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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

DAM-Architekturpreis 2018: An der Spitze geht es ums Mitmachen der Genossenschaftler

Das große Spektrum

DAM PREIS 2018 – Die 25 besten Bauten in/aus Deutschland Eine Ausstellung des Deutschen Arichtekturmuseums bis zum 6. Mai 2018

Von Uwe Kammann

WagnisART, München, Architektur bogevischs buero mit SHAG Schindler Hable Architekten, Fotograf: Julia Knop 

An Architekturpreisen mangelt es nicht, weder in Deutschland noch international. Wer die Liste durchgeht, sieht schnell: Nicht wenige dieser Auszeichnungen sind an spezielle Interessen gebunden. Seien es solche der einschlägigen Industrie, seien es solche des Berufsstandes selbst, der – ganz den föderalen Strukturen hierzulande folgend – in Verbänden und Kammern organisiert ist. Und der an der Spitze den großen BDA-Preis vergibt, sprich: Damit zeichnet der Bund Deutscher Architekten herausragende Persönlichkeiten für ihre Leistungen in Architektur und Städtebau aus.

Das Deutsche Architekturmuseum sieht sich mit seinem seit 2007 vergebenen Preis unter dem Siegel DAM in einer ganz eigenen, unabhängigen Position, die es auch nicht aufgeben will. Zwar könnten die Architekturkammern, so DAM-Direktor Peter Cachula Schmal, jeweils drei Vorschläge für den jährlichen Wettbewerb des Museums machen, doch darauf beschränke sich die Mitwirkung. Die Jury arbeite in der Methodik sehr gründlich und recherchiere bei der Beurteilung der von ihr benannten vier Finalisten noch einmal mit eigener Anschauung vor Ort – ein Gesamtaufwand mit dem Ziel, „dass uns nichts durchgeht“ und tatsächlich die beispielhaften Höhepunkte des aktuellen Bauens in Deutschland hervorgehoben werden könnten.

Ein Prozess, zu dem zwei Stufen gehören: Zuerst nominiert das DAM in eigener Kompetenz 100 besondere Bauten, danach verengt eine Expertenjury diese so genannte „Longlist“ auf eine „Shortlist“ der „25 besten Bauten in/aus Deutschland“ – wie sie aktuell in der gleichnamigen Ausstellung im Architekturmuseum in Modellen und Fotos gezeigt werden (noch bis 6. Mai). 23 der Jury-Favoriten sind dabei in Deutschland zu finden, zwei Beispiele zeigen bemerkenswerte Auslandsprojekte von deutschen Architekturbüros.

Leicht ist beim Rundgang durch die Ausstellung und auch beim erweiterten Buch- und Internet-Blick auf die insgesamt 100 Bauten der Auswahl zu sehen: Es geht den Initiatoren und den Juroren um ein großes Spektrum der Möglichkeiten, um ein Spektrum, das einen weiten Fächer von Bauaufgaben abdeckt und aufzeigt – von Wohnbauten über Kulturhäuser und Geschäfts- und Bürobauten bis hin zu Bildungseinrichtungen und Sporthallen. Folglich zählt nicht unbedingt der große Auftritt und strahlende Glanz, um zu den 25 Auserwählten zu gehören, sondern es wird der Blick ebenso auf Unspektakuläres und Bescheidenes gerichtet, vorausgesetzt, damit sind hervorragende architektonische Qualitäten verbunden.

Die Hamburger Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron erhielt eine besondere Erwähnung, Foto: Petra Kammann

Das unbestritten spektakulärste und prominenteste Objekt für den diesjährigen Preis – die im vergangenen Jahr eröffnete Elbphilharmonie in Hamburg – haben die Veranstalter „ganz bewusst“, wie es heißt, aus der Konkurrenz genommen. Und in der Tat: Dieser in alle Richtungen vieldiskutierte Bau, der in einer ganz eigenen Liga spielt, hätte die Vergleichsmaßstäbe gesprengt. So wird sein ohne Zweifel herausragender Rang (wie immer das individuelle Urteil ausfällt) mit einer Besonderen Erwähnung bedacht. Zu der auch eine ungemein aufschlussreiche Beschreibung und Einordnung dieses Ausnahmehauses gehört, in einem sehr lebendigen Text, den der Doyen der hiesigen Architekturkritiker, Wolfgang Pehnt, für das den DAM-Preis begleitende Jahrbuch verfasst hat.

