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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Tanzherbst in New York

American Ballet Theatre

Neue Choreographien von Alexei Ratmansky, Jessica Lang, Benjamin Millepied beim American Ballet Theatre

von Simone Hamm, New York

Misty Copland ist die bekannteste klassische Tänzerin in den USA. Sie ist die erste schwarze Primaballerina des American Ballet Theatre. Auf der großen Herbstgala des American Ballet Theatre ehrte sie die Arbeit von Project Plié, eine Initiative, die die ethnische Vielfalt im amerikanischen Ballett fördern soll. Dann zeigten Schüler des American Ballet Theatre – oder wie es in den USA heißt: die Stars von morgen – die Premiere einer Jessica Lang Uraufführung: „Gift“- „Geschenk“.

Szene aus: The Gift. Photo: Marty Sohl

Kinderstimmen sind zu hören: Ich bin sehr aufgeregt. Ich bete. Ich freue mich. Junge Tänzer vor ihrem ersten großen Auftritt. Jessica Langs Choreografie „Gift – Geschenk“ ist wie ein Blick in den Übungsraum der Tanzstudenten. Sie zeigen ein Potpourri sämtlicher Sprünge, Hebungen, Drehungen, die sie dort gelernt haben. Eine Ballerina in einem riesigen Kostüm aus Silberlamée wird über die Bühne getragen, ihr Rock bauscht sich. Stolz beugt sie den Kopf. „Geschenk“ ist sowohl ein Geschenk ans Publikum als auch das Geschenk, das die Tänzer sich selbst machen. Es ist eine fröhliche, kleine Choreografie, ein sehr positiver Blick in die Zukunft des American Ballet Theatre.

Der Höhepunkt des Abends war die neue Choreographie von Alexei Ratmansky: „Songs of Bukovina“. Bukowina, jene Gegend in den Karpaten, ist heute zwischen der Ukraine und Rumänien aufgeteilt. Eine Gegend, die schon immer multikulturell gewesen ist. Die Musik hat Leonid Desyatnikov komponiert. Ratmansky und Desyatnikov sind beide in der Ukraine aufgewachsen. Ratmansky sagte einmal, wäre er ein Komponist, würde er Musik wie Desyatnikov schreiben.

Fünf Paare tanzen miteinander. Bisweilen wirkt es, als habe die Musik so plötzlich geendet, dass sie überrascht worden sind: sie stutzen, pausieren, stehen auf einem Bein, heben einen Arm. Ihre Bewegungen sind vorsichtig, fast zart. Wenn die Männer die Frauen heben, heben sie sie nur bis zur Hüfte, nicht über den Kopf. Und die Sprünge sind nicht ausholend, sondern kurz und prägnant.

Szene aus: Songs of Bukovina. Photo: Marty Sohl

Leonid Desyatnikov hat 24 Präludien für Klavier komponiert, Alexey Goribol spielte sie so warm wie bewegend. Dass die Klaviermusik auf Volksliedern aus der Bukowina beruht, klingt nur sehr dezent an. Also weder Folklore auf der New Yorker Bühne noch eine Ausschmückung über folkloristische Kostüme. Die Tänzerinnen tragen Kleider aus zartem, fließenden Stoff. Allenfalls erinnert der dick gewebte bunte Gürtel an ein festliches Gewand aus Osteuropa. Alexei Ratmansky erzählt in seiner Choreografie auch keine märchenhafte Handlung. Seine Tänze sind sehr rhythmisc und doch immer elegant. Schönheit pur.

Christine Shevchenko, ganz in Rot, schreitet selbstbewusst auf die Bühne, geht auf ihren Partner Calvin Royal zu, nimmt ihn an der Hand. Sie wirkt sehr ruhig. Sie beginnt, sich an der Hand des Partners zu drehen. Er hält sie fest. Sie wird schneller, ihre Füße fliegen, als tanzte sie auf glühenden Kohlen. Dann hält auch sie inne. Die beiden Solotänzer sind nicht dominant. Sie kommen aus dem Ensemble und gliedern sich schnell wieder ein. Das Ensemble steht im Vordergrund. Die Tänzer wirken wie ein einziger Tanzkörper, absolut gleich in jeder Bewegung. Das ist absolute Perfektion auf höchstem Niveau. Nur dann und wann treten Paare und Einzelne hervor. Etwa Joo Wan Ahn, der flattert, als sei er ein Vogel mit hin und her wiegenden Armen, die Füße hinter sich herziehend wie einen Schwanz. Eine Bewegung, die sich ständig wiederholt.

Ton und Atmosphäre aber ändern sich von Minute zu Minute. Langsam, in Wellenbewungen, gehen Paare aufeinander zu, als vollführten sie eine uralte Zeremonie. Dann greifen die Tänzer fast rau nach den Tänzerinnen. Das wirkt gefährlich. Ein spannender Moment, der sich schnell auflöst, denn die stolzen Tänzerinnen schütteln die Angreifer einfach ab.

Ratmansky gilt als großer Erneuerer des zeitgenössischen Ballets. Seitdem er für das American Ballet choreografiert, gilt das ABT wieder als eine der führenden Ballettkompanien der Welt.

In seiner „Shostakovich Trilogie“ hatte Ratmansky das Leben Dimitri Schostakowitschs unter Stalin thematisiert. In seiner „Serenade after Platos Symposion“ verkörpern sieben Tänzer die Ideen griechischer Philosophen. Politik und Philosophie, das waren schwere Themen auf der Bühne. Jetzt, da die politischen Zeiten in den USA härter werden, geht er einen anderen Weg. Im Frühjahr vertanzte er zunächst in Richard Strauß‘ Märchen „Schlagobers“ ein Stück über die Wiener Kaffeehauskultur.

Auch die „Songs from Bukovina“ sind leicht, fröhlich, heiter. Die Menschen in der Bukowina, wie sie hier gezeigt werden, sind eine Gemeinschaft, die zusammenhält. Vielleicht eine Dorfgemeinschaft. Männer und Frauen haben zwar ihre Konflikte miteinander, teilen aber auch betörende Momente. Ihr Tanz verkörpert Bescheidenheit, Ergebenheit. So, als ob die Menschen in der Bukowina ihr Schicksal angenommen hätten, und damit ganz zufrieden wären.

aus: I Feel The Earth Move von  Millepied – Photo: Rosalie O’Connor

Die Lichter bleiben an, als die Tänzer auf die karge Bühne kamen, um eine weitere Premiere des American Ballet Theatre zu zeigen: Benjamins Millepieds „I feel the earth move“ zu Musik aus Philip Glass‘ Musik „Einstein on the beach“ und „Liquid Days“.

Misty Copland und David Halberg tanzten miteinander, verloren sich, fanden sich wieder, trösteten sich gegenseitig. Das Corps de Ballet tanzte fröhlich und energisch zugleich. Es wagte, ungewöhnliche Formationen fürs klassische Ballett zu zeigen wie  etwa „Kaskaden“. Eine Tänzerin oder ein Tänzer begann mit einer Bewegung der Arme oder der Beine, dann folgte die nächste Tänzerin oder der nächste Tänzer nach kurzer Verzögerung mit exakt der gleichen Bewegung und so weiter. Oder die Tänzer reihten sich auf und vollführten gegenläufige Bewegungen: Der erste machte einen Schritt nach rechts, der nächste nach links und so fort. Oder sie erinnerten an ein Kaleidoskop, stellten abstrakte Formen dar, verharrten einen Moment, lösten das Bild auf, ließen ein anderes entstehen. Das wirkte federleicht und frisch, erinnerte aber weit mehr an die berühmten New Yorker Revue Girls „Rockettes“, als an dann zeitgenössischen modernen und klassischen Tanz.

weitere Infos über das American Ballet Theatre

 

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