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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

AUFGELESEN: Eine kleine Kulturgeschichte des Alltags

DAS KLEINE GLÜCK

von Inge Sauer

Die Autorin erfreut sich und die Leser an den kleinen Dingen des Lebens. Das größte Glück für die schreibende Grafikerin ist der Fund von Bildern in alten Zeitschriften, auf Verpackungen, Postkarten oder Büchern, die uns zum Träumen bringen. Jedes Bild erzählt seine Geschichte, die des Findens ist eine andere…

Die Bühne

Oha, da stolpern wir mitten herein in eine sehr intime Szene im Wohnzimmer von – natürlich, das kann nur sein Wohnzimmer sein. Oder ist es doch sein Büro? Das Büro eines Chefs? Wir sehen die Schrankwand, die offenbar nicht ganz fertig eingerichtet ist, dafür aber den Blick auf repräsentative Teak- oder Palisanderrückwände freigibt. Hat er wirklich nur so wenige Bücher? Die meisten hat der Bertelsmann Lesering für ihn ausgesucht, damit braucht er sich nicht selbst aufzuhalten. Ein paar nie geöffnete Bändchen hat er wohl geerbt – vermutlich ein Teil der Goethe-Gesamtausgabe – die andere gingen an seine Geschwister. Interessanter ist allerdings, was sich hinter der – im Moment leicht geöffneten – Schiebetür verbirgt: ein Fläschchen Sekt, eine (handbemalte) Flasche Obstler (vielleicht aus dem Schwarzwald mitgebracht), zwei Flaschen Likör, im darüberliegenden Fach sind ein paar Cognacschwenker zu sehen. Zum Glück enthält diese praktische Schrankwand auch Türchen, die sich herunterklappen lassen, so dass man den Cocktailmixer, die Cognacflasche und notfalls auch die Gläser dort abstellen kann. Das ist im Moment nicht nötig, denn er und sie halten sie in der Hand.

Die Akteure

Er genießt seinen Feierabend, hat aber seinen korrekten tintenblauen Anzug mit zu kurzen Hosenbeinen und weißem Einstecktüchlein noch nicht abgelegt. Sein silbergraues, mit Brisk gewelltes Haar verrät sein fortgeschrittenes Alter, die Hornbrille und der Siegelring seine Bedeutung – vermutlich eine leitende Position. Solche Mannsbilder galten in den fünziger Jahren als Alternative zu den hübschen jungen Männern, die der Krieg dahingerafft hatte, als attraktiv. Sie: eine graziöse, zierliche Person mit dunklem, perfekt frisiertem Haar, elegantem Cocktailkleid in silbergrauem Taft und hochhackigen Sandalen. Falls sie es mit der Nähmaschine nach einem Burda-Schnittmuster selbst genäht haben sollte, sollte er sich ins Zeug legen, denn dann ist sie nicht nur hübsch sondern auch tüchtig. Aber welcher gewichtige Anlass rechtfertigt eine derart extravagante, türkisfarbene Schärpe knapp unter dem Busen mit riesigen Bändern am Rücken? Glücklich aber verschämt blickt sie auf ihr Glas, während er ihr – aus der durch seine imposante Größe gegebenen Höhe – geradewegs in die Augen blickt.

Die Choreografie

Das Interessanteste an diesem Foto, das dank der Inititative von Königs Postkartenverlag als surreales Meisterwerk nun bereits zum dritten Mal den Weg in meinen Briefkasten gefunden hat, ist die eigenwillige Choreografie. Wie es den Beiden gelingt, mit Gläsern in der Hand – und er dazu noch mit einer Zigarette – eine Art Tanz aufzuführen, ist bewundernswert. Mit eigenartig verdrehten Füßen verharren sie in einer Bewegung, in der sie augenblicklich umfallen müssten, die aber in den Fünfziger Jahren als besonders elegant gedeutet wurde. Bewunderswert ist die parallele Faltenbildung in seinem weiten Hosenbein, das beim Hochrutschen den Blick auf eine graue Socke freigibt, während sie mit schräg vorgestelltem Füßchen auch vermutlich nicht mehr als ein Glas Cognac verkraften kann, ohne ins Schwanken zu kommen. Die Antwort auf die Frage, wie dieser Abend endet und um welche Situation es sich handelt, bleibt uns leider versagt, aber er scheint sich seiner Sache sicher zu sein. Nur: was hat diese Szene mit Energieversorgung zu tun, für die sie 1960 als Werbung eingesetzt wurde? Der Fotograf, Ludwig Windstosser, wird sich etwas dabei gedacht haben. Beleuchten und Fotografieren konnte er jedenfalls nicht. Die Beleuchtung mit zwei Scheinwerfern ist ebenso hilflos wie die Komposition: den unruhigsten Hintergrund arrangiert er hinter das Durcheinander von Händen, Gläsern und Zigaretten, dabei liegt sein Gesicht, – was vielleicht auch besser ist – im Schatten. Vermutlich ist Energie hier im übertragenen Sinne zu verstehen: Noch einen Cognac und….

 

 

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