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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

VORSICHT KUNST! in der Volksbank Dreieich: Joachim Raab – Das Meer im Süden

Joachim Raab, gebürtiger Isenburger, heute in Frankfurt am Main ansässig, hat sich nie als reiner Atelierkünstler gesehen. Er braucht das Draußen, das Reale. Fast täglich fährt er mit dem Fahrrad eine 50km-Strecke. Begibt sich in die Natur. Durch die Naturbeobachtung entstehen Ideen, die er in seinen Werken umsetzt. Im Rahmen der Reihe VORSICHT KUNST! der Volksbank Dreieich präsentiert Joachim Raab 30 Werke seiner Serie Das Meer im Süden.

Von Esther Erfert
Einführung zur Ausstellungseröffnung

Meer 1, Acryl auf Leinwand, 150 x 100 cm

Im Jahr 2012 verbringt Raab einige Wochen im Roussillon in der Provence. Ganz in der Nähe des Meeres und der Pyrenäen. Jeden Morgen erkundete er auch hier die Umgebung mit dem Rad. In dieser Landschaft reizen ihn die noch weiten Bereiche, wo man allein sein kann, wo noch Natur ist, die Canyons und die Flüsse ohne Kanalisation, die ins Meer fließen. Es gibt Zeiten, da verursachen sie große Überschwemmungen. Diese Urwüchsigkeit fasziniert ihn. Es war noch keine Hochsaison und morgens standen die Angler am Meer. Die Farbe der ungenutzten Strandhäuschen war abgeblättert. Der Blick richtete sich auf die glitzernde Weite des Meeres bis zum Horizont, es gab keine Badenden, die ihn störten. Hier und da lagen ein paar Boote und Netze, es gab ein paar Pfähle, horizontale und vertikale Elemente, die rahmend und unterteilend wirkten.

Die hier ausgestellten Werke entstanden nach seiner Rückkehr nach Frankfurt ohne ein konzeptionelles Gerüst und unter Mithilfe von ein paar Fotografien ‚aus dem Bauch heraus‘. Zurück im dunkleren Norden wollte er etwas von dieser wirklich kontemplativen Stimmung dieses Sommers in Malerei überführen.

 Meer 4, Acryl auf Leinwand, 195 x 95 cm

In einem freien Duktus fängt er Sonne, Licht und Transparenz, Stille und den unendlichen Horizont ein. In großzügigen Flächen erfasst Raab sie. Die Farben sind zart, die Gemälde scheinen in Licht gebadet. Nur vereinzelt treten intensivere Töne auf. Der Blick des Betrachters vertieft sich in die Bilder. Das große Querformat und die Farbigkeit setzt dem Blick keine Grenzen. Die Werke suggerieren uns Freiheit, Ferne und Räumlichkeit.

Sie wirken fast beruhigend auf uns, jedoch spüren wir unter der Oberfläche eine Bewegung, die uns bei manchen Werken verstören kann. Farben schimmern hindurch und scheinen sich an die Oberfläche zu kämpfen.

Raab verwendet fast ausschließlich schon bearbeitete Leinwände; Zeit und Gebrauch haben Spuren hinterlassen. Er übermalt die früheren Schichten und baut das entstehende Bild wiederum in Schichten auf. Die Gemälde haben schrundige Oberflächenstrukturen;

Meer 11, Acryl auf Leinwand, 210 x 100 cm

das Bild wird haptisch, bekommt eine gewisse Körperlichkeit und behauptet sich gegenüber dem Raum. Die Übermalungen sind für Raab ein Synonym für geschichtliche Prozesse, denen auch ein Bild unterworfen ist. Unter seiner Oberfläche speichert es Geschichte, sie schimmert hier und da durch, versinkt und kommt wieder an die Oberfläche.

Raabs Bilder weisen eine unvergleichliche Harmonie auf, das Zusammenspiel der Flächen, die sich durch unterschiedliche Farben und Strukturen klar voneinander abgrenzen, ist beeindruckend ausbalanciert. Die Dreiteiligkeit, die in nahezu jedem Gemälde auftaucht, geht bei Raab nicht von bewussten kompositorischen Gewichtungen aus, es gibt keine rationale Erklärung für sie. Sie entspringt einem Gefühl und ist seit Jahrzehnten bei ihm anzutreffen. Schon in den 1970er Jahren macht er diese Aufteilung und wendet sie selbst in seinen Fotoarbeiten an.

