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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Verleihung des German Design Award auf der „Ambiente“ in Frankfurt

ALLES GOLD?

Die große Spanne der vergebenen Preise

Von Petra Kammann

Der German Design Award zeichnet alljährlich einzigartige Gestaltungstrends aus dem Produkt- und Kommunikationsdesign aus, die in der internationalen Designlandschaft auf ihre Art wegweisend sind. Die Preisverleihung fand auch in diesem Jahr wieder auf der international größten Konsumgütermesse „Ambiente“ in Frankfurt statt. Jil Sander erhielt den Preis für ihr Lebenswerk. „Wer JIL SANDER trägt, ist nicht modisch, sondern modern“, lautete deren Credo. Was sie auf den verschiedensten Gebieten geschaffen hat, ist so markant, dass es im Gedächtnis haften bleibt.

Matthias Wagner K, Direktor des Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main, hielt die Laudatio auf Jil Sander

„Die Hütte ist voll“, verkündete freudestrahlend Detlef Braun, Mitglied der Geschäftsführung der Messe Frankfurt GmbH, in seiner Begrüßungsrede anlässlich der Preisverleihung des German Design Award. Kein Wunder, war doch bei 4400 Ausstellern in Frankfurt bis auf den letzten Quadratmeter komplett alles ausgebucht. Aber was wäre schon eine leere Messe, gäbe es keine Kreativen mit Zukunftsvisionen?

Bei der Menge der von der Jury ausgewählten Finalisten unter den Designern fällt es allerdings schwer, vor lauter Bäumen den Wald zu finden, denn die Zahl der Einreichungen von Produkten und Projekten zum German Design Award kam nicht nur aus 56 Ländern, sie überschritt in diesem Jahr erstmalig die 5.000er Marke. Also ein durchaus erfolgreiches Unternehmen, könnte man sagen. Der Preis ist begehrt. Eine international zusammengestellte Jury aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gestaltung wählte insgesamt 45 Gold-Auszeichnungen in 49 Kategorien aus.

Alle Gewinner des German Design Award 2018

Aber die Modedesignerin Jil Sander, deretwegen auch zahlreiche Besucher zur Preisverleihung erschienen waren, weil sie auf der „Ambiente“ in diesem Jahr  den „Personality Award“, also die Auszeichnung für ihr Lebenswerk, entgegennehmen sollte, war leider persönlich nicht da.

Sie sei kurzfristig erkrankt, hieß es. Korrekt und hanseatisch hatte die Hamburger Designerin aber eine Botschaft geschickt, welche Moderatorin Julia Bauer dann auch verlas, was natürlich nicht dasselbe ist, weswegen etliche Besucher/innen dann auch leicht enttäuscht den Saal verließen.

v.l.n.r.: Jil Sander  Kampagnen: Kosmetikkampagne: Sander for Men, 1999, Frühling-Sommer 2005, Herbst-Winter 2013/2014, Model: Edie Campbell 

Vielleicht aber hätte die Veranstaltung auch gar nicht zur Philosophie des puristischen Minimalismus von Jil Sander gepasst, mit der die konsequente Gestalterin vor 50 Jahren bereits ihre erste eigene Damenkollektion entwarf.

Seither stehen ihre Entwürfe in den verschiedensten Bereichen konsequent für einen reduzierten Stil mit geradlinigen Schnitten aus hochwertigsten Materialien und somit für eine Mode, die ihrer Trägerin Selbstbewusstsein, Kraft und Selbstverständlichkeit verleiht. Die Jury hatte es schon richtig formuliert: „Jil Sander ist eine jener wenigen Gestalterinnen, die ihrer Zeit immer weit voraus war. In ihrer Arbeit sind Design und Kunst untrennbar miteinander verbunden. Ihre Gestaltungshaltung ist radikal und konsequent, ihre Kollektionen sind minimalistisch, klar und zeitlos modern – losgelöst von jeglichen Trends. Wohl deshalb ist sie zu jener Ikone geworden, die über jeden zeitgeistigen Wandel erhaben bleibt.“

Jeder, der das noch nicht mitbekommen hat, kann sich im Museum Angewandte Kunst noch bis zum 6. Mai 2018 davon selbst überzeugen. So lange nämlich läuft noch die Ausstellung „Jil Sander Präsens“. Wegen der funktionalen und ästhetischen Stringenz ihrer Kreationen unterstützte wohl auch der renommierte Rat für Formgebung die Schau im Frankfurter Museum; weltweit ist es die erste Werkausstellung der Gestalterin, die sich zeitlebens immer treu blieb.

