Beuys – eine Kunst-Montage. Kino-Premiere in Frankfurt
BEUYS. Ab sofort kommt ein Film in die Kinos, der die Facetten eines Ausnahmekünstlers des 20. Jahrhunderts, der immer noch eine hohe Brisanz hat, versucht hat zu konstruieren. Dem Regisseur von „Black Box“, Andres Veiel, ist das schier Unmögliche gelungen, anhand von dokumentarischem Material einen Teil eines dramatischen Künstlerlebens auf der Leinwand wieder aufleben zu lassen…
Eindrücke von Petra Kammann
„Jeder Mensch ist ein Künstler“ ist nur einer der provokanten Aussagen, mit denen der „Mann mit dem Filzhut“ und den „Fettecken“, dieser Ausnahmekünstler Joseph Beuys (1921-1986), der über dreißig Jahre nach seinem Tod immer noch die Gemüter bewegt, häufig assoziiert wird. Was aber steckt hinter dem Künstler, hinter dem Menschen, den viele als Bürgerschreck oder Scharlatan wahrnahmen? Der Filmemacher Andres Veiel schildert wichtige Lebens- und Werkstationen dieser charismatischen Persönlichkeit in einer aufwändigen Porträt-Collage… Dabei kommt Beuys oft und ausführlich selbst zu Wort. Und viele seiner Äußerungen klingen erstaunlich modern.
Von seinem Flugzeugabsturz auf der Krim, seinen markigen Sprüchen, seinen frühen Zeichnungen, über seine Happenings, sein Engagement für Demokratie bis hin zu seinem dreitägigen Aufenthalt mit einem Koyoten in einem Raum in New York deckt Veiel eine ziemliche Bandbreite des Beuysschen Schaffens ab, um sich dem Faszinosum dieses avantgardistischen Medienkünstlers anzunähern und das mit mehr als 90 Prozent Originalfilmaufnahmen, die Beuys selbst bestreitet und 300 Stunden Bewegtbildmaterial des Medienlieblings. Hinzu kamen Statements von Zeitzeugen oder Weggefährten wie dem ersten Beuys-Sammler Franz Joseph van der Grinten, dem befreundeten Grafiker und Verleger Klaus Staeck, dem Beuys-Schüler und langjährigen Wegbegleiter Johannes Stüttgen wie von der britischen Kunstkritikern Caroline Tissdale, die ihn u.a. bei der Kojoten-Aktion 1974 nach Amerika begleitet hat und von Rhea Thönges-Striangaris, die seit der documenta 5 mit Beuys zusammenarbeitete und die Free International University in Kassel gründete.
Allein das Material heranzuschaffen, muss eine Sysiphosarbeit gewesen sein, welche die dreijährige Entstehungsphase des Films begleitet hat. Veiel hat dazu über 60 Interviews mit Zeitzeugen von Beuys geführt, an die 400 Stunden Archivmaterial, 300 Stunden Tondokumente und über 20.000 Fotos gesichtet und ausgewertet. Außerdem, so Veiel, habe er mit der Witwe Eva Beuys einen 60-seitigen Vertrag abgeschlossen, mit einer Liste von Werken, die er zeigen kann. Schwieriger aber sei es teilweise mit den Öffentlich-Rechtlichen Sendern und mit dem Bundesarchiv gewesen, die pro Minute zunächst 9000 oder 10 000 Euro verlangten. „Ein ärgerliches Politikum, denn so wird kulturelles Erbe im digitalen Zeitalter unzugänglich. Es war bitter, denn manchmal fiel mit einem fehlenden Bild eine ganze Sequenz in sich zusammen“, sagte der Filmemacher in einem SZ-Interview. Insgesamt mussten für diesen Film an die 200 Rechteinhaber ausfindig gemacht und mit ihnen Einzelverträge ausgehandelt werden. Da muss ein Filmemacher schon einen langen Atem haben. Wen da nicht der Mut verlässt…! Aber der Facetten gibt es zahlreiche:
BEUYS, ein Eulenspiegel, welcher sich kurz im Spiegel anschaut und der Gesellschaft den Spiegel vorhält, ist nur eine der vielen Szenen, die Veiel festgehalten hat.
