Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt ( 12 )
Premierenmarathon zum Saisonauftakt unter der neuen Intendanz von Anselm Weber
Von Renate Feyerbacher
„Richard III.“ von William Shakespeare ( “rICHard”) – Machtspiele
Richard ist nicht tot zu kriegen. Welche Gesellschaft bringt ein solches Monster hervor? Wie kommt es, dass ein mächtiges Land von einem Psychopathen regiert wird? Warum wird es nicht verhindert? Fragen, die hoch aktuell sind.
Ein schwieriges Stück hat William Shakespeare (1564-1616) hinterlassen, das Vorwissen verlangt. Die Geschichte beginnt im Mittelalter, die Motive reichen aber bis in die Jetzt-Zeit. Dramaturgin, Autorin und Übersetzerin Gabriella Bussacker und Regisseur Jan Bosse, die schon länger zusammenarbeiten, haben dieses frühe Shakespeare-Werk neu übersetzt und bearbeitet. Kommt dem Jetzt entgegen, die Metaphern sind verständlicher. Schon sein Titel „rICHard III“ deutet auf die Ego-Ziele des Despoten, der ohne Grund bösartig sein will. Er nimmt sich die Freiheit zum Bösen: „Nicht in der Lage, schöne Unterhaltung zu genießen, bin ich entschlossen, den Bösewicht zu geben.“ und später: „Mit stahlharten Lügen, mit stichhaltigen Beweisen“ wird er Menschen, sogar seine Brüder, ermorden lassen. Die Parabel, die Shakespeare schrieb, hat nichts an Brisanz eingebüßt.
Richard III; Regie: Jan Bosse Wolfram Koch, Mechthild Großmann; Foto: Arno Declair
Shakespeare hat „Richard III.“ hundert Jahre nach dem Tod des historischen Richard geschrieben und ihm Taten angehängt, die er nicht getan haben kann. Das Herrscherhaus der Tudors, aus dem Elisabeth I. stammte, hatte ein Interesse daran, den Gegner Richard III. zu verunglimpfen. Zeitgenosse Shakespeare unterstützte sie darin und machte einen Schurken aus ihm. Richard soll auch kein Krüppel gewesen sein, was für die damalige Zeit einem bösartigen Charakter entsprach. Als 2012 nach 527 Jahren seine Gebeine bei Grabungen in Leicester gefunden und zweifelsfrei als die Richards identifiziert wurden, sahen die Gerichtsmediziner eine Skoliose und schwere Verwundungen an Kopf und Körper, zugefügt in der Schlacht, aber auch durch Schändung seines Leichnams. Richard wurde einfach gehasst. Fast dreißig Jahre tobte der Kampf der Herrschenden („Rosenkriege“) um die Vorherrschaft in England. Es war ein Schlachten und Morden. Nicht Richard allein, auch die anderen Regierenden waren an den Blutbädern beteiligt. Nun herrscht Frieden, aber die Machtkämpfe gehen weiter. Richard will König werden und geht dafür über Leichen. Sein Reich heisst ICH.
Richard III; Regie: Jan Bosse
Sebastian Kuschmann, Heiko Raulin, Isaak Dentler, Claude De Demo, Wolfram Koch; Foto: Arno Declair
„Jetzt, Jetzt, Jetzt“ lauten die Rufe zu Beginn aus allen Ecken des Theaters, das komplett umgestaltet wurde. Die Zuschauer sitzen auf vier Tribünen um einen Grabhügel herum und im angestammten Zuschauerraum, dessen Stuhlreihen mittig geteilt sind. Hier verläuft die Treppe zum Thron. Das königliche Personal schreitet die Stufen würdig herauf und herunter, Richard dagegen rennt gelegentlich. Überall wird gespielt und Schauspieler sitzen im Publikum. Ausgedacht hat sich diese Bühnenschöpfung Stéphane Laimé. Der mehrfach ausgezeichnete Künstler gestaltet schon seit Jahren Bühnenbilder für Regisseur Jan Bosse. Es gibt keine Trennung von Bühne und Zuschauerraum. Man denkt unweigerlich an das Globe Theatre London, wo es auch keine Trennung gab. Alles geschieht mit und unter uns.
Richard spricht immer wieder das Publikum an. Tabea Braun, die mit Christoph Schlingensief arbeitete, bis zum Ende der Intendanz von Frank Castorf an der Berliner Volkbühne tätig, Dozentin an verschiedenen Kunsthochschulenund Preisträgerin des „Ruhrpreis für Kunst und Wissenschaften“, entwarf dafür zeitlose Kostüme. Das Licht, gestaltet von Johan Delaere, kreiert effektvolle Schattenspiele. Eine Lampe spendet Licht und ist Sonne. Die Musik von Arno Kraehahn steigerte sich bis hin zur Trauermusik.
← Wolfram Koch spielt Richard III.
Foto: Renate Feyerbacher
Für die Rolle des Richard konnte Wolfram Koch gewonnen werden. Er tritt auf im grauen Anzug und rotem Schlips, mit einem leichten Buckel. Auch wer nicht ins Theater geht, kennt diesen außergewöhnlichen Schauspieler als hessischen Tatort-Kommissar Paul Brix. Er ist einer der besten Bühnenschauspieler seiner Generation, auf allen deutschsprachigen Bühnen zuhaus und Preisträger des Gertrud-Eysoldt-Rings.
