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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

AUFGELESEN: Eine kleine Kulturgeschichte des Alltags

Kleine Schule des Zeichnens – Betrachtungen über die grafische Gestaltung alltäglicher Dinge

Von Inge Sauer

Als ich kürzlich die Wäsche von meiner Reinigung abholte, wurde ich gleich doppelt belohnt: Nie hätte ich gedacht, dass es noch solches Einwickelpapier gibt! Zwar erfreut uns unser Obst- und Gemüsehändler auch mit immer neuen, oft sogar mehrfarbigen Bildern von „gesundem“ Obst und Gemüse, aber Tüten mit fröhlichen Metzgern oder Bäckern bei ihrer Arbeit sind eher eine Erinnerung aus einer lange vergangenen Kindheit.

Als ich im Kindergartenalter mit Einkaufsaufträgen in die weite Welt um die Straßenecke geschickt wurde, brachte ich nicht nur Waren, sondern auch Bilderbücher nach Hause. Anonyme Zeichner erzählen uns auf Verpackungspapieren Geschichten von glücklicher und professioneller Verrichtung ihrer Aufträge.

Wir haben dafür bezahlt, und bekommen außer gewaschener und gebügelter Wäsche noch folgende Information: Der Dame mit dem etwas zu großen Kopf und den winzigen Händen mit spitz zulaufenden Fingern gelingt es bewundernswert korrekt, Wäschestücke so zusammenzulegen als wären es Bücher. Sie guckt dabei zwar freundlich, aber auch etwas streng. Wir würden uns nicht trauen, zu reklamieren oder ihre Arbeit zu teuer zu finden.

So kaufen wir in Venedig auch nicht einfach ein paar Postkarten! Sie werden in ein Tütchen gesteckt, das schöner ist als die Postkarten selbst: Fast perspektivisch korrekt (sehen wir mal großzügig von einigen parallelen Linien auf dem rechten Gebäude ab) blicken wir auf die Seufzerbrücke, mitten hinein die Stadt unserer Träume.

Die komplizierten Gondeln hat unser Zeichner im Griff, aber wie zeichnet man Wasser? Egal, irgendetwas ist da unten, und wenn Boote drauf fahren, wird der Betrachter schon wissen, worum es sich handelt.

Beim „Bloc Yvon“, der auf meiner Postkartentüte aus dem Burgund zu sehen ist, handelt es sich um einen Kalender. Sehr korrekt hat der Zeichner berücksichtigt, dass am „lundi 2 mai“ auf dem rechten Stapel noch mehr Blätter liegen als auf dem linken, und der großartige Dom ist mit Sicherheit wahrheitsgetreu wiedergegeben.

Ich fürchte allerdings, auch geübte Kollegen würden bei der Darstellung der beiden Klammern, die die Blätter halten, aufgeben – wie kriegt man es hin, daß sie nicht einfach schief aussehen? Diese Aufgabe gebe ich gern an eine Illustrationsklasse weiter.

Den Höhepunkt gewagter surrealer Bildkomposition bildet die Darstellung des kostbaren Salzes auf einer Packung, die, wenn ich mich recht erinnere, aus der Schweiz stammt.

Vor großartiger Bergkulisse steht – einsam auf einem nicht näher definierten Untergrund – ein bauchiges Salzfaß. Neben ihm liegt ein Häuflein Salz, damit kein Zweifel besteht, worum es sich handelt. Das Salzhäuflein wiederholt etwas bescheidener die Bergkulisse im Hintergrund – eine subtile Idee. Die Forderung, die Löcher in der Kuppel des Streuers perspektivisch korrekt darzustellen wäre mehr als kleinlich – hier geht es um nichts weniger als um künstlerische Freiheit!

Ich fürchte, kaum jemand weiß die Arbeit dieser fleißigen Zeichner, die ihre Werke nicht einmal signieren, wirklich zu schätzen.

Ich freue mich daran, sammle die schönsten und schicke den wackeren Kollegen einen lieben Gruß! Wer die Nase rümpft, kann es ja mal selbst probieren!

 

Inge Sauer ist Grafikerin, Kuratorin und Autorin. Sie studierte Freie Kunst und Visuelle Kommunikation an der Kunstakademie Düsseldorf und lebte lange in Italien. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Fotografie, Grafik und Illustration. Sie übernimmt Lehraufträge und Schulprojekte zu Themen der Wahrnehmung und Gestaltung und konzipiert Ausstellungen. Zudem veröffentlicht sie u.a. Bilderbücher, Rezensionen, Kataloge und Bücher. Heute lebt Inge Sauer in Düsseldorf. 

 

 

 

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