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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Struwwelpeter recoiffé“ im Frankfurter Struwwelpeter-Museum

Kreative Gäste in Frankfurt

Frischgebürstet: Frankophone Illustratoren

von Petra Kammann

„Sieh einmal, hier steht er, Pfui! der Struwwelpeter! (re) An den Händen beiden ließ er sich nicht schneiden…“ So kennen ihn die meisten Kinder und die Erwachsenen ebenso. Marc Boutavant, der auch bei uns bekannte Illustrator aus Paris, hat dem unartigen Helden eine andere Coiffure verpasst und sich vor allem von der ausufernden Haarmähne des Kinderbuchklassikers, unter der die Person zu verschwinden droht, (li) inspirieren lassen.

Das Struwwelpeter-Museum hat sich in einen phantasievollen Friseursalon verwandelt… 14 französisch sprechende IllustratorInnen haben daran mitgearbeitet: Blexbolex, Chen Jian Hong, Edouard Manceau, Anaïs Vaugelade, Marc Boutavant, Christian Voltz, Anouck Boisrobert und Louis Rigaud aus Frankreich, Anne Brouillard, Claude K. Dubois und Kitty Crowther aus Belgien,  Albertine und Emmanuelle Houdart aus der Schweiz und Marianne Dubuc aus Kanada, denn sie haben den widerspenstigen Kinderliebling neu frisiert. Herausgekommen sind dabei originelle Ergebnisse und eine beispielhafte Kooperation. Darüberhinaus hat der ungehorsame Frankfurter Bub, der auf Französisch „Crasse Tignasse“ oder „Pierre L’Ébouriffé“ heißt, im Übrigen auch eine französische Geschichte… Und auch die ist im Frankfurter Struwwelpeter-Museum zu sehen.

Die beiden Ausstellungskuratorinnen
Dominique Petre, Kulturbeauftragte beim Institut français / IFRA (li)
und Beate Zekorn-von Bebenburg, Direktorin des Struwwelpeter-Museums (re),
haben mit geringen Mitteln und viel Phantasie eine großartige Arbeit geleistet.
Sie haben nicht nur die IllustratorInnen motiviert, sich mit dem Kinderbuchklassiker kreativ 
auseinandersetzen, sondern deren individuelle Ergebnisse auch witzig zu präsentieren gewusst

Man sehe und staune, wenn man den Museumsraum betritt. Was man doch mit den schlichtesten Mitteln aus einem Raum machen kann, wenn vor allem die Phantasie mitspielt! Hier im Struwwelpeter-Museum wurde er in einen szenigen Friseursalon verwandelt. Klebestreifen auf der Wand suggerieren einen Frisiertisch, unter dem jeweils eine Papphaarbürste mit einem Kurzporträt des jeweiligen Illustrators auf der Rückseite an einer Schnur baumelt. Darüber hängt jeweils eine frisch gestaltete Szene, die auf den Kinderbuchklassiker Bezug nimmt. Darunter steht ein Holzkasten mit weiteren Büchern der jeweiligen Illustratoren – darunter so mancher Kinderklassiker –  die sich Kinder und Erwachsene herausnehmen können, um sich auf die Welt des jeweiligen Künstlers oder der Künstlerin einzulassen. Denn etliche  Bücher der frankophonen Kinderbuchillustratoren sind auch auf Deutsch erschienen, bei uns also bekannt und stehen in der Ausstellung zum Lesen bereit.

Der widerspenstige Held aus Deutschlands ältestem Bilderbuchklassiker ist in Frankreich als „Pierre l’Ébouriffé“ oder „Crasse-Tignasse“ bekannt. Da stoßen wir aber auch fast zwangsläufig auf die Vorgeschichte des Struwwelpeter im Nachbarland Frankreich. Dort gab es nämlich schon im frühen 19. Jahrhundert eine Karikatur des „Pierre le Malpropre“ (in etwa: „Peter, der Schmutzfink“), wie der Bengel auf Französisch hieß. Dieses Bild mag wohl dem Struwwelpeter-Schöpfer Heinrich Hoffmann, der von 1833 bis 1834 in Paris Medizin studiert hatte und sehr gut Französisch sprach, bekannt gewesen sein, vielleicht aber auch die Karikatur vom haarigen Rebellen aus einem Metzer Bilderbogen von Paul Gagarin. Die Ähnlichkeit zu Hoffmanns Illustrationen ist jedenfalls augenfällig, selbst  wenn die Haare in der Darstellung nicht immer energisch vom Kopf abstanden und stattdessen lässig herunterhingen. Doch davon ist Hoffmann abgekommen…

