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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

GROSSE OPER – VIEL THEATER? Diskussion um die Städtischen Bühnen Frankfurt

Frankfurter Bühnen-Träume: präsentiert und diskutiert

Sehenswerte Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum – produktive Podien

Von Uwe Kammann

Alle, die wissen wollen, wie es mit der Theaterdoppelanlage – so das Bürokratendeutsch – in Frankfurt weitergehen soll, haben seit dem Wochenende einen Pflichttermin: die Ausstellung „Große Oper – viel Theater?“. Hierfür hat das Deutsche Architekturmuseum (DAM) neben dem im Mittelpunkt präsentierten Frankfurter Haus achtzehn Theater-, Oper- und Konzerthäuser in Europa mit Fotos und Schaubildern ausgewählt, die als Beispiele dienen können, wenn es um die Frage geht: Wie können solche Bauten heute aussehen, wie lassen sich bestehende Einrichtungen sanieren, welche Akzente können sie in der Stadtentwicklung und im Stadtgefüge setzen?

DAM: Andrea Jürges, Stellvertretende Leiterin des Architekturmuseums und neben Yorck Förster Kuratorin der Ausstellung „Große Oper – viel Theater? Bühnenbauten im europäischen Vergleich“, Foto: Petra Kammann

DAM-Direktor Peter Cochola Schmal schränkte zwar ein, man dürfe hier nicht die berühmten Äpfel mit Birnen oder gar Melonen verwechseln. Aber gleichwohl zeigt die Ausstellung in klarer Struktur und mit vorbildlichem Zahlenmaterial, dass es sehr wohl um die Kraft des Vergleichens geht: eben, um das jeweils Spezifische herauszustellen, um zu sehen, welche Elemente und Strategien an ihrem jeweiligen Ort zu herausragenden Bauten führen. Und wie, andererseits, Fehler und Fehlplanungen zu besichtigen sind, die sich im aktuellen Fall vermeiden lassen.

Blick in die Ausstellung des DAM: die Bühnenräume für Schauspiel und Oper in Frankfurt, Foto: Petra Kammann

Der aktuelle Fall – die Sanierung der Frankfurter Theater- und Oper-Anlage am Willy-Brandt-Platz oder aber ein Neubau dieser zentralen Kultureinrichtungen – ist, das wurde bei der Vorstellung der Ausstellung betont, in Deutschland einmalig. Denn das Frankfurter Haus übertrifft in der Größe und der inneren Komplexität alle anderen Theater. Und, zweitens, mit der im letzten Sommer vorgestellten Machbarkeitsstudie zu Sanierung oder Neubau des an vielen Stellen als marode eingeschätzten Gebäudes liegt eine Bestandsaufnehme inklusive verschiedener Kostenmodelle ein Instrument vor, das in dieser Form „einzigartig ist“, so Kulturdezernentin Ina Hartwig. Deshalb sei diese Studie auch keineswegs hinfällig, sondern eine brauchbare Grundlage für die nun anstehenden politischen Entscheidungen.

Ein Prozess, für den es bislang lediglich einen Markstein gibt: Die Koalition aus SPD, CDU und Grünen hat am 16. März beschlossen, vorrangig eine Sanierung prüfen zu lassen, mit der Maßgabe, die in der Studie veranschlagten gewaltigen Kosten von rund 900 Millionen Euro wesentlich zu senken. Auch der jetzige Standort wird, speziell von SPD und Grünen, favorisiert. Die anstehenden Prüfungen sollen möglichst bis zur Sommerpause abgeschlossen sein, externer Sachverstand soll dabei helfen.

Diskussion „Opern-und Theaterbauten – Erfahrungen aus anderen Städten“ im Chagall-Saal  – v.l.n.r.: Detlef Junkers, PFP Planung GmbH, Neues Kraftwerk Mitte Dresden; Jette Hopp, Snøhetta, Oper Oslo; Christoph Ingenhoven, inghoven architects, für die Sanierung Düsseldorfer Schauspielhaus; hr-Moderator Alf Mentzer, Foto: Petra Kammann

In dieser Logik ist es nur folgerichtig, dass das Kulturdezernat und das Architekturmuseum im großen Rahmen der komplexen Fragestellungen kooperieren und zwei wichtige Hilfestellungen sowohl für die interne als auch für die öffentliche Diskussion liefern: einmal mit der in kurzer Zeit realisierten Ausstellung, zum zweiten mit parallelen Diskussionsreihen, deren Podien mit Fachleuten aus allen Bereichen besetzt sind, die reiche Erfahrungen und Projektionen mit Theater und Oper vorweisen können – von Architekten über Theater-Praktiker bis in zu Theoretikern.

