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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Der Mieter“ von Arnulf Herrmann – ein Auftragswerk der Oper Frankfurt

Mobbing, Anpassung, Identitätsverlust, Suizid: Klopfen, brechen, tropfen

Text: Renate Feyerbacher
Fotos: Barabara Aumüller / Oper Frankfurt

Was für ein Werk, was für eine Inszenierung, was für ein Team – eine Wucht, ein begeistertes Publikum bei der Uraufführung am 12. November! Dabei ist dieses Musikdrama ein harter Brocken – nichts für Ohren, die sich ausschließlich auf italienischen Belcanto eingestellt haben.

 v.l.n.r. Björn Bürger (Georg), Alfred Reiter (Herr Zenk) und Hanna Schwarz (Frau Bach) sowie rechts stehend v.l.n.r. Frau Bach, Georg und Herr Zenk

Bei der Oper extra am 29. Oktober informierten Komponist Arnulf Herrmann, Librettist Händl Klaus, Dirigent Kazushi Ōno, Regisseur Johannes Erath, Sängerin Anja Petersen und Dramaturg Zsolt Horpácsy vorab über das Werk und über ihre intensive Zusammenarbeit.

Als Vorlage für die Handlung des Librettos dienten Motive aus dem Roman „Le locataire chimérique“ (1964 – deutsch „Der Mieter“) von Roland Topor (1938-1997), Sohn polnisch-jüdischer Eltern, die nach Paris ausgewandert waren. Topor war ein Multitalent: Schriftsteller, Karikaturist, Zeichner, Illustrator, Plakatmaler, Bühnenbildner, Schauspieler und Trickfilmer. Sein Roman „Der Mieter“ wurde von Roman Polanski verfilmt. Der britische Zeichner Ronald Searle charakterisierte Topor so: „Er ist ein menschliches Feuerwerk, das in alle Richtungen sprüht, krachend und aufrüttelnd, unterhaltsam und erschreckend.“

Ebenso erschreckend ist auch das Musikdrama geworden, zu dem Arnulf Herrmann (* 1968) die Idee hatte. Er erzählt, dass es kein fertiges Libretto gegeben habe, sondern dass er mit Händl Klaus (* 1969 als Klaus Händl) Szene für Szene erarbeitet habe. Herausgekommen ist dabei ein musikalischer Psychothriller, der Text und Musik extrem verzahnt. Er sei begeistert gewesen von dem Roman, aber nach der Lektüre erledigt, sagt der österreichische Schriftsteller, Filmregisseur („Kater“ Teddy Award Berlinale 2016) und Dramatiker, früher auch Schauspieler Händl Klaus, der viele Preise sein eigen nennt.

Die Autoren vom Verlag der Autoren in Frankfurt zeichneten Händl Klaus mit ihrem Preis aus, der erstmals an einen Librettisten ging. „Begeistert und fasziniert hat uns sein sprachlich-formales Prinzip […] Offenbar fühlt er (Händl Klaus) sich im Opernmilieu künstlerisch am wohlsten. Aber seine Leidenschaft gilt der Neuen Musik und das spürt man auch in seinen Texten“ beschrieb Ulrich Hub, Theaterregisseur, Schriftsteller, preisgekrönter Kinderbuchautor und ausgebildeter Schauspieler in seiner Laudatio am 17. Juni 2017 die Situation. Seine Sätze sind verständlich, einfach, aber dadurch unglaublich wirksam. Es gibt Wiederholungen und am Ende wird gestottert, die Worte sind zerfetzt. Der Text bietet der Musik die Möglichkeit, sich wirkungsvoll zu entfalten.

Klaus Händl nach der Preisverleihung am 17.6. und Arnulf Herrmann bei Oper extra am 29.10.2017, Fotos: Renate Feyerbacher

Regisseur Johannes Erath, der bisher fünf Produktionen an der Oper Frankfurt verantwortete, unter anderem Händels „Giulio Cesare in Egitto“, und der an allen großen deutschsprachigen Opernbühnen aktiv ist, wohnt keine zweihundert Meter vom Komponisten Herrmann entfernt. Er erzählt, es sei wunderbar für ihn gewesen, so früh in eine Uraufführung einsteigen zu dürfen. Diese intensive, lange Beschäftigung mit dem Musikdrama „Der Mieter“ habe sich gelohnt. Er hat zusammen mit Bühnenbildner Kaspar Glarner, der Kostümbildnerin Katharina Tasch, dem Lichtdesigner Joachim Klein und den Videos von Bibi Abel entwaffnende, skurrile, fantastische Szenen geschaffen nach dem Motto: „Mit den Ohren sieht man, mit den Augen hört man.“

v.l.n.r. Claudia Mahnke (Frau Greiner), Judita Nagyová (Frau Dorn) und Hanna Schwarz (Frau Bach), dahinter Björn Bürger (Georg; liegend) sowie im Hintergrund Philharmonia Chor Wien

Worum geht es denn eigentlich? Es geht um einen Mieter, um ein Mietshaus, das als Spiegelbild für unsere aktuelle Lage stehen kann.

Georg zieht in die Wohnung von Johanna ein, die sich aus dem Fenster stürzte, während die Glasscherben des Vordachs noch herumliegen. „Dort schlug sie auf. / Das viele Blut. / Ein fetter Fleck. / Das hat gespritzt“, singen abwechselnd Vermieter Zenk und Mieterin Bach, als Georg die Wohnung besichtigt. Er wird sie nehmen, schließlich herrscht Wohnungsnot. Im Café gegenüber bestellt er zwar einen Kaffee, erhält jedoch Kakao und Zigaretten, wie sie Vormieterin Johanna bevorzugte. Seine Ablehnung wird nicht zur Kenntnis genommen.

