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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Boom for Real“ – Große Basquiat-Retrospektive in der Schirn

Basquiat: Downtown Manhattans wilder Maler, Dichter, Musiker, DJ und Performer

Von Petra Kammann

Der einstige Jungstar der New Yorker Kunstszene, Jean-Michel Basquiat, 1960 als Sohn eines haitianischen Vaters und einer puertoricanischen Mutter in Brooklyn geboren, wuchs inmitten der Post-Punk-Szene in Lower Manhattan auf und starb mit 27 Jahren an einer Überdosis Heroin. Die Ausstellung in der Frankfurter Schirn „Basquiat. Boom for Real“ zu seinem dreißigsten Todestag einen umfassenden Einblick in sein Gesamtwerk mit um die 100 Gemälden, Objekten, seltenen Filmen und Fotografien, mit Musik und Archivmaterial aus privaten und öffentlichen Sammlungen. Voller Verve malte der ruhelose Basquiat auf Postkarten, Kühlschränke, Wände, Leinwände oder Türen seine Bilder: eine wilde Mischung aus comicähnlichen Figuren, Satzfetzen, Chiffren und Piktogrammen. Die Abgründe des hinterlassenen Werks mit geheimnisvollen Chiffren des afroamerikanischen Künstlers spiegeln das raue Leben auf den Straßen New Yorks der 70er und 80er wider – eine Welt voller Lärm, Gewalt, Rassismus, Kapitalismus und ständiger Reizüberflutung. Bis heute wirken seine getaggten, remixten und gesampelten Arbeiten so brisant und frisch wie einst. 

Roland Hagenberg, Basquiat, Painting with cigarette, New York 1983, Pigment Print, 100 x 70 cm Ed.12 + 4 AP, Foto von der Galerie – Peter – Sillem zur Verfügung gestellt

Die achtziger Jahre in New York waren pulsierend, provozierend und legendär. Die New Yorker Subway galt als einer der gefährlichsten Orte, als „No-go-Area“. Kriminalität und Drogenkonsum waren an der Tagesordnung. Viele hatten Angst, weil man dort auf Halbstarke mit Messern und Irre mit Baseballschlägern treffen konnte. Jugendliche nutzten die U-Bahn, um sich mitzuteilen – durch Schriftzeichen oder ihren rhythmisierten Sprechgesang. Nicht nur U-Bahn-Stationen, auch Hauseingänge, kaputte Autos und Straßen dienten Sprayern und Graffiti-Künstlers damals als Kulisse. Brodelnde Stadtteile wie Harlem und die Bronx waren aber nicht nur ein Hort des Grauens, der Spekulation und des Vandalismus. Aus den abgewrackten und seelenlosen Betonwänden entstanden bunte Stadttapeten, die den Optimismus der Kreativen schürten.

Für etliche von ihnen löste die gefährliche raue Umgebung wohl eine Art Kick aus und ermunterte sie, dort Graffitis als Spuren und Zeichen des Protestes zu hinterlassen. Damals wurden auch ganz neue Musikstile geboren, die tsunamiartige populäre Bewegungen auslösten: Rap, Hip-Hop, Break-Dance – wild, wütend, voller Energie und sozialer Aussagekraft. Aus den ehemaligen Discoklassikern entstanden neue, unter die Haut gehende Beats, und die Straße wurde zu einer Art Spiel- und Tanzstätte, auf der so mancher Jugendlicher mit Akrobatik sein Taschengeld verdiente.

In diesem Umfeld begann dann auch Ende der 1970er Jahre Jean-Michels Basquiats (1960-1988) Karriere. Gemeinsam mit seinem Schulfreund Al Diaz hinterließ der damals 16-Jährige, der Schule und Familie verlassen hatte, unter dem Tag SAMO© poetische und politische Graffiti an Häuserwänden und U-Bahnen in SoHo und der Lower East Side, die sie schnell bekannt machten. Mit der „Street Art“ war aber auch schon 1978 Schluss. Da sehen wir auf einem Foto in der Schirn in großen Lettern „SAMO©IS DEAD“. Wohlgemerkt selbstbewusst mit Copyright-Zeichen.

