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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kunst privat – Die Kunst der EZB

„Vielfalt in der Einheit“

Bereits seit ihrer Gründung präsentiert die Europäische Zentralbank in einer Ausstellungsreihe zeitgenössische Kunst aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, in der einmal jährlich die aktuelle Kunstszene eines EU-Landes vorgestellt wird. Die meisten der in der Sammlung vertretenen Arbeiten wurden im Rahmen der Ausstellungsreihe zu zeitgenössischer Kunst aus den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten angekauft, welche die EZB seit 1997 organisiert. Durch die Werke von Künstlern, die in diesen Ausstellungen präsentiert werden, erhält der Besucher eine Vorstellung von der künstlerischen Vielfalt Europas. Einen kleinen Einblick in die so entstandene Sammlung konnte man am vergangenen Wochenende erhalten. 

Von Petra Kammann

Giuseppe Penone, Gravity and Growth”, 2015 © ECB and the artist, Ausschnitt; Foto: Petra Kammann

Sicher gilt der verdrehte Doppelturm der EZB, der von Weitem aussieht, als wäre ein Keil in die alte Frankfurter Großmarkthalle von Martin Elsässer aus den 1930er Jahren getrieben worden, als außergewöhnliches Bauwerk. Dieser „Außenseiter“ ist wohl der schillerndste unter Frankfurts Hochhaustürmen. Er ist im Stadtbild so präsent wie kein zweites Hochhaus, weil man ihn aus den unterschiedlichsten Perspektiven und von den diversen Brücken aus jeweils anders wahrnimmt, u.a. weil sich in ihm das unterschiedliche Tages- und Himmelslicht spiegelt, was von der Architektengruppe Coop Himmelb(l)au vermutlich so auch beabsichtigt war.

Gerne würde man da einmal hinter die Kulissen blicken! Für das breite Publikum war das Gebäude kurz nach seiner Einweihung 2014 aber aus Sicherheitsgründen zunächst einmal gar nicht zugängig, inzwischen gibt es die Möglichkeit, Einblicke zu bekommen, wie zum Beispiel am vergangenen Wochenende, als die Kunstsammlung der Bank im Rahmen von „Kunst privat“-Führungen zu erleben waren, allerdings nur nach Voranmeldung und mit entsprechenden Sicherheitschecks.

Hat man die Sicherheitsschleuse überwunden, so ist man vor dem Haupteingang zunächst einmal magisch von dem eigenartigen goldenen Kugel-Baum des italienischen Arte Povera-Künstlers Giuseppe Penone angezogen. Die 17 Meter hohe Skulptur aus Bronze und Granit mit den grazilen vergoldeten Blättern trägt den Titel „Gravity and Growth“ („Schwerkraft und Wachstum“) und zieht eine interessante Parallele zwischen der wachsenden Natur und der Wirtschaft. Penones Baum soll ein Gefühl von Stabilität und Wachstum vermitteln. Die Schwerkraft als stabile Kugel liegt dabei oben zwischen zarten und kahlen Ästen.

Dieser ungewöhnliche Kunstbaum wurde als eine der drei Skulpturen in einem internationalen Kunstwettbewerb ausgewählt, den die EZB 2014 eigens für drei Kunstobjekte ausgelobt hatte, die an verschiedenen Orten ihres neuen Hauptsitzes aufgestellt werden, und „welche die Kunst Europas in ihrer besten Form repräsentieren“ sollten.

59 Künstler aus insgesamt 28 EU-Mitgliedstaaten waren es, die für den Wettbewerb nominiert worden waren und die sich allesamt in ihren Werken mit den vorgegebenen Themen „Stabilität und Unabhängigkeit“ sowie „In Vielfalt geeint“ auseinandergesetzt haben. Sie wollten Werke schaffen, die das Leben einer europäischen Gemeinschaft im Aufbau in all ihrem Facettenreichtum widerspiegeln.

Das weitläufige Gelände der früheren Großmarkthalle bietet natürlich auch Platz für eine angemessene zeitgenössische Kunstsammlung. Doch im Gegensatz zu anderen Firmen- und Bankensammlungen wurde hier nicht einfach „nur“ alles angeschafft, was Rang, Namen und den entsprechenden Preis hat. Vielmehr entstand eine handverlesene Sammlung zeitgenössischer Kunstwerke aus den verschiedenen europäischen Ländern, die sich sowohl ästhetisch auf das architektonisch innovative Gebäude, als auch inhaltlich auf die Ausrichtung der europäischen Bank bezieht und das unter drei inhaltlichen Gesichtspunkten: Menschen, Räume und Landschaften.

Dabei präsentiert die EZB schon seit ihrer Gründung in einer Ausstellungsreihe zeitgenössische Kunst aus den Mitgliedsstaaten der EU. Ein anderer Teil der Sammlung hängt im Eurotower an der Kaiserstraße, wo derzeit die Bankenaufsicht sitzt.

