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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Orte der Reflexion und das Europa der Klöster

Klösterlich raffinierte Einfachheit

Eine Installation in situ von Prisca Cosnier in der Chapelle de Saint-Esprit

Text und Fotos: Petra Kammann
→ Die Land Art-Künstlerin Prisca Cosnier griff geometrische Elemente der mittelalterlichen Architektur auf

Im Herzen der Stadt Auray im Morbihan befindet sich auf einem großen Platz eine 40 Meter lange, 10 Meter breite und 15 bis 20 Meter hohe einschiffige Kirche. Das älteste Gebäude der bretonischen Stadt, die „Chapelle de Saint-Esprit“ aus dem 13. Jahrhundert, eine ursprünglich als herzogliche Kapelle gestaltete Kirche, wurde im 14. Jahrhundert vom Orden des Heiligen Geistes (Ordre du Saint-Esprit), dem bedeutendsten Ritterorden Frankreichs, zu einem Stift und Spital umgebaut und erweitert.

Die religiöse Anlage wurde wie so vieles in Frankreich in der Zeit der Französischen Revolution ab 1794 zur Militärkaserne umfunktioniert, was sie bis ins 20. Jahrhundert hinein auch blieb, bis sie Eigentum der Stadt Auray wurde. Im Zweiten Weltkrieg fanden die Bewohner der Stadt hier Schutz. Zeitweise beherbergte sie auch die Feuerwehrleute und war ein Gymnasium. Die umliegenden Klostergebäude sind jedoch inzwischen zerstört. Übrig blieb nur noch ein Skelett der einschiffigen Kirche mit allerlei Wasserschäden, die, nachdem sie 1982 zum historischen Denkmal erhoben wurde, nach und nach behoben wurden.

Das Gebäude war schon völlig dem Zerfall preisgegeben, als eine Initiative es „rettete“, teilweise jedenfalls. Da die Sanierungskosten hoch sind und die Kirche nach wie vor unbeheizt ist, hat man sich ab 2007 nach einer alternativen Nutzung für diesen besonderen Ort umgesehen, um ihn mit neuem Leben zu füllen. 2011 war es dann soweit. Das architektonisch und historisch besondere Gebäude sollte für künstlerische und wissenschaftliche Begegnungen genutzt werden.

Erleben des Außen und Innen in einem Kegel aus irisierenden Silikonfäden

Inzwischen findet dort alljährlich eine Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst statt. In diesem Jahr gestaltete die in Rennes aufgewachsene LandArt-Künstlerin den Raum, in dem sie wichtige architektonische Konstruktionsprinzipien in ihre puristische Gestaltung mit lichtintensiven und teils beweglichen Materialien einbezog: optische Phänomene, Prismen, Spiegelbilder welche die menschliche Wahrnehmung und Imagination bestimmen und die Phantasie des Betrachters anregen.

Hier entstehen holographische Farbeindrücke

Betritt man den ansonsten leeren Kirchenraum, wird man schon vom Zauber des einfallenden Lichtes gefangen genommen, erlebt Gestaltungselemente des mittelalterlichen Kirchenbaus und das Gemäuer sowie das hohe Kirchenschiff auf ganz neue Weise und muss einfach innehalten. Man fühlt sich eingeladen, den Raum in seiner Höhe und Weite zu erkunden, auch indem man um jedes Objekt herumgeht und in den transparenten Kegel aus irisierenden Silikonfäden hineingeht und auf Spiegelbildern stehend,  verschiedene Ansichten seiner selbst entdeckt.

