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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ein Gespräch mit dem Sänger Johannes Martin Kränzle

„Wichtig für mich, auf dem gleichen Niveau zu singen wie vorher“

Johannes Martin Kränzle steht nach zwei Jahren Abwesenheit in der Neuproduktion der Oper „Aus einem Totenhaus“ wieder auf der Frankfurter Opernbühne. Zuletzt sang er hier im Frühjahr 2015 den kranken Amfortas im „Parsifal“. Seine Darstellung, die für ihn immer wichtig ist, war beeindruckend. Ein kranker Mensch prägte sich ein. Wenige Monate zuvor, Ende 2014, hatte Kränzle sein Debüt an der Metropolitan Opera (MET) als Sixtus Beckmesser in „Die Meistersinger von Nürnberg“ gegeben. Inzwischen seine Paraderolle. Die Kritiken waren voll des Lobes. Die New York Times schrieb: „With his robust voice and crisp diction, Mr. Kränzle played him as a fidgety, nervous, neurotic type, not a bad guy at his core” und er wurde mit dem Publikumspreis geehrt. Alle Vorstellungen, so erzählt er, habe er mit guter Laune und „blendender Gesundheit“ gesungen. Renate Feyerbacher traf Johannes Martin Kränzle zum Gespräch.

Der Sänger Johannes Martin Kränzle, fotografiert von Christian Palm

In Köln, da sang Kränzle 2009 zum ersten Mal den Sixtus Beckmessser unter der Regie von Uwe Eric Laufenberg, bis August 2012 Intendant in Köln, heute am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Kränzle wird für den FAUST Theaterpreis nominiert, erhält ihn aber nicht. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bedauerte: „Johannes Martin Kränzles Beckmesser hätte den Preis verdient, so differenziert witzig und stimmlich subtil er den Stadtschreiber als einen zeigt, der aus seiner Haut nicht kann.“  Von den Opernkritikern wurde er dann zum „Sänger des Jahres“ gekürt.

Kränzles Karriereaufstieg hatte Fahrt aufgenommen nach der Uraufführung der Oper “Dionysos” von Wolfgang Rihm bei den Salzburger Festspielen 2010. Eine grandiose Aufführung, die das Fernsehen übertrug. Auf dem Höhepunkt seiner sängerischen Laufbahn begann sein Kampf ums Überleben…

Martin Kränzle: Es lief sehr schön und da dachte ich, die Anzeichen, die vorher mal da waren – ich hatte sogar noch eine Serie Musiklehrer in „Ariadne“ in Zürich gesungen – sind vorbei. Da gab es auch mal so einen skurrilen Tag, dass ich aufgewacht bin und plötzlich nicht einmal mehr eine Tonleiter singen konnte. Dann wollte ich absagen, aber es war Sonntag und niemand im Betriebsbüro, dann geh‘ ich nochmal in den Raum, um mich zu kontrollieren, und plötzlich konnte ich wieder alles singen. Es waren Kleinigkeiten, wo man nicht wusste, warum der Körper nicht mitmacht. 

Renate Feyerbacher: Ein paar Tage später nach Amfortas am 15. März 2015 kam die Pressemitteilung, dass Johannes Martin Kränzle erkrankt ist. Na ja, wahrscheinlich ein Infekt, dachte ich.

