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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kultur und Recht – Eine Betrachtung mit Blick auf die Kunst

Angeregt durch die Ausstellung zur Weimarer Republik in der Schirn

von Gunnar Schanno

Kultur ist besagterweise zu trennen von Zivilisation. Kultur ist Einzelerscheinung oder kollektiv wahrgenommene, gelebte und erlebte Synthese dessen, was nicht dem Verwertbaren, dem reinen Nutzen unterliegt, was über den Gebrauchswert des zivilisatorisch von der Ratio her Geleiteten hinausgeht, was mit Tradition, Brauchtum, Sitten, Emotio und Transzendierung verbunden ist, was sie, die Kultur, in ihren beiden tiefsten Ausprägungen in die Dimensionen des Religiösen und der Kunst hinein reichen lässt.

Justitia, die „Göttin der Gerechtigkeit“, wägt ab

Wo aber steht, gefragt im Zusammenhang mit der Kultur, nicht im Sinne expertenhaft fachlicher Jurisprudenz, wo steht das Recht als überwölbende Dimension im grundsätzlichen Empfinden jedes Einzelnen im Raum auch kultureller Entfaltung? Wir sprachen von Kultur im internen Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Religion. Denn im gegenwärtigen Diskurs geht es auch um allgemeine Rechtsvorstellungen, etwa im Ansinnen aus religiös-fundamentalen Neubestimmungen in Kultur und Gesellschaft, die grundsätzlich auch Rechtscharakter beanspruchen. Mit solchen Fragen setzen wir uns immer drängender als Zivil- bzw. Bürgergesellschaft interkulturell und interreligiös auseinander in einer Art Rollback zurück in die Religionsgeschichte in seit Jahren geführtem öffentlichen Diskurs. Schließlich geht es darum, den Rechtsraum auch als Raum für die Entfaltung der Kunst und damit des Humanums bewahrt zu sehen.

Es mag überraschend klingen: Recht ist nicht notwendig gebunden an das Zivilisatorische, an das Menschenrechtliche, an Rechtsgleichheit, an „Zivilisiertheit“ als Höhe des auch wissenschaftlich erreichten Erkenntnisstands. Der populäre Spruch, wonach Recht und Gerechtigkeit „zwei paar Stiefel“ seien, gilt. Wir in säkular geleiteter, bundesrepublikanischer Zivilgesellschaft sind es gewohnt, dass Recht im Sinne einklagbarer Rechte seinen Niederschlag in sich immerzu novellierender Gesetzgebung findet. Recht in diesem Sinne also ist ein „Work in progress“, das unterscheidet es vom Recht im ursprünglichen Verständnis.

Denn Religion im monotheistischen Verständnis war ursprünglich untrennbar verbunden mit Setzen von Recht, meist verstanden als dem für den Menschen unverändert göttlichen, von strikten Tabugrenzen geleiteten Recht. Deshalb ist es für ein archaisch-geprägtes Glaubensverständnis so schwer, das Politische vom Religiösen zu trennen, solange sich das Prinzip des Demokratischen zeitgemäß nicht auch als Toleranzprinzip tief innen im Einzelnen und juristisch-verbindlich im staatlich-gesellschaftlichen Leben durchgesetzt hat. Der sakrale Herrscher, der das Religiöse und Politische in sich vereint, war einst auch in den Königszeiten Europas eine feste Instanz. Aktuell lässt sich solche Personalunion zwischen religiösem und weltlichem Herrschertum, verbunden mit einem politischen und kulturell bis in Kunst und Lebensstil reichenden Regelwerk vornehmlich in islamisch-geprägten Räumen erkennen.

Plakat der herausragenden Ausstellung in der Schirn. Sie war Auslöser für grundsätzliche Reflexionen über die Rolle der Kunst

Doch wie im Theokratischen, so hat es auch im ideologisch Totalitären die Kunst schwer, in freier Gestaltung als Botschaft etwa das Sehnen nach Gerechtigkeit oder die Empörung über bestehendes Unrecht zu vermitteln. Die Frankfurter Ausstellung zur Weimarer Republik in der Schirn-Kunsthalle hat eindringlich vor Augen geführt, wie einer visionär und seismographisch sensiblen wie verbittert-sarkastisch künstlerischen Darstellung gefahrvoller Entwicklungen von Seiten ideologisch-politischer Repression, nicht zuletzt unter dem Stichwort „Entartete Kunst“, der Garaus gemacht wurde. Wie sehr das positive, also das praktisch anwendbare Recht, als Buchstabenrecht in „unzivilisierter”, also auch unmenschlicher Weise gebeugt und verkehrt werden kann, zeigen ganz aktuell auch ideologisch, theokratisch oder diktatorisch geführte Staaten.

Vor allem nach dem zweiten Weltkrieg hat sich in sogenannt westlichen Demokratien durchgesetzt, was Ausdruck der Entscheidung für die Stärkung des autonomen Individuums im menschenrechtlichen Sinne ist. Zu ihm, dem Individuum, gehört also in diesen Rechtsraum auch die Autonomie der Freiheit künstlerischer Entfaltung. Die Einbeziehung wertbesetzter Begriffe wie Würde oder (Meinungs-)Freiheit in das Grundgesetz nach dem zweiten Weltkrieg war eine bewusste Entscheidung nach dunkler Zeit für die Stärkung des Menschen nicht zuletzt als Kulturwesen, verankert im Grundgesetz der Bundesrepublik auch unter dem Einfluss der Schriften des Rechtsgelehrten Gustav Radbruch (1878-1949, „Rechtsphilosophie“, 1932).

Nirgends dringt das Individuelle, subjektiv Gestaltende, das Selbstbestimmende und das sich autonom Definierende, die Konvention Sprengende, das Anklagende, das Verfremdende, das Visionäre so sehr in den öffentlich-sichtbaren Raum wie durch die Kunst. Intensiv verbildlicht war dies am Beispiel der Exponate der besagten Schirn-Ausstellung zur Weimarer Republik zu sehen. Wir hatten es auch vom Bedrohlichen, das autoritäres oder theokratisches Herrschaftsverständnis von Seiten einer freien Kunst ausgehen sieht. Denn Kunst ist im weitesten Sinne auch Ausdruck der Meinungsfreiheit.

Das ist der Moment, da autokratische oder theokratische Politik sich in Kumpanei mit der Exekutive des Rechts als verlängerter Arm damit droht oder dafür sorgt, einen ihr Herrschaftsverständnis anfechtenden Zustand zu beenden. Im gegenwärtigen Diskurs hören wir auch von fundamental-religiöser Seite, wenn es um ein Angefochtensein durch die Kunst geht, den Begriff des Beleidigens religiösen Empfindens als Vorwurf, aus dem heraus der Anspruch wächst, die rechtlichen Grenzen der Freiheit für die Kunst enger zu setzen. Die sprichwörtliche Schere im Kopf kann von solchem Ansinnen gegen Kunst- und Meinungsfreiheit sowohl im Künstler, als auch in der Gesellschaft zu wirken beginnen.

 

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