Musik im Hafen: die Elbphilharmonie
Von Angelika Campbell
Die Elbphilharmonie in der Hamburger HafenCity – viel ist über sie geredet und geschrieben worden: Architektur-Highlight, Millionengrab, Klangwunderwerk, Skandalbau, German Must-See.
Am 21. April 2017, das war vor genau 100 Tagen, nahm das Haus mit der feierlichen Eröffnung den Betrieb auf. 190 allesamt ausverkaufte Konzerte mit mehr als 250.000 begeisterten Besuchern fanden seit dem 11. Januar bis Ende April dort statt und zeigten die Vielfalt, die auch in Zukunft das Elbphilharmonie-Programm bestimmt: große Orchesterkonzerte, feine Kammermusikabende, thematische Festivals, Jazz, Weltmusik und Pop. Außerdem gab es in dieser kurzen Zeitspanne bereits über 230 Instrumentenworkshops für Schulklassen und Musikliebhaber. Unzählige denkwürdige Momente mit reichlich Gänsehaut, staunenden Augen und einige Tränen der Rührung waren seitdem zu registrieren — und damit ist zweifellos noch lange nicht Schluss..
Majestätisch an der Elbe, Foto: Iwan Baan
Auch die Plaza legte einen Raketenstart hin: Die seit dem 4. November geöffnete öffentliche Aussichtsplattform hat bereits über 1,6 Millionen Besucher angezogen; mehr als das Schloss Neuschwanstein in einem Jahr – wenn das der alte König Ludwig II. wüsste… Auch er hat für seine Bauwerke viel Geld ausgegeben und die 789 Millionen Euro, die letztlich für die Elbphilharmonie aufgebracht werden mussten, waren und sind natürlich immer noch ein Thema. Aber mehr und mehr sehen selbst harte Kritiker den Wert dieser Institution, die weltweit Beachtung findet und Hamburg weiter in den Fokus des internationalen Tourismus rücken wird.
Im Selbsttest
Wir wollen nun selber herausfinden, was es mit dieser ganz speziellen Konzerthalle auf sich hat und machen uns auf zu dem trutzigen Gebäude, das wie ein Segelschiff aus Stein und Glas in den Hamburger Hafen ragt. Wind, Regen, typisches „Schietwetter“ auf dem Weg dorthin. Schnell durch die Eingangssperre ins Warme, dann nimmt uns die lange, leicht gebogene Rolltreppe auf. Wir gleiten durch eine gläserne Röhre und spüren den Sog nach oben.
Unsere Plätze sind im 13. Stock. Wie, 13. Stock? Sitzen wir gleich unter dem Dach und sehen und hören nichts? Der Weg dorthin mit Treppenläufen in alle Himmelsrichtungen ist eine kleine, wenn spannende Herausforderung. Es ist ratsam, für den Weg durch den großartigen Entwurf von Jacques Herzog und Pierre de Meuron ein wenig Zeit einzuplanen – Aufzüge sind aber auch vorhanden. Dann die Überraschung: Nur wenige Meter von uns entfernt befindet sich die Bühne, wir sind quasi mittendrin. Schnell ein Blick auf die „weiße Haut“, 10.000 strukturierte Gipsplatten, die den Klang reflektieren, konzipiert von Chefakustiker Yasuhisa Toyota, und in den verschachtelten Zuschauerraum mit vielen Halbetagen. Wie bei einem Orchester fügt sich Einzelnes zu einem harmonischen Ganzen zusammen, überwältigend.
Foto M_ Jordi Savall © David Ignaszewski
Schon nehmen die Musiker Platz. Jordi Savall, der katalanische Gambist und Erforscher Alter Musik, eröffnet das Festival „Transatlantik“ mit dem Programm „Routen der Sklaverei“. Im grünen Hemd sitzt der Maestro hinter seiner Gambe, schaut konzentriert und dirigiert gelegentlich mit dem Bogen seine Künstler. Eine bunte Truppe hat er zusammengestellt, um vier Jahrhunderten abscheulichen Menschenhandels zwischen Amerika und Europa musikalisch nachzuspüren. Neben seinen Ensembles Hespèrion XXI und La Capella Reial de Catalunya, die er zusammen mit seiner verstorbenen Ehefrau Montserrat Figueras gründete, treten faszinierende Gastmusiker aus Afrika und Südamerika auf.
