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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Mit jungen Flüchtlingsfrauen im Dom und Dommuseum und ein Porträt der Gründerin Nadia Qani

Der  Verein ZAN – die Hilfsorganisation zur Förderung der Rechte afghanischer Frauen e.V. in Frankfurt

Text und Fotos Renate Feyerbacher

Gespannt lauschen die jungen Frauen den Erklärungen der Führerin im Dom

„Die Frauen wollen lernen. Wir wollen, das ist unser ganzes Bemühen, den Frauen zeigen, in welcher Stadt sie leben. Wenn sie auch abgeschoben werden sollten, so haben sie Deutsch gelernt und die Stadt Frankfurt mit dem gesamten Kulturangebot kennengelernt. Aber wenn sie hier bleiben, einen Job gefunden haben, dann wissen sie, wo sie leben“, erklärt die Deutsche, in Kabul geborene Nadia Qani, Gründerin von ZAN e.V. (eine Hilfsorganisation zur Förderung der Rechte Afghanischer Frauen) ihr Konzept.

Nadia Qani engagiert sich für die Flüchtlingsfrauen

Eine gute, eine stimmige Idee. Nach der europäischen Kunstbewegung, die Neues ausprobieren wollte, nennt sich das Projekt DADA, also Aufbruch. Zwei Gruppen à 12 Frauen über 25 Jahre, deren Asylantrag noch nicht anerkannt wurde und die nach Frankfurt geschickt wurden, profitieren von DADA. Diese Frauen haben nämlich keinen Zugang zu Integrationskursen. Ihr Ziel ist die Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt und die Vermittlung von weiterführenden integrierenden Schritten, wenn es mit der Anerkennung des Asylantrags denn klappen sollte. Das Modellprojekt wird von der Stadt Frankfurt unterstützt. Natürlich sind es nicht diese wenigen Frauen, die ZAN aufsuchen, sondern um die 150, die ohne Termine kommen. Außerdem kommen mittlerweile 45 Frauen und Männer zur Musiktrauma-Therapie.

Schon zweimal wurde im Hafen 2 – dort stellte der Süßwasserverein seine Räume zur Verfügung – ein großes Fest gefeiert. Am 18. März 2017 kamen etwa 2000 afghanische, syrische, iranische, kurdische und türkische Menschen, manche sogar aus München und Berlin. Vier Gruppen machten Musik. Das Essen war unentgeltlich. Das gelungene Fest hat seinen Preis. Der Verein wünscht sich, für solche aufwändige Projekte mehr Unterstützung durch die Stadt zu bekommen. Das jedenfalls ist auch Nadia Qanis Wunsch.

Im Haus am Dom. Im Hintergrund ein Portrait von Nadia Qani

Das DADA-Projekt – unterwegs mit den Frauen

Die Frauen des DADA-Projekts haben eine normale Schulbildung, einige von ihnen haben das Abitur, fünf haben studiert, z.B. fünf Semester Chemie, eine ist Geographie-Lehrerin, eine andere wurde in der Polizeischule in Kabul ausgebildet und arbeitete als Krankenschwester. Die Sprachschule findet täglich von 9 bis 12.30 Uhr statt. Die Frauen investieren viel Geld, um voran zu kommen und besuchen auch andere Sprachkurse. Außerdem lernen sie, mit dem Computer umzugehen.

Jeden Mittag wird gekocht. Der Nähmaschinenkurs muss leider ausfallen, da er mit zwei Maschinen für zwölf Kursteilnehmerinnen nicht möglich ist. Dass sie nähen können, wäre aber hilfreich, vor allem, wenn sie wieder in ihr Land zurückkehren müssten. Für die Anschaffung weiterer Nähmaschinen fehlt dem Verein jedoch das Geld.

Alles wird den Frauen beigebracht: Tischmanieren, wie man mit Messer und Gabel isst und wie man sich schminkt. „Viele dieser Frauen glauben: je mehr Schminke desto besser. Denen müssen wir zeigen, dass manchmal weniger mehr ist. Auch über angemessene Kleidung wird gesprochen“, betont Nadia Qani. Begeistert ist sie, dass die afghanischen Männer ihre Frauen unterstützen, indem sie auf die Kinder aufpassen, putzen und ihnen auch andere Arbeiten abnehmen.

