Erlesene Selbstporträts aus der Sammlung Frerich in den Opelvillen in Rüsselsheim
Selbstinszenierung oder Selbstbefragung? Künstler des 20. Jahrhunderts blicken in den Spiegel
Der Kölner Zahnarzt Dr. Günter Frerich (1929‒2013) hat über Jahrzehnte gezielt und konsequent Künstler-Selbstbildnisse gesammelt. Im Laufe der Jahre hat er mehr als 400 Handzeichnungen, Druckgrafiken und Fotografien von 158 Künstlerinnen und Künstlern zusammentragen. Dabei gelang es dem leidenschaftlichen Sammler, der vom menschlichen Gesicht fasziniert war, eindrucksvolle, qualitativ hochwertige Selbstporträts auf Papier ausfindig zu machen. Eine erlesene Auswahl der Frerichs-Kollektion ist noch bis zum 8. April 2018 der Ausstellung „Das Selbstporträt“ in den Opelvillen in Rüsselsheim zu bewundern.
Von Hans-Bernd Heier
Max Liebermann, Selbstporträt, zeichnend, Kohle, 1921; Foto: Peter Hinschläger
Den Schwerpunkt der Frerich-Sammlung bildet die klassische Moderne. Neben Selbstdarstellungen der deutschen Impressionisten Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt sind unter anderem expressionistische Selbstporträts von Max Pechstein, Erich Heckel und Ernst Barlach sowie Konvolute von Max Beckmann, Otto Dix und George Grosz hervorzuheben. Käthe Kollwitz ist auch mit ihrem Selbstporträt aus dem Jahr 1938 vertreten – das letzte Selbstbildnis vor ihrem Tod 1945.
Käthe Kollwitz, Selbstbildnis im Profil nach rechts, Lithografie, 1938; Foto: Peter Hinschläger
Für die Ausstellung „Das Selbstporträt“ in den Opelvillen durfte die Kuratorin Dr. Beate Kemfert, Vorstand der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen, 115 Schlüsselwerke von 42 Künstlerinnen und Künstlern aus Frerichs grandioser Sammlung auswählen. Bei der freien Auswahl hat sie sich bewusst auf den Zeitraum der klassischen Moderne bis in die 1970er Jahre beschränkt. Die hochkarätigen Blätter bezeugen nicht nur Frerichs Ausdauer und Qualitätsbewusstsein beim Aufspüren der Werke, sondern machen darüber hinaus die breite Palette künstlerischer Herangehensweise an das Genre deutlich, das komplexe Möglichkeiten der Umsetzung bietet. Ein Selbstporträt kann sich auf die Abbildung der rein äußerlichen Erscheinung beschränken. Es gewährt dennoch Einblicke in die Psyche oder den Charakter des Dargestellten. Denn jedes Künstlerselbstbildnis ist eine Befragung der eigenen Person und voller Hinweise auf die jeweilige Situation des Porträtierten.
Beim Ausstellungsrundgang lassen sich die vielfältigen Facetten des Selbstporträts entdecken: von der brillanten repräsentativen Selbstdarstellung über das Spiel mit Schein und Sein, in der Maske anderer Identitäten bis hin zur Negation des Ichs.
Lovis Corinth, Selbstbildnis, Radierung, 1920; Foto: Peter Hinschläger
Besonders bei den Konvoluten von Selbstbildnissen, die über einen längeren Lebenszeitraum entstanden sind, werden künstlerische Entwicklungen erkennbar. Sie spiegeln die Stationen des jeweiligen Malerlebens, aber auch die Veränderungen in der Physiognomie der Dargestellten. Dies wird besonders bei den Künstlern deutlich, die sich schon in jungen Jahren eindrucksvoll selbstbespiegelt haben, wie Max Beckmann, der sich bereits als 15-jähriger gezeichnet hat, oder Conrad Felixmüller, der als 16-jähriger eine Ätzradierung von sich fertigte. Beckmann malte, zeichnete, radierte oder lithografierte so viele Selbstporträts wie kaum ein anderer Künstler. „Bereits als junger Künstler fertigte er gekonnt Kaltnadelradierungen an und begann das Motiv des Selbstporträts zu inszenieren, das zum lebenslangen, entscheidenden Thema seiner Werkes werden sollte“, erläutert Beate Kemfert.
