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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„LA DAMOISELLE ÉLUE“ und „JEANNE D‘ARC AU BȖCHER“ an der Oper Frankfurt.

Die unbequeme Heilige und Nationalheldin Frankreichs

Von Renate Feyerbacher
Fotos: © Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Bedrückend-eindrucksvoll war die Premiere des Poème lyrique „La damoiselle élue“ von Claude Debussy und des dramatischen Oratoriums „Jeanne d’Arc au bûcher“ von Arthur Honegger am 11. Juni 2017. Fast zwei Stunden lang schien das Publikum wie gebannt zu sein, dann feierte es enthusiastisch die Aufführung. Der Beifall galt der Musik-Interpretation, den Sängerinnen und Sängern, der Inszenierung und vor allem der Hauptdarstellerin Johanna Wokalek.

(Jeanne d’Arc au bûcher): Johanna Wokalek (Jeanne d’Arc) und Sébastien Dutrieux (Bruder Dominique)

Zunächst zu den historischen Hintergründen: Als Jeanne, das Bauernmädchen aus dem lothringischen Dorf Domrémy, das am 30. Mai 1431 auf dem Marktplatz von Rouen bei lebendigem Leibe verbrannt wurde, war sie gerade mal 19 Jahre alt. Für die einen war sie eine Hexe, die mit Hilfe des Teufels die Engländer besiegt hatte, für die andern eine Heilige, die für Frankreichs Freiheit starb. Das Urteil der Inquisitoren von 1431 – die Minderjährige hatte keinen juristischen Beistand – war allerdings bereits 25 Jahre später vom Papst selbst aufgehoben worden. So konnte 1458 die 81jährig verstorbene Mutter Jeannes, welche die Aufhebung des Urteils beantragt hatte, noch die Rehabilitation ihrer Tochter erleben.

Dahinter stand jedoch der französische König Karl VII. Es war also eine poltische Entscheidung. Wie war es dazu gekommen? Karl VII., von den Engländern seiner Thronrechte beraubt, erlangte 1429 in Reims die Königswürde. Jeanne, das damals 17jährige Bauernmädchen, machte sich ohne Wissen der Eltern zum Dauphin auf, der es ihr erlaubte, in Männerkleidung mit den Soldaten in die Schlacht gegen Engländer und Burgunder zu ziehen. Sie vermittelte den Truppen des Dauphins Kampfeswillen und scheint auch in die Gefechte entscheidend eingegriffen zu haben. Orléans wurde befreit. Jehanne la Pucelle, so nannte sie sich fortan („Pucelle“ sollte ihre sexuelle Jungfräulichkeit ausdrücken), begleitete den Dauphin durch Feindesland nach Reims, wo er zum König gekrönt wurde.

Ein ungeheuerliches legendäres Geschehen, das jedoch Geschichte machte. Dabei konnte Jeanne weder schreiben noch lesen. Sie diktierte einen Monat vor der Schlacht um Orléans einen Brief an den König von England und den Herzog von Bedford. Darin drohte sie, werde sie gegen sie kämpfen und sie verjagen, ob sie wollen oder nicht. „Und wenn sie nicht gehorchen, so werde ich sie alle töten lassen. Ich bin von Gott, dem König des Himmels, hierher gesandt, um sie aus Frankreich zu schlagen“ (Zitat aus dem Programmheft).

Diesem Mädchen, das die damaligen Kirchenoberen in einen politisch-religiösen Schauprozess zerrten, um den französischen König zu demütigen, wurde in den kommenden Jahrhunderten in vielen literarischen und musikalischen Werken – je nach Auffassung der Urheber – zur Heldin oder zur Verspotteten.

So verhöhnte der französische Philosoph Voltaire sie in einer erotischen Persiflage, während Friedrich Schiller sie in seinem Drama „Die Jungfau von Orléans“ zur Heldin stilisierte. Im 20. Jahrhundert begegneten der Komponist Arthur Honegger (1892-1955) und der Dichterfürst Paul Claudel (1868-1955) einander bei einer russisch-jüdischen Tänzerin. Der eine  gerade mal 30jährige Schweizer und Protestant, der andere 60jährige Franzose und Katholik. Beide waren auf der Suche nach neuen Formen des Musiktheaters. Die Gastgeberin des Abends, die russisch-jüdische Tänzerin, regte sie zur Verarbeitung des Jeanne d’Arc-Stoff an.