Zuerst habe ich selbst das auch gedacht. Dass es was Heftigeres, was Schwierigeres ist, war mir schon klar und zwar hat es vorher schon mal angefangen, dass ich Absenzen von 1-2 Sekunden hatte und gar nicht mehr so bei mir war. So kleine Mini-Ohnmachten, will ich das mal nennen. Das wurde mehr und mehr, dann kam während der Probenphase beim Parsifal noch eine Grippe hinzu. Da konnte ich nicht einschätzen, ob es ein Infekt war. Bei der Generalprobe war es dann schon sehr deutlich. Es trat zwei- dreimal heftig auf, dass ich mich ein paar Sekunden lang nicht kontrollieren konnte, auch nicht, was ich singe. Ich habe nicht gewusst, ob ich richtig singe. Vielleicht war es immer eine Sekunde. Das hat mich schon sehr beängstigt, dass man nicht mehr Herr seines Körpers ist. Die Premiere war dann sogar besser als die Generalprobe, aber am nächsten Tag, als ich aufwachte, war es, wie wenn ich in ein schwarzes Loch gucke. Da war mein Körper auf Null, und ich hab dann auch abgesagt in der Oper und zwar nicht nur die nächste Vorstellung, wie man das normalerweise macht, sondern für die nächsten zwei, drei Wochen.
Es folgten Besuche bei Hals-Nasen-Ohrenärzten. Es gab eine Fehldiagnose. Eine Medizin-Koryphäe in München vermutete eine andere Ursache. Als erster hatte ein Endokrinologe vom Max-Planck-Institut gesagt: „Höchste Alarmstufe mit den Blutwerten, Sie müssen sofort zu einem Hämatologen.“ Einer meiner Freunde aus der Schulzeit war Hämatologe in Günzburg, und da bin ich hin. Der hat Knochenmark entnommen, das ist ziemlich schmerzhaft. Dann wurde es eingeschickt, dann hat es noch vierzehn Tage gedauert, bis endgültig klar war, dass es etwas Ernstes ist. Der Freund in Günzburg stellte die Diagnose: Knochenmarkskrankheit (Myelodysplastische Syndrome (MDS). Die schnelle Diagnose hat mir wahrscheinlich  das Leben gerettet. Die Ohnmachtsanfälle nahmen immer mehr zu. Ich war viel in der Wohnung, da war dann niemand da an dem Tag, als ich zweimal auf dem Boden gelegen habe. Da bin dann von selbst wieder aufgewacht und konnte den Notarzt rufen. Aber es wurde so heftig und so schnell, so aggressiv fortschreitend, dass es dann nur noch um Monate ging.

Sie sind immer offensiv damit umgegangen. Als die Diagnose feststand, informierte der Patronatsverein über Ihre Krankheit und forderte auf, über eine Stammzellenspende nachzudenken. Sie haben dann in Ihrem sechs Jahre jüngeren Bruder einen Spender gefunden. 

Man hat meine beiden Brüder getestet und einer war 98 Prozent kompatibel. Der Aufruf war mehr dafür gedacht, dass man allgemein die Menschen motiviert, für Leute in meiner Situation etwas zu tun. Hätte es mit dem Bruder nicht geklappt, dann gibt es diese Datenbank und je mehr registriert sind, desto besser. Es sind dann Spenden für irgendjemanden.

Wie ging es dann weiter? Es ist gelungen, aber wie verhielt sich Ihr Immunsystem?

Man muss zuerst das eigene Blut mit Chemotherapie zerstören, da geht es schon heftig zu. Das geschieht in einer Isolierungsstation. Man ist dann sehr anfällig. Das eigene Blut wird nicht mehr produziert, die Stammzellen werden zerstört, und dann wurden mir – das ist wenig spektakulär – als Infusion die neuen Stammzellen, die von meinem Bruder abgefischt wurden, in den Körper eingeimpft. Man muss dann 14 Tage warten, ob die sich an den Punkten wieder, wo die alten waren, ansiedeln. In dieser Zeit wird man mit Fremdblut versorgt, weil man ja kein eigenes mehr hat. Man wäre nicht mehr lebensfähig, wenn es nicht klappt. Wenn diese Zeit vergangen ist, dann hat man es aber noch nicht überstanden, dann kommt eine neue Krankheit hinzu, weil die beiden unterschiedlichen DNAs – mein Bruder hat ja eine andere – in einen Kampf treten. Das ist wie wenn man ein Auto mit Super E10 betankt, den Motor dafür aber nicht hat. Dadurch können Entzündungen im ganzen Körper auftreten, an Organen, an der Haut, an der Schleimhaut. Deshalb sagen die Ärzte, dass das Jahr danach das Schwierigste ist und viele eher danach sterben. Deshalb ist die Transplantation, bei der man denkt, man hätte es doch schon überlebt, erst der Anfang.

Sie waren also dem Tod sehr nah. 

Das war zweimal so, wo es sehr knapp wurde, wo man einschläft und nicht weiß, ob man wieder aufwacht. Wobei ich sagen muß, dass ich dabei sehr ruhig wurde und mich vielleicht in einem großem Frieden mit der Welt schon verabschiedet habe. (zeigt sich emotional berührt) Es ist ein Trauma. Deswegen möchte ich auch mal meinen Ärzten danken: Frau Dr. Gesine Bug und Dr. Tobias Berg, der mich immer begleitet hat. Die haben einen großartigen Job gemacht. Ohne sie gäbe es mich ja auch nicht mehr. Sie nahmen Anteil. Dr. Berg ist sogar nach Bayreuth gekommen. Für die Ärzte ist es außergewöhnlich, dass man in so einem körperlichen Beruf wie dem Sängerberuf wieder so aktiv sein kann. Da bin ich schon einer der Wenigen. Dass man da so rumturnt, das ist wahrscheinlich nicht so häufig der Fall. Diejenigen, die überleben, können teilweise auch arbeiten, viele von ihnen vor allem am Computer. 