BEUYS, dessen Name im Film zum absoluten Markenzeichen wird.
BEUYS, die Stimme. Sie bleibt im Ohr, wenn er sich meldet an einem der früheren schwarzen Bakelit-Telefone. Er ist’s und kein anderer. Selbst die Kinder nennen ihn Beuys.
BEUYS, das ausgezehrte Gesicht mit den vorstehenden Wangenknochen, den verschatteten eindringlichen Augen, dem vollen Mund, dem zähnebleckenden offenen und freien Lachen.
BEUYS und sein Filzhut, der im Gegenlicht fast zum Signet wird und den erst der vom Leiden Gezeichnete kurz vor seinem Tod abnimmt.
BEUYS, der Nomade, der immer in Bewegung ist und den wir auch immer in seinen Umrissen wiedererkennen, sei es in Anglerweste und Jeans oder in seinem wallenden pelzbesetzten Riesenmantel.
BEUYS, der 400 Studenten in seine Klasse an der Düsseldorfer Akademie aufnahm, statt – wie von der Kulturbehörde vorgesehen 20 –, weil „jeder Mensch ein Künstler ist“.
BEUYS, der daraufhin von Wissenschaftsminister Rau gefeuert wird, weil der nicht zulassen will, dass hier jemand predigt, dass Kunst von Denken komme, und dass es darauf ankomme, „soziale Plastiken“ zu schaffen, statt „Bildchen“ zu malen.
BEUYS, der maskenhaft verkleistert Geschminkte, der 1965 in der Galerie Schmela dem toten Hasen die Kunst erklärt und ihn liebevoll wie ein Baby durch die Galerie trägt, während das Publikum draußen bleiben muss.
BEUYS, der 1982 als frisch überzeugter „Grüner“ auf der Documenta in Kassel 7000 Eichen pflanzte und dort ebensoviele Steinstelen niederlegte.
BEUYS, der Abgestürzte, der Flieger und Funker, der auch seine eigene Schuld reflektiert.
BEUYS, der Verwundete, Dünnhäutige und Depressive, der in den 50er Jahre auf dem Hof der von der Grintens bei Kleve am Niederrhein kaum mehr sein Zimmer verlässt und zeichnet.
BEUYS, der Schlagfertige, der immer einen humorvollen Spruch auf den Lippen hat, um seinem Gegner den Wind aus den Segeln zu nehmen und andere zum Lachen zu bringen.
BEUYS, der Heiler, Hüter und Schamane, der seine Wunden leckt und wildeste Tiere wie Kojoten zu zähmen in der Lage ist.
BEUYS. der Lehrer und Homo politicus, der für die Sache brennt, es aber in der aktiven Politik nicht schafft, einen neuen Posten zu ergattern.
All das wird gezeigt und natürlich könnte man die Liste noch erweitern.
Klaus Staeck, einer der fünf Zeitzeugen, der, lange bevor er Präsident der Akademie der Künste und Wissenschaften wurde, damals mit dem Verleger Steidl Beuys-Sprüche als Multiples wie „Wer nicht denkt, fliegt raus“ herausgebracht hat, bringt es auf den Punkt: „Joseph Beuys ist der Mann am Haupthebel“. Und genau das ist auch der Ansatz und die Perspektive dieses großartig aus dokumentarischem Material komponierten Films. Allein aus Hunderten von Kontaktbögen der Schwarzweiß-Fotografien, die bei Aktionen, im Atelier am Drakeplatz in Oberkassel, in und vor der Düsseldorfer Kunstakademie, in Galerien, auf Reisen oder in Museen entstanden, so etwas wie ein filmisches Szenario eines Denkers, Machers und urtümlichen Verwandlungskünstlers entstehen zu lassen, ist dem Regisseur auf besondere Weise gelungen. Die Cutter Stephan Krumbiegel und Olaf Voigtländer haben diese Bilder und Schnipsel meisterhaft aus dem Archivmaterial zusammengesetzt. Dass dazu auch noch die jeweils passende akustische Kulisse geschaffen wurde, ist dem Sounddesigner Mathias Lempert zu verdanken.
