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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Jeanne Mammen. Die Beobachterin – Große Retrospektive in der Berlinischen Galerie

Alltagsbeobachtungen in der Weimarer Republik – Zeugnis einer Epoche der Extreme und Mammens Werke nach dem Krieg

von Renate Feyerbacher

Die Retrospektivein Berlin geht nur noch bis zum 15. Januar 2018.

← Jeanne Mammen in ihrem Atelier um 1930, Fotograf unbekannt /Berlinische Galerie, © Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung

 

Jeanne Mammen (1890 -1976) gilt als eine der ausdrucksstärksten und eigenwilligsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts.

In der Ausstellung „Glanz und Elend in der Weimarer Republik“, die bis zum 25. Februar in der Frankfurter Schirn zu sehen ist, gibt es elf Exponate, Aquarelle, Lithographien und Blätter aus dem „Simplicissimus“ von Jeanne Mammen. Eine Neuentdeckung, deren Werke gefallen. Sie lenken auch den Blick auf eine große Retrospektive, die von der Berlinischen Galerie noch bis zum 15. Januar gezeigt wird.

Die Ausstellung in Berlin präsentiert 170 Arbeiten aus 60 Schaffensjahren, darunter um die 50 Aquarelle, Zeichnungen, Illustrationen, Karikaturen, Filmplakate und Skulpturen. Ergänzt wird sie durch Fotos, Magazine, Filme, Briefe und Publikationen. Bekannt ist die Künstlerin als Chronistin des Berliner Lebens in den 20er Jahren. Ihr Gesamtwerk aber umfasst verschiedene Bereiche.

Die Berlinische Galerie macht schon außen auf Jeanne Mammen aufmerksam;  Foto von Renate Feyerbacher

Johanna Louise Mammen, genannt Jeanne, wird in Berlin geboren, wächst aber in Paris auf, studiert zusammen mit ihrer Schwester in Brüssel und Rom. Die Familie muss bei Kriegsausbruch aus Frankreich fliehen. Über die Niederlande kehrt sie 1915 nach Berlin zurück, völlig mittellos, da das Vermögen des Vaters beschlagnahmt wurde. Sie gelten als feindliche Ausländer.

Die Schwestern beziehen fünf Jahre später ein Atelier am Kurfürstendamm 29, heute Sitz des Fördervereins Jeanne-Mammen-Stiftung e.V.  ein Haus, das man besuchen kann.

Das Atelier der Künstlerin

Wohnatelier der Künstlerin am Kurfürstendamm 29 in Berlin © Förderverein Jeanne Mammen-Stiftung e.V.  

Es dauerte noch einige Jahre, bis die Künstlerin von den Einnahmen für Arbeiten in Modezeitschriften, Magazinen und Witzblättern leben konnte. Auch als Buchillustratorin machte sie sich einen Namen. Der einfache Mensch ist es, der sie interessiert.

Der Freundeskreis der Berlinischen Galerie hat dank großzügiger Spenden zwei bedeutende Aquarelle aus New York in die Ausstellung holen können: „Die Kaschemme“ (Fasching Berlin N) von 1930 und „Café Reimann“ aus: The Morgan Library & Museum, New Yorkvon 1931. Letzteres war seinerzeit in dem Buch „Führer durch das lasterhafte Berlin“ abgebildet.

Im Mittelpunkt der frühen Epoche stehen in der Schau zwei Arbeiten: Jeanne Mammens Großstadtdschungel in der „Kaschemme“ (Fasching Berlin N III), um 1930 aus dem Museum of Modern Art, New York. , das erstmals in Berlin zu sehen ist, ist eine exzellente Milieuschilderung aus den Weimarer Jahren, das die emotionale Distanz des Paares im “Café Reimann“ zeigt. Frau und Mann reden nicht miteinander, schauen sich nicht an, blicken desinteressiert, mürrisch, gelangweilt zum Betrachter. Die Gesichter sind nur angedeutet in zarten Pastelltönen, nur hin und wieder ein wenig Farbe – Mammens Markenzeichen.

Dieses Bild wurde in den siebziger Jahren in die USA verkauft und landete in der Sammlung des Musical-Autors Fred Ebb, dem Schöpfer des weltberühmten Musicals „Cabaret“, das in der Zeit spielt, in der Mammen das Aquarell malte.

Anmutig ist eine aufgeputzte Schöne, die das Titelblatt der ersten Ausgabe des Magazins „Großstadt“ von 1927 ziert. Herrlich konkurrieren hier die gelben Federn mit den Lichtern der Stadt. Eine glamouröse Inszenierung.

