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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kultur, Natur und Rheinromantik: 4. Skulpturen-Triennale Bingen „NAH UND FERN“ eröffnet

Eine Bereicherung für die Kulturlandschaft von Rheinland-Pfalz

20 zeitgenössische künstlerische Positionen sind bei der vierten Skulpturen-Triennale in Bingen unter dem Motto „NAH UND FERN“ thematisch vereint. Erstmals werden auch einige Arbeiten in der Binger Innenstadt gezeigt. Der Ausstellungsparcours schafft damit eine Verbindung zwischen Rheinufer und Stadtkern.

Von Hans-Bernd Heier

Christian Achenbach (links) und Stifter Kuno Pieroth in der Rheingauer Landschaft; Foto: Gisela Heier

Die neue Skulpturen-Triennale der Gerda und Kuno Pieroth Stiftung in Bingen am Rhein ist im Mai 2017 feierlich eröffnet worden. Bereits zum vierten Mal seit 2008 werden auf dem Gelände der ehemaligen Landesgartenschau zeitgenössische Skulpturen entlang des Ufers am Rheinkilometer 529 gezeigt. Erstmals sind in diesem Jahr auch Arbeiten in der Binger Innenstadt zu sehen. Der Ausstellungsparcours schafft damit eine Verbindung zwischen Rheinufer und Innenstadt. „Wir freuen uns, dass die Skulpturen-Triennale 2017 in der gesamten Stadt angekommen ist. Kunstliebhaber müssen in diesem Jahr nicht nur nach Kassel oder Venedig reisen, sondern können großartige Kunstwerke auch in der romantischen Rheinlandschaft von Bingen genießen“, so Oberbürgermeister Thomas Feser.

Auch die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, ist von der Idee des Skulpturenparks ganz überzeugt: „Die Skulpturen-Triennale bereichert die Kulturlandschaft von Rheinland-Pfalz in besonderer Weise. Ausgesprochen gut gefällt mir dabei der Ansatz, jungen Menschen die Kunst näherzubringen. Gleichzeitig ist das Konzept der Gerda und Kuno Pieroth Stiftung ein sehr nachhaltiges und langfristiges. Die Stiftung hat es geschafft, das einmalige Ereignis Landesgartenschau aufzugreifen und Bingen als Kunst- und Kulturstandort attraktiver und bekannter zu machen“.

Christel Lechner „Fotogruppe, o. J.“, Acryl auf Beton, Höhe zwischen 155 und 180 cm

Mit der diesjährigen Open-Air-Schau möchte das Stifter-Paar Gerda und Kuno Pieroth an frühere Erfolge anknüpfen. Die erste Triennale im Jahre 2008 trug den schlichten Titel „Skulpturen bei 529“; dann folgten „Schönheit und Natur“ (2011) und „Mensch und Maschine“ vor drei Jahren. „In den letzten neun Jahren erfreut sich die Skulpturen-Triennale Bingen immer größerer Beliebtheit“, stellt Kuno Pieroth hocherfreut fest. „Allein 2014 sahen rund 500.000 Menschen die Ausstellung und bestärkten uns in dem Ziel, auch 2017 wieder Kunst und Landschaft in einen eindrücklichen Dialog zu bringen“. Die großartige Schau direkt am Rheinufer und vor der herrlichen Kulisse des Taunus mit Blick auf die „Germania“, die Burgruine „Ehrenfels“ und den „Mäuseturm“- für Kuno Pieroth „der schönste Teil des Rheins“ – ist kosten- und barrierefrei bis zum 8. Oktober 2017 zu genießen.