Hören aufmerksam zu: Kulturdezernentin Ina Hartwig und Schauspiel-Frankfurt-Intendant Anselm Weber, Foto: Petra Kammann

Gleich die Auftaktveranstaltung belegte nachdrücklich, wie wertvoll es ist, über den Tellerrand zu schauen, neue Blickwinkel zu erobern, sich vom gewohnten Bild zu trennen. So fiel das Echo einhellig aus: eine solche Diskussion kann die Augen öffnen – für viele anscheinend eine Überraschung.

Vor allem ein Referent erwies sich als Glücksfall: der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven, mit vielen Großprojekten auch international sehr erfolgreich, in Frankfurt mit dem Lufthansa Aviation Center bestens vertreten, in der breiten Öffentlichkeit mit Stuttgart 21 eher verschrien – in völliger Unkenntnis der hohen architektonischen Qualitäten des dortigen Bahnhofsumbaus.

Architekt Christoph Ingenhoven präsentiert die Umbaupläne des denkmalgeschützten Düsseldorfer Schauspielhauses von Bernhard Pfau, Foto: Petra Kammann

Auf dem Podium im Chagall-Saal saß er nicht zuletzt, weil er derzeit mit der Sanierung des Düsseldorfer Schauspielhauses betraut ist, eine allerdings ungleich kleinere Bauaufgabe als in Frankfurt. Denn das denkmalgeschützte Schauspielhaus von Bernhard Pfau hat dort nur ein Fünftel der hiesigen Flächen, und nach der Sanierung der technischen Anlagen und der Säle in einem ersten Abschnitt geht es jetzt um Fassade und Dach sowie die öffentlichen Bereiche wie Foyers und Zugänge. Das finanzielle Volumen dieser Maßnahmen: rund 50 Millionen, also weit entfernt von der Frankfurter Schreckenssume.

Auch der Umbau eines Industriegebäudes in Dresden zu einem „Kulturkraftwerk“ mit vier Bühnen hat ganz andere Dimensionen, wie Detlef Junkers von PFP Planung erläuterte (übrigens dasselbe auch sonst mit Theaterbauten vertraute Büro, das die Frankfurter Machbarkeitsstudie erstellt hat). Dort betrug das Budget rund 120 Millionen. Diese Summe war von der Stadt streng gedeckelt, die Architekten arbeiteten im Auftrag eines Generalunternehmers. Wann immer, so Junkeres, an einer Stelle sich Kosten erhöhten, musste anderswo gespart werden – ein Mechanismus, der alles in allem zu einem guten Ergebnis geführt habe, auch wenn in der Folge nicht alle Architektenwünsche zu erfüllen waren.

DAM Oper Theater: Theater im Kraftwerk Mitte, Dresden/D – Außenansicht; Foto: Ralf Buscher 

Seine Erfahrungen mit dem Baumanagement im Rahmen klarer politischer Vorgaben waren für die Runde ebenso ergiebig wie die generellen Überlegungen, welche Jette Hopp als Eckpunkte des Konzepts der neuen Oper in Oslo vorstellte: Sie sollte eine Jedermann-Einrichtung werden, ein allgemein zugänglicher Ort, eine offene Stätte der Begegnung und vielfältiger Aktivitäten auch abseits der Bühnentermine. Und, ebenso wichtig: Diese Oper (vielleicht nicht ganz zufällig ein Geschenk eines Reeders, der dafür über 600 Millionen Euro lockermachte) sollte ein aufgelassenes Industrie- und Hafengebiet neu beleben, als Initialzündung – ganz nach dem in vielen Kulturkreisen bewundernd, neidisch oder auch abschätzig beäugten Bilbao-Effekt (bei dem ein spektakulärer Museums-Neubau eine fast tote Industriestadt revitalisierte).