Jeanne Mammen bei der Arbeit in ihrem Atelier, 1946. Sie trägt ihren schweren Pelzmantel wegen der unzulänglichen Beheizung nach dem Krieg. An der Wand: „Mann mit Baskenmütze“, WVZ: G 95

Fast immer stehen Frauen bei Jeanne Mammen im Mittelpunkt. Sie sind selbstbewusst, modern: Bubikopf, Zigaretten, Hosen. Die Männer sind oft nur unscheinbare Begleiter, Staffage. Die schwarz umrandeten Augen und das rote Haar in dem zarten Aquarell „Die Rothaarige“ um 1928 ziehen den Betrachter in Bann. Ein Meisterwerk der Porträtkunst, die sie jahrelang pflegte.

Ende 1929 würdigt der Schriftsteller Kurt Tucholsky sie: „Die zarten, duftigen Aquarelle [..] überragen das undisziplinierte der meisten Ihrer Zunftkollegen derart, daß man Ihnen eine kleine Liebeserklärung schuldig ist.“

Ein Jahr darauf stellt sie in der Berliner Galerie aus und arbeitet an einem Grafikzyklus. Mit dem Ingenieur und späteren Bildhauer Hans Uhlmann (1900-1975), von dem einige Nachkriegs-Skulpturen in Berlin zu sehen sind, zieht es sie nach Moskau. Danachmalt sie, dem Sozialismus zugeneigt, Straßenkinder und Bettler. Ihr Strich wird schärfer.

Uhlmann wird bei einer Flugblattaktion gegen die Nazis verhaftet und verurteilt. Nach dem Krieg nimmt er an der Biennale in Venedig und an der documenta teil.

Jeanne Mammen verliert in der Nazizeit ihre Arbeit bei den Zeitschriften, die „gleichgeschaltet“ werden. Heimlich, nachdem sie Picassos Antikriegs-Wandgemälde Guernica sah, experimentiert sie kubistisch.

Ein Kreis von Regimegegnern und -gegnerinnen sammelt ihre Werke. Wahrscheinlich hat sie die Innere Emigration mit Hilfe von Freunden überlebt. Gleich nach Ende des Krieges organisiert Uhlmann in Berlin eine Ausstellung mit Werken antifaschistischer Maler und Bildhauer. Die Künstlerin Mammen ist mit 25 Arbeiten vertreten. Sie hat wieder Aufträge unter anderem für die antifaschistische Zeitschrift Ulenspiegel. Von den zarten Hell-Dunkel-Gemälden ist allerdings nach dem Krieg nichts geblieben. Kordel und Draht sind jetzt ihre Utensilien.

Dann kommt eine andere Zeit, in den  50er Jahren zieht sie sich fast vollständig aus dem Kunstbetrieb zurück. Sie übersetzt aus dem Französischen. Der Ost-West-Konflikt, die Diskussion um Realismus und Abstraktion zermürben sie. Scherzhaft spricht sie von der „Antibilderpille“, die sie für sich erfand. Zwar malt sie, bestaunt das Werk und vernichtet es.

Aber der Kunstbetrieb vergisst sie nicht: es gibt unter anderem Ausstellungen in der Berliner Akademie der Künste, im Neuen Berliner Kunstverein, in Stuttgart.

Jeanne Mammen in ihrem Atelier, 1975. An der Wand ihr letztes Bild „Verheißung eines Winters“.© Förderverein Jeanne Mammen-Stiftung e.V. 

Eines ihrer letzten Bilder heißt „Photogene Monarchen“, eine Leihgabe des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft in Berlin. Um die hochaufgerichteten Figuren zu erkennen, muss man lange vor dem Bild ausharren. Sie schuf es 1967 anlässlich des Besuchs des persischen Kaiserpaares – Schah Reza Pahlewi und Farah Diba. Das Gesicht des Schahs ähnelt einer Katze, ihr Körper setzt sich aus runden Formen zusammen. Tierschädel mit spitzen Hörnern und Ohren sind auszumachen.  Die Figuren sehen wie Totempfähle aus. Nicht ein glanzvolles Herrscherpaar ist zu sehen, sondern Maskeraden. Pralinenpapiere schmücken es. Die dämonische Fratze am Fuß der Schah-Figur ist der Ausdruck tiefer Verachtung. Auch nach dem Krieg war Mammen eben gesellschaftlich interessiert und engagiert.

Die Bild-Collage gehört dem Max-Delbrück-Centrum, eine Großforschungseinrichtung der Helmholtz-Gemeinschaft, denn Mammen war mit dem Biophysiker Max Delbrück, der 1937 in die USA emigrierte, bekannt.

 

Die Retrospektive von Werken der Jeanne Mammen schließt am 15. Januar. Die Öffnungszeiten für die letzte Woche wurden verlängert.

Die Berlinische Galerie –Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur – Alte Jakobstraße 124-128 ist täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet.

 

 

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