home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Das Next Wave Festival in Brooklyn

Das Next Wave Festival in der Brooklyn Academy of Music zeigte von Ende September bis Mitte Dezember Theater und Tanztheater, zeigte das Innovativste und Außergewöhnlichste aus Amerika, Asien, Afrika, Europa.

Von Simone Hamm, New York

Tanztheater Wuppertal Pina Bauschs Café Müller im Opera House der Brooklyn Akademie of Music am 13.  September  2017. Café Müller (1978). Ein Stück von Pina Bausch (Choreographie) Musik: Henry Purcell Kostüm und Bühnenbild: Rolf Borzik; Tänzer: Helena Pikon,White dress, Scott Jennings, white shirt Photo: Stephanie Berger

Tanztheater Pina Bausch in Brooklyn

Doch in diesem Jahr wurde zum Auftakt kein neues Stück gezeigt, sondern zwei Choreografien, von denen die eine vor 39 Jahren, die andere vor knapp 42 Jahren uraufgeführt worden sind. „Cafè Müller“ und „Frühlingserwachen“ von Pina Bausch. Beide sind Meilensteine in Pina Bauschs Werk. Mit „Café Müller“ ist ihr einst der große Durchbruch gelungen. „Frühlingserwachen“ ist das einzige Ballet, was sie je zu einer Ballettmusik geschaffen hat. Neun Tag lang zeigten Pina Bauschs Tänzer, dass „Café Müller“ und „Frühlingserwachen“ nichts von ihrer Frische und nichts von ihrer Radikalität eingebüßt haben.

Café Müller“ stimmt wehmütig, die Erinnerung an Pina Bausch, die einst selbst mitgetanzt hat, ist einfach zu groß. Zur elegischen Musik von Henry Purcell schlafwandeln Tänzer durch ein Café, in dem niemand sitzt. Eine Tänzerin streckt immer wieder die Hände aus, ein Tänzer sammelt immer wieder die die Stühle ein. Versucht er den Weg frei zu räumen für die Frau, die sich immer wieder an den Tischen und Stühlen stößt? Sucht sie etwas? Pina Bausch gibt keine Antworten. Da ist eine Traurigkeit, die sich nicht erklären läßt und auch nicht erklärt werden soll.

Auf einer zentimeterdicken Torffläche tanzen die Männer und Frauen zu Strawinskys Musik „Frühlingserwachen“. Paare bilden sich, umarmen sich, bewegen sich miteinander im Takt der Musik. Doch immer ist da eine Aggressivität zu spüren. Manchmal sind die Männer fast brutal. Die Frauen rücken zusammen, versuchen sich zu schützen. Sie werfen sich das rote Kleid, welches das Opfer tragen soll, gegenseitig zu. Keine will geopfert werden. Der Tanz im Torf ist anstrengend, aufreibend, schweißtreibend. Es ist ein Tanz um Leben und Tod.

Tanztheater Wuppertal Pina Bausch tanzt „Café Müller“ und „Frühlingserwachen“ im BAM Opera House am 13. September 13, 2017.  Choreographie: Pina Bausch (1975), Musik: Igor Stravinsky, Photo: Stephanie Berger

Pinas Bauschs „Café Müller“ und „Frühlingserwachen“ zählen bis heute zum Eindrücklichsten, was Tanztheater zu bieten hat. Neun Tage lang war das Opernhaus der Brooklyn Akademie of Music, in dem es über 2100 Plätze gibt, ausverkauft. Und jeden Abend gab es stehende Ovationen.

Lars Eidinger & Jenny König in Richard III von William Shakespeare
Übersetzung und Adaptation von  Marius von Mayenburg Schaubühne Berlin
Inszenierung von Thomas Ostermeier, Aufführung am 11. Oktober, 2017 BAM Harvey
Theater; Brooklyn Academy of Music, NYC;
 Photograph: © 2017 Richard Termine

Lars Eidinger als Richard III.

Und noch eine Produktion kam aus Deutschland: Thomas Ostermeiers Schaubühneninszenierung von „Richard III.“, mit Lars Eidinger. In New York werden Theaterstücke, wird Shakespeare meist sehr konventionell inszeniert. Da imitiert der Tonmann schon mal das Donnergrollen, indem er ein Blech bewegt wie beim Schülertheater. Die Schauspieler tragen meist Kostüme aus der Shakespeareaera. Und wenn einmal nicht wie bei der diesjährigen Aufführung von „Julias Cäsar“ bei „Shakespeare in the Parc“, wenn Cäsar eine rote Krawatte zum blauen Anzug trägt und eine blonde Haartolle hat, dann springen gleich die Sponsoren ab.

