Tobias Schnotale: „Intervention II“ im Frankfurter Dommuseum
Interventionen: so sensibel, so zwiespältig, so bedroht wie das Leben
Von Erhard Metz
Von einer weiteren Ausstellung im sakralen Raum wird hier zu berichten sein – nach der Installation von Yasuaki Kitagawa in der Weißfrauen Diakoniekirche nun eine solche im Museum des Frankfurter Kaiserdoms – unterschiedlicher könnten die Orte, aber auch der Gegenstand der Werkschauen allerdings kaum sein.
Eigentlich mag dem Besucher die Ausstellungssituation als geradezu himmlisch erscheinen: Im Herzen Frankfurts, im altehrwürdigen Frankfurter Kaiserdom, dort im ehemaligen Kreuzgang, der von drei Seiten das sogenannte Quadrum umschließt, im Frankfurter Dommuseum also. Was vom einst reichen mittelalterlichen Frankfurter Kirchenschatz die Wirren der Zeitläufte überstanden hat, ist in diesem Kreuzgang versammelt: herrliche Gold- und Silberschmiedearbeiten, prachtvolle Messgewänder, kleine mit Bändern und Siegeln versehene Reliquienschächtelchen und vieles andere mehr – genug noch, um von der Bedeutung des Doms als Ort der Königswahl und später auch der Krönung der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation beredtes Zeugnis abzulegen. Ein von Religiosität und Glauben wie historischer Bedeutung gleichermaßen aufgeladener Ort also. Und dazu dies: Hier finden seit langem und regelmäßig Ausstellungen zeitgenössischer Kunst statt.
Bettina Schmitt, in Frankfurt bereits zuvor von ihrer Arbeit an der Frankfurter Liebieghaus Skulpturensammlung bekannt, seit Frühjahr 2015 Nachfolgerin von Professor August Heuser als Direktorin dieses wundervollen Dommuseums, wagt das Besondere. Sie bespielt nicht nur, wie dies bislang schon geschah, das Quadrum, sondern auch den Kreuzgang: mit „Interventionen“. Der „Intervention“ vom Sommer 2016 mit Werken der in Frankfurt bekannten und von ihren zahlreichen Studierenden verehrten Dozentin der Städel-Abendschule und heutigen Professorin an der Hochschule Mannheim Vroni Schwegler folgt nun derzeit die installative Ausstellung „Intervention II“ des Künstlers Tobias Schnotale. Mit großer Sensibilität und Behutsamkeit fügte und fügt Bettina Schmitt die Arbeiten der beiden zwischen die unschätzbar wertvollen Exponate der Dauerausstellung ein.
↑ Vroni Schwegler, aus: „Intervention“ (Ausstellung im Dommuseum Juli/September 2016), Foto: Erhard Metz
↓ Tobias Schnotale, aus: „Intervention II“ im Dommuseum 2017: ohne Titel (Frau im Wasser), 2017, Bleistift auf Papier, 21 x 29,7 cm; Foto: Tobias Schnotale
Das kann und wird nun sicherlich nicht jedem gefallen – nicht jenen vor allem, die sich schnellen Blicks auf solche Interventionen nicht einlassen und auch gar nicht einlassen wollen, zumal vielleicht noch geschockt von der skulpturalen Installation im Quadrum, mit der sich ein jeder Eintretende zunächst einmal auseinandersetzen muß.
Im Quadrum also begegnet die „Intervention II“ dem Besucher zunächst mit Befremdlichem, zumindest mit Ambivalenz: einem Flieger. Aggressiv, bedrohlich zielt das metergroße Ding auf uns – Assoziationen etwa an Björn Drentwitz‘ Stealth Bomber stellen sich ein – einerseits. Andererseits harmlos – ein wenn auch riesenhafter Papierflieger, wie wir ihn als Schüler, wenn die Lehrkraft uns gerade den Rücken zukehrte, aus einer herausgerissenen Heftseite falteten und den vor uns Sitzenden neckend in den Nacken segeln liessen. Heute nun suchen wir Orientierung, in einer uns mehr und mehr Orientierung verweigernden Welt. Der „Tarnkappen-Bomber“ trägt seine Bezeichnung nicht umsonst und schon gar nicht zum Spaß. Aus der schülerhaften Neckischkeit kann später einmal rasch Agressivität und blutig-kriegerischer Ernst erwachsen. In welche Richtungen die Geschicke ihren Lauf nehmen, entzieht sich oft der Berechenbarkeit.
Großer Flieger, 2017, verschiedene Materialien, ca. 360 x 190 cm; Foto: Erhard Metz
Vorgewarnt, wenn nicht verunsichert begeben wir uns in den Kreuzgang. Die sich dort fortsetzende „Intervention“ gibt uns zunächst Rätsel auf. Neben der arg von Verwitterungsschäden gezeichneten Statue des Hl. Bartholomäus, den ein üppiger Lockenkopf mit Rauschebart und ein Gewand mit reichem Faltenwurf ziert, finden wir zum Beispiel eine Tuschezeichnung mit einem etwas verklebt erscheinenden Kamm mit einem Haarbüschel oder die Bleistiftzeichnung eines nackten Fußes – und unwillkürlich schauen wir nach: Lugt da nicht ein abgewitterter Fuß unter dem Rock des Heiligen hervor?