Anders als die hochfliegende Philharmonie, die den ganzen Hamburger Hafen zu beherrschen scheint, ist die mit dem diesjährigen DAM-Preis ausgezeichnete Wohnanlage wagnisART alles andere als auftrumpfend oder, nimmt man die architektonische Gestalt und die ja in vorderer Linie mitsprechenden Fassaden, auch nur speziell hervorstechend. Was die Jury besonders beeindruckt hat, sind vielmehr die kommunikativen und auf Partizipation ausgerichteten Qualitäten der um zwei Höfe gruppierten fünf Baukörper. Die nicht nur Platz bieten für 138 Wohnungen, sondern die zugleich ein Mischquartier bilden, mit Werkstätten, Büro, Gemeinschaftsräumen, Nähstube und Gäste-Appartements. Brücken auf einer zweiten Ebene der in sich unregelmäßigen Häuser sollen das Leben unter- und miteinander ebenso fördern wie gemeinsame Dachterrassen und zwei Dachgärten mit Gemüse- und Blumenbeeten. Auch ein größerer Veranstaltungsraum für das ganze Quartier gehört zum Projekt, ebenso ein Restaurant, das von einer Sozialgenossenschaft aus wagnisART-Bewohnern und Nachbarn getragen wird.

DAM-Direktor Peter Cachola Schmal erläutert die Werkstatt-Modelle des siegreichen Genossenschaftsprojektes, Foto: Petra Kammann

Der damit überall aufscheinende Gedanke der Mischung in jeglicher Form – von Generationenklammern über die Wohnkonzepte bis hin zu den Formen der Finanzierung (70 Prozent der Wohnung unterliegen zwei Förderungsstufen) und einer vielfältigen Nutzung – durchzieht das ganze Vorhaben, das insgesamt als Genossenschaftsmodell an- und aufgelegt wurde. DAM-Direktor Schmal ist überzeugt: An diesem Münchner Modell (am Rande Schwabings gelegen) werde sich künftig die weitere Entwicklung des deutschen Wohnungs- und Siedlungsbaus orientieren müssen. Ein frommer Wunsch, zumal in Frankfurt, wo solche Genossenschaftsmodelle zum Fremdwortschatz gehören? Und ein Modell, um das sich Architekten (hier: bogevischs buero in einer Münchner Arbeitsgemeinschaft mit SHAG Schindler Hable Architekte) auch anderswo reißen werden? Fragezeichen sind erlaubt.

Bei der Präsentation im Museum räumten die anwesenden Architekten des Projekts ein, dass die dort anzunehmende „neue Rolle“ – nämlich die unterschiedlichen Vorstellungen und Wünsche vieler Beteiligter zu moderieren und aufzunehmen, um sie dann in eine gemeinsame Form zu bringen – „schon schwierig“ sei. Doch im Laufe des Prozesses (zu dem Diskussions-Werkstätten gehörten, in denen die künftigen Nutzer ihre eigenen Ziele und Konstellationen artikulierten und modellierten), habe die eigene Lust zugenommen, auf dem Weg eines engen Dialogs zwischen den Bewohnern, also den Nicht-Professionellen, und den Architekten eine Form zu finden, welche das Ziel „Aneignung und Identifikation“ produktiv aufnehme. Sicher, man habe dabei viel Kontrolle abgegeben, sei allerdings in der Verantwortung geblieben. Architektonische Qualität und soziale Qualität im Prozess vieler Beteiligter unter einen Hut zu bringen, das könne, so klang es an, durchaus wie „Flöhe hüten“ anmuten, stoße natürlich auch Fragen an, ob und in welcher Form unter den Vorzeichen von Selbstermächtigung und offenen Aneignungsprozessen etwas hässlich werden könnte oder dürfte.