Lars Eidinger als Richard III. hält die Zuschauer jeden Augenblick in seinem Bann. Er interagiert mit ihnen, fragt Zuspätkommende, ob sie ein Problem mit der U – Bahn hatten, weckt einen Eingeschlafenen mit einem sanften Stups, nachdem er bis zur 13. Reihe hochgelaufen ist. Niemals wird der Tyrann laut. Bisweilen hat er fast etwas Kriecherisches, wie er da kniet, nach oben äugt. Aber trotz aufgeschnalltem Buckel und Klumpfuß verführt er Lady Anne noch am Sarge ihres Mannes, den er ermordet hat. Dabei ist er nackt und wirkt schutzlos. Geradezu  rührend.

Es ist eine Bravourleistung von Lars Eidinger. In New York, wo man Stars liebt und es mag, wenn jemand eine große Bühne perfekt beherrscht, wurde dieser „Richard III,“ mindestens ebenso begeistert gefeiert wie in Berlin.

Zwei Tanzabende New Yorker Choreografen lassen das Publikum wieder in der Jetztzeit ankommen

Und immer noch herrschen Neid und Missgunst, Ungerechtigkeit und Gewalt.

Die Bill T. Jones/ Arnie Zane Kompanie aus New York zeigte Jones sehr persönliche Choreografie „A letter to my nephew“, eine intime, impressionistische Collage für neun Tänzer. Jones Neffe Lance T. Briggs ist ein sehr talentierter Tänzer, der lange mit Krankheiten und Drogensucht kämpfte. Um sein Krankenbett herum gruppieren sich die Tänzer, tanzen seine Vergangenheit, seine Träume, ja seinen Fieberwahn. Wie eine Serie von Postkarten ist dieser Tanzabend angelegt. Postkarten, die aus einem fast mythischen, freien liberalen Europa kommen.

A Letter to My Nephew, Bill T. Jones/Arnie Zane Company; Konzeption: Bill T. Jones, BAM Harvey Theater, 3. bis 7. Oktober  Choreography by Bill T. Jones with Janet Wong and the Company, Original score composed by Nick Hallett Set design by Bjorn Amelan Lighting design by Robert Wierzel, Costume design by Liz Prince, Projection design by Janet Wong, Sound design by Samuel Crawford 2017 BAM Next Wave Festival
Die Tänzer: Vinson Fraley Jr., Barrington Hinds, Shane Larson, I-Ling Liu, Penda N’diaye, Jenna Riegel, Christina Robson, Carlo Antonio Villanueva, Huiwang Zhang MUSIKER: Nick Hallett and Matthew Gamble, Photo : Stephanie Berger

Ein rauschender Ball, eine überwältigende Aussicht, das sind Bilder von einem Europa, so wie es sich der Neffe erträumt. Jemand, der gewaltsam aus dem Land geworfen wird, jemand, der sich quält vor Schmerzen in einem düsteren Krankenhaus, das ist die Wirklichkeit, die der Neffe in den USA erlebt. Er erlebt täglichen Rassismus, tägliche Gewalt. Seine Flucht in den fast kindlich naiven Traum von einem besseren Leben in Europa hält ihn am Leben.

Briggs Delirium hat Nick Ballett in einer eindrücklichen Musik festgehalten, der Bariton Mathew Gamble singt fast beschwörend. Diese Traumsequenzen wirken niemals platt, niemals kitschig. Sie sind so bewegend, weil Bill T. Jones alles in der Schwebe hält. Er zeigt keine Lösungen auf, aber er verzweifelt auch nicht. Kunst, Tanz können ein Ausweg sein aus der Düsternis. Selten ist das Leben eines jungen Schwarzen so eindrucksvoll auf die Bühne gebracht worden. Noch lange wirkt dieser Abend nach.