DAM Oper Theater: Den Norske Opera & Ballett, Oslo/NO – Außenansicht; Foto: Jens Passoth 

Warum war nun der Auftritt Christoph Ingenhovens das erfrischendste, belebendste Element in der ersten der insgesamt sieben Frankfurter Diskussionsrunden? Vor allem, weil er mit großer Unbefangenheit sich dem Frankfurter Komplex näherte und für größtmögliche Offenheit plädierte. Dabei schonte er die Doppelanlagen-Vertrauten und -Liebhaber nicht: Von drei Seiten mache dieses große Haus „keinen Spaß“, auch die Vorderseite nicht unbedingt. Zur Neuen Mainzer Straße („das absolute Grauen“) sei das Haus ebenso wie sonst verschlossen, es gebe über das Erdgeschoss „null Beziehung“ zur Umgebung, von Strahlkraft keine Spur.

Insofern, so Ingenhoven, sei – auch im Falle einer Sanierung – unbedingt zu überlegen, welche Teile dieses in vielem zusammengestückelten Baus man behalten und herausstellen wolle, worauf zu verzichten sei, welches Gesamtbild man anstrebe, um die wünschenswerte Strahlkraft wiederzugewinnen. Dies sei eine ganz andere Situation als in Düsseldorf, wo das Schauspielhaus – eine in Bioformen schwingende Figur, die einen klaren Kontrast zum schlank aufragenden Dreischeiben-Hochaus setzt – eine Ikone sei, die niemand in Frage stelle. So dass es einen stadtgesellschaftlichen Aufschrei gegeben habe, als der Oberbürgermeister („vielleicht nur ein besonders listiger Trick?“) wegen des Sanierungsaufwands einen Abriss oder eine kommerzielle Umnutzung ins Spiel brachte.

DAM Oper Theater: Städtische Bühnen Frankfurt; Foto: Uwe Dettmar  

Eine der Schlussfolgerungen Ingenhovens für Frankfurt aus seiner Augenschau: Man müsse gar nicht alles neu machen, könne das Konglomerat weiter nutzen, dabei auch seine in dieser Form sichtbare Geschichte bewahren – ein Punkt, den Kulturdezernentin Ina Hartwig immer wieder intensiv ins Spiel bringt, indem sie an die prägende Zivilisationskraft und die ästhetische Erziehung, an das Freiheitsdenken und die gesellschaftliche Selbstvergewisserung erinnert, die mit dem Frankfurter Bau und seiner bewusst transparenten Fassade erinnert.

Aber auch dort, und darin lag die besondere Anregungskraft des Abends, muss nichts sakrosankt sein, bietet sich an, über die Gesamtfunktion des Gebäudes neu nachzudenken, über seine Potenziale auch tagsüber, über die Bezüge zum umgebenden öffentlichen Raum (derzeit: ein Trauerspiel), um die Kommunikationsversprechen, die in einer sicht- und spürbaren Öffnung liegen könnten.

Dass manche Stimmen aus dem Publikum forderten, nun über Perspektiven des Theaters schon im Zeitraum von fünfzig Jahren nachzudenken, ist sicherlich reiner Überschwang: Schon jetzt ist ja ein sich noch beschleunigender Wandel der Theater-Zielsetzungen und Dramaturgien zu konstatieren. Zukunftsprognosen sind da nicht einfach, aber auch darüber wird auf den weiteren Podien diskutiert werden, ganz so, wie es im letzten Herbst schon bei den 45. Römerberggesprächen unternommen wurde.

DAM Oper Theater: Düsseldorfer Schauspielhaus, Düsseldorf – Rendering; eingebunden in den neugestalteten Kö-Bogen 2,  Copyright: ingenhoven architects

Und noch eines vermittelte Ingenhoven mit überzeugender Intensität, unter Verweis auch auf die Großbeispiele des Versagens bei öffentlichen Bauten: Es müsse ein enges Management/Bauleitung mit ganz klaren Vorgaben installiert werden, mit bestmöglicher Vorplanung, ausgestattet mit deutlich konturierten Kompetenzen. Und, weiter: Wenn denn die Entscheidung gefallen sei, dann sei eines ganz wichtig: diese Entscheidung auf der Basis der bestmöglichen Planung auch schnell umzusetzen und entsprechend schnell zu bauen – sonst laufe noch schneller alles aus dem Ruder.