Diese fast magische Kunst räumlicher Selbsterfahrung und Stille weckt Assoziationen an die Kunst der Zisterzienser und deren das klösterliches Leben in Einkehr. Der Künstlerin ist es gelungen, aus der einstigen Kirche einen heutigen Ort der Reflexion zu machen. Bis zum 17. September 2017 hat dort jedermann und jedefrau freien Eintritt.

http://www.auray.fr/culture/patrimoine/la-chapelle-du-st-esprit/

Und das Europa der Zisterzienser

„Weniger ist oft mehr.“ Ein Credo, das heute vielen jungen Leuten entgegenkommt, denen Qualität mehr bedeutet als Quantität. In einer Zeit der Überfülle ist es diese Überzeugung, die uns die schlichten Klöster des Mittelalters, die auf jeglichen Firlefanz verzichten, wieder ans Herz wachsen lässt. Wenn man sich nur auf einen solchen Ort konzentriert, wirkt  der schlicht gestaltete, nur von romanischen Rundbögen durchbrochene klösterliche Raum, in dem man atmen, das Licht, die eigene Stimme erleben und zur Ruhe kommen kann, wie Balsam für die Seele.

Die Gestaltung der romanischen fast bauhausartigen Klöster, die zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert entstanden, in einer Zeit, die geprägt war von Bevölkerungswachstum, Machtkämpfen und politischer Instabilität,  folgte durchaus einem genau überlegten Plan  mit strengen Gestaltungsvorgaben und der dazugehörigen kirchlichen Lehre. Diese legte ein für alle Klöster verbindliches Regelwerk fest, die „Carta caritatis“, die „Urkunde der Liebe“, das bei Bedarf durchaus kreativ ausgelegt werden konnte.

Herausragend war sicher die Persönlichkeit des Zisterziensermönchs Bernhard von Clairvaux (um 1090-1153), dessen reformerische Gedanken Theologen über viele Jahrhunderte inspirierten. Eng verknüpft war die Bewegung mit der Lehre des hl. Benedikt (um 480-547), die in dem Satz gipfelt: „Ora et labora“, „Bete und arbeite“.

Das bedeutete nicht nur strikte Einfachheit in der Lebensführung, sondern auch  Reduktion auf das Wesentliche in Kunst und Architektur. Vom Kreuzgang über den Kapitel-, Speise- und Schlafsaal sowie einem Scriptorium, einer Schreibwerkstatt, in der die gebildeten Mönche die Bibel und andere religiösen Texte schrieben, ähneln sich daher die Zistersienserklöster Europas in ihrem Aufbau.

Angesiedelt wurden diese Klosteranlagen meist in fruchtbaren Tälern, weit entfernt von der Zivilisation. Nur so konnte sich, ausgehend von Citeaux in Burgund, in 200 Jahren ein Netzwerk aus mehr als 800 Filialklöstern quer durch Europa ausbreiten, was durchaus auch mit wirtschaftlichem Erfolg verbunden war. Zisterzienser und Zisterzienserinnen (sie waren die gebildeten Frauen des Mittelalters!) wurden zu einem dynamischen Element der europäischen Zivilisation, weswegen wohl diesem Phänomen eine Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum in Bonn gewidmet ist. In Deutschland sind etliche in den Mittelgebirgen in Nähe des Rheins angesiedelt, vom Kloster Kamp (1123), über das romanische Kloster Altenberg (1133) bis hin zum Kloster Eberbach (1127)

Selbst wenn man es nicht schafft, bis zum 28. Januar 2018 die Ausstellung „Die Zisterzienser“ wie zahlreichen Objekte, die eigens für die Ausstellung restauriert wurden, die Modelle, die CAD-Rekonstruktionen, die Medien- und Mitmachstationen oder die Exponate vor Ort anzuschauen, die das Leben in den einstigen Klöstern lebendig werden lassen wie etwa die von weither kommende„Belle Allemande“, die einzigartige Madonna aus Kloster Eberbach, eine der mittelalterlichen Hauptwerke des Louvre, dann kann man sich in den umfang- und bilderreichen Ausstellungskatalog aus dem Theiss Verlag, der auch im Buchhandel erhältlich ist, bestens informieren.                                                                                     Petra Kammann

→ Die Mönche widmeten sich neben vielen praktischen Arbeiten auch  dem Kopieren von liturgischen und theologischen Handschriften

Bibelhandschrift aus Kloster Kamp, 1312, Pergament, 51 x 37 cm, Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ms. Diez. C. fol. 64. Foto: Bibel aus Kamp, Ms. Diez. C. fol. 64, fol. 3r, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung

 

 

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