkerungsstruktur und bei einer Verknüpfung von Tradition und Gegenwart aussehen, so die einleitende Hauptfrage von Kulturdezernentin Ina Hartwig. Die Antworten der geladenen Experten waren so vielfältig wie (eindeutig!) offen: Genaues lasse sich nicht vorhersagen, bleibe Spekulation.

Doch zwei Grundperspektiven schälten sich trotzdem heraus. Zum einen: Das sogenannte Guckkastentheater mit einem Gegenüber von Bühne und Publikum werde es weiter geben. Und zum anderen: Notwendig seien auch flexible Spielstätten, die sich multifunktional für die sich zunehmend entgrenzenden Formen des modernen Theatermachens eigneten. Sich aus der Digitalisierung bildende, heutige Medientechniken einbeziehende Präsentationsweisen müssten unbedingt in alle Überlegungen einbezogen werden.

Diskussion im Chagall-Saal: Hans-Jürgen Drescher, Präsident der Theaterakademie August Everding in München

Wie das aber baulich genau aussehen könnte und sollte, das blieb nebulös. Hans-Jürgen Drescher, Präsident der Theaterakademie August Everding in München, sieht für die Zukunft einen noch verstärkten Austausch und eine weitergehende Interaktion als Wesenselement Das alles sei ein „lebendiger Prozess“, wenn das Theater als „Ort gesellschaftlicher Relevanz“ Bestand haben solle. Gleichwohl, trotz der Forderung nach „größmöglicher Flexibilität“ solle Altes nicht über Bord geworfen werden. Aber, so Drescher an anderer Stelle, „wir wissen noch nicht, was ins Haus steht, weder technisch noch ästhetisch“. Insofern sei nur „schwer zu spekulieren,“ wie künftige Theater aussehen müssten.

Marion Tiedtke, stellvertretende Intendantin und Chefdramaturgin des Frankfurter Schauspielhauses, plädierte für die Erhaltung der jetzigen großen Bühne als eine Voraussetzung, um den Radius für neue Spielweisen zu erweitern. Die zunehmende Diversität der Gesellschaft müsse mit multifunktionalen und hochflexiblen Bühnen, auch verschiedenen Spielstätten „eingeholt“ werden. Begegnung und Austausch seien wichtige Grundelemente eines Theaters, das sich auch als „Versammlungsstätte“ ganz unterschiedlicher Schichten der Gesellschaft verstehen solle und müsse. Das Publikum solle sich als Teil des Theaters verstehen, was auch einer „Sehnsucht nach Eigendarstellung“ entspreche.

Marion Tiedtke, stellvertretende Intendantin und Chefdramaturgin von Schauspiel  Frankfurt 

Eingangs hatte Tiedtke betont, bislang sei Deutschland mit seinem Bestand an großen Theaterbühnen weltweit einzigartig, dieser Vorzug müsse erhalten bleiben, um eine anderswo zu beobachtende Marginalisierung des Theaters zu verhindern. Frankfurts jetzige große Bühne sei eine immer wieder neue Herausforderung, um auch „neue ästhetische Setzungen“ zu erproben, die Kammerspiele wiederum mit ihren 700 Plätzen ermöglichten eine große Nähe und eine hohe Konzentration. Es fehle allerdings eine dritte, noch kleinere Bühne, die als Zukunftswerkstatt dienen könne, beispielsweise, um Jugendliche zu gewinnen und einzubeziehen. Erweiternde Techniken, wie Monitore an den Sitzplätzen, über die beispielsweise Texte und Übertitelungen eingespielt werden könnten, würden sicher „Teil unseres Narrativs“ werden.

Die Regisseurin Jessica Glause verkörperte auf dem Podium träumerischen Sturm und Drang, plädierte vehement für einen in jeder Hinsicht offenen Ort. Theater müssten leicht zugängliche Orte der zwanglosen Begegnung und des auch zwecklosen Verweilens sein können („Hotspots der Stadt“), gerade in Zeiten von Vereinzelung, Vereinsamung und aufgesplitterten Gruppenidentitäten. Für ein „altertümliches Medium“ seien bei sich immer weiter bildenden Parallelgesellschaften auch „mobile Bühnen im Stadtraum“ wünschenswert und notwendig. Allerdings, das räumte sie ein, erfordere das wiederum zusätzliche Technik und Infrastruktur, was natürlich mit höheren Kosten verbunden sei.

