Barbara und Michael Leisgens „Mimetische Landschaften 1971 – 1975“
LICHT-SPUREN UND LANDSCHAFTEN
Fiktive Bewegungen mit der Natur
Künstlertalk mit Michael Leisgen in der Galerie Strelow
von Petra Kammann
Es war „der erste Künstlertalk ohne Barbara“, sagte Heike Strelow, als sie in ihrer Galerie in der Schwedlerstraße mit Michael Leisgen ins Gespräch kam und ihn sowie die Arbeiten „Mimetische Landschaften“, Schwarz-weiß-Arbeiten des Künstlerduos aus den 1970er Jahren, vorstellte. Denn Barbara Leisgen – auch wesentlicher Bestandteil und Akteurin des gemeinsamen fotografischen Werks – ist im vergangenen Jahr gestorben. Ein Verlust, der doppelt zählen dürfte…
Michael Leisgen vor der Arbeit „Wolke“ von 1972, 80 x 120 cm, s/w Fotografie Silber Gelatine auf barytiertem Papier (Ilford FB) Auflage 3/3 Exemplaren, kaschiert auf Dibond, Holzrahmen seidenmatt Schwarz, Mirogard – Museumsglas, Foto: Petra Kammann
Seit 1970 war das Ehepaar als Fotografen-Duo in der Kunstszene aufgetreten, sie arbeiteten gemeinsam und stellten ausschließlich gemeinsam aus. Was ihre symbiotische Zusammenarbeit angeht, so sind die beiden vielleicht mit dem Künstlerduo Bernd & Hilla Becher, Begründer der Düsseldorfer Fotografenschule, vergleichbar. Obwohl deren Arbeiten – das fotografische Bewahren von Industrielandschaften – völlig anders angelegt ist.
Während die Bechers gewissermaßen den kühl „neutralen“ fotografischen Blick auf die sich verändernden Industrielandschaften warfen, rufen Leisgens Fotografien demgegenüber andere Assoziationen hervor, an poetische Werke oder sogar an das Tanztheater der Pina Bausch erinnernd, in deren legendären Choreographie des „Sacre du printemps“ (Torf-)Erde auf die Bühne gekippt wird, auf der die Tänzer und Tänzerinnen sich nach der rythmisch hämmernden Musik förmlich die Seele aus dem Leib tanzen.
Leisgens Ansatz war freilich noch ein anderer, einerseits erklärbar aus dem experimentellen Geist der damaligen Zeit und nicht zuletzt auf dem Hintergrund der speziellen Paar-Biografie.
Im symbolischen Umbruchjahr 1968 hatten Barbara und Michael Leisgen, die sich Ende der 1960er Jahre an der Karlsruher Staatlichen Akademie beim Studium der Malerei kennenlernten, geheiratet – für sie eine weitreichende Entscheidung, verbunden mit dem Wunsch, nicht nur zusammen zu leben, sondern auch zusammen zu arbeiten, was sie in aller Konsequenz und mit damit verbundenen Schwierigkeiten auch taten.
Die Fotografie hatte damals noch keinen Kunststatus und war als Fach auch eher an den Werkkunstschulen angesiedelt. Leisgens Lehrer waren zum Beispiel so bekannte Künstler wie Horst Antes oder Georg Meistermann, den Michael Leisgen seinerzeit aber als autoritär empfand. „Gerettet“ und ermuntert weiterzumachen, habe ihn dann an der Kunsthochschule vielmehr der Maler Fritz Klemm, Vater der berühmten Fotografin Barbara Klemm, der ihn verteidigte und sich für ihn einsetzte.
Als Paar versuchten Michael und Barbara Leisgen nach Beendigung ihres Studiums dann, ganz eigene Wege zu gehen, auf der Suche nach einem „dritten“ Medium, mit dem sie sich in aller Offenheit und Stringenz konzeptionell auch mit der Kunstgeschichte auseinandersetzen konnten. So näherten sie sich der Kleinbildfotografie, mit der sie experimentierten.
Barbara und Michael Leisgen, „Das Licht – der Mensch – die Welt“, 1975 Silver gelatin print, mounted on dibond, #2/3 of an edition of three, 80 × 120 cm, z.Z. Galerie Strelow
Im Gespräch mit Michael Leisgen zieht Heike Strelow Parallelen zu anderen Strömungen der Zeit, wie zu der LandArt, bei der das Thema Landschaft so in die Kunst dringt, dass alle konventionellen Rahmen gesprengt wurden wie etwa in den Arbeiten von Walter de Maria.
Doch anders als der amerikanische Künstler, der mit seinen Eingriffen in die Natur und deren Wechselwirkung mit dem Raum das Material „Erde“ aus dem ursprünglichen Zusammenhang weiträumig in einen neuen Kontext versetzte, wollten die Leisgens einen Beitrag zur experimentellen Fotografie und der Environment-Kunst leisten und sich mit dem Verhältnis von Mensch und Landschaft auseinandersetzen.