  

Phantastisch ist die Kombination von alten chinesischen Maltraditionen (li), die der inzwischen in Paris lebende Chinese Chen Jian Hong auf die typisch westliche Gestalt anwendet. Hong wurde für diese Besonderheit bei uns auch schon für „Han Gan und das Wunderpferd“ mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Die Schweizer Illustratorin Emmanuelle Houdart (re), die das Wunderbare mit dem Unheimlichen verbindet, hat sich der Illustration von Paulinchens Zündelgeschichte angenommen

So ungewöhnlich wie die frühen Exponate sind die neuen und frischen Kreationen, die u.a. deutlich machen, welchen Einfluss die Geschichte der französischen Karikatur, der elsässischen Bilderbogengeschichte wie auch die der Bande dessinée auf die Illustratoren hatte und wie experimentierfreudig diese Künstler heute sind. Sie aquarellieren, schneiden aus, erfinden ausklappbare Pop-up-Bände, malen am Computer, nehmen sich verschiedene Szenen und Figuren aus der Geschichte vor wie zum Beispiel die des Paulinchens und schreiben auch die Geschichten ganz souverän um. Sogar die graphische Form wird gesprengt durch eine Keramikskulptur des Elsässers Christian Voltz, der nicht nur dafür bekannt ist, dass er weggeworfenen Objekten auch mit Nadel und Faden zu Leibe rückt, er hat auch an der „Sendung mit der Maus“ mitgearbeitet.

Die belgisch-wallonische Illustratorin Anne Brouillard wiederum siedelt ihre Geschichte in der Natur an, die etwas Unheimliches ausstrahlt. Es ist erstaunlich, wie der subversive Inhalt des Kinderklassikers, der politisch völlig unkorrekt nicht nur die anarchische Kinderseele ernst nimmt, sondern die Gemüter auch nach über hundert Jahren immer noch die Gemüter erregt. Deshalb wohl inspiriert der Struwwelpeter auch heute noch die IllustratorInnen, die sich wunderbarerweise für den geringen Lohn von 400 Euro auf die Arbeit an ihren spannenden Neukreationen eingelassen haben. Aber selbst dieser Etat wäre nicht vorhanden gewesen, hätten die Kuratorinnen nicht fleißig die Werbetrommel gerührt und Sponsoren gefunden.

← Es ist ihnen auch gelungen, so renommierte Frankfurter Illustratoren wie Jörg Mühle, Moni Port und Philip Waechter, Sohn des berühmten Karikaturisten F.K. Waechter, Schöpfer des „Anti-Struwwelpeter“ in den Siebzigern, davon zu überzeugen, den Spieß einmal umzudrehen und sich der französischen Kinderbuchhelden wie Babar & Co anzunehmen. Auch deren gelungenes Ergebnis ist hier zu sehen, was für einen echt deutsch-französischen Austausch zeugt.

Es hat den Kuratorinnen sicher Mut und Spaß bereitet und sie dazu angeregt, einen Malwettbewerb in Zusammenarbeit mit der Stadtbücherei Frankfurt auf den Weg zu bringen, und das für Kinder wie für alle Altersklassen. Dabei sollen die TeilnehmerInnen des Malwettbewerbs ihre Lieblingsfigur aus einem frankophonen Buch malen, gleich ob aus Le Petit Prince, Babar, Bécassine, Asterix oder Tim und Struppi… Ein wirklich gelungener Auftakt für die Buchmesse mit dem Ehrengastland Frankreich. Dabei sind sogar als Hauptpreise in Form von Reisegutscheinen für Bahnfahrten nach Lyon, Paris oder Toulouse und Einkaufsgutscheine bei Boesner Frankfurt zu ergattern. Die Bilder können bis zum 20.12.2017 in den Bibliotheken der Stadtbücherei Frankfurt, im Struwwelpeter Museum abgeben werden oder ans IFRA / Institut français geschickt werden.

 

 

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