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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„ON DESIRE. Über das Begehren“

Sehnsucht, Lust und andere Obsessionen – Die B3 Biennale des bewegten Bildes 2017

„ON DESIRE. Über das Begehren“ an Orten der Transition an Rhein und Main

 Ausschnitthafte Einblicke von Petra Kammann

Die B3 Biennale des bewegten Bildes findet vom 29. November bis 3. Dezember 2017 an verschiedenen Orten in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet statt. Festivalzentrum ist das frühere Gelände der Deutschen Bank und Areal des künftigen Hochhausquartiers FOUR Frankfurt mit einer Leitausstellung auf rund 3.000 Quadratmetern mit Bewegtbildern von Künstlern, Wissenschaftlern und Medienschaffenden aus 20 Ländern, welche den Ist-Zustand und die Zukunft der Bewegtbildbranchen präsentieren und zur theoretischen Reflexion anregen.  

 Premiere am Schauspiel Frankfurt: Sequenz 01_2

Eröffnungspressekonferenz in der „verbotenen Stadt“: v.l.n.r.: Prof. Bernd Kracke, Galeristin Anita Beckers, Kulturdezernentin Ina Hartwig, Minister Boris Rhein, Helmut Müller (Kultur- fonds Frankfurt Rhein Main) und Wirtschaftsdezernent Markus Frank  

Das Jahr 2017 war schon ein aufregendes Kunstjahr mit der heiß diskutierten documenta 14 in Kassel und Athen, der Biennale in Venedig und den Skulpturenprojekten in Münster und Umgebung. Bedarf es da noch eines weiteren Festivals? Da setzt nun die diesjährige B3 in der Mainmetropole mit ihrer Leitausstellung einen ganz neuen und eigenen Akzent in der RheinMain-Region, indem sie den Fokus auf die neuen und sich ständig erweiternden Bewegtbildarbeiten legt und innovative Wege beschreitet.

Bewegte Bilder sind die Zukunft. Das weiß inzwischen jeder Smartphone-Besitzer. Die B3-Biennale des bewegten Bildes aber ist die Plattform für die aktuellen Formen der medialen Kunst. Voller Elan und Überzeugung verkündete Prof. Bernd Kracke (HfG Offenbach) im einstigen Vorstandssitzungssaal der Deutschen Bank in „der verbotenen Stadt“ dann auch auf der Pressekonferenz: „Die B3 2017 ist so aktuell wie nie“. An diesem inzwischen verlassenen Ort, welcher der B3 als letzter Veranstaltungsort für das Festival zur Verfügung stand, tagte in Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders der Vorstand.

Ein Ort der Transition:  „Die verbotene Stadt“ des einstigen Deutschen Bank-Gebäudes, das dem Abriss preisgegeben ist. Im Hintergrund läuft die Projektion von „Sweet Dreams are made of this“

Times are changing… und „wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, möchte man mit Hölderlin weiter spekulieren. Wo einst das Herz der Finanzwelt schlug, ist also vorübergehend die Kunst- und Kreativwirtschaft, in der inzwischen 35 000 Menschen tätig sind, eingezogen, vielleicht auch, um den „Abgesang“ auf die einstigen stabilen Wirtschaftssysteme erträglicher zu machen?

Wie auch immer. „Die B3 hat sich als vitale Plattform für Kreativität, interkulturellen Austausch und kunstpolitischen Diskurs über die großen Fragen unserer Zeit etabliert. Ich sehe sie auf dem besten Weg, das wichtigste und einflussreichste Festival zum Thema Bewegtbild in Europa zu werden“, sagte der Hessische Minister für Wissenschaft und Kunst Boris Rhein auf der Pressekonferenz. Und Prof. Bernd Kracke, Künstlerischer Leiter der B3: „Die große Zahl der Welt- und Deutschland- Premieren zeigt, wir haben mit unserem Leitthema einen Nerv getroffen“.

Auf dem Gelände des ehemaligen Domizils der Deutschen Bank, dem Festivalzentrum FOUR Frankfurt, steht dabei das menschliche Begehren in all seinen Facetten im Mittelpunkt: denen der Liebe, Gier, Lust, Sehnsucht, des Verlangens und der Angst. Allein dieser so reale mit besten Materialien der Fünfziger Jahre ausgestattete Ort, der dem Publikum früher verwehrt war, wirkt heute so irreal, dass er schon einen eigenen Film wert wäre. Geht man die Treppe hinauf  in das verlassene Gebäude, wird man überraschend durch die Projektion eines Filmes „Sweet Dreams are made of this“ begleitet, bei dem zwei Polizisten in einem vergoldeten Festsaal miteinander Tango tanzen.