Von links, wo er zunächst steht und redet, rennt er auf den Grabhügel zu und macht darauf einen Salto. Es heißt, er sei einmal Turner gewesen. Spöttisch, scherzend, lustig präsentiert sich dieser Richard in seiner Skrupellosigkeit. Geriert sich manchmal wie ein Boxer. Dreieinhalb Stunden, die Pause abgerechnet, ist Wolfram Koch aktiv, hechtet von einer Ecke zur anderen, die Treppen rauf und runter, klettert aufs Todespodest – schauspielerisch und körperlich eine Höchstleistung. Eine One-man-Show mit vielen Figuren, deren Schurkenhaftigkeit deutlich heraus gearbeitet wurde.
In der Geschichte hat jeder Dreck am Stecken. Die Folge: „Rache. Ich hungere nach Rache. Rache, Rache, Rache. Ihr Edward ist tot, der meinen Edward tötete, ihr anderer Edward ist tot, um meinen zu rächen. Ihr Clarence ist tot, er stach meinen Edward ab, und auch die Zuschauer dieses irren Schauspiels, der lüsterne Hastings, Rivers und Grey, sind viel zu früh versenkt in ihre finstren Gräber“, Magret ( Akt 4.4).
Bis auf Richard übernehmen die Darsteller mehrere Rollen. Es gibt ein Wiedersehen mit Katharina Bach, mit Claude de Demo, die beide schon einmal zum festen Ensemble unter Intendant Reese gehörten. Dabei sind Issak Dentler und Peter Schröder, die Hier-Gebliebenen (s. Oliver Reese geht – Anselm Weber kommt), neu im Ensemble und als Gäste sind Heiko Raulin, Sebastian Kuschmann, Samuel Simon, Sebastian Reiss und Mechthild Grossmann, die sonore, rauhe Stimme, die aus dem TATORT Münster vielen bekannt ist. Ein hervorragendes Ensemble.
Regisseur Jan Bosse hat erstaunliche Ideen zum Beispiel, wie er Richard buchstäblich untergehen lässt. Er thront auf einem Podest als Richmond, der Tudor, der ihn, aus Frankreich gelandet, zum Kampf auffordert. Es gibt keinen Kampf, sondern ein Rededuell. Und Richard redet und redet und fährt langsam ins Grab. Frenetischer Applaus für Wolfram Koch und das gesamte Team. Der zweite Teil des Abends hätte allerdings gestrafft werden können.
Weitere Aufführungen am 3., 5., 12.,16.,und 17. November und im Dezember
(s. „Wer war der Autor der Shakespeare-Werke?“).
Die Regisseure Jan Bosse und Roger Vontobel Foto: Renate Feyerbacher
Der „Woyzeck“ von Georg Büchner
Ausgrenzung
Richard – Macht, Woyzeck – Ohnmacht. Was für eine Szene! Der Hauptmann sitzt auf einem hohen Rasierstuhl, der unentwegt von der Stelle rollt und Woyzeck versucht, ihn zu positionieren. Es ist ein geniales Bild, wie der Underdog vergeblich gegen die Schwerkraft, Symbol der Ausbeutung, kämpft. Woyzeck, der ein uneheliches Kind hat, tut alles, um ein richtiges Leben zu führen, schuftet, um die Familie zu ernähren, versucht, Marie mit kleinen Geschenken zu erfreuen. „Es muss was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl“. Der Wirtschaftswissenschaftler Oliver Nachtwey zieht im Programmheft die heutige Abstiegsgesellschaft zum Vergleich heran: „Wer einmal unten ist, kommt schlecht wieder auf die Füße.“ Das zeigt diese Szene.
Jana Schulz, Preisträgerin des Gertrud Eysoldt-Rings, ist Woyzeck. Die freischaffende Schauspielerin spielt sowohl Frauen als auch Männerrollen, und das überzeugend. Es gelingt ihr, männliche und weibliche Charakteristika unkonventionell zu vereinen. Was ist typisch weiblich, was typisch männlich? Woyzeck, so sagt Regisseur Roger Vontobel, ist ein hochsensibler, feiner Mensch „ ein empfindsames Wesen zwischen Mann und Frau – und nicht bloß der geknechtete Soldat oder der betrogene Ehemann. [..] Jana ist für mich Woyzeck.“ Die 1977 in Bielefeld geborene Künstlerin hat ein feines, zartes, ein weibliches Gesicht, das, wenn es angespannt, schmerzverzerrt ist, herb wirkt. Schulz und Vontobel kennen sich schon seit der Studienzeit in Hamburg. Er weiß, was er von ihr verlangen kann: „Jana Schulz schützt sich nicht – genauso wenig wie Woyzeck.“ Die Radikalität ihres Spiels macht sprachlos.