Claudel, der Jeanne verehrte – die katholische Kirche hatte sie 1920 heilig gesprochen –, lehnte zunächst ab, weil er sich nicht an der Trivialisierung ihrer Person beteiligen wollte. Für die einen war sie ein krankhafter Fall von Hysterie, für die anderen nationalistische Bannerträgerin. Während einer Zugfahrt nach Brüssel, wo er als Botschafter residierte, hatte Claudel jedoch eine Art Vision, die ihn dazu brachte, in kurzer Zeit ein Libretto zu schreiben.

Johanna Wokalek (Jeanne d’Arc; oben) und Ensemble

Es ist schon hilfreich, die historischen Fakten zu kennen, um dem Claudelschen Text in allen Feinheiten folgen zu können. Er lässt Jeanne – bereits auf dem Scheiterhaufen stehend – die wichtigen Stationen ihres Lebens Revue passieren. Bruder Dominique ist mit dem Buch, in dem ihre Geschichte erzählt wird, vom Himmel herabgestiegen. Er steht ihr bei und erinnert an den Ketzerprozess, den sein Mitbruder, der Dominikaner, Vize-Inquisitor Frankreichs und eine Art Staatsanwalt namens Jean le Maitre führte, die Kirchengelehrten der Pariser Universität, Pierre Cauchon, mehrmals Rektor der Universität und Bischof von Beauvais als Vorsitzender.

Die Anklagepunkte lauteten: Häresie, Aberglauben und Dämonen-Verehrung, denn Jeanne hatte sich auf die Stimmen der Heiligen Jungfrau, der heiligen Margarethe und Katharina berufen, von denen sie den Auftrag zum Kampf erhalten habe. Frevelhaft war zudem das Tragen von Männerkleidung. Immer wieder fragt Jeanne Bruder Dominique aber nach, wie es zu dem Prozess kommen konnte. Er ist das Kernstück des Oratoriums.

Claudel lässt den Bischof als Porcus auftreten, den Schreiber als Esel, das Volk als Schafe. Jeanne erinnert sich an ihre Kindheit, als sie das lothrinische Kinderlied Trimazô sang, an ihre Begegnung mit dem Dauphin, den sie nach Reims begleitete, an die Schlacht, an die Inquisition und an ihre Heiligenstimmen, die ihr Trost, Ruhe und Kraft gaben. Wer etwas Französich kann, ist oft mit dem in Originalsprache gesungenen Text besser bedient als mit den deutschen Obertiteln, die schnell gelesen werden müssen. Namen sind verfremdet. Das Pokerspiel der Mächtigen ist temporeich in die Gerichtszene eingearbeitet. Nach der Aufführung klagte jemand, den Claudelschen Text nicht verstanden zu haben.

Dennoch ist das kein Manko. Was für eine aufregende Musik ist Arthur Honegger für den Text eingefallen! Das Oratorium, das im Mai 1938 seine konzertante Aufführung in Basel, seine szenische vier Jahre später in Zürich hatte, beginnt mit dem dumpfen Gesang des vielstimmigen, großen Chores. Ein wirkliches Erlebnis ist der Chor und Extra Chor, von Tilman Michael geschult, wie auch der von Markus Ehmann geführte Kinderchor der Oper Frankfurt.

Zu Beginn erleben wir das durch den noch andauernden „Hundertjährigen Krieg“ verarmte französische Volk. Die dazu passende Anfangsmusik geht buchstäblich unter die Haut, wie auch später immer wieder die Rufe der Schaulustigen: „Hexe, Ketzerin“, die Jeannes Verbrennung fordern. Sie wiederum begreift nicht, warum sie verurteilt wird. Honeggers Musik ist aggressiv, laut, bisweilen gassenhauerisch. Ruhige Momente erleben wir lediglich in Jeannes Monolog und im Zwiegespräch mit Bruder Dominique, überzeugend-einfühlsam dargestellt durch den Schauspieler Sébastian Dutrieux. Üppig besetzt wurde das Frankfurter Opern- und Museumsorchester: 31 Streicher, darunter 6 Violoncelli und 5 Kontrabässe, 27 Bläser, eine Pauke, 5 Schlagzeuge, 2 Harfen, 2 Klaviere und einer Celesta zur Illustration der himmlischen Atmosphäre und Ondes Martenot, das elektronische Tastinstrument, das wummrig empfundene Töne hervorbringen kann.

