Parsifal an der Metropolitan Opera
Ritter in der Krise
Von Simone Hamm / New York
Während des Präludiums von Wagners „Parsifal“ sind Männer und Frauen hinter einem Gazevorhnag zu sehen, die auf Stühlen in einem Theaterraum sitzen. Sie schauen uns an. Für einen Moment glaubt man fast, in einen Spiegel zu schauen. Die Männer stehen auf und ziehen ganz langsam ihre Socken, ihre Schuhe, ihre Schlipse und ihre Jacketts aus. Sie bilden einen Kreis. Sie sind die Ritter des Gral. Eine langsame, großartige Choreografie der Choristen und der Tänzer. Die Zuschauer sind gebannt, ergriffen.
Klaus Florian Vogt in der Titelrolle und René Pape als Gurnemanz in Wagners „Parsifal.“ Photo: Ken Howard/Metropolitan Opera
Alles ist düster und grau. Kein Baum, kein Strauch. Die Frauen auf der dunklen Bühne sind ganz in Schwarz gekleidet. Es ist ein post apokalyptisches Setting, das François Girard hier inszeniert hat: Verzweiflung. Hoffnungslosigkeit.
Ein Flussbett teilt zwei schmutzig graue Hügel. Noch dümpelt schwarzes Wasser, bald wird der Fluß rot von Blut sein. Im Hintergrund sehen wir riesige Videos von dunklen Wolken, wirbelnden Nebeln, glänzendem Schnee, fernen Planeten.
Jetzt erheben sich auch die Frauen, streichen sich die schwarzen Schleier aus dem Gesicht. Von der alterslosen Kundry einmal abgesehen, die Amfortas, den Träger der Graskrone, erst verführt hat und die ihm jetzt heilige Kräuter bringt, bleiben die Frauen in Parsifal meist als verführerische Blumenmädchen in Erinnerung. Doch in dieser Produktion haben sie eine tragende Rolle: sie sind fast immer da, schweigend, beobachtend, abwartend, jederzeit bereit, den Rittern zu helfen, wenn diese es zulassen.
Evelyn Herlitzius als Kundry in Wagners „Parsifal“ , Photo: Ken Howard/Metropolitan Opera
Dieser „Parsifal“ trifft mitten ins Herz,. Da ist kein Heldenmythos mehr – nur Traurigkeit. Die Ritter befinden sich in einer tiefen Krise. Amfortas, dessen Wunde nicht heilen will, fühlt sich schuldig, weil er sich einst von der sündigen Kundry hat verführen lassen. Dabei hatte er – wie seine Gralsbrüder – ein Keuschheitsgelübde abgelegt. Deshalb ist der Speer, von dem er getroffen wurde, der Speer, von dem die Brüder sich ewiges Leben erhofften, in die Hände von Klingsor gelangt. Nur ein „reiner Tor“ kann Amfortas von seinen Qualen erlösen und den Speer zurückbringen. Dieser „reine Tor“ ist Parsifal, der nicht weiß, wer er ist und woher er kommt.
Die Streicher beginnen das Präludium so langsam, dass es fast schon wagemutig anmutet. Lange scheinen sie zu zaudern, dann öffnete sich der Raum, sie werden lauter, strahlend. Ein unglaublicher Effekt, den der Dirigent Yannick Nézet-Séguin erzielt. Ritter Gurnemanz Liedzeile „Zum Raum wird hier die Zeit“ ist zum Greifen nah.
Der zweite Akt spielt im Schloß von Klingsor. Jungen Frauen mit langem schwarten Haar in weißen Kleidern sollen Parsifal davon abhalten, den Speer zurück zu erobern. Sie stellen im nach. Doch der Reigen ist nur auf dem allerersten Blick ein Spiel. Die Frauen waten in Blut. Wenn sie sich niederbeugen, und mit dem Saum ihrer Kleider mit diesem Blut in Berührung kommen, färben sich die Kleider rot. Langsam kriecht die Farbe höher, saugen die Kleider sich voll. Auch der Himmel ist jetzt blutrot.
Die Musik wird fast scharf. Das wirkt spannend und gefährlich.
Klaus Florian Voigt interpretierte den reinen jungen Helden Parsifal mit großer Verve, kräftig und energisch. René Papas Bass war dunkel und imposant, er gab den erfahrenen Ritter Gurnemanz. Peter Mattei war der im zweifach verletzte Amfortas , schuldig, gebrochen verwundet – und drückte jede dieser Empfindungen mit seiner Stimme aus. Evelyn Herlitzius verlieh der mystischen Kundry eine erdhafte Intensität.
Yannick Nézet-Séguin leitet das Orchester der Met mit Wagners „Parsifal.“ Photo: Ken Howard / Met Opera
Die Metropolitan Opera kann sich glücklich schätzen, der Kandier Yannick Nézet-Séguin, der designierte Musikdirekter wird jetzt schon zwei Jahre früher als geplant, in der kommenden Spielzeit an die MET kommen. Da ist viel zu erwarten.