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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Out of Order – Von und mit Forced Entertainment im Bockenheimer Depot

Ohne Worte – Choreographie der Leere

Uraufführung von „Out of order“ – Eine Produktion von Forced Entertainment in Koproduktion mit Schauspiel Frankfurt, Künstlerhaus Mousonturm, PACT Zollverein, HAU Hebbel Am Ufer Berlin und Gessnerallee Zürich

Von Petra Kammann

Viel geht es in diesen Tagen in Frankfurt um das Theater, um das real zu sanierende oder um das neu zu bauende Gebäude und um Sinn und Zweck des Theaters heute. Wird es noch gebraucht? Wenn es noch gebraucht wird, braucht es dazu ein entsprechendes Gehäuse? Muss das Theater nicht neu erfunden werden, weil die Einflüsse und Elemente aus Tanz, Performancekunst, Musikkultur und populären Genres wie dem Cabaret und der Standup-Comedy inzwischen ausgelutscht sind und nicht mehr greifen?

Out of Order, von und mit Forced Entertainment, Regie: Tim Etchells, Foto: Hugo Glendinning

Solche und ähnliche Fragen mag auch die renommierte seit mehr als dreißig Jahren agierende britische Theatergruppe Forced Entertainment unter der künstlerischen Leitung von Tim Etchell umgetrieben haben. Sie setzte sich diesmal nicht mit Shakespeare im Alltag auseinander, sondern präsentierte mit „Out of Order“ ein Theater ohne Worte.

Die sechs ständig um sich, ihre Aggressionen und Verzweiflung kreisenden Akteure, die als Clowns geschminkt sind und karierte Anzüge tragen, bestimmen das Geschehen. Sie überzeugen nicht – wie sonst im Theater durchaus üblich – auf der Bühne durch Wortgewalt, sofern man überhaupt von Geschehen reden kann. Slapstickartig hasten, rasen und rennen sie vielmehr wiederholt bis hin zur völligen Erschöpfung.

Ausstattung und Aufführung von „Out of Order“ im Bockenheimer Depot sind in jeglicher Hinsicht minimalistisch. Das Bühnenbild, bestehend aus einem Tisch und ein paar robusten Stühlen, an denen sich die Akteure abarbeiten, erinnert an die reduzierte Variante von Pina Bauschs Tanztheaterklassiker „Café Müller“, und es ruft die aberwitzigen Wiederholungsrituale in Samuel Becketts absurden Theaterstück „Warten auf Godot“ wieder in Erinnerung (doch beides liegt etliche Jährchen zurück und wirkte seinerzeit im Theater bahnbrechend so neu wie provokativ).

In „Out of Order“ ist lediglich die Anzahl der beteiligten Akteure vergrößert. Dafür ist die Tischgesellschaft nicht mehr an einen Tisch zu bringen. Sie hat auch keinen Halt mehr so wie man noch in Katharina Fritschs raumgreifender gleichnamiger Skulptur sehen kann, wo die hermetische Tischgesellschaft noch einer „unheimlichen“ Ordnung von Anonymität und rhythmisierter Wiederholung zu unterliegen scheint und der Installation einen eindrücklichen Zusammenhalt verleiht, weil sie sich auf eine homogene Schicht herrschender Manager bezieht.

Out of Order, von und mit Forced Entertainment, Regie: Tim Etchells, Foto: Hugo Glendinning

Bei Forces Entertainment ist die Gesellschaft „out of order“, gewissermaßen außer Betrieb und komplett in Unordnung geraten. Die sechs in gleiche Anzüge gesteckten und als Clowns geschminkten Akteure haben keine Ruhe mehr in sich, sie rasten sofort aus und bestimmen das Geschehen – sofern man ob des erschöpfenden Gerennes überhaupt noch von Geschehen reden kann – durch ihre reine um sich schlagende Physis.

Ferngesteuert vom ständig wiederholten Spiel einer Pop-Soul-Schnulze aus den Sixties, Val Martinez’ „Someone’s Gonna Cry“, – die Platte scheint einen Sprung zu haben – folgen sie wie Marionetten, rasen wie von der Tarantel gestochen einander hinterher und greifen sich an bis zur Unerträglichkeit. Eine gute Viertelstunde lang geht das so, so dass man als Zuschauer am liebsten davonlaufen möchte.

Insgesamt folgt das Drama mit komischen Einsprengseln auf der Bühne eher der Musik, der Geräuschkulisse wie auch der Akrobatik.

Solange der Song tönt, sitzen die Akteure noch gemeinsam an einem Tisch, bis sie schon bald wieder ausrasten, den Tisch umkippen und hintereinander herrennen, bis sie vor Erschöpfung auf dem Boden zu liegen kommen. Wie in einem sinnlosen Ritual räumen sie das Schlachtfeld wieder auf. Und dann geht die Aktion wie in einer Wiederholungsschleife wieder von vorne los.

