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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Peter Grimes“ von Benjamin Britten an der Oper Frankfurt

Treibjagd: „Wer sich abseits stellt und uns verachtet, den vernichten wir.“

Text: Renate Feyerbacher

Fotos: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher

Die Oper „Peter Grimes“ von Benjamin Britten war zuletzt vor 16 Jahren auf der Frankfurter Opernbühne zu sehen. Nun gab es eine Neuinszenierung des englischen Regisseurs Keith Warner. Das gesamte Team wurde vom Publikum nach der Premiere am 8.Oktober beklatscht. Bei der Premierenfeier gab es allerdings unterschiedliche Meinungen zur Musik und zur Inszenierung. Zu naturalistisch, hieß es einmal, genau richtig, ein andermal, Auch: Musik gefällt mir nicht.

Im Prolog muss sich Peter Grimes vor Gericht verantworten, er ist angeklagt, weil ein Lehrjunge bei der Bootsfahrt ums Leben kam. Trotz Freispruch kursieren die Gerüchte um den Fischer weiterhin. Seine Anklagebank: ein Boot, ein Bild der Isolation. Peter wird wie Woyzeck ‚ausgestellt‘. Von der Ausgrenzung betroffen war auch der Komponist, als Kriesgdienstverweigerer und als Homosexueller. Isolation und Misserfolg bei den Kritikern begleiteten Brittens Leben.

Vincent Wolfsteiner als Peter Grimes; Foto: Monika Rittershaus

Die Einsamkeit des Menschen, die Einsamkeit in der Masse, das ist denn auch das Hauptmotiv, das Benjamin Britten (1913-1976) beschäftigte. Während seines Aufenthaltes in den USA las er 1941 die dramatische Verserzählung „The Borough“ (Die Kleinstadt) vom englischen Poeten Georges Crabbe (1754-1832), der ähnlich wie er in der Grafschaft Suffolk an der östlichen Küste Englands geboren wurde. Speziell die Geschichte des Fischers Peter Grimes weckte seine Sehnsucht nach der Heimat und sein Interesse an einem Opernstoff. Es fand sich ein Auftraggeber und Britten kehrte mitten im Krieg 1942 nach England zurück, zusammen mit seinem Lebensgefährten, dem weltberühmten Lied- und Opernsänger Peter Pears, für den er viele Tenorpartien komponierte. Fast zwei Jahre hat die Arbeit am Libretto von Montagu Slater gedauert.

Crabbes Peter Grimes war stur, rebellisch, als Erwachsener gewalttätig und zudem noch ein Trinker. Aus dem Schurken wurde in der Oper ein Einzelgänger, sympathisch, zurückhaltend, frustriert, aber noch von Wünschen und Hoffnungen beseelt, reich zu werden und Ellen Orford, die Lehrerin, die zu ihm hielt, heiraten zu können. „Not a bad man.“ Als er sich physisch-psychisch eingekesselt sieht, wird er aber auch gewalttätig. Bleibt die Frage, ob Peter Grimes am Ende doch ein Mörder sein könnte. Auch der zweite Lehrjunge kommt um.

Die Uraufführrung fand am 7. Juni 1945 am Sadler’s Wells Theatre, London statt, kurz nach Kriegsende und wenige Wochen vor den Atombombenabwürfen in Hiroshima und Nagasaki.

Vincent Wolfsteiner; Foto: Renate Feyerbacher

„Das Ostinato des Meeres“ ist eine Konstante sowohl im Leben als auch im Werk des Komponisten, schreibt Norbert Abels, Chefdramaturg an der Oper Frankfurt in seiner neuen Britten-Biografie: „Vom Meer trennte er sich niemals.“ Schon als Kind hatte Britten diesen engen Kontakt zum Meer. Vom Haus seiner Eltern in Lowestoft hatte er die wilden Stürme, die oftmals Schiffe an die Küste warfen und ganze Strecken der benachbarten Klippen wegrissen, beobachtet. In „Peter Grimes“ hat man das Gefühl, die tobende See genauso zu erfahren wie in seiner anderen Oper „Billy Budd“.

Die Angst der Dorfbewohner vor den Stürmen ist in den aufwühlenden Chören mitzuerleben. Der Chor hat den größten Part, mit etlichen a capella-Einschüben. Chordirektor Tilman Michael führt die 80 Sängerinnen und Sänger zu einem Gipfel des Chorgesangs. Das ist einmalig. Gänsehaut bildet sich, wenn das ständig wiederholte „Peter Grimes“ gerufen wird. Very british kommen die drunken songs rüber.