Meer 14, Acryl auf Leinwand, 150 x 100 cm

Sonne, Strand und Wasser – das Meer.

Der Sehnsuchtsort Nummer 1 der Nordländer, der Künstler, der Familien. Das Denken über das Meer ist per se positiv besetzt. Es liegt friedlich glitzernd vor uns, fängt das Licht ein, beruhigt uns und suggeriert uns ein Gefühl von absoluter Freiheit.

Dabei wissen wir ganz genau, tief in uns drin, dass diese Natur nicht mehr heil ist, der Blick nur Freiheit bedeutet, wenn wir viele Dinge, wie Öltanker, Kreuzfahrtschiffe, Umweltverschmutzung, etc. ausblenden. Die Natur ist nicht mehr die Natur, die sie einmal war.

Das von Albert Camus herkommende Begriffspaar – Sonne und Geschichte – beschreibt wohl am ehesten den Spagat in dem sich der Künstler sieht.

Natur und Sonne als die Sehnsucht nach einem einfachen Leben und Streben (auch im Malen) tunlichst frei von dem Wissen über die meist bedrückenden Taten der immer noch – patriarchalischen – Macht und ihren Institutionen in dieser Zeit.

Das Wissen um die Geschichte des Menschen bis heute, das eine Trauer um den Verlust

der natürlichen Umgebung, die nach und nach zerstört wird, auslöst. Aber auch das Wissen um die Vergeblichkeit des Sehnens nach Glück und Harmonie mit der Natur. Das von ihm sogenannte ‚Sysiphusdasein‘ des Einzelnen in dieser Welt.

Meer 17, Acryl auf Leinwand, 195 x 95 cm

Raabs Eindrücke des Sommers 2012 vermischen sich mit Erfahrungen und eben diesem Wissen. Bei ihm wird das Meer zur Metapher. Denn auch das Meer speichert unter seiner Oberfläche Geschichte. Es birgt beides in sich – die Camusche Sonne und die Camusche Geschichte. Neben dem Gefühl des Wohlfühlens in der Nähe des Meeres, wissen wir, dass die Existenz des Meeres mit vielen negativen Vorkommnissen verbunden ist.

Wir wissen, dass das Meer zerstörerisch sein kann, wir wissen von Sklaventransporten in der Antike, von einem D-Day am Omaha-Beach in der Normandie, von Straflagern auf der griechischen Insel Makronisos und den Internierungslagern bei Rivesaltes. Eines davon eben an einem dieser Strände, die Raab unter anderem die Inspiration für die Serie Das Meer im Süden gab.

Diese Kenntnis tragen wir neben dem positiven Gefühl mit uns, ob wir wollen oder nicht.

Geschichte und das Wissen um sie beeinflusst unsere Wahrnehmung und unseren Blick auf etwas. Wir sind keine Kinder mehr, die das 100%ige, im positiven Sinne, naive Sehen haben, um das wir sie beneiden. Kinder sind nicht abgelenkt, sie sind meist auf eine Sache fokussiert und konzentriert. Wir sehen durch unser Wissen eingeschränkt und unterteilt, die Freiheit des Sehens gibt es für uns nicht mehr. Wir sind, will man es hart ausdrücken, aus dem Paradies Vertriebene.

Meer 18, Acryl auf Leinwand, 195 x 95 cm

Raabs Werke strahlen Leichtigkeit und meditative Stimmung aus. Sie bilden ein Zusammenspiel aus Freude, Zuversicht und aussichtsloser Hoffnung. In dem Camuschen Begriffspaar Sonne und Geschichte findet der innere Kampf des Künstler Joachim Raab statt und führt uns anhand dieser Bilder vor Augen, dass wir uns nach Freiheit sehnen, die aber durch unser Wissen begrenzt wird. Das ist unter anderem ein Grund, warum wir so gerne auf Reisen gehen. Wir suchen Momente, die uns Freiheit suggerieren und uns eine ‚kleine Auszeit‘ bieten.

Reisen wird so unter anderem zu einem Versuch für eine kurze Zeit aus dem Denken, aus dem Beschränktsein, auszusteigen.

Alle Arbeiten/Fotografien © Joachim Raab

→ Joachim Raab, Oliver Raszewski, Heide Weidele

 

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