Giuseppe Penone, Gravity and Growth”, 2015 © ECB and the artist, Foto: Petra Kammann

Neben Penones Baum wurden zwei weitere Werke für das Innere des Gebäudes ausgewählt: Für das gläserne Atrium die Skulptur „A Site-Specific Piece on Stand-by“– eine Art steinerner Findling mit Aufschrift – des bulgarischen Künstlers Nedko Solakov. Solakov drehte die technischen Vorgaben der Ausschreibung um und wendete sie ins leicht Absurde, indem er die vorgegebene maximale Höhe der Skulptur von 15 Meter bewusst nicht nutzte, die ergebe sich nämlich erst, wenn die Arbeit und das Ziel der EZB vollendet sei, so legt es der eingravierte Text nahe. Andernorts hängen im Foyer des Konferenzbereichs fragmentarische Texte und Zahlen in der bewusst strukturierten Fensterfront: „Fourier Transform (Located) – eine Installation“ des britischen Künstlers und dritten Preisträgers Liam Gillick, der soziale Systeme und ihre Strukturen unter die Lupe nimmt.

Korridore mit Kunst, ECB Art Objects New Premesis, Foto: © ECB

Insgesamt sind die etwa 400 Kunstwerke der EZB aus 24 europäischen Ländern so unterschiedlich und individuell wie die Länder selbst, aus denen sie stammen.

Vom repräsentativen Eingangsbereich führt uns der Weg zum „Haus im Haus“, in die erste und zweite Konferenzraumetage, vorbei an der ausdrucksstarken Fotowand von Thomas Bayrle „The Frankfurters“. Sie stellt Passantenschwärme auf dem Römerberg, dem ältesten Ort der Bewegung in Frankfurt, dar, gerastert und durch zahlreiche Rauten neu gesampled und vernetzt. Dieses Werk zeigt eine enge Verbundenheit mit der Stadt, in der die EZB ihren Sitz hat. Blickt man nach oben, ist dort das Tonnengewölbe der Großmarkthalle des früheren Architekten Martin Elsaesser wieder präsent.

Als die Führerin die Tür in einen der Konferenzräume öffnet, fällt der Blick besonders auf eine großformatige Fotografie des Rumänen Iosif Király, auf ein verlassenes und trostloses Baugerippe im Hintergrund, mit zwei vor dem Regen flüchtenden Personen, einen Mann mit Schirm und eine Frau mit Kopftuch, Kittel und gefüllten Plastiktüten sowie auf eine Schar freilaufender Gänse. „I Love Europe“ nennt der Künstler beziehungsreich das Foto im Untertitel. In dem hochtechnisierten Konferenzsaal kann man sich des Blicks auf die dargestellte Armut kaum entziehen. Da kommen nachdenkliche Fragen auf, was Europa im Innersten zusammenhält.

Im Konferenzraum hängt Isif Király, Reconstrucions, Matasari, I love Europe, 2008/2009, c-print, 96 x 253,5 cm , ©: EZB, Foto: Petra Kammann

Lichtboxen von Dragoș Lumpan, Vorne: Dragoș Lumpan, The last transhumance, 2009 , Duratrance in a lightbox, jeweils 70 x 105 x 10 cm ©: EZB, Foto: Petra Kammann

Ebenso eindrucksvoll die beleuchteten Fotos des rumänischen Künstlers Dragoș Lumpan von 2009, der den Traditionen der herumziehenden Schafsherden nachspürt, die im Begriff sind, verloren zu gehen. Unter dem glühenden winterlichen Himmel liegt unter einem Berg aus Schafsfellen ein Mensch unmittelbar auf dem Schnee. So lautet der Titel „The last transhumance“.

Dagegen wirken die cleanen und systematisch angeordneten Porträts der „Babylon Babies“ der Antwerpener Künstlerin Marie-Jo Lafontaine wie Chiffren aus einer anderen urbanen Welt, während die Fotografie „Ganymed in Shorts“ des schwedischen Künstlerduos Elmgreen & Dragset, auf der sie der klassisch-griechischen Marmorskulptur von Thorwaldsen eine laszive Jeans angezogen haben, geradezu hedonistisch erscheint.

ECB Art Objects New Premesis © ECB 

Offensichtliches Ziel der EZB ist es, mit ihren Kunstaktivitäten das Bewusstsein für den kulturellen Reichtum Europas und dessen gemeinsame Wurzeln zu schärfen.

Die Auseinandersetzung mit Kunst bedeutet auch, dass man andere Sichtweisen zu akzeptieren bereit ist, auch wenn unterschiedliche oder bisweilen sogar inkohärente Sichtweisen aufeinanderprallen. Die Kunst regt dazu an, Fragen an verschiedene Wirklichkeiten zu stellen. Und sie hält zur Toleranz an und appelliert damit an die Einsicht, dass unterschiedliche Wahrnehmungsweisen den Reichtum des europäischen Systems ausmachen. Damit entspricht sie dem europäischen Ideal „In Vielfalt geeint“, was nicht bedeutet, dass man deshalb seine eigenen Wurzeln verleugnen sollte.

In seiner Rede zur Einweihung der standortspezifischen Kunstwerke zitierte Mario Draghi den Jean Monnet zugeschriebenen Satz: „Wenn ich noch einmal anfangen müsste, dann würde ich mit der Kultur beginnen.“ Gemeint war das Projekt Europa …Es hätte vermutlich zu anderen Ergebnissen geführt. „Kunst ist Teil der Geschichte unseres Kontinents, und sie zählt zum europäischen Erbe par excellence. Und sie erinnert uns daran, dass Werte nicht nur monetärer Natur sind.“

Danke, Herr Draghi, für diese Einsicht und die damit verbundenen Worte!

 

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