Max Slevogt „Meditation“, Kaltnadelradierung auf Chinapapier, 1904/05; Foto: Peter Hinschläger
Max Liebermann begann dagegen erst im Alter von 55 Jahren Porträts von sich zu fertigen. In seinen fast 70 Selbstbildnissen zeigt sich der Maler in nüchterner Zurückhaltung, stets mit Anzug und Krawatte. Der „vollkommenste Bourgeois“, als der sich selbst bezeichnete, wahrte immer Distanz und registrierte sorgfältig die Veränderungen seiner Physiognomie. Das tat auch Max Slevogt, der zusammen mit Max Liebermann und Lovis Corinth zum berühmten „Dreigestirn des deutschen Impressionismus“ zählt.
In seinen Selbstbespiegelungen studierte er immer wieder die verschiedenen Ausdrucksmomente seiner Physiognomie und dokumentierte Jahr für Jahr ihre Veränderungen. Auch Corinth, der Zeitgenossen als Hitzkopf und Energiebündel galt, unterzog sich mithilfe der Malerei einer lebenslangen Selbstanalyse. Ab dem 42. Lebensjahr führte er jedes Jahr kurz vor seinem Geburtstag ein Selbstporträt aus. Es diente ihm als Instrument der Selbstbefragung. Bei den Arbeiten fallen die Selbstinszenierungen in den unterschiedlichsten Rollen und Posen, der Einsatz von Kostümen und die Verwendung von Allegorien auf. Ein Meister der Selbstüberhöhung und Kostümierung war auch Salvador Dali, wie die ausgestellte Kaltnadelradierung von 1968 belegt.
Erich Heckel, Bildnis E.H., Holzschnitt, 1917; Foto: Peter Hinschläger
Für die eindrucksvolle Präsentation hat sich die Kuratorin etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Auf den Beschriftungstafeln der einzelnen Werke sind fotografische Porträts der jeweiligen Künstlerinnen und Künstler platziert, die zeitgleich oder zeitnah mit den ausgestellten Selbstbildnissen entstanden. Diese Fotografien hat das Team der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim in zeitraubenden Recherchen ausfindig gemacht. Doch die mühevolle Suche hat sich gelohnt: ermöglichen die Ablichtungen doch einen direkten Vergleich mit den künstlerischen Selbstbespiegelungen – zwischen realem Sein und inszeniertem Schein.
Was möchte der Maler über sich preisgeben? Die Betrachter können so leicht Anhaltspunkte für bewusste Selbstinszenierungen in den zeichnerischen oder grafischen Umsetzungen entdecken. Lassen sich beispielsweise malerische Betonungen von Kantigem, wie bei Max Beckmann, oder Knöchernem an Schädeln und Gesichtern, wie bei Otto Dix, oder das gebrechliche Erscheinungsbild, wie bei Käthe Kollwitz, im fotografischen Porträt nachvollziehen? „Die Selbstbildnisse von Käthe Kollwitz sind“, so die Kuratorin „Spiegelbilder ihrer Seele. Sie dokumentieren die permanente und intensive Selbstbefragung der Künstlerin“.
Emil Orlik, „Der Anarchist“, Farbholzschnitt, 1920; Foto: Peter Hinschläger
In der beeindruckenden Schau sind neben Käthe Kollwitz nur noch vier weitere Künstlerinnen mit Selbstporträts vertreten: Bele Bachem, Marie Laurencin, Emy Röder und Cäcilie Thiermann-Heise. Das lag weniger am Sammler als daran, dass das Selbstporträt-Angebot von Malerinnen auf dem Kunstmarkt damals noch stark unterrepräsentiert war.
Ottohans Beier „Selbstbildnis mit Muscheln“, Radierung auf Büttenpapier, 1965; Foto: Peter Hinschläger
Leihgeber der exzellenten Exponate ist das Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren, dem die Frerich-Kollektion 2012 übergeben wurde.
„Das Selbstporträt – Arbeiten auf Papier aus der Sammlung Frerich“ in den Opelvillen bis zum 8. April 2018; weitere Informationen unter:
Bildnachweis: © Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim