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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„SIBYLLE – Die Fotografen“ in den Opelvillen in Rüsselsheim

Puppenposen abgeschafft

DDR-Modejournal als Forum für künstlerisch ambitionierte Fotografie

Von Hans-Bernd Heier

→ Cover 1964/2; © Foto: Günter Rössler © Reproduktionsfoto: Werner Mahler

Zum ersten Mal wird die Bedeutung der „SIBYLLE ‒ Zeitschrift für Mode und Kultur“ für die Entwicklung der Kunstfotografie Ostdeutschlands in einer Ausstellung eingehend beleuchtet. SIBYLLE war ein Modejournal in der DDR, das von der Namensgeberin Sibylle Boden-Gerstner im staatlichen Auftrag gegründet worden war. Durch die vorgestellten Modeentwürfe des assoziierten staatlichen Deutschen Modeinstituts, des späteren „Modeinstituts der DDR“, sollten kulturelle Maßstäbe gesetzt werden. Die Frauenzeitschrift, die als „Ost-Vogue“ galt, erschien ab 1956 sechsmal pro Jahr in einer Auflage von nur 200.000 Exemplaren im „Verlag für die Frau“, Leipzig. Sie war stets schnell vergriffen, sprach die Zeitschrift doch alle Altersgruppen an. Besonders begehrt waren die beigelegten Schnittmuster-Hefte, denn die abgebildete Kleidung war nicht in den volkseigenen Läden erhältlich. „Die Modefotos dienten nicht dem Marketing, sondern der Ästhetik“, so Dr. Beate Kemfert, Vorstand der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim und Kuratorin der imposanten Schau.

→ Modefotografie, Herbstmode in Berlin, Gasometer, Ost-Berlin, 1962, DDR#fashion photography, 1962, Berlin, GDR

Maßgeblich für die Modefotografien waren zu Beginn der 1960er-Jahre Arno Fischer, Günter Rössler, Elisabeth Meinke und Roger Melis, Ende der 1960er kamen Michael Weidt und Sibylle Bergemann hinzu. In den 1970ern folgten Wolfgang Wandelt, Rudolf Schäfer, Ute Mahler, Werner Mahler und in den 1980ern Ulrich Wüst, Hans Praefke und Sven Marquardt. In der gut gehängten Schau, die vom 30. August bis 26. November 2017 in den Opelvillen Rüsselsheim zu sehen ist, werden nun diese Fotografen mit ausgewählten Bildern vorgestellt. Dabei ist jedem Fotokünstler in der schmucken „Herrenvilla“, dem Ausstellungshaus der Opelvillen, ein eigener Raum gewidmet. Gezeigt werden auch eine Titel-Auswahl, Blattansichten, die die Veränderungen des Layouts verdeutlichen, sowie einige der begehrten Schnittmuster-Beilagen. Allerdings steht nicht die Geschichte des Blattes im Zentrum, der Fokus der chronologisch angelegten Präsentation ist vielmehr auf die Fotografen und deren künstlerische Bildsprache gerichtet.

Erstes Sibylle-Cover 1956; Foto: Hans-Bernd Heier

Insgesamt dokumentieren über zweihundert Werke, ganz überwiegend Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die Entwicklungsphasen der beeindruckenden ostdeutschen Modefotografie. Die sozial engagierten Fotografen suchten neue Wege, dachten gesellschaftsbezogen und waren zunächst der Utopie eines glanzvollen Neubeginns der sozialistischen Ideen erlegen. Ziel war es, die normale Frau bei der Arbeit, auf der Straße und im Alltag anzusprechen. Nicht mondän und damenhaft, sondern natürlich und klug sollte die Frau wirken. Alltägliche Szenen, die auf der Straße beobachtet werden konnten, übten auf die Modefotografen der Anfangsjahre einen großen Reiz aus.

Kuratorin Dr. Beate Kemfert bei der Pressekonferenz vor einer von Sven Marquardt gestalteten Fotowand; Foto: Hans-Bernd Heier

Die wohl stärkste Phase erlebte „SIBYLLE“ in den 1960er Jahren, als die Moderedakteurin Dorothea Bertram und mit ihr der Modefotograf Arno Fischer zu dem Blatt kamen und eine grundlegende Umgestaltung einleiteten. Fischer propagierte eine neue Art der Modefotografie: „Wir haben erst einmal die Puppenposen abgeschafft“. Bislang wirkten die Mannequins posenhaft und wurden nur selten außerhalb von Fotostudios aufgenommen. Anders fotografierte Fischer seine Modelle, die meist Studentinnen der Modeschule waren oder aus deren Umfeld stammten, in alltäglichen Situationen auf Berliner Straßen. Seine Aufnahme eines Models in Bewegung vor einem Gasometer in Berlin – sein wohl berühmtestes Foto – belegt den Umbruch und wurde schnell zur Ikone des Neubeginns der Modefotografie in der DDR. Für den frischen Auftritt des Magazins lieferte Fischer die entscheidenden bildlichen Vorgaben. Fischer vertrat die Ausfassung, dass die Fotografie nicht nur modische Entwürfe abzulichten hatte, sondern auch künstlerisch individuell interpretiert werden konnte.

