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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Neues Historisches Museum Frankfurt eröffnet

„Frankfurt einst?“ „Frankfurt jetzt!“
Wandel vom Historischen Fachmuseum zum Stadt- und Universalmuseum

Von Erhard Metz

Die Neubauten: links das (neue) Ausstellungshaus, rechts das Eingangsgebäude; eine Freitreppe führt auf den Museumsplatz, im Hintergrund der Stauferbau (um/nach 1200)

Frankfurt am Main feiert: Sein neues (und altes) Historisches Museum ist jetzt komplett – mit rund 650.000 Sammlungsstücken, 4.200 m² Ausstellungsfläche im Neubau und 1.700 m² im Altbau eines der größten Stadtmuseen in Europa, das größte wohl jedenfalls in Deutschland! Zu Recht spricht Direktor Jan Gerchow von einem Museumsquartier – prägt doch der fünf Gebäudeteile umfassende Altbau (oft Saalbau genannt) mit Wach- und Zollgebäude (2. Hälfte 19. Jh.), Rententurm (1454-1456), Bernusbau (1714-1717), Burnitzbau (1842-1843) und staufischer Saalhofkapelle (um/nach 1200) seit jeher das nördliche Mainufer, während der doppelteilige Neubau mit dem (neuen) Ausstellungshaus und dem Eingangsbau, die den neu geschaffenen Museumsplatz flankieren, dem südlichen Abschluß des Römerbergs zum Main hin ein spektakuläres architektonisches und städtebauliches Gepräge gibt.

Bereits von außen zeigt sich das neue Ausstellungshaus von seiner attraktiven Seite: Die mit 46 Spolien bestückte nördliche Fassade erinnert an die Pracht alter Frankfurter Bürgerhäuser. Ein wahres Schaustück bietet die Südfassade mit der Skulpturengalerie aus Figurationen antiker Gottheiten, Amphoren und Verkörperungen der schönen Künste aus Frankfurter Gärten des 17. bis 19. Jahrhunderts.

↑↓ Spolien an der Nordfassade, Skulpturengalerie an der südlichen, dem Museumsplatz zugewandten Seite

Frankfurt darf feiern und stolz sein – stolz auch auf den genius loci, diesen einzigartigen Standort dieses Museumsquartiers, nimmt es doch das Herz- und Kernstück des alten Frankfurt (an der den Fluß querenden Furt, am 22. Februar 794 erstmals in einer Urkunde Karls des Großen erwähnt) ein.

Karl der Große – die berühmte Sandsteinstatue an ihrem jetzigen Platz im Ausstellungshaus; seit dem Abriß des betonbrutalistischen Vorgängerbaus im Jahr 2011 mußte sie in der bestens gesicherten Kiste schmachten

Apropos 794: Wer an der Garderobewand seinen Mantel im ersten der zahlreichen Schließfächer ablegen will, stößt auf die Nummer 794 – wie das? Grandioser Einfall der Museumsleute: Die Schließfachnummern beginnen nicht bei 1, 2, 3 usw., sondern weisen chronologisch die für die Stadt bedeutsamen Jahreszahlen auf, statt der 1 also beginnend mit 794, dem Jahr der ersten urkundlichen Erwähnung!

Neben den Neu- und den Altbauten gilt es, ein besonderes Filetstück des Museumsquartiers hervorzuheben, einen unschätzbar wertvollen Bodenfund, im Sommer 2012 überraschend zwischen den beiden Komplexen in vier Meter Tiefe entdeckt und heute unter freiem Himmel konserviert. Der Fund bewirkte damals einen Baustopp und bereitete Direktor Gerchow und seinem Team eine Vielzahl schlafloser Nächte. Über ein Jahr Bauverzögerung und dreieinhalb Millionen Euro an Umplanungs- und Umbaukosten war er allen Beteiligten lieb und teuer: der befestigte Kai mit Holzbalken zum Anlegen der Schiffe, errichtet mit der Pfalz der staufischen Könige in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Die Holzbalken wurden seinerzeit mehrfach erneuert. Eine gesicherte Analyse des vorgefundenen Balkens ergab, dass der entsprechende Baum zwischen 1304 und 1314 gefällt sein mußte. Eine Sensation – zwar gab es in Europa viele hochmittelalterliche Flusshäfen mit Kaianlagen, die Frankfurter ist jedoch die einzig bekannte und in ihrer Originalsubstanz erhaltene dieser Art.