Regelmäßig  werden mit den DADA-Frauen Stadtausflüge organisiert. So wurde ich eingeladen, die Frauen bei ihrer Exkursion ins Dommuseum und in den Dom zu begleiten. Bevor es losging, haben wir gemeinsam in der Küche des Vereins ZAN in der Eckenheimer Landstrasse gegessen. Die Frauen hatten selbst gekocht. Sehr köstlich!  Die Frauen, mit denen ich am Tisch sitze, sind bereit, offen mit mir zu reden. Eine der jungen Frauen erzählt mir stolz , dass sie nun eine Brille besitze. Sie ist übrigens die Einzige, die kein schwarzes, sondern ein farbiges Kopftuch trägt und hell gekleidet ist.

Nach dem Essen kommen weitere Frauen – teils ohne Kopftuch – hinzu. Es sind schließlich elf. Gemeinsam fahren wir mit der U-Bahn zur Konstabler Wache, um zu Fuß den Dombereich zu erreichen. Einige bitten darum, nicht fotografiert zu werden, einige sind verschlossen. Aber wer weiß schon, was sie mitgemacht haben?

„Mehrere dieser Frauen waren als Flüchtlinge im Iran, in Pakistan und in der Türkei. Sie haben wie der letzte Dreck in diesen Ländern gelebt“, kommentiert Nadia Qani das. Eine der Frauen, die Krankenschwester, zeigt mir die Verletzungen in ihrem Gesicht, die ihr die Taliban zugefügt haben. Das Auge ist betroffen und müsste behandelt werden.

Exkursion der jungen Frauen ins Dommuseum. Respektvoll betrachten sie die christlichen Kostbarkeiten, stellen viele Fragen.

Nach der Herrschaft der Taliban (1996 bis 2001) durften die Mädchen und Frauen zwar wieder zur Schule gehen und arbeiten, aber das Haus nur mit Burka verlassen. Nach wie vor entscheiden die Männer, wie sie sich zu verhalten haben und was ihrer Meinung nach moralisch ist. Ein selbstbestimmtes Leben wird den Afghaninnen nicht zugestanden. Gleichberechtigung steht nur auf dem Papier, die Gewalt gegenüber Frauen ist an der Tagesordnung.

Die Situation hat sich in den letzten Monaten für alle Afghanen dramatisch zugespitzt. Taliban und Warlords beherrschen das Land mit ihren Attentaten. Die UNO meldet, dass im 1. Halbjahr 2017  etwa 150.000 Afghanen aus dem Land flohen. Das hat die Bundesregierung bewogen, die Abschiebungen zu stoppen. Für wie lange, ist fraglich. Die Attentate häufen sich. 2016 lebten etwa 250.000 Afghanen in Deutschland. Derzeit kommen ständig welche hinzu.

 

Die Gründerin Nadia Qani

Das persische Wort ZAN bedeutet ‚Frau‘. In Kabul wurde in diesem Jahr der gleichnamige Frauensender ZAN TV gegründet.

Nadia Qani, die Gründerin des Vereins ZAN in Frankfurt, ist selbst Flüchtling, wenngleich sie schon seit etlichen Jahren in Frankfurt lebt. Sie weiß, was die Frauen, die sich ZAN anvertrauen, mitgemacht haben. Als junge Frau musste sie aus ihrem Land fliehen. Sie war emanzipiert, arbeitete als Chefsekretärin im afghanischen Wirtschaftsministerium und danach als Lehrerin. Außerdem war sie mit einem betuchten Mann aus besten Verhältnissen verheiratet und daher privilegiert.

Kurz vor der russischen Invasion im Dezember 1979 floh der Ehemann dann alleine nach Europa, zunächst nach Frankreich, dann nach Deutschland. In der Firma hatte ihn ein Freund vor seiner bevorstehenden Verhaftung gewarnt. Der junge links orientierte Jamil, der kein Kommunist war, hatte zusammen mit seiner Frau gegen die diktatorische Herrschaft protestiert.

Nadia Qani entschloss sich ebenfalls, bald ihre Heimatstadt Kabul zu verlassen. Das war am 20. Mai 1980. Mit anderen  floh sie zunächst nach Pakistan, schaffte es, mit gefälschten Papieren in ein Flugzeug nach London mit Zwischenstopp in Frankfurt zu gelangen, wo ihr Mann sie erwartete. In Frankfurt durfte sie aber das Flugzeug nicht verlassen, weil das Visum auf Großbritannien ausgestellt war. In London erkannte der Beamte aber sofort, dass ihr Pass gefälscht war, die Abschiebung nach Pakistan drohte. Dann erschienen, mobilisiert von ihrem Mann Jamil, zwei Damen der englischen Sektion von Amnesty International und  und besorgten ihr schließlich ein Visum für Deutschland. Die dramatische Flucht schildert Nadia Qani in dem Buch “Ich bin eine Deutsche aus Afghanistan – von der Drachenläuferin zur Unternehmerin“, an dem die Lektorin Doris Mendlewitsch mitarbeitete.