Georg lädt Freunde ein, um mit ihnen den Wohnungseinzug zu feiern. Da der Alkohol allen zusetzt, wird es laut und tumultartig. Ein erboster Nachbar beschimpft ihn wüst. Eingeschüchtert, drängt er seine Freunde aus der Wohnung.

Dann ist alles still, nur noch das Tropfen des Wasserhahns ist zu hören. „Keine Frauen auf dem Zimmer. Wir sind ein stilles Haus“, hatte Herr Zenk beim Einzug gesagt und nun: „Dieser Lärm war grauenhaft. Es gab Frauen auf dem Zimmer. Man hat sich über Sie beschwert . [..] Wir sind ein stilles Haus, Herr Schwarz. Senken Sie im Haus die Stimme. [..] Wehe Ihnen.“

Zwischendurch „erscheint“ ihm Johanna, während die Nachbarn klopfen und ihn mehr und mehr bedrängen. Als er eine Unterschrift verweigert, weil einer Mieterin gekündigt werden soll:, „Alle haben unterschrieben“, kulminiert nicht nur die Situation im Haus, sondern auch der Hass gegen ihn.

Er fürchtet sich. Das Klopfen wird zum Hämmern, weil das Glasdach repariert wird. Von den Nachbarn und den Arbeitern sieht er sich verhöhnt. Plötzlich sieht er sich selbst geschminkt und in Johannas Kleid: „Sie haben mich zur Frau gemacht!“ Georg wird endgültig zu Johanna, löst sich in ihr auf. Johanna springt erneut. Herrmann spricht von „Verschmelzung von Ich und Du“.

Wie Arnulf Herrmann dieses Zerrissensein von Existenz und Nicht-Existenz, von Haltlosigkeit und Fallen, von sich auflösendem Individuum vertont, das geht an die Substanz. Die Wohnungsbesichtigung schwankt musikalisch zwischen ruhigen und unterschwellig drohenden Tönen. In den zwei Stunden ohne Pause steigert sich die Musik bisweilen in fast unerträgliche Laustärke: es rumort, es grollt, es tobt, es droht, es klopft, es tropft, es zerbricht, es hämmert und dann vernimmt man wieder spitze, hohe Töne im Falsett, die den Protagonisten ohne Instrumente abverlangt, werden so zum Beispiel, wenn Georg verzweifelt feststellt: „Sie haben mich zur Frau gemacht,“ unmittelbar danach folgt drohend ein Paukenschlag.

Fast ein Drittel der Oper besteht aus ¾ Takten, also Walzerklängen. Elektronische Motive unterstützen das Ganze (Sounddesign Josh Jürgen Martin). Alles ist äußerst rhythmisch verzahnt. Mal ist die Musik leise, mal sind nur Stimmen zu hören, mal wird sie laut und immer lauter. Dieses Hin- und Herschwanken des Individuums in seiner schweren psychischen Krise, gestaltet durch Wiederholungen, und dieses Sich-nach-und-nach-Auflösen erlebt man mit, den psychischen Horror, der packend und spannend zugleich ist.

Und genauso packend setzt Regisseur Johannes Erath die Geschichte auch um. Georgs Wohnung mit dem alten Waschbecken, das durch Videos angedeutet wird, schwebt als helles Plateau über der Bühne, wird hin und wieder bewegt. Zum Ende hin wird es immer langsamer und steiler. Der Schluss- und Höhepunkt: Georg hängt an Seilen, sein Leben hängt buchstäblich am Seil. Schließlich steigt er auf den Stuhl, der ihm als einziges Requisit verblieben ist. Dann wird ihm der Boden unter den Füßen weggezogen.

Björn Bürger als Georg

Dirigent Kazushi Ōno, der an allen berühmten Opernhäusern gefeierte Dirigent, interessiert sich besonders für die zeitgenössische Musik. Der Japaner, der neun Jahre – bis 2017 – Generalmusikdirektor an der Opéra de Lyon war und zum „Officer de l’ordre des Arts et des Lettres“ ernannt wurde, leitet inzwischen das Sinfonieorchester in Tokyo und Barcelona und ist seit 2018 Künstlerischer Leiter des National Theatre in Tokio.Sehr engagiert und professionell dirigiert er das Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Auch er hat sich über Monate in Herrmanns Werk eingearbeitet.  Der Philharmonia Chor aus Wien, das gesamte Ensemble, vor allem Anja Petersen, die ihr Debüt in Frankfurt als Johanna gibt, und Björn Bürger als Georg, tragen entscheidend zum grandiosen Gelingen des Abends bei.

Was der Bariton Björn Bürger, eine feste Größe im Frankfurter Ensemble und Schüler von Hedwig Fassbender, sowohl stimmlich, schauspielerisch und körperlich als Georg leistet, kommt einem Kraftakt gleich. Ihm, der vorzüglich Mozart singt, gelingt es, so gekonnt wie differenziert die modernen Töne von Herrmann zu intonieren. Das Publikum spendete ihm den entsprechenden Beifall. Ohnehin ist Björn Bürger dabei, sich die europäischen Opernbühnen zu erobern.

Nur keine Angst vor moderner Musik und vor allem keine Angst vor der Uraufführung von “Der Mieter“. Sie ist ein Erlebnis.

Weitere Vorstellungen am 24. und 29. November sowie am 2. und 7. Dezember 2017

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