Neuer Hauptcampus Zeppelin Universitätas-if Architekten. Fotograf: Andreas Meichsner

Dieser offene, sich in der Gestaltung niederschlagende Prozess war beim diesjährigen Preis die Ausnahme, auch wenn ein anderer der vier Finalisten – der Hauptcampus der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen – für in sich offene Formen der Begegnung steht und insofern eine „vielstimmige Diskursarena“ und eine „Plattform des offenen Austausches“ sein will. Das Gebäude selbst (as-if Architekten) wird die meisten Betrachter zuerst als hochelegante Großform beeindrucken, geradezu exquisit einladend mit geschwungenen, großzügig in die Paneel-Fassade eingeschnittenen Glasfronten.

Wertstoff- und Straßenreinigungsdepot Augsburg, Knerer und Lang Architekten, Fotograf: Connolly Weber

Ganz anders wieder die plastisch gefaltete Gebäudezange für ein Wertstoff- und Straßenreinigungsdepot in Augsburg, ein Bau mit profanem Arbeitszweck, der aber für die Jury klar den Anspruch einer „Großplastik“ verkörpert und einlöst, mit einfachen Materialien (wie Holz und KS-Mauerwerk) gestaltet, dabei aber gerade deswegen raffiniert in seiner Gesamtqualität. Ob ein solches Bauwerk Schule machen kann, ob sich die Kommunen dieser Republik hier (Knerer und Lang Architekten) etwas abschauen können und wollen, um das sonst übliche grässliche Kisteneinerlei solcher Zweckbauten abzulösen? Schön wäre es, doch auch hier sind (leider!) erhebliche Zweifel erlaubt.

Bremer Landesbank, heute Tochterunternehmen der Nord LB, Bremen Caruso St John Architects, Fotograf: Hélène Binet

Das ist beim vierten Finalisten – dem neuen Hauptsitz der Bremer Landesbank – sicher anders. Dieses „Gewand höchster Qualität“ (Jury-Tenor) in einer ausdrucksstarken Backsteinbauweise (die dunkelgebrannten Einzelstücke lassen sich in der Ausstellung bewundern) könnte, natürlich in jeweils individueller Form, bei ähnlichen repräsentativen Aufgaben Schule machen. Sowohl wegen der sehr eigenständigen, geradezu expressiven Modulation der Fassade, als auch wegen der sofort wahrnehmbaren Bezüge zur unmittelbaren Umgebung, hier also des Rathauses und des Doms. Nichts dabei wirkt anbiedernd oder imitatorisch. Doch in der Gesamtgestalt sowie in jedem Detail zeigt das Büro Caruso St John Architects deutlich, wohin diese Bank-Vorzeigegeste gehört, in welche Tradition sie sich einordnet.

Keine schlechte Wahl also insgesamt an der Spitze (auch wenn der Hauptpreis sicher wegen der in vielen Punkten amorphen Gestaltung auch manche Kritik hervorrufen wird), und sicher gerade in der Mischung modellhaft, beispielgebend angelegt. Wer die übrigen Bauten – sowohl in der Gesamtzahl der 100 Nominierten als auch in der Konzentration auf die 25 für die Shortlist Ausgewählten – studiert, der wird vor allem zu dem Schluss kommen: Es gibt derzeit eine ausgesprochen große Vielfalt der Architektursprachen, und dies auch bei ähnlichen Bauaufgaben. Ganz einfache, ländlich orientierte Formen stehen neben hochraffinierten Interpretationen städtischer Musterformen und Typologien, wie bei Christoph Mäcklers elegantem Umbau eines prominent am Frankfurter Opernplatz gelegenen Geschäfts- und Bürohauses.

Ballsporthalle Heiming ARGE Ingenieurbüro Harald Fuchshuber / Almannai Fischer Architekten, Fotograf: Sebastian Schels / PK Odessa

Nicht wenige Architekten scheinen – Rückbesinnung? Nostalgie? Ironie? – die häusliche Urform des Satteldachs zu lieben oder wiederbeleben zu wollen (ob da auch der scheußliche Scheunenentwurf von Herzog & de Meuron für das Berliner Kulturforum seinen Ursprung hat?). Doch ebenso tritt hervor, dass Wohnhochhäuser als wichtiger Bestandteil neuer urbaner Konzepte mehr und mehr an Raum gewinnen, bei durchaus großem Spektrum in der inneren Organisation und der äußeren Gestalt. Deutlich wird an den gezeigten Projekten aber auch: Das sind keine Türme, die in die Kategorie des auch nur für die Mittelschicht bezahlbaren Wohnens fallen. Hier ist mehr zu investieren, um beim schon technisch anspruchsvollen Bauen auch äußere Klasse zu erreichen (wie bei den von Allmann Sattler Wappner entworfenen Wohnhochhäusern am Hirschgarten in München)

