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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Het Vlot –Triennale“ in Ostende – Das Floß der Medusa inspiriert zeitgenössische Künstler

Wie ein Floß auf dem Meer – Über Schiffbruch und Kreativität

Jan Fabre hat seine Künstlerfreunde mit ihren Werken an die Küste gebeten…

Petra Kammann hat sich in Ostende einige der neuesten Produktionen zeitgenössischer Künstler angesehen

Die webähnlich vernetzte Installation „Uncertain journey“ der japanischen Künstlerin Chiharo Shiota, 2017

Videoarbeit des US-Künstlers Bill Viola, „The raft“, 2004

Mit Jan Fabre konnte das Museum „Mu.ZEE“ in Ostende als Folgeausstellung von „Das Meer – Salut d’honneur Jan Hoet (2015)“ einen der einflussreichsten europäischen Gegenwartskünstler als Kurator gewinnen. Der belgische Maler, Bildhauer und Regisseur hat eine Ausstellung organisiert, die sich unter dem Titel „Das Floß – Kunst ist (nicht) einsam“ auf ebenso kreative wie ungewöhnliche Weise mit dem Meer und der Hafenstadt Oostende auseinandersetzt.  73 Künstler, u.a. Jan Fabre selbst, Michael Borremans, Marina Abramovic, Luc Tuymans, Steve McQueen, Mike Figgis, Bill Viola, Berlinde De Bruyckere, Robert Wilson, Oda Jaune und etliche andere international renommierte sowie junge Künstler mehr präsentieren ihre Arbeiten an 22 Standorten des belgischen Seebads.

↑ Die Miniaturwelt in Jan Fabre Objekt, „Kunst is (niet) eenzaam“, 1986 (mixed media)

©Het Vlot/The Raft at Mu.ZEE

Theodore Géricault, Etude pour le Radeau de la Méduse
Crédit: Palais des Beaux-Arts de Lille – cliché Jean-Marie Dautel

Im Mittelpunkt sämtlicher Arbeiten steht ein Dialog mit dem wegweisenden Gemälde „Das Floß der Medusa“ des französischen Künstlers Théodore Géricault aus dem Jahre 1819, auf dem die Überlebenden eines Schiffbruchs zu sehen sind. Ein Thema, das nicht nur in Zeiten von Flüchtlingsdramen aktuell ist. Doch der Diskurs, den die Werke auslösen, ist äußerst vielfältig und vielschichtig. Da wird unter anderem auch die Frage nach der Rolle des Künstlers als Einzelkämpfer in stürmischen Zeiten aufgegriffen. Ungewöhnlich war schon die Eröffnung der Ausstellung am 21. Oktober 2017 im Fußballstadium von Ostende mit einer Performance „A beautiful match between artists and curators”…

Blick von der See-Promenade auf die Linie des Meeres, die an einem Regentag im Unendlichen zu verschwinden scheint

Warum muss die Triennale, welche gerade ihre zweite Auflage erfährt, ausgerechnet in Ostende in West-Flandern stattfinden? Die Stadt am Ärmelkanal bietet sich förmlich an, liegt sie doch, anders als Gent oder Antwerpen, wo herausragende so zeitgenössische flämische Gegenwartskünstler wie Jan Fabre, Luc Tuymans oder Berlinde de Bruyckere leben und arbeiten, unmittelbar an der See. Hier ist das Meeresschicksal mit der Vorstellung eines Schiffbruchs mit Händen zu greifen. Außerdem ist das Kunstfestival nicht nur eine thematische Folge der erfolgreichen Ausstellung „Das Meer“, die der renommierte belgische Kurator Jan Hoet – er war u.a. der Chef der documenta 9 – noch konzipiert hatte, deren Eröffnung er selbst aber nicht mehr miterleben konnte. So wurde das Kunstevent auch eine Hommage an Jan Hoet, bekannte Jan Fabre im Gespräch.

Die Faszinationsgeschichte der Schiffbruchkatastrophe der Medusa ist lang. Der britische Maler William Turner fesselte sich sogar selbst an den Mast eines Segelschiffs, um am eigenen Leib zu erfahren, wie gewaltig die Stürme auf See sein können, und übertrug diese Eindrücke dann unmittelbar auf seine Arbeit. Géricault malte sein dramatisches Gemälde nach dem authentischen Schiffsunglück, das sich 1816 vor der westafrikanischen Küste zutrug, anhand von zahlreichen Studien. Sein Bild erzählt von der französischen Fregatte Medusa, die rund 400 Menschen an Bord hatte, auf eine Sandbank gelaufen war und daher zu kentern drohte. Da gab es gerade mal für die Hälfte der Passagiere Plätze in den Rettungsbooten, so dass ein Kampf „jeder gegen jeden“ auf hoher See ausbrach. Zusammengepfercht auf sieben mal zwanzig Meter irrten hier 147 Menschen knapp zwei Wochen lang auf dem offenen Meer umher, die nach und nach alle Hemmungen verloren und alles erlebten, was Menschen einander nur antun können, und das in der brutalsten Form. Als es entdeckt wurde, waren darauf jedoch nur noch fünfzehn Überlebende auszumachen, einer davon war der Schiffsarzt Savigny, der später einen Bericht über die mörderischen Verhältnisse auf dem Floß anfertigte. Nicht nur etliche bildende Künstler bezogen sich auf Géricaults Gemälde „Das Floß der Medusa“, das heute im Pariser Louvre hängt, und machten es zu ihrem Thema, auch Schriftsteller wie Peter Weiß in seiner „Ästhetik des Widerstands“ oder auch der gerade für den Buchpreis nominierte Autor Franzobel mit seinem Roman „Das Floß der Medusa“.