„Die Ausstellung setzt an diesem Punkt an, macht die Vitalität und Vielseitigkeit des gesamten Werks sichtbar und erzählt von den zahlreichen Einflüssen“, sagt Schirn-Direktor Philipp Demandt. Häufig werde der kulturelle Kontext, in dem diese herausragenden Werke entstanden, unterschlagen. Basquiat sei darüberhinaus auch gierig auf Informationen gewesen und habe die Kultur in einer kaum vorstellbaren Breite und Geschwindigkeit konsumiert,  „um die für ihn relevanten Daten wie ein DJ zu sampeln, neu zu mischen und in Kunstwerke zu übersetzen. Gesellschaftliche, politische wie auch kunsthistorische Themen fließen auf der Leinwand, dem Papier oder in der Skulptur ineinander und münden in einem Mix, der die Grenzen der Disziplinen und die der eigenen Identität auflöst.“

Schirn-Direktor Philipp Demandt im Interview in der Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Ja, die Suche nach seiner Identität, die ließ Basquiat nicht los. Jean-Michel war gerade mal 20 Jahre alt, als Ende 1980, Anfang 1981 ein folgenreiches Videostill aus Downtown 81, einem selbst gedrehten Film mit dem Arbeitstitel „New York Beat“ entstand. Da steht er lächelnd vor einer nackten Betonwand, auf die in großen Majuskeln „BOOM FOR REAL“ gesprayt ist. Basquiat spielte sich in diesem Video im Wesentlichen selbst: als einen Künstler, der auf der Suche nach einer künstlerischen Identität ist. Zwar hatte er anfangs auf Holz gescribbelt, weil es nichts kostete, auf den Türen und Fenstern der Lower East Side zu arbeiten. Aber er wollte sich weder als Street-Art-Künstler noch als Graffiti-Künstler begreifen. Später, als ihn eine Galerie nahm, hat er dann begonnen, auf Leinwand zu malen, Motive auszuschneiden und zu pasten.

Die Künstlerin Jennifer Stein kam als „Zeitzeugin“ nach Frankfurt. Basquiat lernte sie 1979 auf der Canal Zone Party kennen; Foto: Petra Kammann

Jennifer Stein war eine Schülerin von Peskett und hatte die Arbeiten von SAMO˝ verfolgt  – und war begeistert, als Basquiat immer häufiger in Pesketts Loft vorbeikam. Die beiden wurden bald zu engen Freunden, sie hatten eine gemeinsame Sprache mit den gleichen Bezugspunkten und dem gleichen absurden Humor. Stein hatte bereits an einer Reihe von Baseball-Sammelkarten gearbeitet, die sie mit Korrekturflüssigkeit überarbeitete. Auch sie sind in einem Kasten in der Schirn zu sehen. Da Basquiat  ein begeisterter Baseball-Fan war, signierte er manche seiner Arbeiten mit „Aaron“ – eine Hommage an den Feldspieler der Major League Hank Aaron.

Fortan colla­gierte er Base­ball- und Post­kar­ten, malte auf Klei­dung, Türen, Möbel, riesi­ge Lein­wän­de und auf alles, dessen er habhaft werden konnte. Zunächst bot er seine selbst produzierten Postcards für kleines Geld an, wurde aber schon im Laufe eines Jahres damit reich. 1979 bot er sie in SoHo dem Popartisten Andy Warhol zum Kauf an, ab 1984 kam es schon zu den ersten regelmäßigen Gemeinschaftsarbeiten, vom Kräftemessen – auf dem Bildschirm zu sehen – einmal abgesehen. Neben Basquiats Malereien und Zeichnungen entstanden in der Zwischenzeit Gedichte, Performances, Musik, Kopier- und Objektkunst in ungeheurer Fülle. Aus der Zusammenarbeit in den Jahren 1984 und 1985 zeigt die Schirn u. a. die beiden so unterschiedlichen Auffassungen von Basquiat und Warhol in den beiden Arbeiten im Vergleich „Arm and Hammer II“ (1984) sowie das Doppelporträt Dos Cabezas (1982), das Basquiat unmittelbar nach der ersten Begegnung mit Warhol anfertigte.

In einem Interview aus dem Jahre 1987 mit Dunlop und Nairne spricht Basquiat über seine künstlerische Entwicklung: „Damals war ich einfach jemand, der zeichnen konnte, aber seither hat sich meine Vorstellung verändert … Heute ist ein Künstler für mich etwas viel Breiteres…. Ich bin nie an einer Kunstschule gewesen, und in der Schule bin ich im Kunstunterricht immer durchgefallen. Ich habe einfach geschaut … Ich glaube, so habe ich etwas über Kunst gelernt – indem ich sie mir angeschaut habe… Als ich jünger war, habe ich mir Pop-Art angesehen …Am meisten habe ich mir Dada angesehen…. in Büchern und Museen“.  Der ruhelose Macher habe Bilder malen wollen, die anders waren als die Bilder, die er damals häufig sah, sehr direkte, unmittelbare Bilder, „damit die meisten Menschen spüren, welche Gefühle dahinterstehen, wenn sie sie betrachten.“ Er erzählt, wie er sich selbst herausforderte und zunächst Nachtclubs besuchte, um die Stimmung dort in sich aufzunehmen.

