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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Künstlerduo Daniel Dewar & Grégory Gicquel: „The Mammal and the Sap“ in der Ausstellungshalle Portikus

Von Erhard Metz

„Gelsenkirchener Barock“ – ein Spottwort für einen Möbelstil der Wirtschaftswunderzeit der jungen Bundesrepublik, für ein Mobiliar, seinerzeit beliebt bei einer kleinbürgerlich-spießigen Aufsteigerkultur im von der Kohle- und Stahlindustrie geprägten „Kohlenpott“, dem Ruhrgebiet also. Diese Möbel, zum Teil im sogenannten „altdeutschen“ Stil bzw. was man dafür hielt, waren durchaus von oft hoher materieller Qualität, aus Massivholz, vorwiegend Eiche, auch bei industrieller Fertigung aus dem Vollholz gefräst und geschnitzt, sauber verarbeitet und entsprechend teuer. Das Bildungsbürgertum betrachtete schon damals diesen Stil als Kitsch, der vor allem der Bauhaus- und Werkbundkultur ein Greuel war und bis zur Stunde ist.

Was wir – noch bis zum 12. November 2017 – in der zur Städelschule gehörenden Ausstellungshalle Portikus auf der Frankfurter Maininsel sehen und bewundern können, ist vom Künstlerduo Daniel Dewar & Grégory Gicquel sicher nicht als Persiflage auf jenen Möbelstil gedacht, das wäre – auch wenn sich beim Betrachter auf den ersten Blick ein solcher Eindruck einzustellen vermag – wesentlich zu kurz gegriffen. Vielmehr setzen sich die beiden Künstler zum einen mit klassischen Formen der Skulptur und mit traditionellen handwerklichen Techniken – hier der Holzbildhauerei und -schnitzerei – auseinander. Noch mehr geht es ihnen aber, wie bereits der Titel der Ausstellung „The Mammal and the Sap“ (Das Säugetier und der Saft) anklingen läßt, um eine Auseinandersetzung mit dem Menschlichen und dem Tierischen, mit dem Lebenssaft, der beide ebenso wie die Vegetation und damit auch alles lebendige Holz in vielfältiger Weise durchfließt – wobei dies alles als Metapher für das Verhältnis zwischen Bildhauer und bildhauerischem Material verstanden werden kann.

Oak dresser with harnessed oxen, 2017, Eiche, 141 x 135 x 100 cm (Totale und Detail)

Unmittelbar nach Eintritt in die Halle „erschlägt“ den Betrachter der Anblick einer Kommode mit wuchtigen Stierköpfen und vielleicht an Pharaomasken erinnernden Gebilden. Man denkt an den Kretischen Stier, und auch etwas von Dionysischem stellt sich ein. Dann der Blick nach rechts, auf das Relief mit den drei Paaren Reiterstiefeln, der ein gewisses Unbehagen auslöst. Dieses Gefühl setzt sich fort und bestätigt sich im nächsten, durch einen dunkelbraunen, von der Decke der Halle herabhängenden Vorhang getrennten Ausstellungskabinett: Der Betrachter gewahrt ein Piedestal gekrönt von wiederum einem Reiterstiefel, dann einen Reitsattel, aus dem ein übergroßer Phallus erwächst. Eine (homo?)erotisch, zumindest maskulin aufgeladene Atmosphäre erfüllt die Szenerie. Und was Mensch und Tier anlangt: Hier beherrscht der reitende Mensch – anders, als wir dann im dritten Kabinett sehen werden – das Tier.

↑ Oak mural with boots, 2015, Eiche, 204 x 120 x 34 cm
↓ Horse saddle and riding boot, 2011, Platane, 52 x 64 x 60 und 160 x 53 x 53 cm

Den zweiten Raum beherrscht ebenfalls, als ein weiteres Werk, ein zweieinhalb Meter hoher und breiter, 1,2 Tonnen (!) schwerer Kabinett-Schrank aus massivem Eichenholz, einschließlich der Rückwand sauber und auf das Perfekteste verarbeitet. Das fünffache Motiv der Schnitzereien aus dem vollen Holz ist durchaus für einen leichten Schock gut: das von der Bauchdecke befreite Gewirr der menschlichen Gedärme, Magen, Dickdarm, Dünndarm, Anus. Zwar bestaunen wir die handwerkliche und bildhauerische Qualität dieser wuchtig über uns hereinbrechenden Arbeit; sehr wohl fühlen wir uns aber dabei nicht – nicht zuletzt im Kontext zum zuvor Betrachteten.