Im Foyer vor dem Chagall-Saal lag übrigens ein Buch aus, das ebenso allen zu empfehlen ist wie der Besuch der Beispiel-Ausstellung im Architekturmuseum. Erschienen ist es 2013, zum 50jährigen Jubiläum der Städtischen Bühnen. Sein Titel: „Ein Haus für das Theater“. Darin findet sich ein überaus lesenswerter Beitrag von Dieter Bartetzko, diesem so kenntnisreichen wie kritischen Begleiter der Frankfurter Stadtentwicklung, dessen Stimme heute so sehr fehlt. Und wie ist sein damalige Beitrag überschrieben? „Man will doch nur spielen. Die unendliche Baugeschichte der Städtischen Bühnen Frankfurt“.

Als Bartetzko ihn schrieb, war keinerlei Machbarkeitsstudie in Sicht, wohl aber war an vielen Punkten abzulesen, wie wechselvoll und zugleich zusammengestückelt die Geschichte dieses jetzigen Hauses am Willy-Brandt-Platz war und ist, eines Platzes, an dem 1902 ein ziemlich überladenes Theater ganz im Stil der damaligen Zeit eingeweiht wurde, in einem Verschnitt von Neorenaissance und aufscheinenden Jugendstilornamenten, ein Schauspielhaus, das den Krieg halbwegs überstand, aber dem immer pronocierten Frankfurter Fortschrittswillen im Weg stand und dann kurzerhand mit Restteilen überbaut wurde. 1963 dann Otto Apels große Geste, mit der 120 Meter langen Glasfront dem Doppelhaus von Oper und Schauspiel einen Schaukasten vorzusetzen, der mit den anderen drei Fassaden nur stotternd kommuniziert, der zu dem dann eigentlich nichts mehr passte – siehe Ingenhoven … Immer wieder kam etwas hinzu, so einst eine Art Wintergarteneingang für die Kammerspiele, dann, nach einem Brand, Anfang der 90er Jahre ein ganz neuer Operntrakt. Wieder knapp 20 Jahre später folgte zur Main-Seite hin ein neuer Werkstatttrakt, im Stahl-Fachwerksystem eine kleine Cousine des Berliner Hauptbahnhofs – nicht verwunderlich, weil gmp beide Architekturen entworfen haben.

Die Theater-Doppelanlage in der Ausstellung des DAM, Foto: Petra Kammann 

Manches der großen, innen und außen verschränkten Collage dieses übergroßen Hauses ist den Frankfurter sehr ans Herz gewachsen. So die im Foyer schwebenden goldenen Wollken des ungarischen Künstlers Zoltán Kemény, so das Chagall-Gemälde „Commedia dell’Arte“, Ende der 50er Jahre von der Stadt eigens in Auftrag gegeben.

Die Fassade selbst, so hebt Bartetzko hervor, habe ganz bewusst jegliche Repräsentation „verweigert“, unter dem vorkragenden Glasvorbau seien die Zugänge zu Oper und Schauspiel verschwunden. Die ursprünglich geplanten, auf die Portale zuführenden festlichen Baldachine (für die Oper halbrund, für das Schauspiel waagerecht) seien aus Verkehrsgründen gekappt worden.

Schauspiel Frankfurt – Hinweis am Ausgang, Foto: Petra Kammann 

Der Text, in dem solche heute vergessenen Punkte wiederbelebt werden, ist – vielleicht gerade oder wegen all’ der Merkwürdigkeiten und Unzulänglichkeiten der Baugeschichte und der jetzigen Gestalt – eine Art Liebeserklärung an dieses in vielen Punkten so hässliche, alles in allem geradezu übermächtige Gebilde einer Theatermaschine.

Aber vielleicht ist sie es deshalb wert, mit aller Sorgfalt behandelt und neu bedacht zu werden, um ihren Wert in allen Aspekten zu bewahren, zu betonen und in vielem erst zugänglich zu machen – und damit, ganz im Sinne Ingenhovens – etwas Kostbares wiederzugewinnen. Nämlich einen Ort, ein Gehäuse, ein Haus, das für eine ganz besondere Frankfurter Tradition steht: des offenen Denkens, der Aufklärung, des Prozesshaften, der Verfertigung – in Gedanken, in Worten, in Taten.

Vielleicht/hoffentlich findet sich ein Architekt, der dafür die Goldene Hand hat. Wenn das gelingt, sind auch einige Taler mehr gut angelegt.

Die Ausstellung, die bis zum 13. Mai geht, wird begleitet von einem Blog:

www.grosseoper-vieltheater.de

 

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