 Sara Jakubiak als Ellen Orford, Vincent Wolfsteiner als Peter Grimes und Theodor Landes als Lehrjunge John; Foto: Monika Rittershaus

Sind Bühnenbild und Inszenierung zu naturalistisch? Ich empfand es nicht so. Bis auf wenige Einschränkungen fand dort ein spannendes Geschehen statt. Der große Bühnenraum strahlt Unendlichkeit aus, aber auch Begrenzung durch Wände, durch Kaimauern. Das ist entsprechend der Figur. dialektisch angelegt. Das Bühnenbild des Engländers Ashley Martin-Davis verändert sich immer wieder: Enge und Erfahrung der Weite wechseln sich ab. Licht und Schatten (Olaf Winter) unterstützen gezielt die Momente der Ruhe und der Bewegung, die Keith Warner präzise festlegt.

Keith Warner, einer der bedeutendsten Regisseure der Gegenwart, ist ständiger Gast an der Oper Frankfurt (Falstaff, Hänsel und Gretel). Als 17jähriger beobachtete er mit seinem Freund Fischerboote, als sie Benjamin Britten und Peter Pears mit ihrem Dackel namens Gilda beim Spaziergang sahen, so erzählt er bei Oper extra. Er traute sich nicht, sie anzusprechen, worüber er sich noch heute schämte.

Warner gelingt es eindrücklich, die Dorfbewohner, zunächst Individuen, zur Horde mutieren zu lassen. Es ist spannend zu erleben, wie die Aggressivität aufgebaut wird, die sich fast in Wahnsinn ergeht. Seine Personenführung ist exzellent. Den Hauptprotagonisten Peter Grimes, dargestellt und gesungen von Vincent Wolfsteiner, leitet er in psychologische Tiefen. Ensemblemitglied Wolfsteiner, der zunächst Musik studierte, als Tonmeister und Produzent arbeitete, kam erst spät in den USA zum Gesang. Er ist begeistert von der außergewöhnlichen Zusammenarbeit mit dem Regisseur. Intensiv war sein Rollenstudium. Heute sei er fähig, diese englische Partie zu singen, was ihm auch vorzüglich gelingt.

Seine Wagner geübte Tenorstimme, die mal ausbricht, mal lyrisch ist, schafft eine dynamische Interpretation. Sara Jakubiak (Die Passagierin, Eugen Onegin) als Lehrerin Ellen Orford verleiht ihrem Sopran wunderbare Kontur. James Rutherford als Captain Balstrode, der seine Hand über Peter Grimes hält und mit Ellen zusammenarbeitet, Peter aber am Ende zum Suizid im Meer rät, gefällt durch seinen warmen, wohltönenden Bariton. Sensationell ist der Auftritt der gebürtigen Amerikanerin Jane Henschel von der Düsseldorfer Oper am Rhein ist eine der renommiertesten Mezzosopranistinnen. Erstmals ist sie Gast an der Oper Frankfurt in der Rolle der Pubwirtin Auntie. Diese Rolle scheint sie aus dem Effeff zu kennen. Ihre nervigen, sich prostituierenden Nichten meistern Sydney Mancasola und Angela Vallone mit viel Spielfreude.

v.l.n.r.: Sydney Mancasola als First Niece; mit dem Rücken zum Betrachter, AJ Glueckert als Bob Boles und Jane Henschel als Auntie, rechts; im Hintergrund Ensemble; Foto: Monika Rittershaus

Einmalig kompositorisch und gekonnt interpretiert das Quartett der vier Frauen: Auntie, Nichten und Ellen, in dem sie sich über die Männer auslassen, die sie missbrauchen und dann Mitleid haben. Das Lied „Lächeln oder weinen wir, oder warten wir still, bis sie schlafen“ ist ein Opernjuwel, das von der Solidarität der Frauen handelt, die auch in Isolation leben.

Die Suche nach den verschwundenen Kindern wird von der tratschenden Mrs. Sedley (Hedwig Fassbender) angefeuert. Sie baut Peter Grimes als Feindbild auf, um von sich abzulenken. Denn sie greift zu Rauschgift und ist abhängig, steht also selbst auf der gesellschaftlichen Abschussliste.

Wie zu erwarten, dirigiert Sebastian Weigle ein hochmotiviertes Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Viel Beifall für die Musiker und ihren Chef, die auf hohem, überzeugendem Niveau das Wechselspiel zwischen dramatischen und sich beruhigenden Situationen interpretiert. Die sechs Opernzwischenspiele, eine Besonderheit der Oper, die nur indirekt zum Drama beitragen, vertieften diesen Eindruck.

Weitere Aufführungen von „Peter Grimes“ am 22. und 27. Oktober (im Anschluss OPER Lieben), am 5. und 11. November 2017

 

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