Frankfurts Kulturdezernentin Ina Hartwig sieht die B3 als Plattform für innovative und internationale Vernetzungen verschiedenster Art: „Die B3 bringt Menschen genreübergreifend zusammen, stößt wichtige Debatten an und sendet wichtige Impulse für die Bewegtbildbranche. Die Zusammenarbeit von Hochschulen, Museen, Galerien und anderen Einrichtungen im Rahmen des B3 Parcours macht außergewöhnliche Kunsterlebnisse möglich und stärkt Frankfurts kulturelles Renommee im Ausland.“

Die Frankfurter Galeristin Anita Beckers sammelt, fördert und präsentiert Kunst rund um das bewegte Bild seit über 20 Jahren. Ihre Galerie in der Braubachstraße ist ein Hotspot zeitgenössischer Video- und Medienkunst

Begehren auf 3.000 Quadratmetern

Eine der zentralen Säulen der B3 ist vor allem die von der Frankfurter Galeristin Anita Beckers und Prof. Kracke kuratierte Leitausstellung „ON DESIRE. Über das Begehren“ in den verschieden ausgestatteten Konferenzsälen, bei denen sich die zeitgenössischen Künstler mit den verschiedenen Formen des Begehrens auseinandersetzen. Zwischen Großer Gallusstraße, Junghofstraße und Neue Schlesingerstraße, wo bis 2023 vier verschiedene Hochhäuser entstehen werden, trifft symbolischerweise also die Zukunft des bewegten Bildes auf die Zukunft der neuen Stadtgestaltung… Es ist auch der Ort zahlreicher anderer Veranstaltungen, in denen man sich theoretisch mit dem Thema beschäftigen kann.

Gemeinsam mit Boris Rhein haben sich die beiden Kuratoren Kracke und Beckers  vorab auch die neuesten Strömungen in China angeschaut, wobei Kooperationen mit chinesischen Partnern in Peking entstanden. Und angesichts der einschneidenden politischen und ökonomischen Verwerfungen in der Welt fühlten sich etliche der Künstler/innen aufgerufen, mittels ihrer Kunst klare Positionen zu beziehen. Sie verknüpfen die existenziellen Fragen mit künstlerischen und technischen Aspekten .

Künstler aus 20 Ländern sind in Frankfurt präsent. 70 nationale und internationale Künstler insgesamt, die sich mit dem Leitthema „ON DESIRE. Über das Begehren“ in Form eines umfangreichen Kurz- und Langfilmprogramms mit aktuellen 360-Grad-Produktionen, Fulldomefilmen beschäftigen und daraus aktuelle Projekte aus den Bereichen Virtual und Augmented Reality entwickelt haben. Bei ihrer Ausstellungsvorbereitung haben sich dabei offenbar so thematische Schwerpunkte wie Flucht, Vertreibung, Krieg als auch Sexualität und Geschlechterbeziehungen herauskristallisiert, die in ihren Videoinstallationen, Kurz- und Spielfilmen, aber auch in Games sowie in Virtual und Augmented Reality-Projekten zum Ausdruck kommen.

Ein paar Highlights

Zu den teilnehmenden Top-Künstlern aus aller Welt zählen u.a. Federico Solmi (IT/SUA), Candice Breitz (RSA), Julian Rosefeldt (D), Johan Grimonprez (B), Igor Simic (Serbien), Claire Langan (IRE), Johannes DeYoung (USA), Daniel Landau (Israel) sowie aus China YANG Fudong, WANG Gongxin und XU Bing.
Insgesamt 16 Welt-, Europa- und Deutschlandpremieren unterstreichen die künstlerische Attraktivität der B3.

Die südafrikanische Künstlerin Candice Breitz

Eine Szene aus der Performance „TLDR“ der südafrikanischen Künstlerin Candice Breitz

Das Projekt der südafrikanischen Künstlerin Candice Breitz kann man in zwei nebeneinander liegenden Räumen im Festivalzentrum in einer 13 Channel-Video-Installation erleben. Es „erzählt“ die Geschichte der ständig vom Tod bedrohten „Sex Workers“ aus Kapstadt. Ihre Geschichten, die aus einem anhaltenden Dialog zwischen der Künstlerin und der Sex Workers Education & Advocacy Taskforce (SWEAT) entstand, sind in dem einen Raum in jeweils einstündigen Interviews „archiviert“. Man erfährt, warum sie sich für eine Organisation engagieren, die für die Rechte von Prostituierten kämpft. Im Nebenraum begegnen wir den Sexworkers in einer Art choreographierter Performance, bei der sie mittels eindrücklicher Bilder über ihre Arbeit und über ihre gesellschaftliche Situation und deren Doppelmoral reflektieren. Für die Sexworkers ist immer auch der Tod ihr ständiger Begleiter, da Prostitution in Südafrika verboten ist.