Der Franzose Marc Soustrot – weltweit unterwegs– , dem das Frankfurter Orchester schon von konzertanten Aufführungen her vertraut ist, dirigiert umsichtig und kenntnisreich. Gemeinsam mit Regisseur Àlex Ollé, mit dem er zuletzt in Dresden arbeitete, ist ihm ein beeindruckender Opernabend gelungen.

Johanna Wokalek (Jeanne) mit dem Kinderchor

Die komplizierte aufregende Inszenierung, eine Koproduktion mit dem Teatro Real Madrid, durch Àlex Ollé – einem der sechs künstlerischen Leiter des Theaterkollektivs La Fura dels Baus aus Barcelona – und seiner Mitarbeiterin Susana Gómez. Sie runden die gelungene Aufführung ab.

Jeanne gleitet vom Himmel kommend und auf einem kleinen Podest stehend herunter auf die Bühne. Dort harrt sie über eine Stunde aus: mal stehend, mal hockend, mal gefesselt. Johanna Wokalek ist herausragend, authentisch klingt ihr Französisch und gut verständlich. Sie schafft es, Text und Musik mit einander zu verbinden. Dabei blickt sie vom Himmelspodest herab wie eine ganz normale heutige junge Frau auf den Prozessverlauf. Abstoßend ekelhaft und voller Wucht wirken daneben die halb nackten Kleriker; der Porcus, alias Bischof Cauchon, er wird in eine Badewanne hereingezogen. Das gemeine Volk – dargestellt  als Schafe – tobt auf den Tribünen. Auch Folterszenen werden nicht ausgespart.

Fantastisch erscheinen die Kostüme von Lluc Castells ebenso das Bühnenbild von Alfons Flores, das Joachim Klein mit Licht und Franc Aleu durch Videos belebt. Das Besondere an diesem Bühnenbild ist seine Zweiteilung, getrennt durch eine Glas- oder Plexiglasebene: oben Himmel, unten der Marktplatz von Rouen. Durch eine Öffnung konnte Jeanne zur Erde gleiten.

Das Schlussbild – Jeannes Feuertod (Johanna Wokalek) – wirkt unglaublich realistisch. Johanna Wokalek (Jeanne d’Arc; oben) sowie Kinderchor und Statisterie der Oper Frankfurt

Die entmenschlichte Gesellschaft, das Fehlen von Ethik heute, dass unsere Epoche sich zurück entwickelt und immer mehr dem Mittelalter annähert, beschäftigt nicht nur Àlex Ollé, der empfindet, sondern auch der berühmte italienische Schriftsteller Umberto Eco („Der Name der Rose“),  der vor einem Jahr mit 84 Jahren starb.

„La Damoiselle élue – Die Auserwählte“

Warum die Zweiteilung des Bühnenbildes?

Der Frankfurter Dramaturg Zsolt Horpácsy hatte ursprünglich die Idee, Honeggers kurzem Oratorium das Poème lyrique „La Damoiselle élue – Die Auserwählte“ von Claude Debussy (1862-1918) als Prolog voranzustellen. Die dramaturgische Bearbeitung übernahm dann aber Konrad Kuhn.

In seiner Version wartet die Auserwählte im Himmel auf ihren Liebsten, der noch auf Erden weilt. Sie hofft, ihm im Himmel wieder zu begegnen und bittet die Jungfrau Maria, sich bei Jesus Christus dafür einzusetzen, ewig mit dem Geliebten, wenn er die Erde verlässt, im Himmel vereint sein zu können. Auch Jeanne d’Arcs Seele findet nach dem Feuertod in der himmlischen Sphäre endlich Frieden.

Die interpretatorische Klammer enthält musikalisch ein Kontrastprogramm. Der Dirigent Soustrot empfindet die Musik von Debussy atmophärisch als ZEN, die von Honegger dagegen als lärmend-expressiv.

(La Damoiselle élue): Elizabeth Reiter (Die Auserwählte; oben), Katharina Magiera (Eine Erzählerin; unten links) sowie Statistin der Oper Frankfurt

Das Poème lyrique „La Damoiselle élue“ dichtete Dante Gabriel Rossetti (1828 -1882), der vor allem auch als präraffaeltischer Maler berühmt wurde. Es bezaubert durch bildhafte, poetische Metaphern.

Weitere Aufführunden des außergewöhnlichen Theaterabends am 17. (anschließend Oper lieben, am 23., 24., 28., 30. Juni und 1. Juli 2017 jeweils um 19.30 Uhr

Mehrere Veranstaltungen bis Ende Juni widmet das Opern-Finale der Figur der Heiligen Johanna.

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