Was ihn umgab, saugte er auf und verwandelte es, unermüdlich schaffend, auf seine Art. Sein baldiger Aufstieg war kometenhaft und er entwickelte sich schon bald zum internationalen Star – ungewöhnlich genug für einen jungen Künstler ohne formale Ausbildung, der zudem gegen die rassistischen Vorurteile seiner Zeit ankämpfte. Er hatte den Speech „I have a dream“ des schwarzen Anführers Martin Luther King, eine der wichtigsten Ansprachen für Arbeitsplätze, Freiheit und Gleichheit, speziell für die afroamerikanische Bevölkerung der USA, verinnerlicht.

Bekannt wurde er für seine grellen Porträts bis hin zu den fast reduzierten Porträts schattenrissähnlicher Selbstporträts mit den schwarzen stilisierten Dreadlocks. Mit Zeichenstift und Ölkreide hat er fast tanzend und mit wilden Übermalungen und Streichungen in den Collagen seinen Widerstand gegen Rassismus und Kapitalismus aufs Bild gebracht. Er wollte damit wohl auch auf die Identität der afroamerikanischen unterdrückten Bevölkerung aufmerksam machen.

„Ich glaube, Schwarze sind froh, dass sie in meinen Gemälden repräsentiert und wahrgenommen werden. Schwarze werden nie realistisch dargestellt in … nicht mal dargestellt werden sie genug in der modernen Kunst, und ich bin froh, dass ich das machen kann. Das ,Schwarze‘ ist mein Protagonist, weil ich schwarz bin, und deshalb verwende ich es als Hauptfigur in meinen Gemälden“, sagte er in dem oben zitierten Interview.

 In dem Film „New York Beat“ spielte er mit Blondies Sängerin Debbie Harry und trat zusammen mit seiner experimentellen Band Gray auf. Er entwickelte Wandbilder und Installationen für New Yorker Clubs wie zum Beispiel Area und Palladium. Und er produzierte gemeinsam mit K-Rob und Rammellzee die Hip-Hop-Platte Beat Bop. Aus dieser sich im Lower Manhattan versammelnden Kreativszene des Post-Punk-Undergrounds heraus eroberte sich Basquiat einen Platz in der anerkannten Kunstwelt und erhielt 1982 als bis dahin jüngster Teilnehmer in der Geschichte der documenta 7 in Kassel auch internationale Anerkennung.

Foto-Ausstellung der Galerie—Peter—Sillem, „Basquiat im Atelier“ und „Artists in New York“ des Fotografen Roland Hagenberg, der (hier mit Mütze) eigens aus Japan zur Vernissage anreiste

Da nahm er auf Einladung von Rudi Fuchs als jüngster von 176 Künstlern teil und stellte dort Acque Pericolose (Poison Oasis) und Arroz con Pollo aus. Seine Arbeiten hingen ebenbürtig nun neben den Werken von Avantgarde-Künstlern wie Joseph Beuys, Anselm Kiefer, A. R. Penck, Gerhard Richter und Cy Twombly. Auch eine Reihe von arrivierten Künstlern aus New York war damals dort vertreten wie Keith Haring, Jenny Holzer, Barbara Kruger, Matt Mullican, Lee Quinones, Martha Rosler, David Salle, Cindy Sherman und Andy Warhol. Aber Basquiat war nun mal der jüngste.

Ein Bild von der damaligen New Yorker Künstlerszene, in der Basquiat ganz selbstbewusst verkehrte, kann man sich ganz in der Nähe der Schirn machen in einer zusätzlichen Foto-Ausstellung „Basquiat im Atelier“ von Roland Hagenberg, in der Fahrgasse bei MARIA, organisiert von der Galerie – Peter – Sillem. Sie gibt in konzentrierter Form und lebendigen Schwarz-Weiß-Fotos nicht nur ein eindrückliches Bild von Basquiats Atelier, das der Fotograf 1983 aufsuchte, sondern zeigt auch das Umfeld der Protagonisten der damaligen arrivierten New Yorker Kunstwelt wie Keith Haring in seinem Atelier, Andy Warhol in seiner Factory, Jenny Holzer, Louise Bourgeois, Annie Leibovitz, Julian Schnabel im Pyjama, Francesco Clemente mit dem Flug eines Vogels in seinem Atelier und dann liebevoll mit Tochter Chiara und andere mehr. Vintage-Prints auf Barytpapier sowie eine Leinenkassette als Künstlerbuch sind in der Galerie sogar zu erwerben.

