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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Stille Post“ im Museum für Kommunikation Frankfurt

Herlinde Koelbls faszinierende Fotografien über das Hören und Verstehen – Intime Momente des Flüsterns und Lauschens

Von Hans-Bernd Heier

Der Ausstellungs-Flyer; © Museum für Kommunikation Frankfurt

Der Klassiker „Stille Post“ weckt bei vielen Erinnerungen an die eigene Kindheit: Stille Post, auch „Flüsterpost“ genannt, ist ein bekanntes Kinderspiel, aber auch ein beliebter Party-Gag, der stets für heitere Stimmung sorgt. Die Regeln sind einfach: Eine erdachte Nachricht oder oft nur ein kompliziertes Wort wird von einem Mitspieler an den nächsten flüsternd weitergegeben und der letzte spricht laut aus, was er verstanden hat. Der häufige Effekt dabei: Die ursprüngliche Nachricht wird zunehmend verfälscht, Worte und Botschaften verwandeln sich, die Sprache driftet bisweilen ins Unsinnige ab. Je größer die Abweichung von dem Ursprungswort bzw. der Ausgangsnachricht ist, desto größer das Staunen und der Lacherfolg bei den Beteiligten.

Dieses amüsante Spiel verdeutlicht, wie Kommunikation funktioniert und vermittelt zugleich, wie Missverständnisse und Gerüchte, aber auch wie Verständnis und Nähe entstehen. Nach dem Prinzip „Hören, Verstehen, Weitersagen“ erfolgt die Kommunikation weltweit – ob zwischen Alt oder Jung, Schwarz oder Weiß, Mann oder Frau. Mit ihrem Fotoprojekt „Stille Post“ im Museum für Kommunikation Frankfurt wirft Herlinde Koelbl einen speziellen Blick auf das Konzept dieses Kommunikationsspiels. Sie hat die intimen Momente des Flüsterns und Lauschens mit ihrer Kamera festgehalten, aber dabei diesen Prozess von seiner verbalen Komponente gelöst und auf eine rein nonverbale Ebene, auf eine „Seh-Ebene“, gehoben. Ihre 25 großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien sind bis zum 2. April 2018 in der Forumsausstellung zu bewundern.

Die renommierte Fotokünstlerin hat für die Aufnahmen-Serie 28 ungleiche Paare im Studio zusammengebracht – Frauen, Männer und Kinder aus 16 Nationen, fünf verschiedenen Kontinenten und jeden Alters – darunter auch Prominente wie die Schauspielerin Sunnyi Melles, den Barbesitzer Charles Schumann oder die Moderatorin Amelie Fried. Sie alle flüstern einander Botschaften zu. „Der Betrachter weiß nicht, was die Abgebildeten sich sagen. Das gibt Raum für Fantasie“, sagt Museumsdirektor Dr. Helmut Gold. „Auch wenn uns als Beobachtende der Inhalt verborgen bleibt: Die in den Fotografien dokumentierten Begegnungen offenbaren Nähe und Vertrauen, das Sprachbarrieren überwindet, kulturelle Unterschiede aufhebt und eine Kette des Verstehens bildet“. Es ist ein geschickter Appell gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

Museumsdirektor Dr. Helmut Gold und Herlinde Koelbl erläutern bei der Pressekonferenz das Ausstellungskonzept; Foto: Hans-Bernd Heier

Die großartige Foto-Serie veranschaulicht, wie sich zunächst wildfremde Menschen über das Zuhören und Weitergeben des Gehörten plötzlich nahe kommen und miteinander in engen Kontakt treten. Beim Flüstern, Lauschen, Kichern oder Nachdenken über die Botschaft bauen sie eine Beziehung auf und überwinden die gegenseitige Fremdheit ein Stück weit. Alle Teilnehmer sind zweimal zu sehen: einmal im Halbprofil, wenn sie flüstern. Danach werden sie als Zuhörer im Vollporträt gezeigt. „Beim Fotografieren war es für mich interessant, zu sehen, wie sich manchmal der Gesichtsausdruck veränderte, wenn sich die Menschen vom ,Zugeflüsterten‘ zum Flüsterer verwandelten. Denn einmal waren sie passiv, dann aktiv“, schildert Koelbl diesen Prozess. Die Idee hinter ihrem Projekt sei die Redewendung „Dem anderen ein Ohr schenken“. Das setze Neugierde und Empathie voraus. „Wir erlauben dem anderen, uns sehr nahe zu kommen. Wir schenken dem andren etwas, aber der andere schenkt uns auch etwas“, erläutert die Fotografin.