Regisseurin Jessica Glause 

Natürlich wurde auch konkret über die Frankfurter Kalamitäten angesichts möglicher Ausweichlösungen bei der Sanierung von Oper und Schauspiel und/oder vom Neubau beider oder einer der beiden Bühnen gesprochen. Der Traum, so Tiedkte, sei sicher weiterhin alles an einem Ort zu haben, doch sei gleichzeitig zu fragen, wie denn der beste Kompromiss aussehen könne. Das Bockenheimer Depot sei für ein Theater mit festem Ensemble und breitem Repertoire (beides gehöre unbedingt dazu) nicht geeignet, es sei vielmehr ein sehr gutes Haus für Ensuite-Theater mit aufeinanderfolgenden Stücken. Insofern sei es „nur flankierend“ zu nutzen. Eine Auslagerung in Industriegebäude sei wenig sinnvoll, nicht zuletzt wegen fehlender Anbindungen.

Zur Entfernung aus der Stadtmitte hatte bereits Jessica Glause eine Erfahrung beizutragen. In München habe sie im Vorort Pasing mit syrischen Profi-Schauspielern ein Stück erarbeitet. Der Publikumszuspruch sei enttäuschend gering gewesen.

Drescher sagte voraus, eine Interimslösung werde „allemal eine große Belastung“ werden. Eine Spanne von vielleicht zehn oder fünfzehn Jahren „hält kein Theater aus“. Das sah auch Jessica Glause so: „Ein bis zwei Jahre, das geht vielleicht.“ Darüber hinaus werde jede Interimslösung eine sehr schwierige Aufgabe. Ein gemeinsamer Ort sei gerade für ein Ensemble „wahnsinnig wichtig“, das gehe eben bis zur Kantine, um das gesamte Team – dessen Mitarbeiter ja auch Multiplikatoren seien – sich als Einheit verstehen zu lassen. Ein Gedanke, den auch Drescher unterstrich: Das Ermöglichen von Kollektivität sein ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung an seiner Akademie: „Über das Wir-Gefühl entsteht das entscheidende Mehr am Theater.“

Interessant deshalb, dass keiner der Diskutanten in dieser Zukunftserörterung (Ina Hartwig sieht dies als produktive „Begleitung eines komplexen Prozesses“) an ein Modell erinnerte, das zum Auftakt der Reihe von einer Theaterwissenschaftlerin vergegenwärtigt worden war: das Totaltheater, das Ende der 20er Jahre Walter Gropius für Erwin Piscator entworfen hatte. Darunter verstanden der Architekt und der Theatermann einen Bau der universellen Wandlungsfähigkeit, der die Trennung zwischen Bühne/Schauspielern und Publikum aufheben sollte, ein Theater, bei dem jeder in alle Aktivitäten eingebunden war.

2000 Pätze sollte das als große Ellipse angelegte Theater umfassen, statt üblicher Raumbegrenzungen sollte es bewegliche Stellwände und transparente Projektionsflächen geben, ein komplexes System verschiedener Dreh- und Laufbühnen, eines integrierten Parketts und von der Decke herabgelassener vertikaler Gerüste sollte größtmögliche Beweglichkeit und Raumsynthesen ermöglichen, das Hauptvestibül und das Foyer sollten während der Spielpausen zu einem großen Versammlungsraum zusammengelegt werden.

Ein Theaterkonstrukt als großer Einheitsraum zur Aufhebung aller Grenzen: Diese große Vision, inspiriert vom ganzheitlichen Denken des Bauhauses, wurde damals aus Geldmangel nicht verwirklicht.

Aber auch diesen Traum könnte Frankfurt, das sich selbst doch gerne als zukunftsseliges Labor sieht, vielleicht mit erörtern, wenn es um die Zukunft seines Theaters und seiner Oper geht. „Der Ort des Theaters – heute und morgen“, so war schließlich das Podium übertitelt. Immerhin, es präsentieren sich jetzt Alternativen. Von der Rückkehr zu einem festen Gehäuse in traditioneller Form mit modernem Inhalt bis hin zur Utopie (?) eines Totaltheaters und dem Neubau einer Oper, die von vielen auch lieber „Musiktheater“ genannt wird, den neuen Phantasie- und Aktionsräumen entsprechend.

Die von vielen Seiten und Akteuren beschworene Stadtgesellschaft hat reichlich Stoff, um eine intensive Debatte zu führen. Was schon zum Theater gehört, unbedingt.

Schauspielhaus 8.5.2018. II pdf

Alle Fotos: Petra Kammann

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