Johannes Martin Kränzle erlebte eine Art Renaissance, Foto: Christian Palm, mit freundlicher Genehmigung von JMK

Für mich ist das alles wie ein Wunder. Sie schickten mir im Oktober 2017 aus London eine Mail, in der Sie schrieben: „Liebe Freunde seit drei Wochen singe ich wieder auf der Bühne. Ein unglaubliches Geschenk für mich, dass das wieder möglich ist. Mein Comeback ist die Rolle des Philosophen Don Alfonso in Mozart´s Oper COSI FAN TUTTE. Damit gab ich auch mein Debüt am Royal Opera House in London.
Nun wird eine der Vorstellungen, die beim Publikum und bei der Presse erfreulich gut ankommt, live in etlichen Kinos weltweit übertragen: Termin : 17. Oktober 2016 um 19.30 Uhr W.A: Mozart   COSI FAN TUTTE aus London live im Kino.“
Unglaublich, dachte ich.

Mein Comeback ist die Rolle des Philosophen Don Alfonso in Mozarts Oper COSI FAN TUTTE. Damit gab ich auch mein Debüt am Royal Opera House in London. Nun wird eine der Vorstellungen, die beim Publikum und bei der Presse erfreulich gut ankommt, live in etlichen Kinos weltweit übertragen: Termin: 17. Oktober 2016 um 19.30 Uhr W. A. Mozarts  COSI FAN TUTTE aus London live im Kino.
Ja, meine Freunde, meine Verwandten, meine Mutter, die haben gedacht, der spinnt. Meine Mutter starb im Januar 2018. Aber sie hat noch erlebt, dass ich gesund wurde. Sie hat mich die letzten Male überall besucht, sie hat wahrscheinlich in dieser Zeit am meisten gelitten. Zwei Monate vorher sah es gar nicht so aus. Ich hatte 17 Kilo abgenommen und ich konnte nicht einmal mehr eine Treppe hoch gehen, so schwach war ich. Dann habe ich das aber so schnell geschafft. Körperlich war ich noch eingeschränkt, aber der Regisseur wusste bescheid, das Haus wusste bescheid, und die Stimme war völlig da. Dann habe ich mich selbst auf die Probe gestellt, ob ich sechs Stunden am Tag Proben überlebe oder ob ich am dritten Tag sage: „Tut mir leid, es war jetzt doch zu viel“. Die waren auch sehr sensibel, und ich habe mir Tag für Tag ein bisschen mehr zugetraut. Wobei, den Don Alfonso kann man ja ein bisschen ruhig anlegen. Das haben wir dann auch so gemacht. Es war eigentlich für den Olivier Award mal vorgesehen, hat ihn zwar nicht bekommen, wurde aber nominiert, und jetzt haben sie eine DVD in London gemacht. Das ist schön, mal eine Mozart-DVD zu haben. Die Frankfurter Inszenierung (2008), die war exemplarisch, da wurde eine Produktion versäumt. Das war mit das Beste, was ich je gemacht habe.“

(Anmerkung d.R.: Im Deutschlandradio: hieß es: „[..]…dazu der glänzende Johannes Martin Kränzle als Drahtzieher Don Alfonso.“ Die Inszenierung „Cosi fan tutte“ von Christof Loy erhielt 2008 den FAUST Theaterpreis. 2017 erhielt Loy den International Opera Award als Director of the year. In seiner Regie wird am 10.Juni 2018 in der Oper Frankfurt die Neuinszenierung „Norma“ gezeigt.)

Und wie geht es Ihnen heute?

Sehr stabil. Was die Blutwerte angeht, ist alles relativ erfreulich. Ich muss zwar immer noch Medikamente nehmen und bin noch nicht aus der Behandlung raus. Das kann man auch noch nicht absehen, wann das sein wird.

Das ist wie ein Neuanfang, im Grunde genommen wie ein neues Leben.

Halb, halb. Rein mental, da verbinde ich schon alles mit meinem früheren Leben. Ich reagiere, glaube ich, ähnlich wie früher. Vielleicht habe ich insgesamt eine größere Ruhe und auch Dankbarkeit.

Machen Sie Dinge heute anders?

