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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Das Schloss Clos Lucé, Leonardo da Vinci und Gonzague Saint Bris, der Dandy der Literatur

Der französische Autor, Historiker und Journalist Gonzague Saint Bris (1948-2017) ist auf dem Manoir Clos Lucé aufgewachsen, etwa 500 Meter entfernt vom Loireschloss Amboise, der „Wiege der Renaissance in Frankreich“,  zu dem eine unterirdische Verbindung besteht. Hier verbrachte auch Leonardo da Vinci, das toskanische Universalgenie, bis 1519 die letzten drei Jahre seines Lebens. Heute ist das Haus ein Museum, in dem man sowohl die Fresken des Malers als auch Modelle nach seinen Erfindungen und Entwürfen finden kann.

Von Petra Kammann

Typisch für den Baustil der Renaissance: das Schloss Clos Lucé aus zartrotem Backstein mit Sandsteineinfassungen  

→ Gonzague Saint Bris
Foto: Ricardo Boimare / Wikimedia  

Die frühe Beschäftigung mit dem genialen italienischen Künstler hat zweifellos auch das Leben von Gonzague Saint Bris geprägt, der in der Nacht vom 8. auf den 9. August 2017 in der Normandie in der Nähe von Pont l’Evèque bei einem Autounfall ums Leben kam. Schon im zarten Alter von 13 Jahren erbte er Leonardo da Vinics Bett.

In Clos-Lucé hat er noch im vergangenen Jahr gemeinsam mit seinem Bruder François die genialen Erfindungen von Leonardo da Vinci, die dort dank der neuen medialen und digitalen Möglichkeiten anschaulich in Szene gesetzt wurden, eingeweiht.

Der 1948 in Loches im Loiretal geborene Schriftsteller hat insgesamt rund 50 Werke, vorwiegend Biografien – wie die über Ludwig XVI, Lafayette, François 1er oder Alfred de Vigny – veröffentlicht. Auf Deutsch ist von ihm „Zu Gast bei Balzac. Dichter und Genießer“ erschienen. Saint Bris wurde 2002 für sein Werk „Les Vieillards de Brighton“ („Die Alten von Brighton“) mit dem renommierten französischen Literaturpreis Interallié ausgezeichnet.

1983 war der umtriebige Kulturvermittler und Menschenfreund Teilhaber des „Festival du film romantique“ und gründete im Jahr 1995 in Chanceaux-près-Loches in der Touraine das populäre Literaturfestival „La Fôret des livres“, von dem die Briten sagen, es sei das „Woodstock der Literatur“. Es wurde nicht nur von Jury-Mitgliedern des Goncourt-Preises oder Mitgliedern der Akademie française, sondern auch von Persönlichkeiten wie dem früheren Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing oder der kürzlich verstorbenen Simone Veil besucht.

Das Lesefest soll am 27. August zum 22. Mal eröffnet werden. Doch durch den Choc des Verlustes der so engagierten Persönlichkeit eines Gonzague Saint Bris ist es bislang nicht einmal klar, ob es dazu überhaupt kommen wird. Dessen letztes Buch „Les Aristocrates rebelles“ (Les Arènes) soll auch Ende August herauskommen. Vielleicht wird es darin tiefere Einblicke in das Leben im Schloss Clos Lucé geben, das zu den vielbesuchten Schlössern der Loire zählt.

Entlang der Loire und ihrer Nebenflüsse wie Loir, Indre, Cher stehen 400 weitere Schlossanlagen in den französischen Regionen Pays de la Loire, Centre-Val de Loire und Burgund.

Vom Zimmer seines Schlafgemachs mit dem Himmelbett betrachtete Leonardo da Vinci das Schloss seines Freundes François 1er. Hier verstarb er im Alter von 67 Jahren

Während des Hundertjährigen Krieges bildete die Loire zeitweilig die Grenze zwischen den von England besetzten Gebieten im Norden und dem französischen Kernland. Nach dem Ende des Krieges verloren die in dieser Zeit entstandenen größtenteils gotischen Burganlagen ihre strategische Bedeutung und verfielen nach und nach.

Seit dem Beginn der Renaissance wurden im 16. Jahrhundert auf deren Fundamenten die heutigen Schlösser errichtet. Hier ließen sich im 15. und 16. Jahrhundert die Feudalherren nieder und hielten an der Loire Hof, so sehr waren sie von der Lieblichkeit des Tals angetan. Unter dem Einfluss der aus Italien stammenden Königin Katharina von Medici  wurde hier noch einmal die französisch-italienische Kultur und Lebensart gepflegt, bevor die Herrscher entgültig nach Paris umzogen.