Die staufische Kaianlage aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts mit dem hölzernen Anlegebalken aus dem frühen 14. Jahrhundert; im Wasser spiegeln sich Teile der umgebenden Museumsgebäude

Neben dem Stauferhafen ist die „Schneekugel“ vor allem für die zahlreichen eiligen Besucher des Museums vorwiegend aus Fernost oder den USA („Deutschland in 3 Tagen“ oder gar „Europa in 3 Tagen“) mit etwa 30 Minuten Besuchsdauer der andere Höhepunkt der Museumstour: In einem Rundpavillon wird in einer Glaskugel unter dem Motto „Typisch Frankfurt“ jeweils eins von acht künstlerisch gestalteten Modellen aus der Tiefe emporgehievt und mit Filmprojektionen präsentiert. Die Motive der zum Teil klischeehafte Vorstellungen ironisch aufgreifenden Modelle: „Frankfurt … die Geldstadt“, „Frankfurt … die Industriestadt“, „Frankfurt … die Drehscheibe“, „Frankfurt … die heimliche Hauptstadt“, „Frankfurt … die jüdische Stadt“, „Frankfurt … die Stadt des Wortes und der Kritik“, „Frankfurt … die kriminelle Stadt“ und „Frankfurt … die ewige Baustelle“. Die Schneekugel kann bereits vom Museumsplatz durch das dort aufgestellte Periskop von oben betrachtet werden.

↑↓ Die große „Schneekugel“ – in Anlehnung an das beliebte Reisesouvenir; in der Tiefe warten acht künstlerisch gestaltete Stadtmodelle darauf, emporgehoben zu werden

Direktor Jan Gerchow mit seinem Museumsteam wie auch die Ausstellungsarchitekten standen vor der Aufgabe, nach dem Abriß des nicht mehr an den Ort und in die Zeit passenden Vorgängerbaus und der Sanierung und Neueinrichtung der Altbauten mit dem neuen Ausstellungshaus den Rahmen für ein attraktives, den unterschiedlichsten Ansprüchen höchst unterschiedlicher Publika gerecht werdendes Angebot zu entwickeln – galt es doch, die Erwartungen der Menschen in Stadt und Region an ein solches Museum ebenso zu berücksichtigen wie die Wünsche eines stetig wachsenden internationalen Touristikpublikums, bei nur kurzer Besuchsdauer ein oder zwei „Highlights“ präsentiert zu bekommen. Für das „Kurzzeitpublikum“ wurde deshalb die Präsentation von Stauferhafen und Schneekugel entsprechend aufbereitet. Generell wurde bewußt die Tradition herkömmlicher historischer Museen verlassen, das Gezeigte auf Geschichtliches zu beschränken und es in chronologischer Abfolge auszustellen. Entsprechend steht das Angebot im neuen, sich nunmehr als ein lebendiges Stadtmuseum für alle verstehendes Ausstellungshaus unter den beiden Leitmottos „Frankfurt Einst?“ und „Frankfurt jetzt!“: das Fragezeichen dabei für die Erkenntnis, dass Geschichte stets aus dem Hier und Heute neu bewertet werden kann, das Ausrufezeichen für den Anspruch der gegenwärtigen Generationen, sich und ihr Lebensumfeld in einem Stadtmuseum repräsentiert zu sehen und daran partizipativ mitwirken zu können. Im folgenden ein zusammenfassender Überblick:

Ebene 0 Schneekugel „Typisch Frankfurt!“; Sonderausstellungen

Ebene 1 „Frankfurt Einst?“: Stadtbilder (Entwicklung des Frankfurter Stadtbildes von den Vogelschauplänen der Renaissance bis zum Hochhausrahmenplan von 2008); 100 x Frankfurt (verdichtet Objekte und Geschichten zu einer vielschichtigen Stadtgeschichte, stellt Höhepunkte der Sammlung in neue Zusammenhänge. Ein Zeitstrahl führt durch über 1000 Jahre Stadtgeschichte); Bürgerstadt (Teilhabe der Bürger an wesentlichen Entscheidungsprozessen, anders als in von Fürsten regierten Städten und Territorien)