In Basquiats Atelier kann man auf den Fotos sehen, wie er sich mit Unmengen an Quellenmaterial umgab: Leinwänden, Töpfen, aufgeschlagenen am Boden liegenden Büchern, Fernsehern, Mikrofonen, Aufnahmegeräten. Das ständig eingeschaltete TV-Gerät ließ ihn zweifellos ebensowenig zur Ruhe kommen wie die Musik aus dem Radiorekorder („boom box“) – was seinem Slogan „boom for real“ entsprach – oder wie sein Drogenkonsum, von dem er sich auf der Suche nach seiner schwarzen Identität auf einer Reise nach Afrika befreien wollte. No way. Auch dort fand er seine Ruhe nicht.

In der Schirn stoßen wir auf weiteres Material wie auf Kunstgeschichten und Enzyklopädien, aus denen sich seine Inspirationen nährten. Seine starken frechen Picasso-Porträts und auch seine übermalte Mona Lisa von Leonardo zeugen davon, wie wie souverän und unmittelbar er auf die vorgegebene künstlerische Wirklichkeiten reagierte. Und dass er alles gleichzeitig mit seinen Sinnen aufsog und verwandelnd verarbeitete.

Die Ausstellung nimmt die verschiedenartigen Anspielungen und Rückbezüge auf: Sie reichen von frühen Kinofilmen bis zu der von schwarzen Musikern geprägten Geschichte des Jazz, mit denen er sich auseinandersetzte. Der Autor Glenn O’Brien schrieb nach Basquiats Tod im Jahr 1988: „Er verschlang jedes Bild, jedes Wort, jedes bisschen Information, das vor ihm auftauchte, und verarbeitete all das zu einem kubistischen Bebop-Popart-Cartoon-Gospel. Die Informationsflut, mit der wir lebten, verwandelte sich so in etwas, das einen verblüffend neuen Sinn ergab.“

Der an einer Überdosis Heroin so jung gestorbene Basquiat mit den wilden Dreadlocks auf seinen Selbstporträts und sein vielgestaltiges Werk sind inzwischen zur Legende geworden. Häufig stehen seine Gemälde heute in großräumigen schicken Unternehmen. In seinen Arbeiten gehen die gesellschaftlichen, politischen und kunsthistorischen Themen eine verblüffende Symbiose ein.

BASQUIAT. BOOM FOR REAL, Crown im Frankfurter Stadtbild, (Aktion), © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2018, Foto: Neven Allgeier

Die schlichten dreigezackten Kronen, die der autodidaktische Vollblutkünstler Basquiat auf vielen seiner Bilder verewigt hat, findet man derweil auch in der Frankfurter Innenstadt auf diversen Papierkörben wieder. Der Strich jedoch, der hat nicht dieselbe Power.

Weitere Infos: 

Die Ausstellung des Barbican Centre, London in Kooperation mit der Schirn Kunsthalle Frankfurt  wurde von Dr. Dieter Buchhart und Eleanor Nairne, Barbican Art Gallery, London kuratiert. Der KATALOG „Basquiat. Boom for Real“ wurde herausgegeben von Dieter Buchhart und Eleanor Nairne mit Lotte Johnson. Mit einem Vorwort von Philipp Demandt und Essays von Dieter Buchhart, Eleanor Nairne, Christian Campbell, Carlo McCormick, Glenn O’Brien, Francesco Martinelli und Jordana Moore Saggese; außerdem mit umfassendem Archiv- und Fotomaterial, zum Teil erstmalig veröffentlicht. Deutsche und englische Ausgabe, je 296 Seiten, 312 Abbildungen, 28 x 24 cm (Hochformat), Hardcover; Gestaltung: A Practice for Everyday Life; Prestel Verlag, München, ISBN 978-3-7913-6752-1 (deutsche Museumsausgabe), ISBN 978-3-7913-5636-5 (englische Ausgabe), ca. 35 € (Schirn), 49,95 € (deutscher Buchhandelspreis).

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