Gemälde des niederländischen Filmemachers und Dichters Alex van Warmerdam, Untitled, 2017

„Het Vlot, „Das Floß” ist nicht nur eine Ausstellung zum Floß der Medusa, sondern auch ein Dialog mit Ostende, der Stadt am Meer, mit ihrer so reichen wie sperrigen Geschichte und ganz besonderen Atmosphäre, die von Glanz und Elend geprägt ist. In Ostende befinden sich die ehemalige königliche Sommerresidenz, ein Kasino, ein Hippodrom, ein Kurbad, Jachthäfen, Fischereihäfen, Werften und ein Fährhafen für den Verkehr nach England. Historische Bedeutung – hier nur ein paar Streiflichter – erlangte die Stadt Anfang des 17. Jahrhunderts  während des „Achtzigjährigen Kriegs“ des niederländischen Unabhängigkeitskampfs gegen die Spanier. Das von den Aufständischen gehaltene Ostende wurde in einer der verlustreichsten Belagerungen der Frühen Neuzeit im Jahre 1604 von den Spaniern eingenommen. Im Ersten und im Zweiten Weltkrieg des 20. Jahrhunderts wurden große Teile der Stadt wegen der strategisch wichtigen Hafenanlagen zerstört, so dass das einst elegante königliche Seebad heftige Schäden erlitten hat. Nachdem einige Künstler und Schriftsteller wie Stefan Zweig und Irmgard Keun hier noch Ende der dreißiger Jahre vor den Nazis Zuflucht gefunden hatten, marschierten deutsche Truppen Ende Mai 1940 ein, 1944 wurde die Stadt durch Luftangriffe der Alliierten völlig zerstört. Statt der Belle-Époque-Prachtbauten reihen sich – bedingt durch den schnellen Wiederaufbau nach dem Krieg –  daher heute entlang der Promenade vor allem unattraktive Appartementhäuser im unpersönlichen Stil der 1960er-Jahre aneinander, deren Brandmauern aber mittlerweile wenigstens teilweise von interessanten Streetart-Künstlern(The Crystal ship) aber wieder ein neues Gesicht bekommen.

↑ Die beiden Kuratoren: Joanna de Vos und Jan Fabre leisteten großartige Arbeit. Fabre bat seine Künstlerfreunde, ihre Arbeiten kostenlos zur Verfügung zu stellen, er animierte junge Künstler, das Thema zu gestalten, und de Vos stellte sie in kunsthistorische Zusammenhänge und entwickelte mit ihnen die begleitenden Performances 

Die Dramaturgie der Ausstellung, die sich über 22 verschiedene Orte des belgischen Badeorts erstreckt, beginnt aber im Mu.ZEE, dem zentralen Museum (an der See), das in einem ehemaligen Kaufhaus untergebracht ist. Hier finden wir Exponate, die auf einer gründlichen Untersuchung des Werks Das Floß der Medusa von Théodore Géricault beruhen. Da können wir die intensiven Vorstudien und Skizzen des französischen Malers Géricault zu seinem Meisterwerk sehen, die dem utopischen Floß von Jan Fabre aus dem Jahr 1986, das den Titel Kunst ist (nicht) einsam trägt, gegenübergestellt werden.

Zwar ist die Entstehungsgeschichte beider Werke aus unterschiedlichen Epochen gänzlich verschieden, doch knüpfen sie aufgrund ihrer Darstellung einer Expedition und der Bestimmung des Künstlers – einer Thematik, die gleichzeitig auch eine Metapher für die Conditio humana ist, aneinander an. Das Floß wird zur Metapher für ein Rettungsmittel, eine einsame Insel, einen Ort des Reflektierens und der Einsicht wie in Katie O’Hagans malerischem Selbstporträt, aber auch zu einem Ort der Begegnung wie in Bill Violas Video „The Raft“ aus dem Jahr 2004, auf dem 19 Männer und Frauen verschiedener ethnischer wie ökonomischer Herkunft sich gegen den apokalyptischen Wassereinbruch wehren und gemeinsam um ihr Überleben kämpfen. Durch die hochauflösende Video-Projektion wird hier jede Nuance des verzweifelten Kampfes der einzelnen Personen sichtbar. Und man fiebert mit ihnen, ob sie stark genug sein werden, sich in der Katastrophe zu behaupten.