Dabei empfanden sie sich als europäisch geprägt. Fern erschien ihnen die Weite der amerikanischen Landschaften, die andere Künstler der Zeit so sehr faszinierten. In der Beschäftigung mit Caspar David Friedrich und Novalis suchten sie – ganz in der Tradition der deutschen Romantik – Landschaften auf, die an Endmoränen erinnerten, die Rheinauen am Oberrhein mit ihren Trauerweiden, die Hochmoore am Hohen Venn, wo sie oft tagelang so diszipliniert wie frei mit dem Licht, den Wolkenbildungen, der Atmosphäre und dem Landschaftspanorama herumexperimentieren konnten, um darin die flüchtigen Momente der Silhouette von Barbara Leisgen wie eine beweglichen Chiffre einzuschreiben bzw. diese auf den Zelluloidstreifen ihrer Kleinbildkamera zu bannen.
„25 Versuche über den Horizont zu springen, 1975“ Montage, 25 silver gelatin prints on baryta-coated Ilford Galerie FB paper.
Auch als Box Edition25 – limited edition box sets (40,7 x 31,6 x 3,2 cm) auf Deutsch, Französisch und Englisch, jeweils 10 × 15 cm, z.Z. Galerie Strelow
So entstanden konzeptionelle Serien, die das Verhältnis von Statik und Bewegung im geheimnisvollen Spiel von Licht und Schatten ausloteten. Doch gerade durch die Erforschung des experimentellen Zugang zur Landschaft und die Aufzeichnung einer natürlichen Spur mit dem zum Teil wegschwebenden Körper entwickelten sie eine ganz eigene fast archaisch wirkende Formensprache und außerdem eine individuelle Handschrift im Bereich der konzeptuellen Fotografie. Zugleich war es eine Reminiszenz an eine langsam untergehende Kultur von Naturschutzgebieten, man denke nur an die Bilder von Heckenlandschaften in Belgien, die mehr und mehr im Verschwinden begriffen sind.
Bei dem Experimentieren in der Natur, was sie nicht etwa als Flucht empfanden, sondern eher als Methode, eine Meta-Perspektive zu erlangen, erlebten sie vor allem ein ausgeprägtes Gefühl von Freiheit. Dies wird besonders sichtbar in „25 Versuche, über den Horizont zu springen“ aus dem Jahre 1975, die an den freien Flug des Vogels erinnern oder in der untergehenden „Wintersonne“ (1973), bei der die Frau durch ihre Geste die Sonne mit ihren Händen umschließt.
So machten sie durch ihr erstes großes gemeinsames fotografisches Thema „Mensch und Landschaft“ in besonderer Weise auf sich aufmerksam, einmal durch die immer kenntlicher werdende, markante Leisgen-Perspektive und durch ihre künstlerische Motivation, das Zeichenhafte im Alltäglichen zu finden.
Schon ihre erste Ausstellung 1974 in der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig in Aachen verschaffte ihnen Respekt in der aktuellen künstlerischen Szene. Der begleitend-kommentierende Katalog, den man in der Galerie Strelow einsehen kann, wirkt heute geradezu anrührend, noch ganz analog und wie aus der Zeit gefallen. Damals hatte man nämlich noch die Zeit, sich sowohl intensiv theoretisch als auch handwerklich mit einem Thema zu befassen.
Die unmittelbar folgende Teilnahme an der Biennale in Paris bedeutete dann für das Duo auch den Durchbruch. Schließlich nahmen sie 1977 an der documenta teil, womit ihnen entgültig die internationale Wahrnehmung sicher war. Sie galten als Mitbegründer der eigenständigen Kunstgattung der Lichtkunst.
Heute sind ihre Arbeiten in den bedeutendsten Museen Europas zu finden, etwa im Centre Pompidou, in den Kunstsammlungen der verschiedenen zeitgenössischen FRAC-Sammlungen (Fonds Régional d’Art Contemporain) in verschiedenen französischen Städte, unter anderem in Amiens, Metz, Nantes und Reims, und sie nahmen an zahlreichen internationalen Ausstellungen teil.
Barbara Leisgen bekleidete eine Professur von 1991 bis 2006 als Professorin an der École nationale supérieure des Beaux-Arts in Paris. Und 1997 fand dann eine große Retrospektive in Paris statt.
2016 schließlich waren ihre Arbeiten im Centre Pompidou in Metz unter dem Titel „Sublime – les tremblements du monde“ ein halbes Jahr lang neben dem echten Caspar David Friedrich, „Wanderer über dem Nebelmeer“ zu sehen. Mahnend war die Sorge in der herausragenden Ausstellung um die gefährdete Natur präsent. Unter dem Titel „Pink Depression“ aus dem Jahr 1982 zeigten die Leisgens dort auch eine Bildserie mit neun Farbfotografien von einem in einem Bach treibenden Körper einer pinkfarben gekleideten Frau – was an eine ertrinkende Ophelia erinnerte und womit das Künstlerpaar auf die giftigen Abwässer einer belgischen Fabrik aufmerksam machen wollte. Der Hang zur deutschen Romantik trägt also durchaus auch bei den beiden politische Züge.
Ja, und nun kann man noch bis zum 17. Februar 2018 in der Galerie Strelow die kostbaren Vintage-Prints auf Barytpapier aus den 70er Jahre in ihrer Authentizität ganz auf sich wirken lassen.