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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Michael Haneke im Deutschen Filmmuseum

„Die Dinge einfach zu machen, ist ganz schwer“

Text und Fotos: Renate Feyerbacher

Das deutsche Filminstitut / Filmmuseum in Frankfurt hat den vielfach preisgekrönten Regisseur Michael Haneke im März mit einer Carte Blanche geehrt. Das heißt einen Monat lang präsentiert die Filmreihe die Werke, die dem Regisseur besonders gefallen, die ihn geprägt und ihn beeinflusst haben.

Michael Haneke diskutiert im Deutschen Filmmuseum

Das Foyer des Filmmuseums ist brechend voll, die Karten lange zuvor schon ausverkauft. Michael Haneke ist höchstpersönlich gekommen. Er ist aufgeschlossen, redet schnell, impulsiv, manchmal humorvoll, manchmal sarkastisch, kann die Fragen kaum abwarten, manchmal braucht er Worte, die er von Studenten an der Wiener Filmakademie hörte. Selbstkritik und Widerrede gefallen. Er hat Spaß daran, eine „Böse Unke“ zu sein. Wenn sich  die Menschen ärgern, beginnen sie mit dem Nachdenken. Das ist ihm wichtig. „Ich will den Zuschauer zwingen, sich zu wehren.“

Vor seinem eigenen Film „Code Inconnu“ (Code –unbekannt) aus dem Jahre 2000 mit Juliette Binoche und Josef Bierbichler, der in Cannes den Sonderpreis der ökonomischen Jury erhielt, sprach Michael Haneke mit Urs Spörri vom DIF über seine Filmauswahl. Er stellt klar, dass er zur Auswahl eines eigenen Films gedrängt wurde.

„Code-Inconnu“ zeige die moderne Völkerwanderung, ein ständiges Thema seiner Arbeit. Drei Monate habe er in Frankreich recherchiert, fast alle sozialen Probleme seien original passiert. „Code unconnu“, die Geschichte der Schauspielerin Anne, ihrem Partner Georges – er ist Kriegsreporter – ist schwer nachzuvollziehen. Es dauert, bis die Erzählstränge verschiedener Personen, die wie Blitzlichter auftauchen, erfasst sind. Fragmentarisch bleibt der Schluss. Verlustängste und gesellschaftliches Unbehagen werden eindringlich gezeigt.

Seine Filme, so sagt er, haben Bezug zur Gesellschaft Europas. Hollywood, wo er ausgezeichnet wurde, aber  auch schon gearbeitet hat, seien aufgrund seiner miesen Englischkenntnisse keine wirkliche Arbeitsstätte für ihn. Er habe keine Geschichte. „Ich bin ein Kontrollfreak.“

Zur Erinnerung – seine wichtigsten Filme der letzten Jahre.:

2013 wurde Hanekes Film „Amour“ mit Jean-Louis Trintignant, Emmanuelle Riva und Isabelle Huppert, der in Cannes uraufgeführt wurde, mit der Goldenen Palme und später mit dem Golden Globe und dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichent. Das sind nur zwei der vielen Preise für dieses Werk.

Auch für seinen Film „Das weiße Band – eine deutsche Kindergeschichte“ wurde er mit Preisen überschüttet.

2005 kam „Caché“ heraus mit Daniel Auteuil, Juliette Binoche, Maurice Bénichou und Annie Girardot. Haneke, der das Drehbuch schrieb, bezieht sich auf das Massaker in Paris am 17. Oktober 1961. Geschichts-Fakten: Der Algerienkrieg tobte (1954 – 1962). Zehntausende Algerier demonstrierten friedlich in Paris. Aber der Aufruf der Unabhängigkeitsbewegung FLN zur Demonstration war nicht genehmigt. Es gab geschätzt etwa 200 Tote in Paris.

2001 kam „Die Klavierspielerin“ nach dem Roman von Elfriede Jelinek mit einem grandiosen Schauspieler-Aufgebot in die Kinos: mit Isabelle Huppert, Annie Girardot, Benoit Magimel, Susanne Lothar und Udo Samel.