Der Dichter und Performer Marc Bamuthi Joseph zeigte „peh/LO/tah„, eine multimedia Arbeit, in der er seine Liebe zum Tanz mit seiner Liebe zum Fußball verbindet.
Fußballer sind Ballkünstler, wenn sie dribbeln und schlenzen. Daraus macht Joseph eine sehr lebendige Choreografie, er vermischt Tanz  mit Bewegungen, die ein Stürmer, ein Verteidiger, macht. The „Living Word Project“ heißt seine Kompanie.

peh/LO/tah von Marc Bahmuthi Joseph, Yaw Agyeman, Tommy Shepherd, Amara Tabor-Smith, Marc Bamuthi Joseph, Traci Tolmaire, Photo: Stephanie Berger

Aber Marc Bamuthi Joseph, der aus New York stammt und heute in Kalifornien lebt, will mehr als nur sein Faible für Fußball zeigen. Er bringt eine politische Aussage auf die Bühne. Er lässt seine Gedichte, die von Rassismus und Gewalt handeln, zu harter Musik vorlesen. Und er projiziert seine Botschaft an die Wand, vor der die Tänzer hin- und herkicken: „Der Verteidiger erklärt, warum die Amerikaner so unglaublich schlecht Fußball spielen“ – Fußball sei ein Gemeinschaftssport und jede Mannschaft sei nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Und genau das, so Joseph, widerspräche der amerikanischen Ideologie.

Er rührt an eine Wunde, daran, dass die USA sich nicht für die kommende Fußball Weltmeisterschaft qualifiziert konnten. In Einspielungen sind Szenen aus berühmten Fussballspielen zu sehen. Auch gewalttätige, als Zinedine Zidane 2006 einen Gegenspieler so sehr fowlt, dass er vom Platz verwiesen wird. Italien, nicht Frankreich wurde Weltmeister.

Und doch ist Sport für schwarze Jugendliche in den USA eine der wenigen Chancen auf ein besseres Leben. Und wenn aus den Lautsprechern ein lautes „GOAL! Toooor“ die Musik und die Worte übertönt, kann jeder Zuschauer das verstehen.

Requiem for Cambodia

Beim Next Wave Festival in Brooklyn gab es Musik aus Südostasien zu hören – und weit mehr als das. Die Musik ist politische Kunst: Das Kronos Quartett zeigte die Kammer Oper „My Lai Lullaby“ , Musiker, Tänzer und Schauspieler aus Kambodia führen Bangsokol „Requiem for Cambodia“ auf.

v.l.n.r.: Hank Dutt & Sunny Yang (Kronos Quartet), Rinde Eckert, tenor & Vân-Ánh Võ in
NY PREMIERE of „My Lai“, Music by Jonathan Berger, Libretto by Harriet Scott Chessman
Part of the 2017 Next Wave Festival; BAM Harvey Theater; Brooklyn Academy of Music, NYC;
Photograph: © 2017 Richard Termine

„My Lai Lullaby“ ist ein Monodrama für Tenor, Streichquartett und klassische vietnamesische Instrumente. Jonathan Berger hat die Musik geschrieben, Harriet Scott Chessman das Libretto.

In My Lai töteten amerikanische Soldaten über 500 Zivilisten. Zunächst wurde das Massaker vertuscht. Als ein Jahr später bekannt wurde, was in My Lai geschehen war, war das der Anfang vom Ende des Vietnamkrieges. Vielleicht wäre dieses ungeheure Verbrechen nie ans Tageslicht gekommen, wenn nicht der Pilot Hugh Thompson am 16. März 1968 über My Lai geflogen wäre. Er erstattete Bericht von dem, was er sah: Morde, Vergewaltigungen. Als niemand reagierte, landete er zwischen den Dorfbewohnern und den amerikanischen Soldaten. Er drohte, auf die eigenen Leute schießen zu lassen, wenn sie aufhörten zu morden und zu vergewaltigen. Er zog ein Kind von seiner toten Mutter weg und rettete andere. Er weigerte sich, über das Massaker zu schweigen.

30 Jahre später erhielt er die „soldiers medal“, eine militärische Auszeichnung. 2006 starb er an Krebs.

In dem musikalischen Drama von Jonathan Berger und Harriet Scott Chessman ist Thompson nie über das hinweg gekommen, was er erlebt hatte. Die Dämonen der Vergangenheit holen ihn in seinen letzten Tagen im Krankenhaus ein. Er ist verwirrt.

Der Tenor Rinde Eckart zeigte einen leidenden, einsamen Mann, keinen Helden. Wenn er seine Verzweiflung heraussingt, ist die Musik dissonant, herbe, Ausdruck seiner Qual. Er endet mit einem sanften Falsett, wird leiser und leiser, als ob mit der Stimme auch die Seele seinen Körper verlässt. Van-Ahn Voh begleitet ihn auf einer Zither, einem Bambus Xylophone, auf Trommeln und Gongs und auf einem einseitigen Streichinstrument. Van-Ahn Vo und David Harrington vom Kronos Quartett haben eng mit dem Komponisten Jonathan Berger zusammengearbeitet.