Ebene 2 „Frankfurt Einst?“: Geldstadt (wechselvolle Geschichte Frankfurts als Messeplatz des Reiches bis zum modernen Finanzplatz); Weltstadt (Frankfurts Rolle als Zentralort der deutschen Geschichte sowie als europäischer Verkehrsknoten und Kommunikationszentrum)

Ebene 3 „Frankfurt jetzt!“: Frankfurt-Modell von Herman Helle, Bibliothek der Generationen (beides als Dauerausstellung), Stadtlabor (Sonderausstellungen)

↑↓ Eine der fünf Ausstellungsgalerien der Präsentation „Frankfurt Einst?“, reich bestückt mit einer Auswahl aus den rund 650.000 Sammlungsstücken des Museums

Unter dem Titel „Frankfurt Einst?“ stellt das Museum in den fünf den genannten Themenkomplexen korrespondierenden Ausstellungsgalerien in einer fast schon überwältigenden Opulenz neben den bereits bekannten Höhepunkten der Sammlung eine Vielzahl bisher lediglich im Depot verwahrter Stücke vor, die den Besucher manche überraschenden Einsichten garantieren. Neben der körperlichen Präsenz der Exponate in ihren räumlichen Bezügen, in Pavillons, Kabinetten und „Studierzimmern“ überzeugt die Vielzahl multimedialer Präsentationsformen, beispielsweise an vom Publikum bedienbaren Medientischen. Die Besucher erleben sowohl die Kungelei der Kurfürsten vor den Kaiserwahlen als auch die aufgeheizte Atmosphäre während der Debatten in den ersten Nationalversammlungen 1848/1849 in der Paulskirche. Geschichte – in derartiger Unmittelbarkeit und Sinnlichkeit vermittelt – gerät zu einem fast schon kulinarischen Erlebnis.

Ein Novum bietet die Präsentation „Frankfurt jetzt!“: Das über 70 m² große Frankfurt-Modell des Rotterdamer Künstlers Herman Helle zeigt die Stadt auf Basis einer Befragung von 1.200 Frankfurtern nach ihren Stadt-Ansichten so, wie diese es in ihrer Wahrnehmung beschreiben – ein sicherlich einzigartiges und ebenfalls wiederum sinnlich wahrnehmbares Unterfangen. Die „Bibliothek der Generationen“ ist ein mit einer Laufzeit von 105 Jahren (2000 bis 2105) generationenübergreifend angelegtes Projekt unter Mitwirkung von Privatpersonen, Institutionen, Gruppen und Initiativen. Mit regelmäßigen Veranstaltungen zu einzelnen gegenwartsbezogenen Themen oder Beiträgen in den Stadtteilen und Quartieren regt das Museum zur öffentlichen Auseinandersetzung mit diesen an.

Bis Ende April 2018 ist die Eröffnungsausstellung des Stadtlabors „Frankfurt Jetzt Erforschen! Wie das Stadtlabor arbeitet“ zu sehen. Die Arbeit im Rahmen dieses Stadtlabors mit partizipativen Ausstellungen und Veranstaltungen hat in vielem experimentellen Charakter; sie wird und kann nicht jeden Besucher gleichermaßen ansprechen. Dies gilt vor allem für das Projekt „Stadtlabor digital“ – eine Webseite und eine Community, die an die Stadtlabor-Aktivitäten anknüpft. „Zusammen mit vielen Usern“, schreibt die Museumsleitung, „sammeln wir hier selbstproduzierte Beiträge über Frankfurt. Auf der Karte können Audio-,Video-, Bild-, und Textbeiträge hochgeladen und mit der Community geteilt werden. So entsteht eine wachsende, kollaborative Sammlung von ortsspezifischem Frankfurt-Wissen“.

Blick in die Präsentation „Stadtlabor“: Schade – die Fenster in Ebene 3 sind mit Fotofolien zugeklebt …

… ein jedes der Fenster würde, wie im lichtdurchfluteten Rohbau bewundert werden konnte, einen fantastischen Ausblick auf die städtische Umgebung eröffnen – hier auf Nikolaikirche und Römer, dort auf staufische Saalhofkapelle, Main und Dreikönigskirche

Das mit dem doppelteiligen Neubau erweiterte und arrondierte Museumsquartier im Herzen der Stadt kommuniziert mit seiner Umgebung – im Norden dem Römerberg und im Süden dem Main, dem Frankfurt seine Entwicklung zur zentralen Handels- und Messestadt und letztlich zum Ort der Königswahlen und Kaiserkrönungen zu verdanken hat. Kommunikation mit und Transparenz hin zur Stadtgesellschaft gehören zu den wesentlichen, auch in seinen Baukörpern Ausdruck findenden Merkmalen des Museums. So könnte sich auch der neu geschaffene Museumsplatz zu einer Agora des Frankfurter Bürgertums entwickeln.