Michael Haneke wurde schon früh von der Großmutter mit ins Kino geschleppt, aber das was er sah, hat ihn als Kind geängstigt. Die intensive Beschäftigung mit dem Film kam erst während der Studienzeit. Er studierte Philosophie und Theaterwissenschaft in Wien. Ausgerechnet die Theaterwissenschaftler boten ein Filmseminar, das vom Institut français gefördert wurde. Das hat ihm den professionellen Zugang zum Kino ermöglicht, „zuvor war ich nur Konsument.“ Die Hinwendung nach Frankreich war damals bei vielen ausgeprägt, heute haben die USA diese Rolle übernommen. Die Frankreich-Orientierung, die Juliette Binoche ausgelöst hat, ist ihm geblieben. Frankreich ist für ihn das Paradies für Autorenfilmer.

Seine Erfahrungen als Regisseur am Provinztheater haben ihn gelehrt, die Szenen exakt vorzubereiten. Probieren im laufenden Prozess ist nicht sein Ding. Eingebungen kommen ihm beim Schreiben, beim Dreh muss klar sein, was gewollt ist. Learning by doing, das hat ihn geprägt. Und Genauigkeit, genaue Beobachtung und genaue Wiedergabe, sind für ihn unabdingbar.

Zehn Filme, alles Autorenfilme, hat er für das Deutsche Filmmuseum ausgewählt. Einige seien immer dabei wie „Der Spiegel“ (Sowjetunion 1975) des russischen Regisseurs Andrej Tarkovskij. Dabei ist auch „Salò O Le 120 Giornate Di Sodoma“ (1975) von Pier Paolo Pasolini. Er basiert auf dem Buch des Marquis de Sade „Die 120 Tage von Sodom“. Dieser Film über das Massaker der Nazis an Jungen und Mädchen in Salò, dem letzten Aufenthaltsort von Diktator Mussolini, habe ihn sehr geprägt. In dem Zusammenhang betont er die Verantwortung der Filmemacher beim Zeigen von Gewalt. Gewalt müsse immer wieder vom Konsumverhalten getrennt werden. Die Gesellschaft verändere sich, aber wenig zum Guten.

Er spricht auch über blendend gemachten Kitsch. Wichtig sei ihm die Arbeit mit den Schauspielern. Er wolle Kunst auf Augenhöhe machen. Er schreibe seine Drehbücher selbst, aber man müsse schon ein geborener Masochist sein, um sie wiederzuerkennen.

Au Hasard Balthazar“ von Robert Bresson von 1966 ist ein weiterer  Film, den er ausgewählt hat. Balthazar ist ein Esel, dessen Lebens- und Leidenszeit und Sterbensgeschichte im Film erzählt wird. Dazwischen wird von den Menschen erzählt, die seinen Weg kreuzen. „Dieser Film ist wahrhaftig die Welt in anderthalb Stunden.“ (Zitat aus dem Kinoprogramm (März 2018).

Bresson ist für Haneke ‚das‘ Vorbild schlechthin, das „gegen jegliche Form der Lüge, insbesondere gegen jede Form des ästhetischen Betrugs“ ist […] sie führt zu einer Reinheit der erzählerischen Mittel, die in der Filmgeschichte ihresgleichen sucht.“ (Zitat aus seinem Beitrag “Schrecken und Utopie der Form- Bressons Au hasard Balthazar“ im Buch „Michael Haneke – Nahaufnahme – Alexander Verlag Berlin 2017)

Haneke, der Ohrenmensch, wie er sich nennt, hält das Ohr für das wichtigste Sinnesorgan, er hat nur einen einzigen neueren Film ausgewählt: „Nader und Simin – eine Trennung “(2011) des Iraners Asghar Farhadi, der 2011 nach seinem Film „Alles über Elly“ (2009) erneut auf der 61.Berlinale ausgezeichnet wurde. Es ist die Geschichte eines Paares, das sich nach 14 Jahren scheiden lassen will, es aber nicht darf.

Michael Haneke wurde am 15. März in Frankfurt lebhaft gefeiert.

Am kommenden Samstag läuft im Kino des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt ein weiterer iranischer Film „Wo ist das Haus meines Freundes“ (1987) von Abbas Kiarostami. Er erzählt eine kleine Geschichte aus dem Blickwinkel eines Jungen und gibt „ tiefe Einblicke in die Gesellschaft und die Alltagsbewältigung im ländlichen Iran.“ (Programmheft)

Samstag wird außerdem  „Die Artisten in der Zirkuskuppel: Ratlos“ von Alexander Kluge vorgeführt.

 

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