Um die Aktualität des Mediums zu unterstreichen, sagt Prof. Bernd Kracke: „Angesichts der einschneidenden politischen und ökonomischen Verwerfungen in der Welt fühlen sich viele Künstler_innen aufgerufen, mittels ihrer Kunst klare Positionen zu beziehen. Existenzielle Fragen verknüpfen sich mit künstlerischen und technischen Aspekten. Die große Zahl der Welt- und Deutschland- Premieren zeigt, wir haben mit unserem Leitthema einen Nerv getroffen“.

Szene aus: „The Great Farce“ von Federigo Solmi

Unter dem Stichwort „Parcours“ spielen dann weitere Orte auch noch eine Rolle. Dazu gehört nicht zuletzt die Fassade der Städtischen Bühnen. Da wird am 28. November passend zum Gehäuse von Schauspiel und Oper auf das Äußere der Theaterdoppelanlage ein animiertes Panoramagemälde des italienisch-amerikanischen Künstlers Federico Solmi „The Great Farce“ als 9-Kanal-Video-Installation als Premiere projiziert. Prof. Kracke nannte den Schöpfer Federigo Solmi „The Renaissance man“.  Denn der italo-amerikanische Künstler hat das animierte Panorama, ein Bilder-Mix aus Games, Pop-Kultur und Zeichnungen, selbst per Hand gezeichnet, bevor es computerunterstützt in seiner New Yorker Werkstatt weiterverarbeitet wurde. Heraus kam ein so schrilles wie irrwitziges Welttheater mit politisch-historischen Figuren und Diktatoren, die in einem ständigen Vergnügungspark zu leben scheinen und den Bezug zur Wirklichkeit verloren haben.

Wer die öffentliche 110 Meter lange Fassaden-Projektion der Fratzen, Clowns und Diktatoren verpasst, kann das nachholen, indem er die Animation im Kleinformat in einem der Konferenzsäle (N147A) anschaut.

Der italo-amerikanische Künstler Federico Solmi

Mit diesem Video bekommt man einen Einblick in seine New Yorker Produktionsstätte

Interessant auch die Five Chanel- Installation „Basic color“ des chinesischen Künstlers Wang Gongxing aus Peking. Er gehört der ersten Generation chinesischer Video-Künstler an und beeinflusste mit seinem Werk viele junge Künstler in China. In Frankfurt präsentiert er in „Basic Cola“ die drei Grundfarben Blau, Rot und Gelb, die von Schwarz und Weiß ergänzt werden. In seinem Video sehen wir, wie innerhalb von 15 Minuten farbige Puder auf einzelne stark vergrößerte Körperteile fallen, die wie schwebender Staub oder Nebel wirken.

Wang Gongxing aus Peking

Bei knapp 60 Veranstaltungen reflektiert jeder Tag spezielle Aspekte des Leitthemas „ON Desire. Über das Begehren.“ Außerdem werden Hintergründe, neueste Strömungen und Konflikte in den Bereichen Games, VR/AR und Künstliche Intelligenz (KI) abgehandelt. Das Festivalprogramm umfasst neben den Ausstrahlungen und Filmreihen im Frankfurter Kunstverein, im Bad Homburger Sinclair-Haus, in der Kunsthalle Darmstadt, im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden auch zwei Virtual-Reality-Kinos und eine Kuppel für 360-Grad-Filme mit dem „Full Dome“ sowie auch zahlreiche Podiumsdiskussionen. Da wird etwa im Rahmen des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität herausgearbeitet, wie sich unser visueller Alltag mit unser aller Handy von der innovativen Kunst unterscheidet. Man darf gespannt sein.

Die B3-Leitausstellung läuft bis 20. Dezember 2017

Den B3 BEN Award für das Lebenswerk werden in diesem Jahr die deutsche Kunstsammlerin Ingvild Goetz und der litauisch-amerikanische Filmpionier Jonas Mekas erhalten.

Alle Fotos: Petra Kammann

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