Oak cabinet with organs, 2017, Eiche, 250 x 261 x 86 cm (Totale und Detail)

Eine Ruhepause darf man sich immerhin gönnen: Es ist gestattet, sich auf der wiederum massiveichenen Sitzbank niederzulassen und dabei die vielen aus dem Holz geschnitzen Schneckenhäuser, die Stickereien der Kissen mit seriellen Motiven von Tigermotte und Stiefmütterchen anzuschauen. Und all das Widersprüchliche und doch auf geheimnisvolle Weise Zusammenhängende zu erfassen und zu reflektieren. Erholung ist zudem vorteilhaft, bevor sich der Betrachter dem dritten Kabinett zuwendet, das ihm erneut einiges abverlangen wird.

Oak bench with garden tiger moths, wild pansy flowers and snails, 2017, Eiche, digitale Stickerei auf Kissen, 189 x 98 x 111 cm

Wiederum dürfen wir uns setzen auf einer massiveichenen, mit Schnecken und Narzissen verzierten Sitzbank. Zu beiden Seiten sehen wir je ein langgestrecktes Relief, an die Grablege Christi auf vielen Darstellungen der christlichen bildenden Kunst erinnernd.

Auf dem einen schwebt dicht über dem Körper eines unbekleideten Mannes ein gleichgroßer Fisch: vielleicht als Sinnbild des Ichtys urchristlicher Überlieferung, auch heute immer wieder stilisiert als Autoaufkleber zu beobachten, daneben eine Muschel – vielfach als Symbol weiblicher Sexualität, Erotik und Fruchtbarkeit gedeutet. Auf dem anderen Relief über der nackten männlichen Figur vier milchspendende (das kannenähnliche Auffanggefäß nebenan!) Euter – wir kehren zurück zu den Lebenssäften, zirkulierend in Mensch und Tier; hier sehen wir statt des männlichen Stiers die weiblich-nährende Kuh.

(oben) Oak mural with man, catfish and shell, 2017, Eiche, 266 x 87 x 29 cm; (unten) Oak mural with man, udders and vase, 2017, Eiche, 260 x 73 x 24 cm

Man muß nicht unbedingt mancherorts angestellten und von manchen Gemütern als obszön empfundenen Deutungen der beiden Reliefs folgen, die bis hin zu Assoziationen an Zoophilie oder gar Sodomie führen – der Fisch über dem liegenden Mann, in seiner körperlichen Haltung der des Menschen folgend, oder die unmittelbare Nähe der Milch spendenden Euter über Gesicht und Körper des anderen Liegenden ließen solches zwar nicht als abwegig erscheinen. Wie auch immer – der Betrachter wird ebenso beeindruckt wie irritiert, der ein oder andere vielleicht gar verstört den von christlicher wie naturreligiöser Symbolik und subtiler erotischer Spannung aufgeladenen Raum verlassen.

Der Portikus zeigt mit „The Mammal and the Sap“ die deutschlandweit erste institutionelle Einzelausstellung des seit 1997 zusammenarbeitenden Künstlerduos. Daniel Dewar wurde 1976 im District Forest of Dean / Gloucestershire geboren, Grégory Gicquel 1975 in Saint Brieuc. Beide studierten an der École des Beaux-Arts in Rennes, wo sie sich kennenlernten. Das Duo lebt und arbeitet in Paris und in Brüssel. Die Werke entstehen in sehr autwendigen Arbeitsschritten auf der Basis von digitalen dreidimensionalen Modellen und anschließenden Mustern aus Ton im Maßstab 1:1 und in handwerklicher Arbeit. Die Polster der Sitzbänke sind maschinell bestickt.

Eine in hohem Maße sehenswerte, unbedingt empfehlenswerte Ausstellung!

The Mammal and the Sap, Ausstellungshalle Portikus, bis 12. November 2017

Alle Arbeiten courtesy Jan Kaps, Köln, Truth and Consequences, Genf, Galerie Loevenbruck, Paris; Fotos: Erhard Metz

 

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