Veiel, der Beuys selbst persönlich nie begegnet ist, geht der sensiblen Seite des Künstlers auch auf den Grund und zeigt nicht nur die spektakulären Seiten des Medienstars. Er macht aufmerksam auf Phasen der Depression und Trauer in den 50er Jahren. Franz Joseph van der Grinten, Jugendfreund aus seiner niederrheinischen Heimat, ist nicht allein sein Sammler der ersten Stunde, sondern auch sein Lebensretter. Er beschreibt in breitem Rheinisch und ganz authentisch, wie Beuys in seinem Familienhaus wohnte, kaum sein Zimmer verließ, sich einsperrte und Selbstmordgedanken hegte, bis seine Mutter darauf drang, dass er rauskomme, um mit ihr zu reden. Und dann sehen wir im Bild eines der wunderschön leuchtenden Frühwerke von Beuys – eine goldene Form auf dunklem Fond.
Immer wieder schafft der Film Verbindungslinien zwischen den Traumata von Beuys und seinem Denken, das es ihm nicht nur möglich macht, eigene schwere Krisen zu überwinden, sondern diese Erfahrung auch auf einen gesellschaftlichen Organismus zu übertragen. Veiel zeigt ihn als vom Krieg geprägten Kind, als jungen Menschen, der sich später als Künstler erfindet, dann als soziales Wesen, als politisch denkenden Menschen, der immer und überall praktiziert, was die Freiheit des Denkens bedeuten kann.
Man begreift die ineinander übergehenden Bildgeschichten ohne deutende Kommentare geradezu intuitiv, wenn man etwa Beuys als kleinen Jungen mit seiner Mutter auf der Wiese mit einem aufziehbaren Flugzeug spielen sieht, dann wie der junge Beuys mit dem durchscheinenden Gesicht diesmal in HJ-Uniform gesteckt, abermals mit Flugzeugen hantiert, schließlich nur noch eine mit Bomben beladene Maschine der Luftwaffe und Beuys in der Uniform des Wehrmachtsfliegers. Und dann den Absturz auf der Krim. Alles in kurzer Abfolge. Und schließlich, wie er zum Mythos der Rettung durch Tataren befragt wird, die ihm angeblich die Materialien wie Filz und Fett ans Herz haben wachsen lassen. Auf die kritische Nachfrage, ob denn das alles stimme, lässt er die Antwort in der Schwebe. Aber nach mehreren Tagen Bewusstseinsverlust ist die Erfahrung des Scheintods prägend. Die Schlüsse, die er daraus zog, sind das Entscheidende und die Erkenntnis, dass Stoffe warme und kalte Energie ausstrahlen können.
Joseph Beuys bei der Pflanzung von „7000 Eichen“ bei der documenta 7 in Kassel 1982. © dokumenta archiv / DieterSchwerdtle / zeroonefilm
Die befragten Zeitzeugen wie etwa die Kasseler Kunsthistorikerin Rhea Thönges-Stringaris empfindet man als ganz echt. Wenn der Blick der Kamera auf ihrem Gesicht verweilt, funkeln ihre Augen. Man spürt dabei die Empathie des Filmemachers als auch der Freundin, die sich in ihren Aussagen dem Künstler nicht unterwirft, sondern ganz sie selbst bleibt. Aber sie folgte seinen Überlegungen. Sie war diejenige, die mit Beuys nicht nur die Documenta macht, sie verlässt mit ihm den geschützten Raum der reinen Ästhetik und tritt 1972 der deutschen Bewegung Direkte Demokratie e. V bei, gründet auch die Partei „Die Grünen“ mit, weil sie die Beweggründe des organisch denkenden kreativen Urgestein versteht, während die Kritikerin Caroline Tisdall ihr Leben der Deutung von Beuys’ Werk bis zum Schluss verschrieben hat. Sie erläutert und sucht nach Erklärungen, wie, dass ästhetische Überlegungen für Beuys immer unbedeutender geworden seien, je stärker sich sein als Denken begriffenes Zeichnen dem Ausdruck von Kraftfeldern angenähert habe.