In Deutschland erwarteten die Frau, die in Afghanistan vornehm gewohnt hatte, desolate Asylantenheime. Ihr erster Sohn wurde 1981 in Frankfurt geboren, da war Nadia Qani gerade mal 21 Jahre alt. 1988 bekam sie ihren zweiten Sohn. Durch Putzarbeiten verdiente sie Geld, so dass die erste eigene Wohnung in Bonames bezogen werden konnte. Ihr Mann, in Afghanistan einst Direktor einer Zuckerfabrik, schaffte es nach verschiedenen Anläufen zum Laboranten. Nadia Qani schuftete, hatte mehrere Jobs, gründete einen Ambulanten Häuslichen Pflegedienst (AHP), der 2008 als Bester Arbeitgeber ausgezeichnet wurde.

Nach 23 Jahren, das war im Jahr 2000, zerbrach ihre Ehe und Nadia Qani versank so tief in einen „Sumpf „aus Depression und Alkohol, „so dass ich beinahe nicht mehr da herausgekommen wäre“. Unvorstellbar, dass diese aktive emanzipierte Frau in eine solche Krise geraten konnte! Sie, die heute Unternehmerin ist, ist inzwischen wieder selbstbewusst, packt an und unterstützt andere.

Eine Freundin und die Arbeit bei ZAN halfen ihr damals aus dem Sumpf. Es war 1996, als sie mit afghanischen und deutschen Frauen die Idee hatte, ZAN, die Hilfsorganisation zur Förderung der Rechte afghanischer Frauen e.V., zu gründen. 2001 war es dann soweit. Der Verein war gegründet. Ein fast symbolisches Jahr. Zur Erinnerung: Am 11. September 2001 zerstörten Terroristen die Türme des World Trade Centers in New York. ZAN machte nur wenig später, am 5. Februar 2002, in der Frankfurter Stadtbücherei durch die eindrucksvolle Ausstellung mit 130 großformatigen Fotos zur Situation afghanischer Frauen und Kinder auf sich aufmerksam. Neun Jahre später wurden Fotos von Steve McCurry erneut im English Theatre gezeigt.

Unter den Exponaten war auch das Foto eines zwölfjährigen afghanischen Flüchtlingsmädchens mit grünen Augen und angstvollem Blick, das Weltruhm erlangte. Der Fotograf Steve McCurry fotografierte es 1984 in einem pakistanischen Flüchtlingscamp. Nach 18 Jahren hat er dieses Mädchen, inzwischen eine junge Frau, ausfindig gemacht.

Unsere Autorin Renate Feyerbacher, links im Bild in der Ausstellung von Steve McCurry; Foto: Reza Shirmohammadi 

Immer wieder bereist McCurry Afghanistan, von dem er fasziniert ist – zuletzt 2016. Er erzählt in einem Gespräch, dass er sich frei bewegen konnte. Jedoch war ihm immer bewusst, dass die meisten Regionen unsicher sind und die Möglichkeit groß, dass einem etwas passiert. (Steve McCurry: „Afghanistan“ , Taschen-Verlag)

Die Aufmerksamkeit, die aufgrund der Ausstellung Nadia Qani und der Gruppe ZAN entgegen gebracht wurde, schürte bei Afghanen hier wie dort, Misstrauen. Es gab Drohanrufe und Briefe, in denen ihr vorgeworfen wurde, Geld einzusammeln, um afghanische Frauen gegen ihre Männer aufzuwiegeln, beziehungsweise das Geld, das ihr gespendet wurde, für sich zu behalten.

Seit 1999 ist Nadia Qani Deutsche. Eine „Musterdeutsche“ nennt sie sich, „nicht blond und hell, sondern mit dunkler Haut, schwarzem Haar und dunkelbraunen, fast schwarzen Augen“ – eine schöne Frau, die aufgrund ihrer Andersartigkeit hier oft bedroht, angepöbelt und sogar körperlich attackiert wurde.„Ich bin sogar so deutsch, dass ich 2005  ,Frankfurterin des Jahres‘ wurde und in Berlin das Bundesverdienstkreuz am Bande erhielt.“ Ein Wermutstropfen: „Ich bin nie mehr nach Afghanistan zurückgekehrt.“ Sie wollte es zwar, aber es war und ist nach wie vor politisch zu gefährlich für sie.

 

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