Nein, aber ich merke in so Schlussprobephasen, auch in London, wo ich vorher noch nie war, dass ich relativ gelassen und ruhig mit allem umgehe. Das hätte ich als 25-Jähriger natürlich nicht gekonnt. Da war ich teilweise viel nervöser.

Sie waren im September 2016 an der Royal Opera in London, im Dezember 2016 gaben Sie einen Liederabend in der Frankfurter Oper. Da sangen Sie, begleitet vom Pianisten Hilko Dumno, Lieder nach alten jiddischen Weisen von Richard Rudolf Klein (1921-2011), von Gustav Mahler, Frank Martin und Maurice Ravel. Das Publikum hat Sie gefeiert.

Wie die mich begrüßt haben in Frankfurt, das war anrührend. Ich hatte einen Kloß im Hals vor Rührung, dass ich fast gar nicht anfangen konnte.

„Das Ewige Rätsel – L’enigme eternelle“ heißt Ihre neue CD. Ist das eine Reaktion darauf? 

Sie enthält fast genau das Programm, was ich beim Liederabend am 14.12.2016 darbot. Herr Oehms, Labelchef von Oehms classics, hat mir diesen Liederabend von sich aus, ermöglicht. Herr Loebe ist dann auch koproduktiv eingestiegen, und sie haben mir die Örtlichkeiten, es war die Festeburgkirche, für die Aufnahme bezahlt. „Das Ewige Rätsel – L’enigme eternelle“, Oehms Classics 2017

Lied von der CD

Der Opschijd
„Sait gesunt,
Maine liebe Eltern,
Ijch fohr vun aich aweg;
In a waitn Weg.
Wu kein Fojgl flijht nit,
Un wu kein Hohn krejt nit.
Saitgesunt,
Maine liebe Eltern
Ijch fohr vun aich aweg;
In a waitn Weg!
Gott soll aich gebn
Gesund un Leben,
Und mir a glicklichen Weg.“

Ihren Humor haben Sie nicht verloren. Kurz darauf folgte der Eisenstein aus „Die Fledermaus“ in München. Sie wurden Juror in Genf. Und im Frühjahr 2017 sangen sie die „Meistersinger“ in London.

Dann kam der „Wozzeck“ in Paris, der für mich neu war. Da habe ich gedacht, das wird eine stressige Zeit, weil ich ja die Rolle nie gesungen habe und es dort eine Wiederaufnahme war. Wir hatten nur drei Probenwochen und da dachte ich: „Au, Au  Au“. Aber das war dann so eine schöne Produktion mit dem tollen Dirigenten Michael Schønwandt, dem größten lebenden dänischen Dirigenten. Der kannte das Stück, der hat Musik daraus gemacht (fast schwärmend). Das wurde schön und nicht stressig, und die Rolle war auch einfach großartig.

Mir fällt dabei der Blaubart hier an der Frankfurter Oper mit Claudia Mahnke ein.

Ja, das war eine tolle Inszenierung mit Claudia und mit dem wunderbaren, großartigen Dirigenten Constantinos Caridys. Das war ’ne ganz tolle Sache. 

Bayreuther Festspiele 2017: Johannes Martin Kränzle als Sixtus Beckmesser in „Die Meistersinger von Nürnberg“, Inszenierung: Barrie Kosky, ©Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Im Juli 2017 debütierten Sie in der legendären Inszenierung „Die Meistersinger von Nürnberg“ von Barrie Kosky in Bayreuth. Ich ging ins Kino und erlebte dort die Premiere. In Köln haben Sie ihn damals sehr menschlich dargestellt. Bei Kosky ist er jüdisch-trottelig. Eine faszinierende Inszenierung, aber sehr anstrengend für Sie. (Anmerkung: Kosky ist der erste jüdische Regisseur, der in dem ehemals ‚braunen‘ Bayreuth inszenierte.) 

Ich muss körperlich sehen, wie ich mir das einteile. Das Stimmliche macht kein Problem. Wir, dieselbe Gruppe, sind in diesem Sommer wieder dort. Auch Kosky hat mir angeboten, wenn was nicht passt, zu viel ist, einfach etwas wegzunehmen. Es war wie es zum Schluss war, gut machbar. 

Ich habe nochmal eine Frage zu Koskys „Meistersinger“, zur Figur des Beckmessers. Ich habe das als furchtbar empfunden, wie er von der Festwiese abtritt. Er ist Jude.

Er wird sogar abgeführt. Das ist bewusst so angelegt, dass man nicht weiß, wohin oder was. Es ist eben nicht zu plakativ. Er stört, er muss weg. Es kann auch harmlos interpretiert werden: die bringen ihn um die nächste Ecke, er soll einfach nicht mehr da sein. Aber die Assoziation ist sicher da.

