Eribons „Rückkehr nach Reims“ als „Returning to Reims“ in New York
GEMISCHTE GEFÜHLE
Die Berliner Schaubühne gibt ein dreiwöchiges Gastspiel in New York: „Returning to Reims“ . Das Stück basiert auf dem Text des französischen Schriftstellers Didier Eribon „Rückkehr nach Reims“(edition suhrkamp). Inszeniert von Thomas Ostermeier in englischer Sprache.
Von Simone Hamm, New York
Die Berliner Schaubühne gibt ein dreiwöchiges Gastspiel in in New York. „Returning to Reims“. Aufgeführt wird es in der wohl derzeit schönsten Speisestätte in New York, einem alten Lagerhaus in Brooklyn, dem St. Ann’s warehouse.
Returning to Reims in St. Ann’s Warehouse in New York, Nina Hoss und Bush Moukarzei im Tonstudio, Foto: Teddy Wolff (St.Ann’s Warehouse)
Die großartige Nina Hoss ist eine Sprecherin, die einen Dokumentarfilm synchronisiert. Im Hintergrund ist ein altmodisches Tonstudio zu sehen, ein Techniker, der Regisseur.
Der Film, der synchronisiert wird, läuft im Hintergrund der Bühne. Didier Eribon ist zurück nach Hause, nachdem sein Vater gestorben ist. Zurückgekehrt nach Reims. Jahrzehntelang ist er nicht mehr hier gewesen. Diese Rückkehr ist nicht leicht für ihn. Immer noch dieselben gesichtslosen kleinen Häuser, ein Parkplatz. Neu ist allenfalls ein IKEA Markt. Alles könnte hier und genauso irgendwo anders sein. Es ist austauschbar.
Eribon ist in extremer Armut aufgewachsen. Als junger Mann hatte er das Elternhaus verlassen, weil er unter der Homophobie des Vaters gelitten hatte. In Paris, so glaubte er, könne er seine Homosexualität freier ausleben. Doch als er dort lebt, findet er langsam heraus, dass er nicht nur vor der homophoben Umgebung geflohen ist. Er wollte auch seiner Klasse entfliehen.
Jetzt sitzt er wieder bei seiner Mutter am Tisch. Sie betrachten Fotos. Und er merkt, dass er in ein völlig verändertes Land zurückgekehrt ist: Arbeiter wählen stramm rechts, denn es gibt in ihrem (Arbeits-)Leben keine Sicherheit mehr. Neoliberale Kräfte haben sie davon überzeugt, dass es allein ihre Schuld ist, wenn sie versagen. So wie sie allein aus ihrer Kraft heraus den Aufstieg hätten schaffen können. Das erinnert doch sehr an den „American Dream“.
Reflektionen über die politische Situation in Frankreich, Foto: Teddy Wolff (St.Ann’s Warehouse)
Die Synchronsprecherin und der Regisseur (Bush Moukarzel) beginnen zu diskutieren. Wie ist es möglich, dass die Arbeiter für die extreme Rechte stimmen? Eribons Antwort ist, dass sie sich verlassen fühlen von Sozialisten und Kommunisten.
Bis hierhin war der Abend spannend: Philosophische und politische Gedanken statt Gefühle. Das ist auf amerikanischen Bühnen sehr selten zu sehen. Gerade die Distanz, welche die Synchronsprecherin zur literarischen Vorlage und dem Dokumentarfilm hatte, machte sie zu einer aufmerksamen Leserin, die kluge Fragen stellte.
Aber dann änderte sich die Geschichte. Nina Hoss erzählte ihre eigenen Geschichte. Von ihrem 2003 verstorbenen Vater Willi Hoss. Gewerkschafter, Kommunist, später Mitbegründer der grünen Partei und Parlamentsabgeordneter. Er trat aus der Partei aus, als sie dem Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan zustimmte. Fortan setzte er sich für den Erhalt des Regenwaldes in Brasilien ein. Filmausschnitte: Hoss mit Rudi Dutschke, Hoss in Südafrika, wo er gegen das Apartheidssystem demonstriert, die kleine Nina Hoss mit ihrem Vater im Urwald.
Oben: Ausschnitt von Nina und Willi Hoss‘ Reise zum Amazonas/Brasilien; unten: Nina Hoss, Bush Moukarzei und Soundingeneur Ali Gadema; Foto:Teddy Wolff (St.Ann’s Warehouse)
Soll wohl heißen, so etwas wäre auch möglich gewesen für die französischen Arbeiter statt Front National zu wählen. Zurück bleibt ein Unbehagen. Solange Nina Hoss distanziert Erbibons Geschichte vorgetragen hat, war sie einfach großartig. Als diese Distanz endet, endet auch ein herausragender Theaterabend.
Das amerikanische Publikum schien begeistert von Nina Hoss. Doch der Applaus für das Stück war sehr verhalten. In Brooklyn glaubt man wohl immer noch an den American Dream…