Blick in die Ausstellung, Foto: © Museum für Kommunikation Frankfurt

Die Ausstellung ist so konzipiert, dass die Hängung der Bilder den Eindruck erweckt, dass nur eine geflüsterte Botschaft vom ersten Flüsterer bis zum letzten Empfänger weitergegeben wurde. Doch das war bei den Foto-Sitzungen nicht der Fall. Die Fotokünstlerin hat es den Beteiligten selbst überlassen, was sie ihrem Gegenüber ins Ohr wispern wollten. Das sollte auch das Geheimnis der Beiden bleiben. Denn Herlinde Koelbl ging es in erster Linie darum, den ganz besonderen Moment der Annäherung einzufangen – den Moment, in dem die Scheu vor „dem Fremden“ fällt und in dem plötzlich Nähe entsteht, die sich bei jedem anders äußert. In den Blicken der Abgebildeten lassen sich deutlich die verschiedenen Aspekte der emotionalen Reaktion ablesen: Konzentration, Neugierde, Skepsis, Ernst oder pure Freude. Spannend ist auch zu beobachten, wie sich die Gesichter verändern, wenn aus dem „Beflüsterten“ ein „Flüsternder“ wird.

Die Bilderserie ist vor rund zehn Jahren entstanden als ein Beitrag gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus für den Münchner Verein „Lichterkette e.V.“, der seit 1992 Aktionen gegen Fremdenhass und für Völkerverständigung initiiert.

Herlinde Koelbl, 1939 in Lindau geboren, ist seit rund 40 Jahren als Fotografin und Dokumentarfilmerin tätig. Erst 1976 kam die Modedesignerin als Autodidaktin zur Fotografie. Die vierfache Mutter arbeitete unter anderem für renommierte Zeitschriften und Zeitungen wie Stern, Die Zeit und New York Times und ist seit Ende der 80er Jahren eine der in Deutschland  vielfach diskutierten Fotografinnen. In der Fachwelt hat sie sich mit ihren groß angelegten Zyklen – häufig zu in der Gesellschaft tabuisierten Themen – im In- und Ausland einen Namen gemacht. Ihre beeindruckenden künstlerischen Arbeiten über deutsche Wohnzimmer, mächtige Persönlichkeiten und starke Frauen waren in zahllosen Einzelausstellungen in der ganzen Welt zu sehen. Bemerkenswert ist ebenfalls Koelbls preisgekröntes Werk „Jüdische Porträts“ von 1989, die auch im Jüdischen Museum Frankfurt ausgestellt waren. Das Museum für Kommunikation Frankfurt präsentierte Ende 2005 die einfühlsame Schau „Schlafzimmer / Wohnzimmer“. Mit dieser Fotoserie beleuchtete die für ihr Werk vielfach ausgezeichnete Herlinde Koelbl sehr behutsam die Privatsphäre in den verschiedenen Kulturkreisen und gab Einblicke in die unterschiedlichen Lebensweisen.

Ihr bislang größtes Projekt ist eine Langzeitstudie, für die sie von 1991 bis 1998 jährlich 15 Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft fotografierte und interviewte. Unter dem Titel „Spuren der Macht – Die Verwandlung des Menschen durch das Amt“ erschien 1999 ein Bildband mit Interviews, der unter anderem die Veränderung von Joschka Fischer, Gerhard Schröder, Angela Merkel, Frank Schirrmacher, Renate Schmidt, Monika Hohlmeier und Irmgard Schwaetzer darstellt. Parallel dazu drehte sie einen Dokumentarfilm, der auch im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Im Berliner Martin-Gropius-Bau war 2009 ihre bislang größte Ausstellung zu sehen, die unter dem Titel „Herlinde Koelbl Fotografien 1976–2009“ rund 450 teilweise unveröffentlichte Fotografien aus dreißig Jahren versammelte.

„Stille Post. Ein Fotoprojekt von Herlinde Koelbl“ bis zum 2. April 2018 im Museum für Kommunikation Frankfurt; weitere Informationen unter: www.mfk-frankurt.de

 

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