Es war so hart. Eine unerträgliche Szene.

Ich glaube, ich habe als erster Mensch in der Villa Wahnfried im letzten Sommer meine jüdischen Lieder aufgeführt. Es war wie ein Konzept: ich als Beckmesser und als Hermann Levi (Jüdischer Dirigent zu Lebzeiten Wagners in Bayreuth), dann noch im Wagner-Haus die jüdischen Lieder. Das war programmatisch eine tolle Zufallsdoppelung. 

Der Beckmesser ist eine Paraderolle von Ihnen, die Sie überall auf der Welt singen, aber immer in anderen Inszenierungen.

Das ist ja das Schöne. Allein schon mit den verschiedenen Kollegen, wobei ich jetzt oft mit Michael Volle zu Werke bin, weil er einer der führenden Sänger des Hans Sachs ist. Zum Beispiel die alte Otto Schenk-Inszenierung in New York ist aus den Siebzigerjahren, da war noch Hermann Prey dabei. Sehr gut handwerklich gearbeitet, realistisch in der Nürnberger Zeit… Ich fand die Laufenberg-Inszenierung in Köln manchmal sehr politisch, das Konzept ging durch die Jahrhunderte. Das ist die Kosky-Inszenierung nicht, da ging es um das Jüdische. Aber das macht es ja gerade spannend in dem Beruf, dass man dieselbe Rolle immer wieder in einem anderen Licht sieht. Auch der Blaubart in Köln war völlig anders als der in Frankfurt. Trotzdem haben mir beide Sichtweisen Spaß gemacht. Es waren beides sehr gute Produktionen.

Sie singen in „Aus einem Totenhaus“ den Siskov, mit einen 18 Minuten langem Monolog.

Bei uns sind es nur 18 Minuten, bei langsamen Dirigenten ist der Part sogar 25 Minuten lang. Es ist ein Gefangener, der im 3. Akt seine Lebensgeschichte erzählt, wie ein anderer Mann im Dorf, Filka Morozov, sein Leben zerstört hat, indem er mit dem schönsten Mädchen im Dorf rumgemacht hat, aber schlecht über sie gesprochen hat. Dann haben sie mir das Mädchen gegeben. Filka ging zum Militär. Dann hat sich herausgestellt, dass das Mädchen unschuldig war, dann klaut er aber das Mädchen wieder. Das Mädchen ist so fasziniert von diesem andern, dass es sagt, obwohl es so viel erlebt hat: „Ich liebe dich, Filka.“. Das hält Siskov nicht aus und bringt diese Frau um. Dann merkt er im Gefängnis, dass ein anderer Gefangener dieser Filka ist – unter anderem Namen. Da ist es zu spät. Er kann sich nicht mehr an ihm rächen oder sich mit ihm aussprechen. Als er seine Geschichte beendet, ist der Andere schon tot. So das Original. Der Schluss in Frankfurt ist anders. Filka alias Luka Kuzmic ist in der Inszenierung ein Lagerarzt, kein Mitgefangener, in dieser  Version ist er einer, der aufpasst. Dadurch ergibt sich eine andere Konstellation. Filka, alias Luka stirbt nicht, sondern hört zu, was der Andere, Siskov, da beichtet.

Es wird in tschechischer Sprache gesungen. Das ist doch schwierig.

Ich versuche, mich da völlig reinzuhängen. Ich bin schon im Oktober nach Prag gefahren und habe Wort für Wort versucht, alles zu verstehen, nicht nur die Aussprache, sondern den Sinn. Da hab ich wirklich ein halbes Jahr gelernt, sonst schafft man das nicht, weil es ein Monolog ist. Immer wieder gelernt. Es ist wichtig, dass man das nicht nur phonetisch beherrscht, sondern inhaltlich kapiert. Das ist auch mit dem Blaubart so gewesen: ungarisch. Das ist auch eine wunderbare Beschäftigung mit anderen Sprachen, zumindest ein bisschen in sie einzudringen. Ich kann jetzt nicht annähernd Tschechisch oder Ungarisch, aber in meinem Text weiß ich, was er bedeutet, Wort für Wort.

Wo haben Sie das gelernt? 

Ich hatte eine Tschechin, die früher am Theater war und auch schon Coachings gemacht hat. Ich kannte sie noch aus einem ganz anderen Zusammenhang. Das ist natürlich viel schöner in Prag. Ich war im Opernhaus und konnte einfach das Flair von dort mitnehmen. Prag ist eine wunderschöne Stadt und im Oktober auch nicht überlaufen.