Adrian Lohmüller „Ruine No L“, 2017, Zement (Muschelkalk) Granit, Eichenholz, Metall, Losblech, Digitaldruck auf Alu-Dibond; 295 x 600 x 500 cm

Die Kuratoren, Lutz Driever und André Odier, haben wieder eine gelungene Mischung von arrivierten und weniger bekannten Künstlerinnen und Künstlern gewinnen können, die die Begriffe NAH UND FERN auf sehr unterschiedliche Art und Weise in ihren Beiträgen umgesetzt haben – überwiegend gegenständlich, aber auch abstrakt wie die jüngste Teilnehmerin Bikje van Soest beweist. Etwa die Hälfte der Plastiken und Installationen haben die Künstler aus dem In- und Ausland eigens für die Open-Air-Schau angefertigt. Kulturelle Besonderheiten, zwischenmenschliche Beziehungen, Konflikte und Berührungspunkte in unserer Gesellschaft prägen die Themen der Werke.

Die Besucher dürfen einen Großteil der hochkarätigen Arbeiten nicht nur anfassen, sondern können manche auch verändern und sich so selbst künstlerisch betätigen, wie beispielsweise bei der „Untitled (Sphere)“ von Christian Achenbach. Adrian Lohmüllers „Ruine No L“ – der Künstler hat die Ruine als „ready-made“ bei dem Discounter Lidl bestellt hat – lädt Kunst-Flaneure geradezu ein, in dem Gemäuer Platz zu nehmen und den romantischen Rheinblick zu genießen. Auch Katrina Pilscheurs überdimensionale, aneinander gelehnte Kissen aus LKW-Plane und Styropor laden zur Interaktion ein: Besucher dürfen sich auf ihnen niederlassen, um so Nähe und Geborgenheit zu erfahren.

Katrina Pilscheur „Nr. 02“, LKW-Plane und Styropor, 68 x 250 x 250 cm

Rebecca Raues Installation „Ankommen und ablegen“ setzt sich überaus aktuell mit dem Thema Flucht und Vertreibung auseinander. Die Künstlerin hat mit ihren in der Binger Basilika St. Martin ausgestellten Booten ein eindringliches Bild dafür gefunden. Die primitiven weiß lackierten Boote, die Flüchtlinge aus Afrika gefertigt haben, symbolisieren ihr Schicksal und ihre Reise ins Ungewisse. Auch das Künstlerduo Manon Awst und Benjamin Walther greift mit „Defence“ ein politisches Thema auf: Die drei minimalistischen Stelen aus poliertem Edelstahl spielen auf Grenzzäune an und sollen auf Sehnsüchte und Sehnsuchtsorte jenseits des Zauns verweisen.

Ein weiteres Highlight der 4. Triennale ist zweifellos Christian Achenbachs farbintensive Skulptur „Untitled (Sphere)“. Der Künstler kommt ursprünglich von der Malerei. „Die bildhauerische Arbeit entwickelt in seinem Schaffen eine immer wichtigere Rolle. Beide Bereiche verbindet der malerische Ansatz“, schreibt Britta von Campenhausen in dem ausgezeichneten Begleitkatalog. Dies zeigt auch die große Aluminium-Stahl-Plastik direkt am Rheinufer. „Die Farbgebung ist eine essentielle Grundlage des Werkes. Die einzelnen Ringe erhalten verschiedene grafische und farbkompositorische Strukturen, die bisweilen an die irritierenden optischen Effekte der Op-Art erinnern“, so von Campenhausen weiter. Um eine Mittelscheibe gruppieren sich bewegliche Planetenringe, deren Stellung die Besucher verändern und so ein „neues“ Kunstwerk schaffen können. Hier verbindet sich „unmittelbare“ Nähe mit „absoluter“ Ferne der Planeten.

Rebecca Raue “Ankommen und ablegen“, 2016; Klappboote ohne Boden aus weiß lackiertem MDF-Platten, Klavierscharnieren und Holzlatten, je 50 x 200 cm (Breite flexibel)

Seit 1994 verwandelt Lois Weinberger mit Erde gefüllte alltägliche Einkaufstaschen, Rollcontainer oder Plastikkübel in eindrucksvolle Kunstwerke. Seine eigens für Bingen geschaffene Arbeit „Portable Garden“ gehört zu der Serie der „transportablen Gärten“. Sie stehen beispielhaft für menschliche Migration. Migration und Gruppenbildung sind auch die Themen der indisch-französischen Künstlerin Nadira Husain. Das wird in ihrer narrativen Bodenarbeit „Et un autre oiseau s’avança“ aus handbemalten, glasierten Kacheln deutlich.