← Modefotografie, 1964, DDR#fashion photography, 1964, GDR, Arno Fischer, „Barbara“, Bitterfeld, 1964; © Erbengemeinschaft Arno Fischer, Günter Rössler, Berlin, 1966; © Günter Rössler

Darin wurde er unterstützt von Günter Rössler, der bereits ab 1958 für das Modejournal tätig war. Auch dieser fand die unnatürlichen Posen und die starre, leblose Mimik der Mannequins grauenvoll. Rössler trug die Wende zur dynamischen Bildform mit und fotografierte zum Beispiel in Budapester Cafés oder Warenhäusern scheinbar eher beiläufig Mode. In einem Interview brachte er seine Position auf den Punkt: „Wir lösten die einfallslose Katalogfotografie durch Modefotos ab, die Mode als einen Aspekt unserer Kultur darstellten“.

Anfang 1969 kündigte die Redaktion weitere Veränderungen im Blatt an: „Wir werden die Themen in SIBYLLE erweitern, weil wir für unsere Anliegen bei der Entwicklung der sozialistischen Lebensweise ein weites Betätigungsfeld sehen“. So rückten die Fotografen beispielsweise die Architektur und Straßen in Ostberlin als Kulisse stärker ins Bild, um zu zeigen, dass diese wirtschaftlich und architektonisch mit dem westlichen Teil der Stadt konkurrieren können. Nach Fertigstellung der „Vorzeigebauten“ am Alexanderplatz wurden die Models häufig rund um den Alex fotografiert. Neben diesen symbolträchtigen Wahrzeichen gewannen auch industrielle Anlagen und Plattenbauten als Hintergrund für Modeaufnahmen an Bedeutung.

→ Roger Melis, ohne Titel, Berlin, 1971; © Roger Melis

 

Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre war der Alltag in der DDR mittlerweile zunehmend von Mangel und Verfall gekennzeichnet. Utopien waren zerplatzt. Es kamen Zweifel am positiven Verhältnis von Industrie und Lebenskultur auf und Kritik an den schwerwiegenden Umweltproblemen wurde laut. Models wurden auf tristen Betonstraßen mit qualmenden Schornsteinen im Hintergrund abgelichtet. Diese Hinwendung zur glanzlosen Alltagskulisse lässt sich insbesondere in den Arbeiten von Ute Mahler ablesen: Sie platzierte ihre Models auch in Berlin-Marzahn oder dem Prenzlauer Berg.

 

→ Modefotografie, Herbstmode in Berlin, Gasometer, Ost-Berlin, 1962, DDR#fashion photography, 1962, Berlin, GDR

Als die Diskrepanz zwischen sozialistischem Ideal und gesellschaftlicher Wirklichkeit immer offener zu Tage trat, fanden vor allem die jüngeren Fotografen in ihrer Aussage kompromisslosere Bilder. „Auch jene Fotografien, die mit Unkonventionellem experimentierten und provozierten, konnten in SIBYLLE veröffentlicht werden. Die Zeitschrift war in der DDR eine absolute Ausnahmeerscheinung“, betont Kemfert.

 

 → Sven Marquardt, ohne Titel, ohne Jahr;
© Sven Marquardt

 

Trotz aller Beschränkungen im autoritären ostdeutschen Regime konnte die Modezeitschrift zum Forum künstlerisch ambitionierter Fotografie werden, in dem eine freie Entfaltung und Selbstverwirklichung der Fotografen möglich war, ohne der Zensur anheim zu fallen. Davon profitierte zum Beispiel auch der nonkonformistische Fotograf Sven Marquardt. Wegen seines punkigen Outfits war es ihm polizeilich verboten, sich in Berlin-Mitte aufzuhalten, um das sozialistische Stadtbild nicht zu stören. Die Redaktion konnte er deshalb nur außerhalb der Bürozeiten und mit der Taxe erreichen. Marquardt fand für seine Mode-Aufnahmen ungewöhnliche Orte und Inszenierungen. Er war, wie er selbst sagt: „der Mann für das Unkonventionelle, Phantasievolle“, der sogar mit eigenen Models arbeiten durfte.

Obgleich die staatlichen Kontrolleure gelegentlich monierten, dass die Abgelichteten mehr lächeln sollten, wurden die Aufnahmen veröffentlicht und die Fotografen nicht in ihrer persönlichen Handschrift oder in ihrem unverwechselbaren Stil beschnitten – ein großes Privileg, das Bildredakteure sonst nicht genossen.

→ Günter Rössler, Berlin, 1966; © Günter Rössler

Die 1990er Jahre nach der Wiedervereinigung brachten große Umbrüche für die Zeitschrift. Anfang 1995 musste SIBYLLE zum großen Bedauern der treuen Leserschaft das Erscheinen im Selbstverlag aus finanziellen Gründen einstellen.

Zu der imposanten Ausstellung, die in Kooperation mit der Kunsthalle Rostock entwickelt wurde, ist bei Hartmann Books ein opulenter Katalog erschienen: 336 Seiten, ca. 570 Abbildungen; Preis: 39,80 Euro. Die Präsentation wird begleitet von einem umfangreichen Rahmenprogramm.

„SIBYLLE – Die Fotografen“ bis 26. November 2017 in den Opelvillen Rüsselsheim; weitere Informationen unter: www.opelvillen.de

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Opelvillen Rüsselsheim

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