Tobias Schnotale, ohne Titel (Fuß), 2017, Bleistift auf Papier, 29,7 x 21 cm; ohne Titel (Kamm und Haare), 2015, Pigmenttusche und Acryl auf Papier, 21 x 29,7 cm; Fotos: Tobias Schnotale; oben links: Erhard Metz
Im Kreuzgang zwischen all der mittelalterlichen und barocken Pracht – oft versteckt und erst auf den genaueren Blick wahrnehmbar – kleine Zeichnungen und Malereien des Künstlers; Zeichnungen und Gemaltes in größerer Zahl dann auf zwei für die Ausstellung eigens gebauten und in ihrer Konstruktion an Futterraufen und Weihnachtskrippen erinnernden Pulten – der Betrachter fühlt sich in ein klösterliches Skriptorium versetzt. Gefühle und Assoziationen stellen sich ein – an Füttern mit „geistiger Nahrung“, an die Erhellung der Welt durch das weihnachtliche Geschehen. Die feinen Zeichnungen mit Blei- und Buntstiften, die zarten Malereien mit Aquarell- und Acrylfarben, die markanten, in der Tat „intervenierenden“ Akzentsetzungen und künstlerischen Ausrufezeichen in Pigmenttusche werden den wandelnden Betrachter zum Innehalten bewegen.
↑↓ Installationsansichten, Fotos: Erhard Metz
Ohne sich aufzudrängen – wir ermessen nicht im Genaueren, inwieweit sich versuchte Deutungen der künstlerischen Intention und Intuition nähern – können die kleinen Darstellungen im sakralen Raum einen religiösen, genauer gesagt christlichen Kontext vermitteln. Das aufgeschlagene Buch kann an das „Buch der Bücher“ gemahnen – die Bibel; der Zopf an die Reliquie der Hl. Klara von Assisi erinnern; der Tisch, der an einen Altar denken lässt und dessen Beine „zerfließen“ und ihn zum Zusammenbruch zu bringen drohen, mögen auf schwindende Religiosität, ja einen Rückzug des Christentums weisen. Der Zopf ist abgeschnitten – die materialistisch-naturwissenschaftlich orientierte Welt wird vielfach dessen Authentizität in Zweifel ziehen. Beziehungsreich auch – um ein weiteres Beispiel herauszugreifen – das Buch: eine gefüllte Seite steht einem Vakat gegenüber, und auch die „gefüllte“ enthält nichts Lesbares mehr.
↑ ohne Titel (Buch), 2014/2017, Bleistift auf Papier, 21 x 29,7 cm
↓ ohne Titel (Zopf), 2008, Bleistift auf Papier, 29,7 x 21 cm; ohne Titel (Tisch mit zerfließenden Beinen), 2015, Acryl auf Archivkarton, 29,7 x 21 cm
Fotos: Tobias Schnotale
Deutlicher noch und erheblich skeptisch-kritischer könnte eine Arbeit des Künstlers gelesen werden, nach unserem Empfinden durchaus provokant platziert vor einer prächtigen goldenen Strahlenmonstranz. Zu sehen ist ein Durchbruch aus einer Fläche, der Blick in ein dunkles Loch, ins Nichts. Das liturgische Schaugerät wiederum enthält in seiner Mitte eine mit Fenstern versehene Kammer, in welcher das Allerheiligste oder eine Reliquie zur Betrachtung und Verehrung ausgesetzt wird. Das Schauglas im ausgestellten Museumsstück ist leer – leer wie das „schwarze Loch“ in Schnotales Arbeit. Ein Kontext zwischen künstlerischem Werk und dem sakralen Gerät scheint auf der Hand zu liegen. Dem innehaltenden Betrachter ist es anheim gestellt – oder wenn man so will aufgegeben – , sich mit der absichtsvollen Komposition und Konfrontation auseinanderzusetzen.
ohne Titel (schwarzer Schnipsel), 2017, Digitaldruck von Digitalfoto (2014) auf Fotokarton, 29,7 x 21 cm; Fotos: Erhard Metz; oben rechts: Tobias Schnotale
Zeitgenössische Kunst in sakralen Räumen: Aus anfänglicher Verunsicherung können im reflexiven Prozeß des Betrachters Einsicht und Erkenntnis, vielleicht Zuversicht, im besten Fall Gewissheit über Fragen der eigenen Existenz erwachsen.
Tobias Schnotale, 1969 in Frankfurt am Main geboren, studierte an der Frankfurter Akademie für Kommunikation und Design, an der Europäischen Akademie für bildende Kunst in Trier und an der Freien Kunstakademie Nürtingen. Er ist Mitglied im Deutschen Werkbund Hessen und bestritt zahlreiche Ausstellungen. Der Künstler lebt und arbeitet im hessischen Rödermark.
Intervention II, Tobias Schnotale im Dommuseum Frankfurt, bis 13. August 2017
Alle abgebildeten Werke © VG Bild-Kunst, Bonn