Der aus Indonesien stammende und in Berlin lebende Künstler Yudi Noor hat für seine großflächige ortsspezifische Installation „Wenn der Stern Sphäre wird…lass uns Freunde bleiben:-)“ eine Vielzahl von Materialien und Objekten miteinander kombiniert, die auf unterschiedlichen Ebenen auf ihre kulturelle Herkunft und ihre Beziehungen verweisen. Noor will mit seinem ästhetischen Kunstwerk den Blick des Betrachters auf die Grundlagen des Lebens: auf Werden und Vergehen, auf das Verhältnis der Menschen zueinander und ihr Verhältnis zur Natur lenken.

Das Kuratoren-Duo, Lutz Driever und André Odier, konnte auch diesmal wieder arrivierte Künstler überzeugen, sich mit themenspezifischen Arbeiten an der Skulpturenschau zu beteiligen: so Elvira Bach mit der expressiv bemalten Plastik „Die andere Eva – Sweet Lemon“. Figurativ ist auch Christel Lechners „Fotogruppe“ in der Fußgängerzone. „Meine Alltagsmenschen spiegeln das gelebte Leben, das drücken ihre Gesichter, ihre ganze Haltung aus“, erläutert die Bildhauerin ihre Arbeit. Diese Art von Touristen dürfte jedem bekannt vorkommen und bei den Betrachtern ein Schmunzeln auslösen. Der in Berlin geborene Bildhauer und politische Künstler Olaf Metzel verblüfft mit der Mofa-Skulptur „Berlin in der Tasche“. Das Mofa ist für ihn ein Symbol der Spontanität und der Freiheit. Timm Ulrichs ist mit dem bereits 1986 entstandenen skulpturalen Werk „mit Dusche, Ein-Linien-Raumzeichnung als Wasserleitung“ präsent. Die Kupferrohr-Installation in Form eines Hauses nimmt zum einen Bezug auf die ungehemmte Zurschaustellung des Privaten in den sozialen Medien, zum anderen verweist sie auf „Big Data“, die Internet‐Überwachung und das Sammeln von Daten, das aus dem Einzelnen einen „gläsernen Menschen“ macht. Für Besucher ist es gut zu wissen, dass durch einen Bewegungsmesser die Dusche aktiviert und somit die Skulptur zur Duschkabine wird.

Um interessierten Besucherinnen und Besuchern die Kunstwerke näher zu bringen, stehen an Wochenenden junge Kunstvermittler – Schülerinnen und Schüler der Kunst-Leistungskurse des Stefan-George-Gymnasiums in Bingen und des Sebastian-Münster-Gymnasiums in Ingelheim (leicht zu erkennen an den T-Shirts mit der Aufschrift „Frag‘ mich“ auf dem Rücken) – vor Ort bereit, um Auskunft über die Künstlerinnen und Künstler sowie deren Exponate zu geben. Bereits vor drei Jahren kam diese Art der Kunstvermittlung bei den Besuchern gut an und wurde auch von den Schülern selbst als eine bereichernde persönliche Erfahrung gesehen. „Die Akzeptanz der Triennale in der Stadt Bingen haben wir auch durch die Miteinbeziehung der Jugend erreicht“, stellt Stifter Kuno Pieroth zufrieden fest.

Ein vielseitiges Rahmenprogramm aus Führungen und Veranstaltungen ergänzt die 4. Skulpturen-Triennale Bingen während ihrer gesamten Laufzeit bis zum 8. Oktober. 2017. Ein umfassender Katalog (Preis: 10 €) begleitet die sehenswerte Präsentation. Außerdem steht wieder eine Audioguide-App mit Erläuterungen zu den einzelnen Kunstwerken kostenfrei zum Download bereit (im App Store unter dem Stichwort: „skulpturen-bingen“).

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): David von Becker

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