Woyzeck, der zunächst auf der großen Bühne weit hinten steht und Stecken schnitzt, wird buchstäblich der Boden entzogen, indem die Drehbühne ständig in Bewegung ist. Das nervt. Die Gesellschaft hetzt ihn. Nach Innen ist der Blick gerichtet, die Stimme angespannt. Er ist ein Ausgestoßener, ein Gedemütigter, ein Verspotteter, ein Ausgenutzter, Opfer und Täter.
Woyzeck und Marie haben Namen, die anderen sind namenlos, sind Funktionsträger – der Hauptmann, der Arzt, der Tambourmajor, der Unteroffizier.
Der im hessischen Riedstadt geborene Georg Büchner (1813-1837), angehender Doktor der Medizin, hat ein Dramenfragment hinterlassen, das kurze, schnelle Szenenwechsel hat. Es ist ein Kommen und Gehen ist auf der zweigeteilten Bühne, die durch einen LED-Vorhang getrennt ist.
Woyzeck Regie: Roger Vontobel; Jana Schulz, Friederike Ott Foto: Arno Declair
Zwischen Woyzeck und Marie gibt es zarte Momente, allerdings dürfen die beiden nicht heiraten. Sie ist keine Hure, sie hat Gewissensbisse. Aber die Entbehrungen bringen sie dazu, sich dem abstoßenden Tambourmajor, einem Zuhältertyp, (André Meyer) an den Hals zu werfen. Friederike Ott gelingt eine differenzierte Darstellung der Marie. Woyzeck verliert vollends den Bezug zur Wirklichkeit, denn Marie war sein Halt. Er tötet sie. „Es ist eine Art Selbstmord, den Woyzeck begeht,“ sagt Regisseur Roger Vontobel, der einen durchdachten, berührenden, aktuellen „Woyzeck“ auf die die Frankfurter Bühne brachte.
Weitere Aufführungen: am 11.,20.,23.,26. November und im Dezember 2017
Das Hässliche Universum von Laura Naumann
Ohnmachtsgefühl
Mit dem Auftragswerk „Das hässliche Universum“ der jungen Autorin und Performerin Laura Naumann begann die Spielzeit in den Kammerspielen. Eine Geschichte wird nicht erzählt, es gibt keine realen Szenen, nur Beschreibungen. Das Stück beginnt mit einer Beerdigung. Etwas wird zu Grabe getragen, schon da deutet sich die Apokalypse an. Die ersten Texte kommen vom Band und die Schauspieler versuchen mehr oder weniger synchron, sie zu sprechen. Die fünf Personen suchen eine Utopie, eine neue Weltordnung. Rosa kommt ins Spiel – eine Revolutionärin, die zur Ikone geworden ist. Aber gibt es sie überhaupt? Ist sie eine Fiktion, eine Projektion, ein Trugbild, eine Illusion? Alles dreht sich um Rosa. Richtige Dialoge gibt es nicht, aber Wortkaskaden, Rede und Gegenrede.
„Das hässliche Universum“ von Laura Naumann Regie: Julia Hölscher
Sarah Grunert, Torsten Flassig, Katharina Linder, Uwe Zerwer, Luana Velis
Foto: Jessica Schäfer
Mal wird über Sicherheit gesprochen und einer erzählt, wie er auf der Erde lag, ohne Hilfe zu bekommen. Oder die Frau beklagt sich, dass der Mann sie mit dem Kind alleine lässt. Sie will, dass er das Kind auch betreut, damit sie arbeiten kann. „Mein, mein, mein, kein, kein, kein, nein, nein, nein.“ „Keine Träume, kein Bewusstsein, keinen Urlaub, keine Winterjacke“, und so weiter klingt die Nein-Litanei über die politischen, gesellschaftlichen Zustände. Das individuelle Unwohlsein will nicht mehr enden. Es ist das reine Grauen. Es sind generationsübergreifende Figuren, die auf der Suche sind.
Regisseurin Julia Hölscher, seit 2015 Hausregisseurin am Baseler Theater für Schauspiel und Oper, hat immerhin Ideen, die Wortkaskaden zu beleben. Da ist der große Tisch, der schließlich umgestoßen wird – der Lärm ist höllisch. Mehr und mehr entkleiden sich die Fünf – eine Art Seelenstriptease, die man als Entblößung des Innern interpretieren kann. Plötzlich sind sie durch den Slogan „Humans made the earth glow“ miteinander verbunden, die totale Zerstörung zeichnet sich aber schon ab. Welche Möglichkeit haben wir, etwas zu verändern? Ohnmachtsgefühl beherrscht unser Leben und hindert uns daran, Veränderungen anzugehen.
Laura Naumann packt zu viel in diesen Text rein, der eindreiviertel Stunde den Zuschauer traktiert. Ihre Gedanken, die viele haben, sind nachvollziehbar, aber eine Lösung zeigen die Akteure Thorsten Flassig, Sarah Grunert, Katharina Linder, Uwe Zerwer und Luana Velis, die eine grandiose Bühnenarbeit leisten, nicht auf. Ein Bühnenstück ist es nicht, allenfalls ein Traktat, das zum Nachdenken über unser hässliches Universum anregen soll: Wer sind wir?
Weitere Vorstellungen am 16.,26. November und im Dezember 2017