↑ Selbstporträt der schottischen Malerin Katie O’Hagan auf einem Floß, Life Raft, 2011

Das Ziel der Reise im Boot muss nicht zwangsläufig mit dem Tod enden. Es ist immer auch eine Reise ins Ungewisse, wenn wir die bekannten scheinbar vorgezeichneten Pfade unseres Lebens verlassen; insofern trägt das Floß oder Schiff auch die Botschaft der Hoffnung in sich, wie es in der Installation der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota „Uncertain Journey“ zum Ausdruck kommt. Durch die Vernetzung und die Wellenbewegung werden wir auch getragen. Die roten Fäden, zwischen denen die sich aufbäumenden Boote gefangen sind, symbolisieren somit die Komplexität der Vernetzung von Gedanken und Empfindungen in unserem Gehirn.

Die Kuratoren  – Joanna de Vos und Jan Fabre – suchten neben dem Mu.Zee Veranstaltungsorte aus, welche die Neugier der Besucher wecken sollen: wie beispielsweise das Gerichtsgebäude, die Dominikanerkirche, die Königliche Loge, den Delvaux-Saal im Kasino, die Villa Maritza, das Europacentrum usw., die man ansonsten nicht so einfach besucht oder besuchen kann. Einige von ihnen werden dank der Ausstellung  ausnahmsweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Auch werden besondere Kirchen miteinbezogen wie die Liebfrauenkirchen hinter den Dünen, auf dessen Kirchhof auch der Ostender Künstler des Symbolismus, James Ensor, begraben liegt. Eindrucksvoll strahlt in der Dominikanerkirche das fantastisch schimmernende Boot des Tiroler Künstlers Michael Fliri, das aus Plastikflaschen und Polyurethan-Schaum zusammengesetzt ist. Diese schillernd utopische Plastikinsel funktioniert sogar auf dem realen Meer. Der Künstler hat es mit fünf Personen bereits getestet. Aber er macht uns auch darauf aufmerksam, was geschieht, wenn Plastikmüll ins Meer gerät und darin verschwindet.s. auch sein Video.

↑ Das Objekt des Tiroler Künstlers Michael Fliri, „Early one Morning with Time to waste, 2007, 500 PE bottles and video 6′“ macht mit den Plastikflaschen auf die kontaminierte Umwelt aufmerksam

Der französische Künstler Fabien Mérelle, der sehr genau die Natur betrachtet und zeichnet, hat aus angeschwemmtem Holz ein Floß gebaut. Auf dem Segel des Floßes läuft ein Video-Loop über seinen Großvater Fabien Murelle, den der Künstler 20 Jahre zuvor gefilmt hat, dessen Botschaft und Vermächtnis den damals 16-Jährigen  bis heute trägt. Seine gegenüber in den Venetiaansen Gaanderijen ausgestellten präzisen Zeichnungen an der Albert I-Promenade, sind dem Meer zugewandt.

Der französische Künstler Fabien Murelle vor seinem gebauten Floß

↓ Fabien Murelle, Le radeau de Fortune, 2017, courtesy Art Bärtschi & Cie Gallery, Geneva

Es ist unmöglich, die ausgestellten Arbeiten sämtlicher 73 Künstler und Künstlerinnen alle miteinander auch nur annähernd angemessen zu würdigen. 52 ihrer neuen Kreationen sind sinnvoll in die Stadtlandschaft von Ostende „eingewebt“, in die Kirchen und ihre Türme, in das Hippodrom, die Grote Post, ins Euopacentrum,  in das Mercatorschiff, wie das Gemälde Zeeoficier von 1982 und das aktuelle Video von Luc Tuymans. Für sie bietet sich die Stadt selbst „als Floß“ an. Und daher lohnt sich für Kunstinteressierte eine Reise nach Ostende, um vor Ort die verschiedenen spannenden Objekte und Aktivitäten selbst zu entdecken und auch die verschiedenen Performances mitzubekommen, bei denen es um Grenzerfahrungen gehen wird. Aber dafür hat die Stadt auch mit einem kulinarischen „Event“ gesorgt, dass man nach möglichen Anstrengungen wieder zu Kräften kommt: „Met Kunst aan Tafel“ (Mit Kunst am Tisch). Da bieten ausgewählte Restaurants kulinarische Highlights an. Da bekommt man sogar am Ende eines Mahls einen von Jan Fabre entworfenen Platzteller als Sammlerstück.

Insgesamt bemerkenswert ist die Energie, welche die Objekte an den verschiedenen Orten ausstrahlen. Hinzukommt, dass diese Triennale nicht wie die Biennale von Venedig oder die Documenta in Kassel von den großen Etats lebt, sondern vom Engagement der Künstler und ihrer Solidarität mit den Künstlerkollegen. „Kunst ist niet eenzam“. So bekommt Fabre Objekt aus den 1980er Jahren als „Zugvogel“ auch in dieser Hinsicht noch einmal eine neue Bedeutung.

Falls nicht anders erwähnt, stammen alle Fotos von Petra Kammann

 

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