Das Kronos Quartett und Van-Ahn Voh spielen natürlich alles andere als ein Lullaby, kein Schlaflied. Ihre Palette ist groß, reicht von fast aggressiven, harten Tönen bis zu lyrischen Elegien. Im Hintergrund sind Videos zu sehen, von Vietnam, von Bombenangriffen, Hubschrauberflügen. Manchmal klar und deutlich, dann schwarz – weiß wie ein Schattenriss. Niemals beherrscht das Bühnenbild die Musik. Rinde Eckart ist und bleibt die verzweifelte Hauptperson.

v.l.n.r.: Das Kronos Quartet: David Harrington, John Sherba, Hank Dutt & Sunny Yang in der 
NY PREMIERE von  „My Lai“, Photograph: © 2017 Richard Termine

Es ist großartig, wie es dem Tenor und den Musikern gelingt, das Grauen ohne jedes Pathos, auf die Bühne zu bringen. Wieder einmal hat sich das Kronos Quartett auf neue Musik aus einem fernen Kulturkreis eingelassen und herausgekommen ist eine ganz außergewöhnliche, atemberaubende Produktion.

„Bangsokol: A Requiem for Cambodia“ verbindet Musik, Gesang, Film und Bewegung. Musikalisch ist es einfacher und leichter als „My Lai Lullaby“, in der Wirkung ebenso verstörend und nachhaltig. Rithy Panh führt die Regie. Him Sophy hat Trent Walkers Gedichte vertont. Walker ist nicht wie Adorno der Meinung, dass man nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben könne – im Gegenteil, Gedichte seien nach Auschwitz wichtiger denn je. Kunst könne dazu beitragen, die Wunden zu heilen, die der Genozid hinterlassen hatte. Zwischen 1975 und 1979 wurden 2 Millionen Menschen in Kambodia ermordet. Man schätzt, dass fast alle klassischen Tänzer unter den Toten waren. Rithy Panh und Him Sophy haben überlebt, die meisten ihrer Familienmitglieder nicht.

Rithy Panh ist gerade mit dem Film „First They Killed my Father“ für den Golden Globe nominiert worden, den er zusammen mit Angelika Jolie produziert hat. Jolie saß still und bescheiden im Publikum.

Bangksokol erinnert an kambodianisch buddhistische Beerdigungsrituale. Jeder Zuschauer fand auf seinem Sitz ein weißes Tuch vor, dass er sich um die Schultern binden sollte. In Kambodia ist es Tradition ein weißes Tuch über einenToten zu legen. Langsam zieht ein Mönch es weg, um dem Toten den Übergang in ein anders Leben zu ermöglichen.

Neben kambodianischen Instrumenten, die unter den Roten Khmer ebenso verboten waren wie der Tanz, ist ein Kammerorchester zu hören. Ein Zug von weißbekleideten Menschen kommt auf die Bühne und legt Steine ab. Auf der Bühne sehen wir, wie zwei Kinder lernen zu tanzen. Sie sollen zurück finden zu ihren gekappten Wurzeln. Ein Sänger und eine Sängerin singen ganz leise, sie werden von einem Chor begleitet, während im Hintergrund auf drei großen Leinwänden Filme projiziert werden: Amerikanische Soldaten, Menschen, die fliehen, Bombenangriffe, Menschen, die auf Feldern arbeiten und dann wieder Menschen, die fliehen. Bürgerkrieg in Kambodia. Bilder von der Schule in Phnom Pen, die zum Folterzentrum umfunktioniert worden ist und die heute ein Museum ist.

Dieses Zusammenspiel von Musik, Worten und Bildern ist ergreifend und eindrucksvoll und lässt niemanden kalt. Der Komponist Him Sophy hat seine Familie sterben sehen, war Zeuge von Mord und Totschlag. Er widmet „Bongsokol. A requiem for Cambodia“ allen, die während des Krieges in Cambodia ums Leben kamen. Er möchte, so sagt er, mit seiner Musik dazu beitragen, den Frieden in die Welt zu tragen.

 aus „Bangksokol. A Requiem for Cambodia“, Photo: ©Ed Lefkowicz

weitere Infos unter:

https://www.bam.org und  https://www.festival.melbourne/2017/events/a-requiem-for-cambodia-bangsokol/#.WjzCtSOX9Bw

Comments are closed.