Jil Sander entwarf auch Mobiliar für ihre Showrooms wie 2000 in Mailand (hier im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt inszeniert), Foto: Petra Kammann

Stattdessen hielt dann Matthias Wagner K, Direktor des Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main, die Laudatio auf Jil Sander und beschrieb die Arbeitsfelder, die sie gestaltet und in welche sie neue ganzheitliche Gestaltungsansätze eingebracht hat: in die Architektur, das Interieur- und Klangdesign, die Modefotografie, die Duft-, Kosmetik- und Pflegeserien, in Accessoires wie Taschen, Schuhe und Brillen, in das Kommunikationsdesign, in die Gartengestaltung, in die Architektur der Konzeptstores, in die Kunst – vor allem der italienischen Arte povera – und nicht zuletzt in ihren Unternehmensaufbau und die Konzernleitung – es gebe nichts, an das Jil Sander nicht Hand angelegt und das sie nicht mit aller Konsequenz durchgezogen hätte.

Jil Sanders durch den italienischen Künstler Alighiero e Boetti inspirierte Kollektion, zu sehen im Museum Angewandte Kunst, Foto: Petra Kammann

Stets sei es auch immer wieder das Material gewesen, dem Jil Sanders ganze Aufmerksamkeit gegolten habe. Materialien und Handwerkstechniken, die es in Europa noch nicht gab, habe sie erst erfunden oder an weit entfernten Orten in der Welt aufgespürt. So habe sie mit avantgardistischen Hightech-Gewebe aus Japan und mit italienischen Produzenten an der Entwicklung von neuen Stoffen mit skulpturaler Formbarkeit gearbeitet.

Und auch als Unternehmerin sei sie erfolgreich mit ihrer „Marke“ umgegangen, habe ihre GmbH 1989 doch in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und ihr Unternehmen an die Frankfurter Börse geführt.

Nachdem ihre Marke an das italienische Unternehmen Prada übergegangen war, sei sie dorthin als Kreativdirektorin zurückgekehrt, wo sie sich durch die Kunst des 1994 verstorbenen italienischen Künstlers Alighiero e Boetti habe inspirieren lassen. Aus seiner Werkserie „Tutto“ – von afghanischen Frauen angefertigte, farbige Stickereien mit Hunderten aneinander gefügten Motiven aus der Alltagswelt – wurden bei Jil Sander serielle Drucke, die 2014 in ihrer Frühjahrskollektion in umgewandelter Form wieder auftauchten.

Klangkünstler, Komponist und DJ Efdemin verwandelte zusätzlich den Raum; Foto: Petra Kammann

Immer wieder wurde in den Reden und Begleitkommentaren während der Verleihungsfeier darauf hingewiesen, dass der Markenwert nachhaltig wirtschaftlich erfolgreicher werde, wenn ein durchgehendes Design strategisch eingesetzt und kommuniziert würde. Das zu begleiten, das internationale Designgeschehen zu beobachten, zu analysieren und zu bewerten, ist seit der Gründung des Rat für Formgebung im Jahre 1953 auch eine seiner zentralen Aufgaben. Andrej Kupetz, dessen heutiger Hauptgeschäftsführer, erläuterte auch den nützlichen Vorteil dieser Vorgehensweise: „Die jährlichen Preisträger stehen nicht nur beispielhaft für den wirtschaftlichen und kulturellen Wert herausragender Gestaltung, sondern bieten auch Orientierung und repräsentieren aktuelle Themen und Gestaltungsrichtungen“.