In den Terrcacotta-Fußboden sind die Initialien der Katharina von Medici eingelassen

Das aus Sandstein und zartroten Ziegeln gebaute Schloss Clos Lucé blieb bis ins späte 18. Jahrhundert in Familienbesitz der Familie d’Amboise. 1854 erwarb die Familie Saint Bris als Nachfolger das Schloss Clos Lucé. So ist es nun seit Generationen immer noch in Familienbesitz. Trotz der weitläufigen Gärten, dem großen Taubenschlag aus Backstein und den umgebenden Weinbergen hat es den Charakter einer Wehrburg mit Spähturm, Schießscharten, Schilderhaus und Zugbrücke behalten.

Hubert Saint Bris, Gonzagues Vater, verfolgte ab 1955 das Ziel, den Zustand der Anlage zur Zeit seines berühmten Bewohners Leonardo da Vinci so weit wie möglich wiederherzustellen und es dem Publikum nahezubringen. Alles sollte hier wieder in altem Glanz erstrahlen, vor allem die Wohnräume, aber auch die Betkapelle, die Karl VIII. für seine Gattin Anna von Bretagne errichten ließ, die Salons mit ihrer Täfelung aus dem 18. Jahrhundert, der große Renaissancesaal, der Empfangssalon Leonardos, die Küche mit dem gewaltigen Kamin, die Räume im Kellergeschoss.

Das Schlafgemach der Margarete von Navarra (1492-1549) mit einem Baldachinbett aus der Frührenaissance und typischen Renaissance-Möbeln

Als im vergangenen Jahr Gonzagues Bruder François Saint Bris, der Konservator des Schlosses Clos Lucé, die Gärten und das Ateliers Leonardos einweihte, war der Anlass der 500. Jahrestag der Einladung Leonardos durch König François 1er.

↑ Hier im Atelier kann man die Vorstufen zur Malerei des „sfumato“ erleben
↓ Skizzen zu seinen wichtigsten und bekanntesten Werken mit den für die Zeit neuen technischen Hilfsmitteln für die perspektivische Darstellung zum Beispiel

Die Besucher sollen einen lebendigen Eindruck von Leonardos Leben und Wirken erhalten, das er minutiös bis zu allerletzt der Kunst, der Wissenschaft und der Technik gewidmet hat.


→ Von der Terrasse des typischen Renaissancegartens aus bietet sich ein Blick auf Stadt und das nahegelagene Schloss Amboise an

Die Restaurierung der Gesamtanlage stand dabei unter der Leitung von Saint-Jouant, dem Chefarchitekten der „Monuments historiques“.

Es war eine gigantische Herausforderung, bei der 25 verschiedene Gewerke zum Tragen kamen. Meistermaurer, Steinmetze, Bildhauer, Glaskünstler, Gärtner, aber auch ebenso Designer und Spezialisten aus dem Bereich 3D-Animationen gaben ihr Bestes. Die Besucher sollten auch einen Einblick in die vielfältige Kreativität des Künstlers bekommen, auch in neue von Leonardo entwickelte Techniken, in seine grandiosen Erfindungen in Mechanik, Optik, Hydraulik, sogar Aerostatik, in das, was ihn alltäglich beschäftigte und das, was das Wesen der ungeheuren Epoche großer Umwälzungen und bahnbrechenden Erfindungen der Renaissance ausmacht. Wir können voller Staunen den ersten Panzerwagen, das erste Automobil, die Drehbrücke, den Raddampfer, die Flugmaschine als Vorfahrin des Flugzeugs, den Hubschrauber, den Fallschirm und etliches mehr anhand von Modellen im wahrsten Wortsinn be-greifen.

Leonardos Beschäftigung mit der Radübersetzung – Vorläufer der Entwicklung des Fahrrads 

Auch auf etliche seiner klugen Sätze stoßen wir hier, die den neuen befreiten Menschen zeigen wie:

„Pour conserver le don principal de la nature, c’est à dire la liberté, je sais comment attaquer et défendre en cas de sièges par les ambitieux tyrans.“

Um das wichtigste Geschenk der Natur zu bewahren, damit meine ich die Freiheit, weiß ich, wie ich anzugreifen und mich zu verteidigen habe, im Fall einer Belagerung durch machtgierige Tyrannen.“

Das hat nichts an Aktualität eingebüßt.

Vom 23. bis 25. September 2017 findet in der Halle muséographique im Leonardo da Vinci-Park die 12. Ausgabe des Festival Européen de Musique Renaissance statt.

Alle Fotos, falls nicht anders benannt, stammen von Petra Kammann

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