„Enrico“ von Manfred Trojahn in der Oper Frankfurt
Jeder macht sich seine äußere und innere Maske selbst zurecht
von Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt
Die Dramatische Komödie in neun Szenen von Manfred Trojahn (*1949), die vor siebzehn Jahren in Schwetzingen uraufgeführt wurde, hatte im Bockenheimer Depot eine wahnwitzige, virtuose Frankfurter Erstaufführung. Es begeistert, dass Intendant Bernd Loebe das Haus immer wieder für moderne Werke öffnet. „Enrico“ ist ein Juwel der Avantgarde-Musik.
Juanita Lascarro (Marchesa Matilda Spina; vorne links), Holger Falk (Enrico; vorne rechts), Sebastian Geyer (Barone Tito Belcredi; Mitte hinten) sowie im Hintergrund Peter Marsh (Landolfo), Samuel Levine (Bertoldo), Björn Bürger (Arialdo)
Rasant beginnt die Farce, die vor zwanzig Jahren passierte und die eine Vorgeschichte hat: Bei einem Maskenfest seines Freundes Barone Tito Belcredi hat sich Enrico als deutscher Kaiser Heinrich IV. verkleidet.
Zur historischen Erinnerung: dieser Kaiser lag im Streit mit dem Papst, wurde exkommuniziert (1076) und pilgerte im Büßerhemd und barfüßig nach Canossa. Dort vermittelte Mathilde von Toskana zwischen den Beiden und erlangte für den Kaiser die Loslösung vom Kirchenbann.
Enrico hatte sich zwanzig Jahre zuvor für diese Verkleidung entschieden, weil seine angebetete Marchesa Matilda Spina sich für das mittelalterliche Kostüm der Mathilde von Toskana entschieden hatte.
Im damaligen Maskenzug stürzte Enrico vom Pferd, schlug mit dem Kopf auf und als er aus der Ohnmacht erwachte, foppten ihn seine Freunde und redeten ihn als Heinrich IV. an. Seitdem scheint sich Enrico für den deutschen Kaiser zu halten.
Und nun kommen alle nach zwanzig Jahren wieder zusammen, um Enricos Bibliothek einzuweihen, zu der zwei lebensgroße Porträts von Enrico als Heinrich IV. und von Marchese Matilda Spina als kostümierte Mathilde von Toskana gehören. Die Freunde versuchen, Enrico von seinem Wahn, der aber nur vorgespielt ist, zu befreien. Kurzum: die spannende Geschichte endet tödlich und Enrico muss sich weiterhin als Heinrich IV. verstellen. Ein Verwirrspiel, das es in sich hat…
Theo Lebow (Carlo di Nolli), Juanita Lascarro (Marchesa Matilda Spina) und Dietrich Volle (Dottore)
Diese makabre Posse hat sich der italienische Literatur-Nobelpreisträger Luigi Pirandello (1867-1936) ausgedacht. Den Text für die Trojahn’sche Kammeroper hat Claus H. Henneberg psychologisch-sprachintensiv umgeschrieben.
Bedienstete eilen die Treppe von unten hoch und beginnen gleich im Rossini‘schen Tempo durcheinander zu singen. Amüsant und spritzig sind die Diener-Szenen. Der Zuschauer bzw. Hörer kann manchmal kaum nachkommen, auch nicht bei den Übertitelungen.
Belcredi und Marchese Matilda mit Tochter Frida sowie Enricos Neffe Carlo di Nolli und der Dottore treffen ein. Es geht musikalisch hoch her zwischen Mutter: gekonnt Juanita Lascarro, auch schauspielerisch differenziert und wendig, und frisch die Tochter, Angela Vallone, die geradezu Stimmakrobatik liefern.
Trojahn verlangt auch viel von den Sängern: Holger Falk als Enrico, Sebastian Geyer als Barone Tito Belcredi, Theo Lebow als Carlo di Nolli und Dietrich Volle als Dottore, alle super, hochgradig besetzt, selbst die Rollen der Bediensteten: Peter Marsh, Samuel Levine, Björn Bürger, Frederic Jost und Dogus Güney als Giovanni.
Alle geben ihr Rollendebüt. Die Titelpartie des Enrico ist eine Glanzleistung des jungen Baritons Holger Falk sängerisch wie darstellerisch. Falk widmet sich barockem und klassischem Repertoire, dem Liedgesang, aber vor allem auch zeitgenössischen Stücken. Er ist darin zuhause.
Was für eine Flexibilität hat diese Stimme! Völlig unangestrengt kommen selbst die Falsetttöne herüber. Der ehemalige Regensburger Domspatz, der an den Musikhochschulen Würzburg und Mailand studierte, war, bevor er seine solistische Karriere begann, zwei Jahre im Frankfurter Opernchor.
Manfred Trojahn (li.), Roland Böer; Fotos: Renate Feyerbacher
Für Dirigent Roland Böer und die wenigen Musiker des Frankfurter Opern- und Museumsorchester, alles Solisten, ist das Musizieren keine leichte Kost. Es war für sie Schwerarbeit, alles in Einklang zu bringen und darauf zu achten, dass Schnelligkeit und musikalische Farben – Expressivität, Erregung und Entspannung – sich entwickeln können. Das ist ausgezeichnet gelungen.
Regisseur Tobias Heyder gelingt eine quirlig-psychologische Inszenierung. Seine Personenführung ist gekonnt. Dazu lieferte ihm Britta Tönne eine die ganze Bühne beherrschende Bibliothek mit grandioser Wendeltreppe, die vielfach hinaufgeeilt oder herabgeschritten wird, so wie es Enrico – ganz Kaiser – tat. Marcel Heyde spielte mit dem Licht und Verena Polkowski kleidete das Bühnenpersonal mal mittelalterlich, mal neuzeitlich ein. Gelungen.
Selbst Skeptiker und Boykotteure moderner Opern kommen in dieser neunzig Minuten ohne Pause dauernden Dramatischen Komödie musikalisch auf ihre Kosten. Wieder ein faszinierender Abend!
Weitere Aufführungen am 25., 27., 29., 31. Januar, am 1., 2., und 4. Februar 2018