 

 

Haus Neiling II, Hoppenrade Peter Grundmann Fotograf: Peter Grundmann 

Gleichwohl, Geld ist nicht alles und schon lange nicht allein bestimmend, um an architektonischer Qualität den leider flächendeckenden (Unter-)Durchschnitt zu überragen. So gibt es kleine schlichte Holzbauten (wie bei einem Gemeinschaftsbau für Flüchtlinge) oder aber auch ein Beispiel, dass ein Kulturhaus wie das neue Konzertzentrum in Bochum keineswegs in die schwindelerregenden Kostenhöhen abdriften muss, wie sie mancherorts (von Hamburg über Köln und Berlin bis demnächst Frankfurt) üblich zu sein scheinen.

Wohnhochhaus AXIS, Frankfurt am Main Meixner Schlüter Wendt Architekten Fotograf: Christoph Kraneburg

Eine Frage drängt sich auf, wenn man vor der gepunkteten Karte mit den Tat- oder vielmehr Standorten der ausgezeichneten Bauten steht: Ist in den ostdeutschen Ländern wirklich so wenig an herausragender Qualität zu finden, wie es diese tabula rasa vermuten lässt? Sind die Schwerpunkte des besseren oder besten Bauens tatsächlich konzentriert auf Bayern, Baden-Württemberg, NRW und – ganz dicht diesmal – auf Hessens Metropole Frankfurt? Hier wäre noch Aufklärung, Anschauung und Begründung zu leisten. Vielleicht – ergänzend zu den nominierten Bauten – auf der ganz vorzüglichen Webseite, welche eben diese Bauten vorstellt: mit klaren Fotos, Lageplänen und Grundriss und jeweils einem einordnenden Text. Diese in Partnerschaft mit dem Technikunternehmen Jung gestaltete Seite unter dam-preis.de (die es auch für das Preisjahr 2017 gibt) soll die Basis bilden für ein sich ständige erweiterndes Archiv, das die Entwicklung guter Architektur in Deutschland und einiger ausgewählter Projekte deutscher Architekten im Ausland spiegelt.

Pierre Boulez Saal in der Barenboim-Said Akademie, Berlin Gehry Partner / Rw+ / Hg Merz Fotograf: Volker Kreidler 

Allerdings, das parallel zur Ausstellung erscheinende Deutsche Architektur Jahrbuch wird damit nicht überflüssig. Es ist, eben in klassischer Papierform und edel gebunden, ein schönes und dauerhaftes Kompendium der gebauten Umwelt. Und es bietet, über die Preis-Schau hinaus, einen bemerkenswerten Essay von Jörg Friedrich über den gegenwärtigen Boom beim Bau neuer Konzertsäle – mit der Pointe, dass wegen der neuen digitalen Möglichkeiten diese großartigen Philharmonien in drei Jahrzehnten sich in der Dimension überlebt haben könnten, so wie heute viele Kirchenräume.

Nun, das ist natürlich offen. Aber auch unter diesem Gesichtspunkt lohnt es sich, den Möglichkeiten des Hier und Jetzt am Beispiel der Elbphilharmonie nachzuspüren und über die schon erwähnte Kritik von Wolfgang Pehnt das eigene Urteilsvermögen zu schärfen. Und noch ein auf der Webseite und im Buch ausgiebig vorgeführter Bau ist wegen seiner schon per Bild atemberaubenden Schönheit mindestens hundert weitere Blicke wert: das von gmp Architekten gestaltete Büro- und Geschäftsgebäude am berühmten „Bund“ in Shanghai, der ehemals hochrepräsentativen Kolonial-Promenade am Ufer des Huangpu. Mehr sei hier nicht verraten oder unzureichend beschrieben. Ein solches Hochhaus-Ensemble in Frankfurt – und die staunenden Münder würden sich nicht mehr schließen.

 

 

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