Sie haben immer eine ganz exakte Aussprache. Man versteht jedes Wort.

Das ist so wichtig. Diese Übertextanlage ist gut, aber man sollte es direkt verstehen. Es ist oft zu viel zu unruhig. Der Text müsste manchmal ausgedünnt und weniger angezeigt werden. Sonst guckt man nur auf den Text.

Sie mögen ausgefallene Werke. Ich denke an „Dionysos“ in Salzburg oder an „Jakob Lenz“, beides Werke von Wolfgang Rihm.

Ich bin grundsätzlich für alles offen, aber die Neugier für Unbekanntes ist bei mir immer groß.

Sie selbst sind auch Komponist. Ich glaube, Sie komponierten während der Krankheit.

Während der Krankheit habe ich das vertieft. Ich schrieb einen Liederzyklus für Streichquartett und mittlere Stimme, „Lieder um Liebe“ mit Texten von Bertolt Brecht, eigentlich für Streichorchester, so wurde es sogar zuerst aufgeführt. Die Mezzosopranistin, Lena Haselmann, die ich im Dezember heiratete, interpretiert sie.

Wo fand die Aufführung statt?

Hier im Dominikanerkloster. Es hat vielen gefallen, dass es inzwischen mehrere Aufführungen gibt. Aber für die Realisation mit einem ganzen Orchester, das ist schwierig, so dass ich nun eine Streichquartett-Fassung gemacht habe. Da wird es jetzt sogar in der Villa Wahnfried in Bayreuth gespielt, in Berlin dann wieder mit Orchester in einer Kirche. Es kommen jetzt verschiedene Aufführungen. 

Ihre sängerische Spannweite ist sehr breit. Sie reicht von Humor, Komödiantischem wie Eisenstein und Papageno bis hin zum Drama…

Das sollte so sein. Eine wunderbare Rolle ist die im „Schlauen Füchslein“, weil sie so eine Einsicht hat in das Leben, es ist ein Reflektieren über das Leben, die Erneuerung der Natur. Das ist eine positiv-melancholische Rolle. Ich sang sie in Köln. Das ist das Schöne, dass sich beide Seiten auch bedingen. Gute Komik entsteht manchmal durch Tragik auf der Bühne und umgekehrt auch. Das ist oft viel näher zusammen, als man vermutet. Beim Beckmesser ist es so, das ist ein Mensch, der selber nicht über sich lacht, dadurch entsteht Komik, auch ein Papageno, der leidet: er sucht ’ne Frau, kriegt sie nicht, muss eine Prüfung machen, möchte sie nicht und trotzdem lachen die Leute, eben weil er da in der Situation ist und dann pragmatisch, handfest argumentiert. Meine Jungs, die kennen die Oper am allerbesten, die haben sogar einmal in Oberammergau mitgespielt. Vielleicht singe ich sogar in ein oder zwei Jahren ein paar Vorstellungen in Wiesbaden. Ich bin natürlich zu alt, aber mit ’ner guten Perücke ist das alles machbar. Aber noch einmal die Rolle, da freut sich die Familie. Aber es ist noch nicht sicher. (Er lacht.)
In Frankreich und England wussten die Leute nichts von meiner Krankheit, auch die Kritiker nicht. Das war gut zu sehen, dass meine Krankheit nicht so offensichtlich war. Für mich ist es wichtig, dass ich auf dem gleichen Niveau wie vorher wieder arbeiten kann. Hätte ich das nicht gekonnt, hätte ich mich zurückgezogen. Sonst hängt man den Tagen nach, an denen man viel konnte und jetzt nicht mehr kann. Dem möchte ich mich nicht ausliefern.

Johannes Martin Kränzle singt heute Abend in der Oper „Aus einem Totenhaus“ und ist anschließend bei „Opern lieben“ dabei. Die letzte Aufführung in dieser Spielzeit findet am 29. April 2018 statt.

Bei den Maifestspielen in Wiesbaden interpretiert JMK am 21. Mai Gunther in Wagners „Götterdämmerung“. Diese Rolle sang er auch in Frankfurt, siehe:„Götterdämmerung“ von Richard Wagner: der Tetralogie letzter Teil an der Oper Frankfurt

An verschiedenen Orten gastiert Kränzle mit seinem Liederabend.

Alle Fotos: Fotos: Christian Palm /Rechte JMK

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