Was Veiel an dem Überzeugungstäter Beuys aber auch herausstellt, ist sein Schalk und sein entwaffnender rheinischer Humor, wenn wir zum Beispiel erleben, wie er in einer Sitzung mit nordrhein-westfälischen und ordentlich gekleideten Honoratioren, die ihn mit ernsten Fragen auflaufen lassen wollen, nur mit grunzenden Kaugeräuschen „chrm, hrm hrm chrm“ statt mit formulierten Sätzen oder mit „Jajaja, neeneenee…“ antwortet. Man muss einfach lachen und findet die ihn umgebende steife Gesellschaft einfach komisch.
Veiel zeigt Beuys zum Schluss aber auch als einen, der sich verschleißt, weil er sich „durch Kraftvergeudung ernährt“, und lässt ihn selbst nach seinem Herzinfarkt mit dem Satz „Wer will schon sterben, wenn er noch gut ist?“ Stellung nehmen.
In sich wirkt der Film insgesamt sehr schlüssig. Und trotzdem bleiben jede Menge Fragen offen. Johannes Stüttgen hat Beuys zuliebe seine Künstlerkarriere aufgegeben, dafür hat er „den ganzen Riemen“ über Beuys geschrieben. Wo aber bleiben die Frauen, die in der Beuys-Klasse waren und Künstlerinnen geworden sind? Spielten sie an der Akademie noch keine Rolle? Warum gibt es zum Beispiel kein Statement der ehemaligen Beuys-Schülerin und anerkannten Künstlerin Katharina Sieverding? Hätte Sie allzu Gegensätzliches über die widersprüchliche Künstlergestalt sagen können? Warum hört man nichts von Eva Beuys, die für die beiden gemeinsamen Kinder Wenzel und Jessica zuständig war? Sie taucht nur im heimischen Umfeld auf – die Kindern auf dem Boden spielend – und bleibt stumm. Weil sie es so wollte oder weil Künstlerinnen in den 70ern, doch noch keine Stimme hatten?
Natürlich kann man in einem biografischen Film nicht das ganze Leben abbilden und alles leisten. Eines der Anliegen von Andres Veiel war es, den erweiterten Kunstbegriff vorzuführen, sowie zu zeigen, dass Beuys „Kunst nicht als dekoratives Element, sondern als aktive Teilhabe“ verstand und damit die „Gestaltung der Gesellschaft nicht der politischen Kaste überlassen, sondern den Bürgersinn entfachen wollte“. „Joseph Beuys ist für mich ein politischer Künstler, der Ideenräume entwickelt hat, die mitten in die Gesellschaft hineinwirken wollten. Und gerade heute, wo Grenzen hochgezogen werden, wo wieder verstärkt gedacht wird in ,Wir und die anderen‘, wollte ich einen Künstler in den Fokus rücken, der Politik nicht an andere delegiert, sondern sagt: Wir sind alle Künstler. Das heißt: Wir sind alle Gestalter dieser Welt.“ Dabei scheinen dann auch neue noch nicht genutzte Ideenräume auf, „welche die heutigen Forderungen nach Grundeinkommen und einer Demokratisierung des Finanz- und Geldwesens vorwegnehmen.“ Das vor Augen zu führen, ist ihm bestens gelungen.
Und so ist der Film „Beuys“ nicht nur eine Heroisierung eines Künstlers, sondern er konfrontiert uns mit einem Typ Mensch, der unserer Gesellschaft verlustig gegangen zu sein scheint. Ganz ähnlich empfand es auch MMK-Sammlungsleiter Mario Kramer, der kurz vor dem Tode des Künstlers noch ein fünf-stündiges Gespräch mit ihm geführt hatte. Wenn er mit heutigen Studierenden spreche, dann habe er den Eindruck, für sie sei ein Mensch wie Beuys so weit entfernt wie Albrecht Dürer. Seine Werke werden auch 2017 wieder weltweit gezeigt, im Moma in New York zum Beispiel oder in Antwerpen. Mit dem Film ist Beuys aber wieder ganz gegenwärtig.
Gespräche nach der Premiere im Frankfurter Cinema, wo der Film ab sofort läuft; v.l.n.r.: Regisseur Andres Veiel, Beuys-Mitarbeiterin Rhea Thönges-Stringaris und Mario Kramer, Sammlungsleiter des MMK, der kurz vor dem Tode von Beuys noch ein 5-stündiges Interview mit ihm gemacht hat, Foto: Petra Kammann