Dann blasen sie nacheinander bunte Luftballons auf, und die Hoffnung auf ein poetisches Signal wächst. Stattdessen segeln diese aufgeblasenen Ballons einer nach dem andern wie geplatzte Träume zu Boden.

Schließlich tragen zwei Akteure den Tisch feierlich-komisch zu Grabe, dieser Aktion folgt nach und nach ein Trauerzug. In einer traurig-komischen Prozession schleppen die Schauspieler das Mobiliar so lange über die Bühne, bis auch das sie erschöpft zu Boden zwingt. Dort liegend tröten sie sich gegenseitig etwas in die Ohren, um wieder aufzuwachen, wenig später wird mit einer Fahrradhupe gehupt.

„Someone’s Gonna Cry“, der Schmachtfetzen vom Anfang, wird wieder eingespielt, doch diesmal wird er nach einem Durchlauf ersetzt. Überraschenderweise bringt das Ertönen von Johann Strauss’ Walzer „An der schönen blauen Donau“ eine neue Farbe ins Geschehen. Das Gerenne scheint in Tanzschritte überzugehen. Doch auch der gemeinsame Tanz ist ungeschickt und bringt schon lange keinen Schwung mehr in die Sache. Abermals gehen die Akteure aufeinander los, blockieren sich gegenseitig, indem sie einander an den Füßen festzuhalten versuchen. Sie wirken jedoch nun noch viel ermatteter als zu Beginn. Vergeblichkeit breitet sich auf der Bühne aus. Nachdem der letzte Luftballon zerschossen wurde und der Wiener Walzertraum zerplatzt, treten die Clowns ab, erst zwei, dann drei, bis am Ende nur noch ein trauriger Mensch übrig bleibt, der rasch noch einen vergewissernden Blick ins Publikum wirft.

Out of Order, von und mit Forced Entertainment, Regie: Tim Etchells, Foto: Hugo Glendinning

Bei der leichten Variation des Immergleichen, der albernen Verweigerungshaltung und dem Wiederholungszwang der teilweise auch ruppigen Performer stellen sich dem Publikum, das die Message von der Vereinsamung verstanden hat, dennoch Fragen. Werden hier eigentlich noch Geschichten erzählt, wird doch heute „das gelungene Narrativ “ in der Kritik so häufig beschworen. Hier ist es vor allem die sinnlose Leere, die dem Publikum, das vom Entertainment nur mäßig amused ist, entgegengehalten wird. Reicht eine Art Endspiel mit viel Akrobatik aus, um Menschen für die Bretter, die die Welt bedeuten, zu begeistern?

Dabei hat das legendäre britische Theaterkollektiv aus Sheffield unter der künstlerischen Leitung von Tim Etchell als impulsgebende Vorreiter des europäischen Experimentaltheaters mit den begnadeten Performern Robin Arthur, Nicki Hobday, Jerry Killick, Richard Lowdon, Cathy Naden und Terry O’Connor seit mehr als 30 Jahren doch eigentlich mehr zu bieten – man denke nur an die gelungene Auseinandersetzung mit den traditionellen Shakespeare-Stücken. 2016 noch erhielt die Gruppe den International Ibsen Award in Anerkennung des Theaters als kollektiver Kunstform, welche die gesellschaftliche Rolle des Theaters hervorhebt.

Oder ist „Out of Order“ ein globalisiertes wortloses Stück für eine globalisierte Welt geworden, weil es sich in dieser Form an den unterschiedlichsten Orten aufführen lässt, verbunden mit der Überzeugung, dass wir uns ohnehin nur noch über Gesten statt über den Diskurs, die unmittelbare Rede, verständigen können? Dann müssen wir uns vielleicht auch nicht mehr wundern, wenn körperliche Gewalt im Alltag zunimmt. War die Sprache der Diplomatie gestern? Hat das Poetische ausgedient?

Gleichwohl. Ist nicht die Bühne vielmehr auch der Schauplatz für geheime Träume, für einen Wettstreit der Utopien, der Möglichkeiten und Unmöglichkeiten? Oder ist „Out of Order“ lediglich  ein Test, ob auch das Monotone die gleiche Faszination ausübt?

 

Out of Order
von Forced Entertainment
Regie: Tim Etchells
Mit: Robin Arthur, Nicki Hobday, Jerry Killick, Richard Lowdon, Cathy Naden, Terry O’Connor, Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause.

Bockenheimer Depot, Frankfurt

Weitere Aufführungen: : 2.-5., 15.-18. Mai

www.forcedentertainment.com

 

 

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