Savall macht seit mehr als fünfzig Jahren die Welt mit musikalischen Wunderwerken bekannt, die er dem Dunkel des Vergessen entreißt. Seine Konzerte, aber auch sein Wirken als Pädagoge, Forscher und Initiator neuer musikalischer oder kultureller Projekte haben wesentlich zu einer neuen Sichtweise der Alten Musik beigetragen. In seiner Laufbahn hat er mehr als 230 Alben eingespielt: Musik des Mittelalters, der Renaissance, des Barock und des Klassizismus mit besonderem Schwerpunkt auf iberische und mediterrane Tradition. Sein Schaffen wurde mit den höchsten Auszeichnungen gewürdigt, darunter dem Titel eines Chevalier dans l’Ordre national la Légion d’Honneur. Zusammen mit seiner Frau wurde er im Rahmen des Unesco-Programms „Botschafter des guten Willens“ zum Künstler für den Frieden ernannt.
Die Routen der Sklaverei, Elbphilharmonie © Claudia Höhne
Wege über den Atlantik
Doch zurück zu Savalls Konzert in der Elbphilharmonie: Was wir jetzt erleben, geht unter die Haut. Wir lassen uns mitreißen von einem Wirbel von Gesang, Tanz und Klang – Trommeln, Percussions, traditionelle Instrumente Europas, ein Sänger aus Venezuela, ein Griot und drei Sängerinnen aus Mali, Sopranistinnen aus Brasilien und Argentinien, ein Ensemble aus Mexiko und Kolumbien und ein munteres Trio, das auf nie gesehenen afrikanischen Instrumenten Zwischenspiele der Sonderklasse abliefert. Der Rhythmus Afrikas trifft auf Renaissance-Klangwelten, spanische Lieder mischen sich in der Neuen Welt mit der Kultur der Indianer und Sklaven und kehren zurück nach Europa. Schwermut, aber auch Lebensfreude und Ironie durchdringen die einzelnen Stücke und zeugen vom ungebrochenen Lebenswillen der Versklavten.
Zum besseren Verständnis tragen verbindende historische Textdokumente von König Ferdinand dem Katholischen im Jahre 1505 über Montesquieu bis Martin Luther King bei, intensiv vorgetragen von der Schauspielerin Denise M’Baye. Sie illustrieren den Transfer über den Atlantik zwischen Europa, Afrika und Amerika. Viele dieser Wege waren von Hoffnung begleitet, viele mehr aber von Gewalt, Leid, Heimweh und Tod. Mit den Menschen reisten ihre Lieder. Afrikanische Sklaven erhielten sich mit ihren Gesängen einen Rest Würde und Identität. In der Karibik vermischten sich mit dem Bewusstsein der Siedler und dem, was von der Kultur der Einheimischen übrig war. Daraus entstanden neue Stile wie Merengue, Calypso, Tango, Negro Spiritual und letztlich Blues und Jazz. In Rückkoppelungen entwickelten sich dann der spanische Flamenco und der portugiesische Fado.
Alle diese Einflüsse präsentiert uns „Die Routen der Sklaverei“ an einem unvergesslichen Abend. Zum Schluss reißt es.die kühlen Hamburger von ihren Sitzen: Standing Ovations und Beifall bis zur Zugabe. Und ja, die Akustik im Großen Saal der Elbphilharmonie ist fantastisch. Wir hören jedes Instrument für sich, sogar den Sound der kleinen Holzschlegel, die den Rhythmus untermalen, und der Minitrommel auf der linken Schulter des Perkussionisten. Wir erkennen jede Modulation in den Gesangsstimmen und genießen gleichzeitig ein komplettes Klangerlebnis.
Doch was vielleicht wichtiger ist als akustische Überlegungen: Hier erlebt man Musik, die das Herz berührt. Und die spektakulären Ausblicke auf die Stadt und den Hafen sind auch nicht zu verachten… Also auf, Leute, zur Elphi, wie die Hamburger ihr Ding im Strom liebevoll nennen! Fahrt hin, fliegt hin – Verbindungen zwischen Rhein/Main und der Stadt im Norden gibt es genug! Tickets für die Elbphilharmonie sind nicht immer einfach zu bekommen, denn der Run auf das erstklassige Programm mit Weltstars von Klassik über Jazz bis Moderne ist groß. Bei der Planung hilft die Homepage www.elbphilharmonie.de. Dort gibt es gelegentlich auch Livestreams besonderer Konzerte als Appetizer auf das Erlebnis vor Ort. Im Übrigen ist auch die schöne Stadt Hamburg immer einen Besuch wert!
Informationen für die Spielzeit 2017/18
Die Konzerte in der Elbphilharmonie werden von unterschiedlichen Veranstaltern präsentiert. Während der allgemeine Vorverkaufsstart für Einzeltickets am 12. Juni 2017 beginnt, können die Abonnements beim jeweiligen Veranstalter ab dem Zeitpunkt der Programmveröffentlichung bestellt werden. Das hauseigene Konzertprogramm der Elbphilharmonie wird am 08. Mai 2017 vorgestellt. Zu diesem Termin werden alle weiteren Details zum Kartenvorverkauf veröffentlicht.