Spektakulär der Ausblick aus dem verglasten „Luginsland“ der Etage 3 des Ausstellungshauses auf den Römerberg

Dass man jenseits aller Begeisterung über die architektonisch gelungenen Neubauten und die faszinierende Bestückung des neuen Ausstellungshauses mit Exponaten auch die Dauerpräsentationen im Altbau (im Stauferbau Stauferzeit mit Schatzkammer sowie Sammlermuseum, im Burnitzbau Sammlermuseum und im Rententurm „Mainpanorama“) keinesfalls vergessen sollte, versteht sich von selbst. Nicht zuletzt sind die in eigenen Häusern untergebrachten Sammlungen des Porzellan-Museums und des caricatura-Museums als Abteilungen des Historischen Museums stets sehenswert; das derzeit noch ausgelagerte Kinder-Museum (Junges Museum) wird in Kürze in die Hauptgebäude integriert.

Am 7./8. Oktober 2017 öffnen sich die Türen im neuen Ausstellungshaus des Historischen Museums. Die großen Ausstellungen „Frankfurt Einst?“ und „Frankfurt Jetzt!“ laden zur intensiven Beschäftigung mit Geschichte und Gegenwart der Stadt ein:

Programm am Samstag, 7. Oktober / Sonntag, 8. Oktober 2017
kostenloses, halbstündiges Führungsangebot im Historischen Museum

Samstag, 7. Oktober 2017:

Sonderführungen

11.30 Uhr Das neue HMF – Frank Berger
12 Uhr Frankfurt Einst? – Wolfgang Cilleßen
12:30 Uhr Das neue HMF – Jan Gerchow
13 Uhr Frankfurt Jetzt! – Marta Dannoritzer
13:30 Uhr Das neue HMF – Kristina Klein
14 Uhr Highlights im Saalhof – Wolfgang Cilleßen
14:30 Uhr Das neue HMF – Jan Gerchow
15 Uhr Frankfurt Einst? – Nina Gorgus
15 Uhr Frankfurt 1742 – das größte Fest der Welt
Vorstellung des neuen Comics im Sonnemann-Saal
15:30 Uhr Das neue HMF – Tobias Teichmann
16 Uhr Frankfurt Jetzt! – Kristina Klein
16:30 Uhr Das neue HMF – Jan Gerchow
17 Uhr Highlights im Saalhof – Jonathan Fedel
17:30 Uhr Das neue HMF – Nina Gorgus

Sonntag, 8. Oktober 2017:

Musik & Tanz
11.30 Uhr Swingtime mit den Red Hot Hottentots & Lindy Hop Frankfurt im Sonnemann – Saal

Sonderführungen
11.30 Uhr Das neue HMF – Wolfgang Cilleßen
12 Uhr Frankfurt Einst? – Joscha Döpp
12:30 Uhr Das neue HMF – Moritz Röger
13 Uhr Frankfurt Jetzt! – Anne Gemeinhardt
13:30 Uhr Das neue HMF – Wolfgang Cilleßen
14 Uhr Highlights im Saalhof – Seyma Doudouxi

14:30 Uhr Das neue HMF – Dieter Wesp
15 Uhr Frankfurt Einst? – Alexandra Sajnikova

15 Uhr Frankfurt 1742 – das größte Fest der Welt
Vorstellung des neuen Comics im Sonnemann-Saal
15:30 Uhr Das neue HMF – Hannes Pflügner
16 Uhr Frankfurt Jetzt! – Franziska Mucha
16:30 Uhr Das neue HMF – Anne Gemeinhardt
17 Uhr Highlights im Saalhof – Marita Pastoors
17:30 Uhr Das neue HMF – Pascal Heß

Anmeldung und Start der Führungen am Infostand im Schneekugelfoyer (Ebene 0)

Sämtliche Fotos: Erhard Metz

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