Dabei zeichnet sich aktuell ein Trend zur Digitalisierung und Robotorisierung von Produkten ab, wohl, weil das auch immer stärker in unseren Lebensalltag eingedrungen sind, was plausiblerweise entsprechende Produkte nach sich zieht. Unmöglich jedoch, die Menge der häufig auch technisch hochkomplexen Erfindungen kurz vorzustellen. Die Aufeinanderfolge der ausgewählten Produkte und ihrer Produktgestalter auf der Preisverleihung gibt zwar einen interessanten Überblick der aktuellen Situation, wirkte jedoch durch die Fülle des Gebotenen auf den Zuschauer im dunklen Raum auch etwas ermüdend. Hier wäre weniger vielleicht mehr gewesen und hätte zur besseren Orientierung beigetragen. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch die in sich durchaus spannende audiovisuelle „Begleitmusik“ mit einem Spektakel aus galaktischem Licht und teils zarten, teils harten rhythmischen Klängen des DJ, Klangkünstlers und Komponisten Efdemin.

Newcomer Finalisten 2018: Fynn Scheewe, Philipp Weber, Laura Görs, Julian Sommer, Mandolin Maidt, Andreas Göbel, Dirk Schrod (Vice President Products & Services Design der Deutschen Telekom AG), Andrej Kupetz (Hauptgeschäftsführer des Rat für Formgebung)

Umso erfrischender, vielleicht auch konzentrierter, geriet dann die Verleihung des „Newcomer Award“ für die herausragenden Nachwuchsdesigner. An dem Wettbewerb sind junge Designerinnen und Designer aller Gestaltungsdisziplinen, die von deutschen Designhochschulen vorgeschlagen werden, angehalten, teilzunehmen. Die Auszeichnungen sollen die jungen Gestalter in der Phase nach ihrer Ausbildung nachhaltig unterstützen und fördern. Aus den 132 Nominierungen wurden fünf Finalisten ausgewählt. Auf der Preisverleihung wurde dann ein Gewinner mit der Auszeichnung „Newcomer 2018“ gekürt, dotiert mit ganzen 15.000 Euro, während die übrigen Finalisten  jeweils „nur“ 2.500 Euro erhielten, was – unabhängig von der Aufmerksamkeit – aber auch kein schlechtes Startkapital ist.

Philipp Weber, Newcomer 2018,  Andrej Kupetz ,Hauptgeschäftsführer des Rat für Formgebung, Dirk Schrod,Vice President Products & Services Design der Deutschen Telekom AG

Philipp Weber wurde der diesjährige Gewinner unter den Finalisten. Er spürte interessanterweise einer alten Handwerkstradition – der Glasbläserei sowie der Instrumentenherstellung – nach. Vermutlich ist der Wunsch nach Authentizität, den Dingen wieder näher zu sein,  im fortschreitend digitalen Alltag um ein Vielfaches gewachsen. Philipp Weber, der ein Design-Studium an der Design Academy Eindhoven in den Niederlanden abgeschlossen hat, beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit dem Wert von Produktionsprozessen und ging der Frage nach, in welcher Beziehung wir zu den Materialien stehen, die uns umgeben. So eröffnen seine Arbeiten neue Perspektiven auf die Herstellungsprozesse und ergründen deren Bedeutung für unsere Gesellschaft.

„A Strange Symphony“ heißt sein Projekt, eine Allegorie von der Beziehung zwischen Glas und Musik, das sehr schnellKarriere machte. Es gewann 2013 schon den „New Talent Award“ des internationalen Berliner Design Festivals DMY und 2014 den Bayerischen Staatspreis für Nachwuchsdesigner. Bereits 2015 wurde „A Strange Symphony“ sogar in die Sammlung des Shanghai Museum of Glass aufgenommen, was dem jungen Designer eine große internationale Aufmerksamkeit bescherte, gleich ob in Italien, Frankreich, den Niederlanden, Tschechien, Dubai oder China, wo es  ausgestellt wurde. 2015 wurde Weber außerdem von der Australian National University in Canberra für ein siebenwöchiges Research-Projekt eingeladen.

Ein wertiges Projekt, das den Menschen nicht nur als Maschine sieht, stattdessen an unser Urbedürfnis und dem Wunsch nach archaischen Erfahrungen im Umgang mit der Materie wie mit Hitze und Feuer in der Glasbläserei appelliert, vielleicht auch, das der Sehnsucht nach neuen gelungenen Symphonien entspricht, wenn die Musik, die darin steckt, von feingliedrigen Instrumenten auch aufgegriffen wird. Die Sehnsüchte nach dem Ursprüngen alles Tuns bleiben trotz aller virtuellen Erfahrungen eben immer noch lebendig.

 

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